Protocol of the Session on April 10, 2019

Tatsächlich liegt die Verfassungswidrigkeit dieses Gesetzentwurfs schon im Grundansatz, indem Sie die Konturen des rechtsstaatlichen eingehegten Polizeirechts, für das bislang immer konkretisierte Gefahrenprognosen und personale Zuordnung von Verantwortlichkeiten unverzichtbar waren, durch diffuse neue Gefahrenbegriffe die „drohende“ Gefahr und die Ausweitung des zulässigen Eingriffs in die Freiheit Unbeteiligter auflösen.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Solange sie keine Diffamierungen meiner Rede enthält, bin ich einverstanden.

Herr Kollege Bartl, ich möchte eine kurze Frage zu dem Thema der Gefahrenschwellen stellen. Sie haben ja eben ausgeführt, dass das bisher geltende Polizeigesetz prinzipiell von einer konkreten Gefahr ausgeht. Ist Ihnen bekannt, dass es im jetzigen Polizeigesetz das Konstrukt einer abstrakten Gefahr gibt, zu dem auch noch nichts Konkretes vorliegt?

(Beifall des Abg. Geert Mackenroth, CDU)

Ja. Diese ist auch verfassungsrechtlich genau definiert. Hier geht es um die Problematik, dass Sie von einer „drohenden Gefahr“ in einer „überschaubaren Zukunft“ reden.

(Zuruf des Abg. Albrecht Pallas, SPD)

Können Sie genau erklären, was der Unterschied zwischen einer drohenden Gefahr und einer Gefährdungslage ist? Genau das ist doch das Problem: Entweder hat man eine Gefahr und darf dann polizeilich handeln, oder es gibt noch keine Gefahr, man denkt aber als Polizist, dass eine Gefahr drohen könnte, und handelt trotzdem schon. Genau das macht doch den Unterschied aus!

(Christian Hartmann, CDU: Nein, nein!)

Na sicher macht das den Unterschied aus!

In dem Rechtsstaat, den Sie mit diesem Gesetz auf den Weg bringen wollen, weiß eben nicht mehr jeder Mensch, durch welches Verhalten sie oder er sich strafbar machen bzw. polizeiliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr auslösen kann. Durch die mit diesem Gesetzentwurf in vielerlei Hinsicht geschaffenen unbestimmten Eingriffsschwellen ist ein wichtiger Teil des Rechtsstaatsgebotes aus Artikel 6 EMRK, aus Artikel 20 Abs. 3, aus Artikel 103 Grundgesetz sowie aus Artikel 3 unserer eigenen Verfassung nicht mehr gewährleistet. Das ist meine feste Überzeugung. Dabei bin ich auch frohen Mutes, dass wir nicht umsonst zum Sächsischen Verfassungsgericht nach Leipzig fahren.

Im Zuge der Expertenanhörungen zum Gesetzentwurf, in den Fachausschüssen sowie in zig außerparlamentarischen Gremien ist so viel dazu gesagt und beklagt worden. Es ist doch nicht so, Herr Kollege Pallas, dass wir nicht hingehört hätten. Ich glaube schon, dass Sie versucht haben, in irgendeiner Form für Hinweise empfänglich zu sein. Ist denn aber darunter nicht auch irgendein Hinweis, der nicht von Sachverständigen kam, die Ihre Koalition benannt hat, in hinreichender Weise beachtet worden?

(Albrecht Pallas, SPD: Jeder Hinweis! Jedes einzelne Statement haben wir untersucht und beleuchtet! Was Sie uns hier unterstellen, ist eine absolute Frechheit!)

Wo Sie leuchten, weiß ich nicht, aber ich merke hier nichts davon.

(Beifall und Lachen bei den LINKEN – Zuruf des Abg. Pallas, SPD – Allgemeine Unruhe – Glocke des Präsidenten)

Ich muss es doch hier in der Beschlussempfehlung sehen, zum Beispiel in Form eines Änderungsantrags. Wenn Sie es nur untereinander geklärt haben und dabei nicht unter einen Hut kamen, sodass die Beschlussempfehlung deswegen im Original belassen wurde, nützt es mir nichts.

(Martin Modschiedler, CDU: Was ist denn da der Unterschied, Herr Bartl?)

Weil Sie jeden Änderungsantrag, den DIE LINKE bringt, sofort annehmen – und das seit 1990!

(Widerspruch bei der CDU – Heiterkeit bei den LINKEN – Allgemeine Unruhe)

Aufmerksame Verfassungsexperten haben darauf aufmerksam gemacht, dass die Verfolgungsvorsorge, die sich durch den gesamten Gesetzentwurf zieht, nicht nur bei den Aufgaben, sondern auch bei den Befugnissen im konträren Widerspruch zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2005 zum Niedersächsischen Polizei- bzw. Sicherheits- und Ordnungsgesetz steht. Das Bundesverfassungsgericht hat dabei wiederholt klar herausgearbeitet, dass die Verfolgungsvorsorge „eine vorgezogene Repression, sprich: Strafverfolgungstätigkeit darstellt“. Verfolgungsvorsorge ist vorgezogene Repression, also Strafverfolgungstätigkeit!

Wenn Sie Bestandteile des Handlungskompendiums aus der StPO in das Gefahrenabwehrrecht übernehmen, dann machen Sie dort genau das: vorgezogene Repression und Strafverfolgungstätigkeit! Genau dort liegt unser Streitpunkt, dass Sie sich weigern, Argumente anzunehmen. Trotz der gravierenden Hinweise durch den Sachverständigen Prof. Dr. Clemens Arzt vom Fachbereich Polizei- und Sicherheitsmanagement von der HWR Berlin, zugleich Direktor des Forschungsinstituts für öffentliche und private Sicherheit Berlin, in der Expertenanhörung am 12. November 2018, doch wenigstens zu prüfen, inwieweit Sie mit dem Regelungsansatz des Gesetzentwurfes in den Kompetenzbereich des Bundes geraten respektive in den Bereich, wo der Bund schon von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat, hatten Sie dafür überhaupt keine Empfänglichkeit.

In einer atemberaubenden Borniertheit überhören Sie auch alle aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen und Kompetenzfeldern bis hinein in die jüngste Zeit kommenden Proteste, Kritiken und auch wohlgemeinten Hinweise, so etwa die des Sächsischen Anwaltsverbandes e. V., der in seiner aus eigenem Anlass gesehenen Notwendigkeit, sich zu Wort zu melden, in seiner Stellungnahme vom 15. Februar 2019 an den Innenausschuss sowie den Verfassungs- und Rechtsausschuss mit großer Sachlichkeit speziell den Polizeivollzugsdienstentwurf auseinandergepflückt hat unter der Betonung, dass dem Freiheitsbedürfnis und dem Grundrechtsschutz der Bürger natürlich stets auch das Erfordernis einer

effektiven Gefahrenabwehr gegenübersteht. Jawohl, das ist so.

Das ändert sich auch in Zeiten, das gebe ich zu. Das hat sich seit Mitte der 90er-Jahre geändert. Aber dann mahnt der Anwaltsverband genauso an, dass gerade im Bereich des Polizeirechts der Ausgleich dieser im Rechtsstaatsprinzip verankerten, in der praktischen Anwendung dieser regelmäßig im Widerstreit und im Spannungsverhältnis stehenden Schutzgüter der Abwehr und der Grundrechte mit Augenmaß und einer Auslegung, orientiert an den verfassungsrechtlichen Grundsätzen und der Bestimmtheit sowie der Verhältnismäßigkeit der Rechtsgrundlagen erfolgen muss.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage? – Bitte, Kollege Modschiedler.

Herr Kollege Bartl, geben Sie mir recht, dass das eine Thematik ist, die juristisch ziemlich in die Tiefe geht, und dass es sinnvoll gewesen wäre, dass wir, die wir ja zuständig waren, das im Rechtsausschuss hätten besprechen können? Ich stelle fest, dass es so nicht besprochen worden ist. Ich kann Ihnen zurzeit nicht so richtig folgen.

Herr Modschiedler, das ist aber nicht mein Problem. Dann haben wir unterschiedliche Universitäten besucht oder sind jetzt auf unterschiedlichen Fachgebieten unterwegs.

Wir haben in dem Ausschuss dringend darum gebeten – ich beantworte jetzt Ihre Frage –, doch einmal ganz kurz einzuhalten und zu sagen: Passt auf, wir haben beim Bundesverfassungsgericht die Normenkontrollklage von drei Fraktionen – FDP, LINKE und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gegen das Bayerische Polizeigesetz anhängig. Wir haben gegen andere Ländergesetze Anhängigkeiten von Normenkontrollklagen bei anderen Verfassungsgerichten. Warten Sie doch einmal einen Moment ab, was diese dann zu den analogen Streitpunkten entscheiden. Es steht immer der gleiche Wortlaut darin. Bei jeder Frage, die ich als Vorsitzender stelle, bietet mir mein Kollege Modschiedler schon einmal die Stirn und fragt immer: „Herr Bartl, sind Sie nun der Vorsitzende?“

(Zurufe von der CDU)

Dann geben Sie mir die Chance: Wir verweisen das zurück in den Ausschuss.

(Beifall bei den LINKEN)

Dann nehmen wir uns die Tage, und dann gibt es ein Privatissimo, dann machen wir die Exegese. Dann bin ich dabei, ich mache es auch gerne mit Ihnen über Ostern, überhaupt kein Problem. Sie haben wir schon beigebogen, nicht einmal den Änderungsantrag, den Sie gestellt haben, Paragraf für Paragraf abzustimmen, sondern nur im Ganzen, damit wir fertig werden.

Jetzt einmal in aller Ruhe, damit wir die Kirche halbwegs im Dorf lassen.

(Albrecht Pallas, SPD: Hätten Sie es beantragt, hätten wir es gemacht!)

Selbstverständlich, mit großer Leidenschaft, Herr Kollege Pallas.

Ich bin noch beim Anwaltsverband; ich bin noch bei der Beantwortung der Frage.

Jetzt geht es weiter im Redetext. Die Frage ist beantwortet.

Ganz zu Recht nimmt der Anwaltsverband dabei unter Generalkritik, dass die den Gesetzentwurf beherrschende Tendenz, gefahrenabwehrrechtliche Befugnisse der Polizei massiv auszubauen, hinter dem Ehrgeiz und der Bereitschaft des Gesetzgebers zurückbleibt, dann die Bürgerinnen und Bürger auch mit effektivem Rechtsschutz auszustatten.

Noch einmal: Der Anwaltsverband sagt: Jawohl, Gefahrenabwehr ist notwendig, und Grundrechte sind da, und bringt das irgendwie in Ausgleich. Er sagt dann: Wenn ihr mehr Eingriffe macht, dann müsst ihr auch mehr Möglichkeiten zum effektiven Rechtsschutz schaffen.

(Albrecht Pallas, SPD: Richtervorbehalt!)

Moment! Der Anwaltsverband hat völlig recht. Ich bin einmal gespannt, Herr Kollege Pallas, was Sie jetzt erinnern. Der Anwaltsverband hat doch völlig recht, dass es ein Anachronismus ist, dass jeder einer Straftat dringend Verdächtige, der auf der Grundlage des § 112 StGB in Untersuchungshaft genommen wird, von Stund an einen Verteidiger zur Seite haben muss, sei es einer, den er selbst gewählt hat oder einer, den ihm das Gericht als Pflichtverteidiger beiordnet. Fachlich nennt sich das notwendige Verteidigung § 140 Abs. 1 Ziff. 4 StPO.

Das Gleiche gilt auch für die Entscheidungen über die Anordnung der Fortdauer einer Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus, dass heißt in Fällen, bei denen es wie bei polizeilichen Präventivmaßnahmen nicht auf eigenes Verschulden ankommt. Werden aber künftig Personen nach § 14 Abs. 2 oder § 15 Abs. 2 Satz 2 dieses Entwurfs festgehalten oder gar nach § 22 des neuen Polizeivollzugsdienstgesetzes in Gewahrsam genommen, etwa weil dies zur Durchsetzung von Aufenthaltsanordnungen, Kontaktverboten, Wohnungswegweisungen usw. oder in Ermessenausübung von Polizeibeamten als erforderlich erscheint, erfolgt eine solche Beiordnung eines anwaltlichen Beistandes aus Gründen der von vornherein eingriffsintensiven Maßnahmen des Freiheitsentzuges eben nicht. Der Gewahrsam kann bis zu 14 Tage dauern. Er kann dazu führen, dass der Betreffende den Beruf verliert, dass es eine familiäre Krise gibt, dass Einkommensverluste usw. entstehen, dass er Ansehensverluste in seinem Umfeld erleidet. Er hat aber in dem Fall nicht einmal den Anspruch, dass er einen Anwalt beigeordnet bekommt. Der Straftäter mit dringendem Tatverdacht aber kriegt‘s.

Was das Gesetz jetzt regelt, ist, dass er zu belehren ist, dass er einen Bevollmächtigten wählen darf; das ist schon einmal mehr als nichts. Allerdings steht darin auch, dass das nur gemacht werden darf, wenn dadurch der Zweck des Gewahrsams nicht gefährdet wird.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Überlegen Sie doch einmal einen Moment, wir hätten in der Strafprozessordnung eine Regelung, dass der Beschuldigte, der Inhaftierte den Anwalt kontaktieren und bestellen darf, wenn der Zweck des Verfahrens nicht gefährdet ist. Wir würden bundesweit, europaweit oder weltweit als Unrechtsstaat gelten, und hier machen Sie es!

Jetzt, Herr Kollege Pallas, können Sie Ihre Frage stellen.

Herr Kollege Bartl, geben Sie mir recht, dass bereits im jetzt bestehenden Polizeigesetz eine Regelung zum Präventivgewahrsam enthalten ist mit der maximalen Frist von 14 Tagen, und dass sich die Tatbestandvoraussetzungen, aber auch die Form- und Verfahrensvorschriften zwischen dem jetzigen Gesetz und dem neuen Gesetzentwurf dahin gehend nicht unterscheiden? Geben Sie mir fürderhin recht, dass auch diese Regelung im Sächsischen Polizeigesetz bisher nie verfassungsrechtlich beanstandet wurde?

Die Ausdehnung auf 14 Tage ist neu. Die Anlassgründe sind gänzlich geändert; das wissen Sie doch selbst. Wir hatten doch bis zu diesem Zeitpunkt keine Aufenthaltsanordnungen als Anlassgrund. Wir hatten die Kontaktverbote nicht als Anlassgrund, ebenso die Wohnungswegverweisungen nicht. Ich gebe doch gern zu, wir können – –

(Albrecht Pallas, SPD: Die Verfahren sind nicht neu; das ist ein alter Hut!)

Na, selbstverständlich. Die Anlassgründe, die Sie jetzt für den Gewahrsam nehmen, und die Ausdehnung auf bis zu 14 Tage sind im Kontext mit dem Ansatz im Vorfeld konkreter Gefahr natürlich neu.

(Albrecht Pallas, SPD: Sie hatten gerade Verfahrensvorschriften kritisiert!)