Protocol of the Session on September 15, 2000

Herr Kollege Kasten, wir wissen, dass Ihnen das Herz voll ist. Aber die Uhr ist abgelaufen.

(Heiterkeit)

Der letzte Satz passt genau noch in die Redezeit: Das ist nur so zu verstehen, dass die Konzernspitze den Auftrag hat, die Attraktivität der Bahn so weit zu reduzieren, dass der Autoabsatz nicht gefährdet wird.

Herr Sachse, eine letzte Anmerkung. Sie haben, wenn wir über die Perspektiven des Bahnverkehrs in SachsenAnhalt sprechen, DB Cargo vergessen. Aber vielleicht haben Sie gedacht: Er hat absolut keine Perspektive. Es ist vielleicht auch besser, wir lassen ihn zurzeit heraus. - Wir stimmen der Überweisung zu.

(Beifall bei der PDS - Zustimmung von Herrn Mokry, FDVP)

Vielen Dank. - Für die CDU-Fraktion spricht jetzt die Abgeordnete Frau Weiß.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In der Regel vermeiden Anträge der Regierungsfraktionen jeden kritischen Ton. Das Thema Bahn verspricht allerdings Brisanz, da wir keine Erfolgsgeschichte erwarten dürfen.

Wer den Umgang des Ministers mit der Bahn in den letzten Monaten verfolgt hat, mag vieles vermuten, nur nicht dass sich die Perspektiven des Bahnverkehrs insgesamt verbessern werden. Die Bilanz der bisherigen Bemühungen in Sachen Fern-, aber auch Güterverkehr ist mit anderen neuen Bundesländern jedenfalls nicht vergleichbar.

Amerika-Linie, die ICE-Strecke Nürnberg - Erfurt - Halle sowie die ICE-Verbindung über Magdeburg sind die bekanntesten Beispiele. Das Thema Amerika-Linie scheint abgehakt. Bezüglich der ICE-Strecke Nürnberg - Halle hat Bahnchef Mehrdorn dem thüringischen Verkehrs- minister seine Unterstützung zugesagt. Auf die ICE-Verbindung über Magdeburg komme ich gleich noch einmal zu sprechen.

Über die Ausgangslage bei den Fernverbindungen besteht, so glaube ich, Einvernehmen. Die Deutsche

Bahn AG versucht, aus ihrer Sicht unrentable Strecken des Fernverkehrs aus dem Fahrplan zu nehmen. Als Ausgleich soll dann das Land Nahverkehrsverbindungen bei der Bahn für dieselben Strecken bestellen. Dieses Modell ist für die Bahn wesentlich rentabler, da sie mit zusätzlichen Subventionen aus den Regionalisierungsmitteln die Verbindungen künftig bequem und sicher betreiben kann, nur eben auf Kosten des Landes. Dieses Modell scheint vor allem dort zu funktionieren, wo vor Ort kein oder kein ausreichender Widerstand seitens der Landesregierung geleistet wird.

Ich gebe zu: In den neuen Bundesländern besteht ein besonders großer Investitionsrückstand. Die Probleme der Bahn AG wirken sich hier stärker aus als in den Teilen unseres Landes, in denen regelmäßig in die Schiene investiert wurde. Die Deutsche Bahn AG mag daraus den Schluss ziehen, an anderer Stelle bei uns zu sparen. Ihnen, Herr Minister, obliegt es, dies zu verhindern.

Die alte CDU-geführte Landesregierung hat beim Neubau der ICE-Strecke eine gute Ausgangsposition geschaffen. Der Bau der ICE-Strecke Erfurt - Halle wurde von der alten Bundesregierung beschlossen und im Bundesverkehrswegeplan festgelegt. Der Neubau der ICE-Strecke über Stendal wurde mit der Maßgabe gefördert, dass auf der Strecke Magdeburg - Berlin keine wesentlichen Verbindungen gestrichen werden sollten.

Heute stehen wir vor der Situation, dass ICE-Verbindungen über Magdeburg nur noch die Ausnahme darstellen. Vor allem in den Morgen- und in den Abendstunden ist Magdeburg im Fernverkehr nur noch mangelhaft angebunden. Ganz gleich ob man dienstlich oder privat abends bis 20.30 Uhr in Dresden, Frankfurt, Düsseldorf oder Berlin zu tun hat - mit der Bahn jedenfalls ist die Rückfahrt dann nicht mehr möglich.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Mokry, FDVP)

Aber auch zwischen 9 Uhr morgens und 20 Uhr abends klaffen oft mehrstündige Verbindungslücken zu anderen Oberzentren, wobei sich diesbezüglich die Frage stellt, ob Magdeburg bahntechnisch noch ein Mittelzentrum oder bereits ein Unterzentrum ist.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Dafür hält der ICE in Wittenberg!)

Magdeburg bietet jedenfalls als Verkehrsknotenpunkt auf der West-Ost-Trasse hervorragende Perspektiven für alle Verkehrsträger. Der Verkehrsträger Bahn macht davon immer weniger Gebrauch. Mir ist kein weiterer Fall einer Landeshauptstadt bekannt, die bei einer guten Lage eine so schlechte Bahnanbindung hat.

(Zustimmung bei der CDU)

Die Stadt Magdeburg prüft jetzt auf Antrag der Stadtratsfraktion der CDU, ob die Bahn AG für ihr Vorgehen, insbesondere für die Kappung der Fernverbindungen zwischen Magdeburg und Berlin, rechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie ich hörte, befolgt der Oberbürgermeister Dr. Polte diesen Stadtrats-beschluss nur sehr widerwillig. Des Weiteren soll das Rechtsgutachten gemeinsam mit dem Verkehrsministerium in Auftrag gegeben werden. Ich hoffe, dass die Qualität nicht darunter leiden wird. Ich betrachte des-wegen den Punkt 2 des Antrages als mahnenden Hinweis an die Landesregierung, da sich offenbar auch die Regierungsfraktion einen stärkeren Einsatz ihres Ministers wünscht.

Ich möchte nochmals für meine Fraktion deutlich machen, dass sowohl ICE- als auch Interregio-Verbindungen im Fernverkehr eine große Bedeutung zukommt. Sie stehen nicht miteinander in Konkurrenz, sondern müssen dort, wo es sinnvoll ist, stärker als bisher eingesetzt werden.

Wir werden im Ausschuss für Wohnungswesen, Städtebau und Verkehr sehr genau beobachten, wie stark sich das zuständige Ministerium für den Erhalt der Fernverbindungen in Sachsen-Anhalt einsetzt. - Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Wir plädieren für eine Überweisung in den Ausschuss.

(Zustimmung bei der CDU und von Herrn Mokry, FDVP)

Vielen Dank. - Für die DVU-FL-Fraktion spricht der Abgeordnete Herr Czaja. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nach Arti- kel 87 e des Grundgesetzes wird die Eisenbahn des Bundes in bundeseigener Verwaltung geführt. Durch Bundesgesetz können jedoch Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung den Ländern als eigene Angelegenheit übertragen werden.

Durch Artikel 87 e Abs. 4 wird deutlich hervorgehoben, dass man dem Wohl der Allgemeinheit, insbesondere den Verkehrsbedürfnissen, Rechnung zu tragen hat. Im Interesse einer gut funktionierenden Infrastruktur kann und darf das Land Sachsen-Anhalt den Bahnverkehr nicht vernachlässigen.

(Herr Felke, SPD: Ja!)

Der ÖPNV muss in der Landespolitik einen höheren Stellenwert erhalten. Im Gegensatz zum Fernverkehr ist das Land Besteller des Personennahverkehrs. Die Deutsche Bahn AG wird hiermit zum Auftragnehmer. Nun will der Vorstand der Bahn AG eine Verquickung zwischen Personennah- und Fernverkehr herstellen und spricht allgemein vom Personenverkehr. Das heißt, vom Land gewährte finanzielle Mittel, die zweckbezogen für den Personennahverkehr ausgereicht werden, könnten unkontrolliert in ein anderes Projekt fließen.

Ebenfalls muss von der Landesregierung erwartet werden, dass eine weitere Ausdünnung, vor allem eine Aufweichung der Interregio-Verbindungen gestoppt wird. Bereits vonseiten der Deutschen Bahn AG getätigte Stornierungen von Interregio-Verbindungen müssen auf Bundesebene im Interesse einer florierenden Wirtschaft im Land Sachsen-Anhalt rückgängig gemacht werden. Diesbezüglich muss sich die Landesregierung gegenüber dem Bund stark machen und darf nicht wie bisher eine abwartende Haltung einnehmen. - Ich danke Ihnen.

Vielen Dank, Herr Czaja. - Für die Landesregierung hat der Herr Minister Dr. Heyer um das Wort gebeten. Bitte schön.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich danke der SPD-Fraktion, dass sie das Thema aufgerufen hat, das uns ganz außerordentlich beschäf

tigt. Das Thema lautet: Wie steht es um die Anbindung unseres Landes an den schnellen und attraktiven Fernverkehr und damit an andere Zentren in Deutschland?

Nun hatte ich mir eigentlich vorgenommen, heute nichts zu der Schnellverbindung Hannover - Berlin über Stendal und zur Schnellverbindung Erfurt - Halle zu sagen. Frau Weiß, da Sie aber nicht darauf verzichten konnten, das Thema anzusprechen, erlaube ich es mir doch noch, einen Satz dazu zu sagen.

Jemand hat damals der Schaffung eines schnellen und attraktiven Fernverkehrs nach DDR-Planungen von Hannover über Stendal nach Berlin zugestimmt, und er hat damit bewusst entschieden,

(Herr Rahmig, SPD: Genau!)

dass die Landeshauptstädte Magdeburg und Potsdam von diesem schnellen und attraktiven Fernverkehr ausgenommen würden. Ich frage einmal, wie blauäugig kann man noch sein, dass man sagt, wir haben uns aber damals versprechen lassen, dass die Bahn die langsamere und weitere Strecke weiter fährt und sie auch noch weiterhin bedient?

Ich sage Ihnen, Frau Weiß, wir haben das damals nicht mit entschieden. Ich bin mir aber sicher, wenn wir beide das damals mit entschieden hätten, wäre die Entscheidung vielleicht anders gefallen. Aber die von Ihrer Partei geführte Bundesregierung und die von Ihrer Partei geführte Landesregierung haben eine Politik gemacht, bei der wir heute sagen müssen, das war schädlich und schlecht für das Land.

(Herr Sachse, SPD: Richtig! - Herr Dr. Rehhahn, SPD: Wer war denn damals Minister?)

- Ich glaube, ich habe die Namen alle vergessen, Herr Kollege. Das war so eine kurze Zeit. Daran brauchen wir uns nicht mehr zu erinnern.

(Herr Dr. Rehhahn, SPD: Dann vergessen wir es!)

Wir reden nur über die Sache und nicht über die Personen. Wir wissen aber noch genau, wer die politische Verantwortung hatte.

Dann habe ich mit dem Chef der Bahn Herrn Mehdorn darüber gesprochen, Halle und Erfurt über Leipzig bis nach Berlin anzubinden. Im Raum Halle/Leipzig sind wir jetzt schon. Und danach gibt es Krach.

Herr Mehdorn sagte, dass sich die Länder einig sein müssten. Mein Kollege Klimmt in Berlin sagt auch, dass sich die Länder einig sein müssten. Von wem bekommen wir wieder Sperrfeuer? - Von der sächsischen Landesregierung. Diese meint ein planfestgestelltes Verfahren nicht mehr unterstützen zu müssen, und, nachdem sie sich früher nicht gemeldet hat, sagt sie, wir machen nicht mit Thüringen, Bayern, Berlin und Sachsen-Anhalt mit. Der Bundesverkehrsminister sagt dazu: Werdet euch erst einmal einig. - Ich glaube, es ist deutlich geworden, wo die wirkliche Verantwortung liegt.

Sie können nicht immer nur sagen, die Landesregierung müsse den ganzen Müll, den Sie hinterlassen haben, wieder abräumen und etwas Vernünftiges daraus machen. Damit trauen Sie uns viel zu und wir rechtfertigen Ihr Vertrauen ständig. Aber gelegentlich haben Sie so viel Unsinn angerichtet, dass selbst wir das nicht wieder hinkriegen. Meine Damen und Herren, ich bitte um Nachsicht.

(Beifall bei der SPD - Ah! bei der CDU)

Meine Damen und Herren von der CDU! Damit sind wir beim Kernproblem angelangt. Wenn die Deutsche Bahn AG den Interregio-Verkehr ausdünnt und Züge einstellt, dann macht sie das nicht deshalb, weil die Züge krachend voll sind, sondern weil sie bedauerlicherweise nicht voll sind. Sie sind leer und kosten viel mehr Geld, als sie einbringen. Das ist das Problem.

Wir werden mit Vertretern der Bahn darüber reden, eine bessere Unternehmenspolitik zu machen, um mehr Personen in die Züge zu bekommen. Wir werden beispielsweise darüber reden, vor dem Hintergrund der steigenden Benzinpreise auf Fahrpreiserhöhungen zu verzichten. Fahrpreiserhöhungen bei der Deutschen Bahn AG können momentan nicht richtig sein.

Wir werden sagen: Macht jetzt ein Angebot, das ist die Stunde der Bahn. Wenn ihr es jetzt nicht schafft, die Leute dazu zu bringen, auf ihr Auto zu verzichten und in die Züge und in Flächenländern im Nahverkehr auch in die Busse einzusteigen, dann schafft ihr das nie mehr. Also verzichtet auf Fahrpreiserhöhungen und macht bessere Angebote. - Genau das werden wir jetzt auch tun.

(Herr Mokry, FDVP: Steuerentlastung!)

Trotzdem bleibt das Problem bestehen, wie wir es schaffen, dass die Züge voll werden. Ich sage Ihnen eines: Ich sehe mich außerstande, von der Deutschen Bahn AG eine Unternehmenspolitik zu verlangen, die nur Defizite einbringt. Das können wir wirtschaftlich nicht rechtfertigen und das rechtfertigen Sie im Land auch nicht. Da sagen Sie uns auch, wir sollten im Nahverkehr ruhig ein paar Züge weniger fahren lassen, weil sie nicht ausgelastet seien. Wir müssen also ein vernünftiges System mit der Deutschen Bahn AG erarbeiten.

Ich habe nur eines gesagt: Einstellung des Fernverkehrs und Kompensieren durch Nahverkehrsangebote, die dann von den Ländern und nicht mehr von der Bahn bezahlt werden, das kommt nicht infrage. Da war ich ganz deutlich.