Protocol of the Session on January 26, 2001

Meine Damen und Herren! Auf der Tribüne hat eine zweite Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Raabe-Gymnasiums Magdeburg Platz genommen. Wir begrüßen sie.

(Beifall im ganzen Hause)

Meine Damen und Herren! Ich muss Ihnen mitteilen, dass der Ministerpräsident die Redezeit um reichlich vier Minuten überschritten hat. Diese Zeit steht auch Ihnen zusätzlich zur Verfügung.

Es ist eine Zehnminutendebatte vereinbart worden. Die Vertreter der Fraktionen sprechen in folgender Reihenfolge: FDVP, CDU, PDS, DVU-FL und SPD.

Ich erteile nunmehr dem Abgeordneten Herrn Wolf das Wort. Bitte, Herr Wolf.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vorweg nur so viel: Die Frage „Europaausschuss ja oder nein“ wäre anders geregelt worden, wenn die Altparteien unter sich gewesen wären.

Ich werde mich etwas zwingen, bei diesem Thema ernst zu bleiben. Das Ergebnis des EU-Gipfels von Nizza lautet: Außer Spesen nichts gewesen. Die Fürsten dinierten prächtig, natürlich zum Wohle des Volkes, schwätzten miteinander und brachten nichts Dienliches für den europäischen Raum hervor.

Herr Höppner, davon zu sprechen, Kompetenzen zurückzuerobern, die schon weg sind, ist Geschwafel, völliges Geschwafel. Ihre Rede war schwach.

Herr Wolf, darf ich Sie kurz unterbrechen? Der Abgeordnete Herr Scharf möchte eine Frage stellen.

Später. - Stimmen sind für Sie, Herr Höppner, uninteressant. Ein Bekenntnis zur Demokratie, das deutlicher nicht sein kann.

Meine Damen und Herren von der sozialistischen Partei - die Kommunisten sollen hier ausgeblendet bleiben -, Sie haben eine Jubelveranstaltung erwartet. Der Otto Normalverbraucher kann nicht jubeln. Er schaut getreu Minister Gabriel aus dem Fenster, ist arbeitslos oder will arbeitslos sein und frönt den einparkenden Autos. Er versteht das Parteichinesisch der Sozialisten ohnehin nicht.

Dennoch steht einer kritischen Würdigung der Ergebnisse des Europäischen Rates von Nizza nichts im Wege. Allerdings kann die Begrüßung der Ergebnisse des EUGipfels von Ihnen wohl kaum ernst gemeint sein.

Ziel des Gipfels von Nizza war eine umfassende Reform der Europäischen Union. Wo ist diese Reform geblieben? Die Ergebnisse des Gipfels waren enttäuschend

und ohne große Fortschritte. Also eine Reform, die nicht reformiert wurde.

Deutlich machen möchten wir diese Niederlage anhand der bisher nicht realisierten Maximen der Europäischen Union, die vor ihrer Gründung einst maßgeblich waren. Eine Maxime war, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaft eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben. Was wurde aber erreicht?

Im Mittelpunkt des Marathon-Gipfels von Nizza stand die institutionelle Reform der Union als Voraussetzung für die baldige Aufnahme neuer Beitrittsländer Mittel- und Osteuropas sowie des Mittelmeerraumes.

Hinsichtlich der beabsichtigten Erweiterung der EU ab dem Jahr 2002 sei eine kurze Bezugnahme auf die Plenardebatte in der 41. Sitzung des Landtages erlaubt. In dieser Debatte wurde bereits ausdrücklich Stellung zu diesem Thema genommen. Nochmals sei erwähnt, die EU müsste zunächst einmal grundlegend reformiert werden, um einen Infarkt der EU-Institutionen zu vermeiden.

Erst wenn die jeweiligen Staaten einen einheitlichen wirtschaftlichen und rechtlichen Stand aufweisen, kann überhaupt eine Erweiterung in Angriff genommen werden. Wenn Deutschland und die EU schon jetzt nicht mehr mit den Problemen der neuen Bundesländer fertig werden, wie will man dann erst die Probleme insbesondere der Ostländer lösen? Zum Beispiel verdient ein Kraftfahrer in Deutschland etwa 40 DM pro Stunde. Ein Kraftfahrer in Polen dagegen 6 DM. Dieses Defizit kann schon im Hinblick auf die dortigen sozialen Verhältnisse unmöglich bis zum Ende des Jahres 2002 ausgeglichen werden. Die europäische Integration soll der Errichtung einer wirtschaftlichen Gemeinschaft dienen. Aber auf welchem Niveau?

Aus diesem Grunde werden wir eine Erweiterung der EU in naher Zukunft nicht befürworten. Wir schließen uns der Ansicht des EU-Kommissars der SPD Verheugen an, vor dem Jahr 2015 dahin gehend bitte nichts zu veranlassen.

Und wie steht Nizza zur Sozial- und Grundrechtscharta der Europäischen Union? Bei der Sozialcharta verfährt jedes Mitgliedsland nach eigenem Gutdünken. Anders formuliert: Jeder macht, was er will, und der Zipfelaugust aus Deutschland gehorcht.

Die Grundrechtscharta fasst zwar die zivilen, wirtschaftlichen, politischen und sozialen Grundrechte der europäischen Bürger zusammen. Das Dokument erhielt aber noch keine Rechtsverbindlichkeit und ist somit nur leeres, gedroschenes Stroh.

Von einer Stärkung der Solidarität zwischen den Völkern der EU unter Achtung ihrer Geschichte, ihrer Kultur sowie ihrer Tradition kann nach Abschluss des NizzaGipfels keine Rede sein. Wo ist denn die Solidarität zwischen den EU-Mitgliedstaaten geblieben? Der Streit zwischen Deutschland und Frankreich über die Frage, wer in der EU künftig viel zu sagen hat, kann wohl kaum ein Zusammengehörigkeitsgefühl symbolisieren. Die Unnachgiebigkeit einiger Mitgliedstaaten im Streit um Stimmen und Mehrheiten in der EU führte lediglich zu Endlosdebatten ohne Sinn und Verstand.

Das Ergebnis: Unser Bundeskanzler musste trotz der vielen Mühen und der anstrengenden Zänkerei die höhere Stimmengewichtung gegenüber Frankreich aufgeben. Nach Nizza: Deutsche Interessen sind wieder ohne Not

preisgegeben worden. Das Motto lautet also: Je größer die Bevölkerung, umso weniger hat sie zu sagen.

Meine Damen und Herren! Ein Kaffeekränzchen im Kreise reifer Damen wäre solidarischer, vor allem aber ergiebiger gewesen.

Die Maxime, die Demokratie und die Effizienz der Arbeit der Organe weiter zu stärken, damit diese in die Lage versetzt werden, die ihnen übertragenen Aufgaben in einem einheitlichen institutionellen Rahmen besser wahrzunehmen, ist gescheitert.

So ist das Europäische Parlament der Verlierer von Nizza. Es darf in Sachen gemeinsamer Agrarpolitik, Wirtschafts- und Währungsunion, Wettbewerb und staatliche Beihilfen weiterhin nicht mitbestimmen. Lediglich die Sitzverteilung der Mitgliedstaaten und Beitrittsländer im Europaparlament wurde eben neu bestimmt.

In der EU-Kommission ändert sich bis zum Jahr 2005 nichts, zumindest nichts Grundlegendes. Nur die Position des Kommissionspräsidenten wird wohl stärker. Er darf künftig unfähige Kommissare im Einvernehmen mit anderen entlassen. Also ein kleiner Erfolg, der auch auf das Land Sachsen-Anhalt übertragen werden kann.

Die Maxime, die Stärkung und die Konvergenz der Volkswirtschaften herbeizuführen und eine Wirtschafts- und Währungsunion zu errichten, die eine einheitliche stabile Währung einschlägt, ist im Ansatz stecken geblieben. Sie ist ein untauglicher Versuch, und zwar mit untauglichen Mitteln am untauglichen Objekt. Eine europäische Wirtschaftsunion zu errichten ist bis heute nicht gelungen, wohl aber die Errichtung einer Währungsunion. Nur funktioniert es mit dem Euro nicht mehr so richtig. Geht der Wunsch nach einer einheitlichen stabilen Währung nun endlich den Bach hinunter?

Eine weitere Maxime der Europäischen Union war, im Rahmen der Verwirklichung des Binnenmarktes sowie der Stärkung des Zusammenhalts und des Umweltschutzes den wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt ihrer Völker unter Berücksichtigung des Grundsatzes der nachhaltigen Entwicklung zu fördern und Politiken zu verfolgen, die gewährleisten, dass Fortschritte bei der wirtschaftlichen Integration mit parallelen Fortschritten auf anderen Gebiete einhergehen.

Wie sieht nun die Verwirklichung des Binnenmarktes tatsächlich aus? In Sachen BSE ist der Binnenmarkt wirklich gelungen. Bei der Verschiebung von Tiermehl hat eine Angleichung stattgefunden, und in Sachen flächendeckender Versorgung Westeuropas mit Rauschgiften ist völliger Vollzug zu melden. In allen anderen Fällen: Fehlanzeige.

Fehlanzeige auch bei der Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen der EU-Länder. Der Sankt-Nimmerleins-Tag ist hier angezeigt.

Gleiches gilt für die Verteidigungspolitik. Die Westeuropäische Union ist ein Fremdwort. Alles läuft über die Nato. Auch Kriegsminister Fikentscher befiehlt seinen Landeskindern und viele folgen. Frieden mit Uranmuni- tion gegen Kinder, Greise und Mütter geschaffen.

(Frau Fischer, Leuna, SPD: Das ist ja wohl frech, so etwas!)

Wer da noch überlebt, wird des Friedens wegen mit Bomben beschenkt. Anschauungsunterricht Bosnien-Herzegowina, Kosovo. Hilfskriegsminister Fischer, der gute Erfahrungen im Guerillakampf mitbringt, leistet natürlich Amtshilfe. Und wer es noch nicht weiß, dem gegenüber

sei es bekundet, dass Herr Fischer als treuer Sklave der Sozis nicht nur ohne Schul- und Berufsabschluss ist, sondern dass er der Strafkammer in Frankfurt am Main seinen wahren Beruf verschwiegen hat.

Herr Wolf, ich muss Ihren Ausdruck „Kriegsminister“ rügen. Halten Sie sich bitte etwas zurück.

(Zustimmung bei der SPD)

Ich nehme die Rüge an. - Sein Beruf ist real „berufslos“, er hat alles abgebrochen, was abzubrechen war

(Zurufe von der SPD)

oder wurde rausgeworfen. Er hat aber nach eigenem Bekunden den Beruf des Außenministers erlernt. Da fragt sich Till Eulenspiegel, wie man das wohl macht.

Meine Damen und Herren! Die per Fax aus Berlin angeordnete Debatte und Jubelfeier steht im Widerspruch zu den Artikeln 23 und 25 des Grundgesetzes. Das ist der Landesregierung nicht aufgegangen. Der Landesregierung geht allerdings vieles nicht auf, insbesondere hat sie ein gestörtes Verhältnis zur Bevölkerung und zum Recht. Der Termin für den Beitritt des Landes SachsenAnhalt zur EU ist, gemessen an den Gedanken der Landesregierung, für das Jahr 3050 bestimmt.

Meine Damen und Herren! Wir sind von den Erfolgen der Landesregierung so geblendet, dass wir die Erfolge der Bundesregierung nicht mehr sehen können. Das tut uns Leid.

Der regelmäßigen Berichterstattung der Landesregierung über den Fortgang der EU-Reformen kann ohne Bedenken zugestimmt werden. Fraglich ist nur, über welche Reformen berichtet werden soll.

Sie, Herr Scharf, lade ich in die Fraktion ein, damit wir über Ihre Frage diskutieren können. - Danke.

(Beifall bei der FDVP)

Danke sehr. - Meine Damen und Herren! Die Debatte wird fortgesetzt mit dem Beitrag des Abgeordneten Herrn Dr. Sobetzko. Bitte, Herr Sobetzko, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die östlichen Länder, die der Europäischen Union beitreten wollen, sind ungeduldig und erwarten Voraussetzungen und Entscheidungen, die ihnen den Beitrittsweg in die Europäische Union endgültig ebnen.

Der Abschluss der Regierungskonferenz des Europäischen Rates in Nizza sollte für sie den erhofften Befreiungsschlag bringen. Die Vertiefung der inneren Reform und die Schaffung der institutionellen inneren Voraussetzungen der Europäischen Union sollten nach einem abgestimmten Zeitplan die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union verbessern, um die Osterweiterung der Europäischen Union vollziehen zu können. Gleichzeitig sollten damit die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, den inneren und äußeren Anforderungen der Europäischen Union gerecht zu werden.

Das Ergebnis der Regierungskonferenz von Nizza liegt vor. Die Ratifizierung durch die nationalen Parlamente soll in den nächsten Monaten vollzogen werden. Das belgische und das italienische Parlament machten ihre Zustimmung von der Zustimmung des Europäischen Parlaments abhängig.

Nach näherer Auswertung muss leider gesagt werden: Das Reformwerk ist nicht gelungen. Gemessen an den Ansprüchen liegt ein Reförmchen vor.