Vielen Dank, Frau Schmidt. - Zu diesem Tagesordnungspunkt ist ebenfalls eine Fünfminutendebatte vereinbart worden. Zunächst hat für die Landesregierung Frau Ministerin Dr. Kuppe um das Wort gebeten. Bitte, Frau Ministerin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Herren und Damen Abgeordneten! Die Thematik häusliche Gewalt bzw. Gewalt gegen Frauen wird nun schon zum wiederholten Male im Landtag debattiert. Das ist gut so; denn je breiter und je häufiger dieses Thema im Rahmen einer aktuellen Debatte erörtert wird, umso eher werden die notwendigen Veränderungen erreicht werden können. Wir müssen in diesem Feld endlich einen entscheidenden Schritt vorwärts kommen; denn häusliche Gewalt ist nach Experteneinschätzung die Gewaltform, der Frauen am häufigsten ausgesetzt sind.
Gegenwärtig genießt die Frage der Bekämpfung häuslicher Gewalt in der Gesellschaft und bei staatlichen Instanzen einen politischen Stellenwert, wie schon seit langer Zeit nicht mehr. Dies gibt Anlass zu der Hoffnung, dass endlich umfassende strukturelle Verbesserungen für von Gewalt betroffene Frauen erreicht werden können.
Die Landesregierung von Sachsen-Anhalt hat sich vor mehr als einem Jahr entschlossen, ein Landesprogramm zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen zu erarbeiten; denn nur mit einem konsequenten und einheitlichen Vorgehen aller bei dieser Thematik involvierten Ressorts und Organisationen kann der Gewalt gegen Frauen wirkungsvoll begegnet werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Bekämpfung von häuslicher Gewalt muss das Recht nicht nur die Opfer, sondern auch die Täter in den Blick nehmen. Gewaltkarrieren und ein Gewaltkreislauf können nur beendet werden, wenn Täter ihr Verhalten ändern. Deshalb muss dem Täter unmissverständlich klar gemacht werden, dass er eine Straftat begangen hat und dass er dafür auch unmittelbar die Konsequenzen zu tragen hat.
Diese neue Haltung des Staates bedeutet einen Paradigmenwechsel. Diese neue Haltung des Staates ist auch in allen Rechtsgebieten deutlich zu machen, im Strafrecht, im Zivilrecht und im öffentlichen Recht.
Die Bundesregierung hat in diesem Sinne für das in ihre Regelungskompetenz fallende Zivilrecht bereits die Initiative ergriffen. Frau Schmidt hat darauf hingewiesen.
Der Entwurf für ein Gewaltschutzgesetz, das zivilrechtliche Schutzmaßnahmen sowie erleichterte Wohnungszuweisungen für die Dauer von höchstens sechs Monaten für die betroffene Frau vorsieht, befindet sich in den
Beratungen der Bundesratsausschüsse. Von SachsenAnhalt aus wird dieses gesetzgeberische Vorhaben eindeutig unterstützt.
Aber, meine sehr geehrten Damen und Herren, mit einer Änderung des Zivilrechts allein ist es nicht getan. Es gilt darüber hinaus, zum Schutz der Frau die zeitliche Lücke zwischen dem Einsatz der Polizei und der per Antrag von der Frau zu erwirkenden zivilrechtlichen Wegweisung des Mannes aus der Wohnung zu schließen. Das heißt konkret: Auch die Polizei sollte künftig das rechtliche Instrumentarium haben, dem Täter sofort nach der Tat für mehrere Tage einen Platzverweis zu erteilen.
Wieso ist das so wichtig? - Erstens um dem Täter durch die Reaktion der ersten staatlichen Instanz - das ist in diesem Falle die Polizei - unmissverständlich und sofort deutlich zu machen, dass er eine Straftat begangen hat, die nachdrücklich verfolgt wird,
zweitens um der Frau die Erfahrung zu vermitteln, dass der Staat auf ihrer Seite und hinter ihr steht und ihr Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit schützt,
viertens um die in der Phase unmittelbar nach der Gewaltausübung besonders hohe Ansprechbarkeit der Frau zu nutzen, sich für einen Ausstieg aus einer Gewalt- beziehung zu entscheiden.
Wenn der Täter nach einer Gewalttat in ihrer unmittelbaren Umgebung bleibt, dann ist die Chance vertan, eine Gewaltkarriere zu durchbrechen.
Im Hinblick auf die dafür notwendige Änderung von Sicherheits- und Ordnungsgesetzen der Länder sind allerdings zwei Punkte zu beachten. Eine entsprechende Änderung würde es künftig der Polizei erlauben, gewalttätige Personen aus ihren Wohnungen und deren näherer Umgebung zu verweisen und diesen Personen für einen gewissen Zeitraum die Rückkehr in die jeweilige Wohnung zu verbieten. Damit würde in den Schutzbereich verschiedener Grundrechte der betroffenen Personen, der schlagenden Männer eingegriffen, zum Beispiel in das Recht auf Freizügigkeit, in die Unverletzlichkeit der Wohnung oder auch in das Recht auf Schutz des Eigentums.
Eine sorgfältige Prüfung dieser nicht einfachen verfassungsrechtlichen Fragen, meine Damen und Herren, muss deshalb im Vorfeld einer Gesetzesänderung erfolgen. Dies ist unter anderem der Auftrag einer von der Innenministerkonferenz eingesetzten Arbeitsgruppe.
Aus frauenpolitischer Sicht muss dem konkurrierenden Grundrecht der Frau auf körperliche Unversehrtheit ein ebenso hoher Stellenwert eingeräumt werden wie den Grundrechten des Täters. Das betone ich an dieser Stelle ausdrücklich. Ein meinem Haus vorliegendes rechtswissenschaftliches Gutachten kommt zu dem Ergebnis, dass zum Schutz des Grundrechtes der Frau ein erweiterter polizeilicher Platzverweis verfassungskonform sein könnte, wenn die Eingriffsschwelle für eine Wegweisung durch die Polizei nicht zu niedrig angesetzt wird. Auch das wird noch im Detail zu prüfen sein.
Darüber hinaus haben die österreichischen Erfahrungen gezeigt, dass es sogar kontraproduktiv sein könnte, einzelne Elemente eines Gesamtkonzepts der Bekämpfung häuslicher Gewalt isoliert in Kraft zu setzen. Das InKraft-Treten einer eventuellen Änderung des Sicher
heits- und Ordnungsgesetzes macht aufgrund dieser Erfahrungen auch nur dann Sinn, wenn zeitgleich die Arbeitsfähigkeit von Interventionsstellen gegeben ist, die den Frauen unmittelbar nach der Wegweisung beratend zur Seite stehen können, Frauen unterstützen, und wenn des Weiteren die zivilrechtlichen Möglichkeiten als Instrument vorhanden sind.
Das bedeutet, dass wir, was gesetzliche, aber auch was organisatorische Handlungsschritte in Sachsen-Anhalt anbelangt, in einem Stufenplan vorgehen müssen.
Die besten gesetzlichen Bestimmungen nützen wenig - das sage ich auch sehr deutlich -, wenn sie nicht im beabsichtigten Sinn konsequent praktiziert werden. Das funktioniert nur, wenn die damit befassten Menschen für die Problematik der häuslichen Gewalt sensibilisiert und geschult werden.
Im Bereich der Aus- und Fortbildung der Polizei, der Staatsanwaltschaften und der Gerichte wurden bei uns im Land schon zahlreiche Anstrengungen unternommen. Ich will nur ganz wenige exemplarisch nennen.
Für Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte wurden dezentrale Fortbildungen auf den Weg gebracht, und zwar themenbezogen, bei denen am Schluss Fortbildungsbriefe ausgereicht werden. Der Begriff „Familienstreitigkeiten“, der eine extreme Verharmlosung des Themas darstellt, wurde in den Fortbildungen durch den Begriff „häusliche Gewalt“ ersetzt. Das halte ich für einen sehr großen Fortschritt.
Darüber hinaus wurde das Landeskriminalamt beauftragt, eine Richtlinie zum polizeilichen Einschreiten bei Gewaltkonflikten im häuslichen Bereich zu erstellen. Das wird die Grundlage dafür sein, die polizeiliche Statistik in diesem Bereich präziser zu fassen.
Eine Vernetzung zwischen den Aus- und Fortbildungen bei der Polizei und im Justizbereich erscheint sinnvoll und wird zwischen den beteiligten Ressorts diskutiert.
Parallel zu diesen Maßnahmen müssen die Frauen aber auch eine schnelle und professionelle Unterstützung in sozialpädagogischer und rechtlicher Hinsicht bekommen. Deswegen betone ich an dieser Stelle, dass auch nach den geplanten und notwendigen Gesetzesänderungen im Zivil- wie auch im Polizeirecht Frauenhäuser nicht überflüssig werden.
Auch hier zeigen Erfahrungen aus Österreich, wo all diese Maßnahmen bereits existieren, dass aufgrund dessen viel mehr Frauen als bisher durch die Hilfsangebote erreicht werden können. Es wird sogar mit einem noch höheren Schutzbedarf für die Frauen gerechnet. Auch der Beratungsbedarf wird steigen, sodass sich das Profil von Frauenhäusern und sonstigen Schutzräumen in der nächsten Zeit ändern kann.
Gewalttätigen Männern, meine sehr geehrten Damen und Herren, muss die Möglichkeit einer Beratung offen stehen, bei der sie mit ihrem gewalttätigen Verhalten konfrontiert werden. Dabei muss immer das Ziel im Vordergrund stehen, dass sie für ihr Verhalten die Verantwortung übernehmen und dann die Chance haben, ihr Verhalten ändern zu können. Auch das ist ein wichtiger Baustein der Antigewaltarbeit.
Wir haben die schon genannte Beratungsstelle „Pro Mann“ in unserem Land. Ich hoffe, dass in dieser Beratungsstelle demnächst nicht nur freiwillige Beratungen stattfinden, sondern dass die Gerichte und Staatsanwalt
schaften von der Möglichkeit Gebrauch machen, die ihnen nach § 153 a der Strafprozessordnung eingeräumt ist. Ich denke, dass hier die Sensibilisierungsmaßnahmen zu einer stärkeren Inanspruchnahme dieses Angebotes führen werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der vorliegende Antrag der SPD-Fraktion befasst sich mit den notwendigen strukturellen Veränderungen und geht über notwendige Maßnahmen in dieser Legislaturperiode hinaus; denn beispielsweise die Änderung des SOG wird eine Aufgabe für die beginnende neue Legislaturperiode sein.
Der Antrag befasst sich mit den strukturellen Veränderungen in der Bekämpfung häuslicher Gewalt. Mit dem Antrag zeigt die SPD-Fraktion, dass sie die Zeichen der Zeit erkannt hat. Die darin enthaltenen Prüfbitten, meine sehr geehrten Damen und Herren, werden wir im Rahmen des derzeit in der Erarbeitung befindlichen Landesprogramms abarbeiten. - Danke.
Vielen Dank. - Es wurde eine Frage angezeigt. Frau Ministerin, sind Sie bereit, die Frage zu beantworten? Dann würde ich Sie bitten, noch einmal nach vorn zu kommen. - Bitte schön.
Frau Ministerin, Sie haben die Täterarbeit, und zwar die freiwillige sowie die, die die Justiz anordnen kann, angesprochen. Wo könnte der Schwerpunkt der Landesregierung liegen? Bei der Zwangsberatung für gewalttätige Männer oder bei der freiwilligen Beratung?
Ich setze vom Grundsatz her - wir haben das schon einmal erörtert - auf freiwillige Beratung, weil ich denke, dass auch die Bereitschaft vorhanden sein muss, sich auf eine solche Beratung einzulassen. Ich ziehe auch die Parallele zur Beratung nach § 218.
In diesem Feld gibt es, denke ich, noch Ressourcen. Wenn Staatsanwaltschaften und Gerichte noch stärker sensibilisiert sind, können sie Täter auch noch stärker beraten und darauf hinweisen, dass es diese Beratungsmöglichkeiten bei Pro Mann gibt. Dann ist es sicherlich auch möglich, dass sich gewalttätige Männer in stärkerem Maße als bisher freiwillig auf diese Beratung einlassen. Ich verspreche mir durchaus einen stärkeren Erfolg, als er bisher, auch in der Masse, erreicht worden ist.
Bevor ich weitere Debattenredner aufrufe, darf ich zwei Schülergruppen unter uns begrüßen, zum einen Schülerinnen und Schüler der Fachhochschule der Polizei in Aschersleben,
Die Debatte der Fraktionen findet in der Reihenfolge PDS, FDVP, CDU, DVU-FL und SPD statt. Für die PDSFraktion spricht die Abgeordnete Frau Tiedge. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich möchte mit einem Beitrag aus der Sendung „SpiegelTV“ vom Sonntagabend beginnen. Dort wurde über eine junge Frau berichtet, die über Monate von ihrem Lebensgefährten bedroht und geschlagen wurde. Sie erstattete Anzeige, sprach mit Freunden und Verwandten und zog schließlich aus der gemeinsamen Wohnung aus. Geholfen hat ihr das alles nichts. So richtig ernst genommen hat sie auch niemand. Heute ist sie tot - ermordet.
Eine Aussage in dieser Reportage spiegelt die Haltung der Gesellschaft zur häuslichen Gewalt am eindringlichsten wider. Der Wirt einer Gaststätte, in der sich beide gelegentlich aufhielten, erlebte, dass der Mann in seinen Räumen versuchte, die junge Frau zu würgen und zu schlagen. Er ging dazwischen mit den Worten, dass er das in seinen Räumen nicht dulde; sie sollten das gefälligst zu Hause tun. Immer nach dem Motto: Was in den eigenen vier Wänden geschieht, geht mich nichts an.
Der Begriff der Familienstreitigkeit taucht in der Polizeistatistik nicht auf, ebenso wenig die Zuordnung von Gewalttaten im häuslichen Bereich, und das, obwohl die häusliche Gewalt die häufigste Form der Gewalt ist.