Protocol of the Session on January 25, 2001

Der Begriff der Familienstreitigkeit taucht in der Polizeistatistik nicht auf, ebenso wenig die Zuordnung von Gewalttaten im häuslichen Bereich, und das, obwohl die häusliche Gewalt die häufigste Form der Gewalt ist.

Eine Gesetzesinitiative mit weitergehenden Gesetzesänderungen ist unbedingt notwendig. Aber dieses Gesetz muss wie kaum ein anderes vorbereitet und diskutiert werden, um einen breiten gesellschaftlichen Konsens sowie Akzeptanz und Zustimmung bei den Männern, bei der Justiz, bei der Polizei, aber auch bei den Frauen selbst zu erreichen.

Gewalt in der Familie hat immer eine lange Geschichte. Der Weg aus der Gewalt ist ein ebenso langer Weg.

Was nützt die beste Gesetzesinitiative, wenn den Frauen permanent ein schlechtes Gewissen eingeredet wird, weil der prügelnde Ehemann der Wohnung verwiesen wird? Es muss akzeptiert werden, dass die misshandelte Person in der Wohnung verbleiben kann und der Täter gehen muss.

Wenn ich vorhin davon sprach, dass auch die Männer dieses Gesetz annehmen müssen, dann meine ich das sehr ernst. Jahrhundertealte Erziehungsmuster, althergebrachte Vorurteile über Gewalt in der Familie - das wird deutlich in dem Spruch: Pack schlägt sich, Pack verträgt sich -, aber auch das Abwägen zwischen dem Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung und dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit lassen selbst Männer, die niemals Gewalt gegen Frauen oder Kinder ausüben würden, an der Richtigkeit dieses Gesetzes zweifeln. Gerade diese Männer müssen in die Diskussion eingebunden werden, damit sie erkennen, dass es keine Alternative geben kann.

Der Bundesminister der Justiz Österreichs, Herr Dr. Michalek, hat in der Parlamentsdebatte zum österreichischen Wegweisungsgesetz gesagt - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zitiere ich -:

„Wir sind uns bei unseren Bemühungen um eine sachgerechte Lösung sehr wohl dessen bewusst gewesen, dass die vorgeschlagenen Regelungen in einem Spannungsverhältnis zwischen einem

möglichst wirksamen Schutz gegen Gewalt im häuslichen Bereich auf der einen Seite und dem Eingriff in sensible Grundrechte auf der anderen Seite stehen.“

Genau in diesem Spannungsfeld werden auch wir uns bewegen. Dabei reicht es nicht aus, an erster Stelle nach einer Kompetenzerweiterung der Polizei zu rufen. Ein umfassendes Spektrum von Maßnahmen ist notwendig. Dazu gehören die Sensibilisierung und Weiterbildung von Polizei und Justiz sowie die Änderung der Strafgesetzgebung.

Wir gehen davon aus, dass die Körperverletzung in der Familie ein Offizialdelikt werden muss. Warum soll die Frau erst einen Antrag stellen müssen, wenn sie von ihrem Ehemann verprügelt wird?

(Zustimmung bei der PDS)

Spezialabteilungen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften, die Erweiterung der Hilfsangebote durch die Schaffung von Interventionsstellen und Familienberatungsstellen sind weitere Maßnahmen.

Erst wenn das alles gewährleistet ist, kann und muss man sicherlich auch über eine Kompetenzerweiterung bei der Polizei nachdenken. Dabei warne ich vor überzogener Eile. So wichtig diese Gesetzesänderung auch ist, im Interesse einer breiten Akzeptanz, häusliche Gewalt nicht mehr nur als Kavaliersdelikt anzusehen, ist eine umfassende Diskussion notwendig. Auch das sind wir den Opfern schuldig.

(Beifall bei der PDS)

Vielen Dank. - Für die FDVP-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Wiechmann. Bitte.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Anträge sollten unserer Meinung nach von Inhalt, Zweck und Ausmaß bestimmt sein. Wir sind der Auffassung, davon kann bei dem vorliegenden Antrag der häuslichen So- zialisten keine Rede sein. Ich will das auch begründen.

Was ist häusliche Gewalt und welche Handlungsmöglichkeiten sollen ermittelt werden? Welcher Personenkreis soll der belastete, welche Personen sollen die zu belastenden sein? Welches Wechselspiel soll hiermit ausgelöst werden? Sind in dem Gewaltpotenzial Männer gegen Frauen, Frauen gegen Männer, Kinder gegen Kinder, Kinder gegen Eltern oder Eltern gegen Kinder betroffen?

Ich denke, Frau Ministerin Kuppe, - von der PDS haben wir es eben auch noch einmal gehört - es ist in dem Antrag nicht gesagt, aber die SPD meint mit ihrem Antrag Gewalt gegen Frauen. Ich denke, das greift an dieser Stelle zu kurz.

Ohne weit ausholen zu wollen, verweise ich nur auf die misshandelten Kinder. Auch dort gibt es ermordete Kinder. Dieser Antrag sollte dieses breite Feld auch umfassen und sich nicht nur auf einen Punkt beschränken.

(Zurufe von Frau Krause, PDS, und von Frau Ferchland, PDS)

Meine Damen und Herren! Obwohl Gewalt zu einem beherrschenden Phänomen entwickelter Gesellschaften geworden ist - das erkennen wir durchaus an, das wird

auch überall deutlich -, lässt sich bisher weder der Begriff der Gewalt noch der Begriff der Gewaltkriminalität eindeutig juristisch festlegen.

Welche Straftaten und Verhaltensweisen daher zur Gewaltkriminalität und zur Gewaltanwendung im häuslichen Rahmen zu zählen sind, ist nicht sicher zu bestimmen. Das deutsche Strafgesetzbuch kennt den Begriff der Gewalt an vielen Stellen, ohne dass freilich gesagt werden könnte, damit sei auch immer dasselbe beschrieben. Es bedarf deshalb einer eigenständigen Definition dessen, was man kriminologisch als Gewaltkriminalität und Gewaltanwendung im häuslichen Rahmen überhaupt begreifen will.

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Ein wirklicher Ausgangspunkt einer solchen Klassifizierung scheint das Abstellen auf den Eingriff in die physische und psychische Integrität eines Menschen zu sein. Aber auch dieser Definitionsversuch ist nicht unumstritten, da er bestimmte mit Gewaltausübung verbundene Straftaten und Verhaltensweisen, die sich lediglich gegen Sachen oder nur mittelbar gegen Personen richten, nicht als Gewaltanwendung begreift.

Daher zählt eine weite Auffassung von Gewaltanwendung auch solche Taten, bei denen sich die Gewalt gegen Sachen, und jene, bei denen sie sich mittelbar gegen Personen richtet, ebenfalls zur Gewaltanwendung. Auch das muss hier berücksichtigt werden. Obwohl jede Definition letztlich in Grenzen willkürlich bleiben muss, empfiehlt es sich zu verlangen, dass sich die ausgeübte Gewalt wenigstens mittelbar gegen Personen richten muss, um von Gewaltanwendung sprechen zu können.

Meine Damen und Herren! Im Übrigen hängt das Ausmaß der registrierten Gewaltanwendung zu einem beachtlichen Teil von der jeweiligen Sensibilisierung der Tatopfer gegenüber der Gewalt ab. Registrierte Gewaltanwendung ist daher weniger geschehene als vielmehr erlebte Kriminalität. Die Ursache für Entstehung und Ansteigen der Gewaltanwendung und der Gewaltkriminalität empirisch gesichert anzugeben ist einfach unmöglich.

Da wohl feststeht, dass ein bedeutender Teil dieser Delikte von Angehörigen unterer Schichten begangen wird, bietet sich ein sozialisationstheoretischer Ansatz zur Erklärung weiter Bereiche der Gewaltanwendung an. Wenn es richtig ist, dass in der Unterschicht körperliche Gewalt als zulässiges Mittel zur Durchsetzung von Normen und zur Erreichung von Zielen Verwendung findet, dann wird der so Sozialisierte später gleiche Verhaltensmuster, auch strafrechtlich und polizeirechtlich relevante, an den Tag legen. Das mag eine Erklärung sein, wissenschaftlich gesichert ist sie indes auch nicht.

Etwas Ähnliches gilt auch für die von Ihnen genannten Maßnahmen im Zusammenhang mit § 153 der Strafprozessordnung. Das Rechtsinstitut der vorläufigen Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 kennt die Strafprozessordnung nicht. Gesetzeskenntnis erleichtert, meine Damen und Herren von der SPD, auch hier die Rechtsfindung. Die Einstellung nach § 153 der Strafprozessordnung ist nicht einmal im Klageerzwingungsverfahren nachprüfbar.

Abschließend kann ich nur sagen, auch wir erkennen die Probleme und die Zunahme häuslicher Gewalt. Wir befürworten auch das Treffen entsprechender Maßnahmen. Wir denken auch, das österreichische Modell könnte ein Ansatz sein.

Gebetsmühlenartig beschäftigte sich dieser Landtag in der gesamten Legislaturperiode mit diesem Problem. Ich möchte nicht so weit gehen und die Worte des Vizepräsidenten Herrn Professor Böhmer verwenden und dies als Geschwätz bezeichnen.

(Zurufe von der PDS: Unverschämt! - Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Ich stelle nur fest: Alles blieb wirklich ohne wesentliche Ergebnisse. Es betrifft auch uns, dass es bisher ohne wesentliche Ergebnisse verlief.

(Zuruf von Frau Stolfa, PDS)

Es bleibt die Frage nach dem Warum. Warum sind diese Ergebnisse bisher nicht erreicht worden? Was ist nötig, um dieses Problem zu bekämpfen?

(Zuruf von Frau Ferchland, PDS)

Ihr Antrag, meine Damen und Herren von der SPD, ist, denken wir, jedenfalls nicht geeignet, dieses Problem zu lösen. - Danke sehr.

(Zustimmung bei der FDVP - Zuruf von Frau Krause, PDS)

Vielen Dank. - Meine Damen und Herren! Ich möchte klarstellen, dass ich als Vizepräsident nicht die Aufgabe habe, die Qualität von Vorträgen zu beurteilen. Ich beanstande nur das dauernde Gemurmel in den Reihen der Zuhörer, nicht die Ausführungen der Redner.

Für die CDU-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Liebrecht.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Das Ausmaß von Gewalt insbesondere gegen Frauen und Kinder ist immens und bisher zahlenmäßig nicht erfasst. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, das Phänomen anzugehen und eine Lösung zu suchen.

Wir haben uns mit dem Problem Gewalt, insbesondere der häuslichen Gewalt, seit langem befasst und uns im Landtag damit auseinander gesetzt. Vor drei Jahren beantragte die CDU-Fraktion zum Beispiel die Schaffung von Modellprojekten zum Thema „Hilfe gegen häusliche Gewalt“.

Wir forderten damals unter Punkt 1 unseres Antrages eine spezielle Art der Wiedergutmachung durch die in der Regel männlichen Gewalttäter. Die Staatsanwaltschaft sollte den Tätern die Verpflichtung auferlegen, bei lokalen Beratungsstellen Beratungen zu absolvieren. Im Gegenzug sollte die Möglichkeit zur Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a der Strafprozessordnung bestehen. Unser Antrag wurde damals mit deutlicher Mehrheit abgelehnt.

In Punkt 2 unseres damaligen Antrages verlangten wir eine Koordinierung des Vorgehens aller beteiligten Institutionen. Insbesondere sollte eine enge Vernetzung und Kooperation von Staatsanwaltschaft, Polizei, Jugendämtern, Sozial- und Gesundheitsämtern sowie Frauenhäusern, Schulen und Selbsthilfegruppen gewährleistet werden.

Die Landesregierung hat in ihrem Bericht im Rahmen einer Anhörung im Juni 2000 erklärt, dass eben dies erforderlich ist. Selbiges verlangt jetzt die SPD-Fraktion in ihrem Antrag.

Etwas Neues vermag ich darin nicht zu erkennen. Aber wir nehmen die Problematik ernst und werden deshalb dem Antrag zustimmen; denn es ist offensichtlich, wer geistiger Urheber des Antrages ist.

Wer sich in der Praxis mit häuslicher Gewalt befasst, wird schnell feststellen, mit welchen Problemen gekämpft wird. Ein Hauptproblem ist, dass bisher den Tätern bei Gewalt im sozialen Nahraum im Grunde genommen nichts passiert. Wird ein Täter dagegen einmal bestraft, ist dies gesamtgesellschaftlich gesehen zwar ein gutes Signal, aber für die davon auch mitbetroffene Frau ist dies möglicherweise kontraproduktiv.

Man muss bei alledem auch berücksichtigen, dass Gewalt erleben und Gewalt erlernen in der Familie mit einer Botschaft und Erfahrung verbunden sind. Liebe und Fürsorge, Gewalt und Desinteresse schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sind in vielen Fällen unlös- bar miteinander verbunden. Daher ist zu erwägen, den Tätern eindringlich die Werkzeuge der Staatsanwaltschaft aufzuzeigen, um so durch sanften Druck die Aufnahme einer freiwilligen Verhaltenstherapie zu erreichen. Dies kann natürlich nicht mit dem Absitzen einer einmaligen Gesprächsrunde erledigt sein.

Um die Besonderheiten der häuslichen Gewalt berücksichtigen zu können, sollte zudem innerhalb der Staatsanwaltschaften die übliche Geschäftsverteilung aufgehoben werden. Einzelne Staatsanwälte sollten mit der besonderen Zuständigkeit für Gewalt im sozialen Nahraum betraut werden.

Die CDU-Bundestagsfraktion wird sich im Bundestag dafür einsetzen, einen neuen Straftatbestand der fortgesetzten häuslichen Gewalt zu schaffen. In diesem Rahmen sollten zukünftig zumindest die zur Anzeige gelangten Gewalttaten im häuslichen Nahbereich als eigenständige Deliktsform in der Kriminalstatistik ausgewiesen werden.

Nun muss aber folgende Frage erlaubt sein - nach meiner Auffassung ist sie berechtigt -: Welche polizeilichen Eingriffsbefugnisse werden zusätzlich zu den in den §§ 36 ff. des Polizeigesetzes vorhandenen Befugnissen benötigt?