Das geht so nicht. Freiheitsentziehung ist Freiheitsentziehung, und ein Gewahrsam bis zu 14 Tage kann zu gravierenden Nachteilen führen. Das ist ganz eindeutig zu sagen und abzukürzen.
Weiter hat der Anwaltsverband völlig recht, wenn er kritisiert, dass es bei den Meldeauflagen bei § 20 dieses PDVG-Entwurfs an rechtsstaatlich gebotenem Augenmaß fehlt, weil deren Anordnung weder das Vorliegen einer konkreten oder abstrakten Gefahr voraussetzt, während das Bundesverwaltungsgericht als Maßstab für die Beschränkung der Freizügigkeit vorgegeben hat – Zitat –: „Das Recht der Gemeinschaft auf Schutz lebenswichtiger
Belange muss empfindlich berührt sein.“ Das ist das Kriterium des Bundesverwaltungsgerichts. Dass man wegen abstrakter oder konkreter Maßnahmen die Beschränkung der Freizügigkeit vornehmen kann, dieses Merkmal ist bei Ihnen völlig außen vor. Die Rechtsprechung eines bundesdeutschen Obergerichts ist völlig außen vor. Ich möchte wissen, warum Sie dann die Backen so aufblasen.
Ebenso betrifft das die Berechtigung der Kritik an der unverhältnismäßigen Ausweitung der polizeilichen
Befugnisse durch die Aufenthaltsanordnungen, das Kontaktverbot bis zu drei Monaten nach § 21, was ebenso eine völlig unverhältnismäßige Beschränkung der Freizügigkeit und der allgemeinen Handlungsfreiheit darstellt, wie die Anwendung der elektronischen Fußfessel als rein präventive Gefahrenverhütungsmaßnahme ohne Gefährdungseingriffsgrund. Hierin liegt es doch wieder: Sie haben keine konkrete Gefahr, Sie haben nicht einmal die abstrakte Gefahr. Sie denken nur, es könnte eine wahrscheinliche Gefahr geben, dann kriegt der Betreffende die Fußfessel. Das ist es doch, wozu ich sage: Wie soll denn das im Maßstab der bisherigen Rechtsprechung halten? Ich bin schon so lange im Geschäft und wundere mich immer wieder, mit welcher Erhabenheit – ich könnte auch sagen: Borniertheit – Sie derartige Vorschriften völlig übergehen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, die für diesen Gesetzentwurf fechten, erfassen Sie wenigstens in Näherung, von welcher Tragweite der Vorwurf zum Beispiel der Sächsischen Landesärztekammer oder der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer, vorgetragen in einem irrigerweise an den Herrn Innenminister gerichteten Schreiben vom 20. Februar, ist, wenn in diesem Schreiben eben bezüglich der in § 77 Abs. 3 des Polizeivollzugsdienstgesetzes enthaltenen Regelungen zum
Schutz zeugnisverweigerungsberechtigter Personen festgestellt wird, dass dies das Arzt-Patienten-Vertrauensverhältnis im Kern aushebelt.
Das schreibt Ihnen die Ärztekammer – und deren Präsident wiederholt dies vor wenigen Tagen – am 5. April 2019, in Kenntnis Ihres Änderungsantrags. Nebenbei bemerkt:
Das steht dem ärztlichen Gelöbnis des Weltärztebundes und der Genfer Deklaration in der Fassung der 68. Generalversammlung des Weltärztebundes vom
Oktober 2017 entgegen. Ärzte müssen geloben, ihr medizinisches Wissen stets im Einklang mit den Menschenrechten und den bürgerlichen Freiheiten der Patienten einzusetzen.
Deshalb muss gewahrt sein, dass für den geschützten Raum der Arztpraxis das Berufsgeheimnis gilt. Das haben sie Ihnen doch – aber wirklich zu Herzen gehend – aufgeschrieben. Dass Sie das nicht in irgendeiner Form dazu bringt, zu fragen: Muss ich denn tatsächlich – nicht bei der Kriminalitätsbekämpfung, sondern in deren
Vorfeld – bei der vermeintlichen Gefahrenabwehr ins ärztliche Berufsgeheimnis und in die ärztliche Schweigepflicht hineinharken? Das begreife ich nicht.
Es interessiert Sie überhaupt nicht, dass Sie damit die gesamten genannten Berufsgruppen auf den Plan rufen. Ihre halbseidene Neuregelung haben Sie vorhin erwähnt. Über den Änderungsantrag in den Ausschüssen behandeln Sie hinsichtlich der Reichweite des Zeugnisverweigerungsrechts der Berufsgeheimnisträger – § 53 und 53 a der Strafprozessordnung – die Geheimnisträger gleich.
(Albrecht Pallas, SPD: Bestätigt vom Bundesverfassungsgericht! – Gegenruf der Abg. Susanne Schaper, DIE LINKE)
Aber im Gefahrenabwehrrecht, also allenfalls im kriminellen Vorfeld, differenzieren Sie, nämlich zwischen Geistlichen, Verteidigern und Abgeordneten zum einen – diese haben den Vollschutz – und zum anderen Ärzten, Zahnärzten, Psychologischen Psychotherapeuten, Rechtsanwälten, Patentanwälten, Notaren, Apothekern, Hebammen, Beauftragten von anerkannten Beratungsstellen nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz, Suchtberatungsstellen und anderen Sozialarbeitern. Sie differenzieren zwischen diesen beiden Gruppen, zwischen denen der bundesdeutsche Gesetzgeber in der Strafprozessordnung nicht differenziert. Das allein ist schon ein – –
Aber die Terrorismusbekämpfung – – Schlafen Sie denn mit dem Ding unter dem Kopfkissen, oder haben Sie es einmal gelesen?
Noch einmal: Bei allem Respekt, Herr Kollege, es kann doch nicht sein, dass Sie auf diesen Vorhalt mit dem BKA-Gesetz reagieren. Das war ein – –
(Albrecht Pallas, SPD: Selbstverständlich reagiere ich damit! Das ist der Maßstab! Bundesverfassungsgericht!)
Dieses Urteil haben viele, viele Verfassungsrechtler in dieser Republik schon längst als einen fatalen Fehltritt interpretiert; das wissen Sie. Damit ist die Büchse der Pandora geöffnet worden.
Daran haben die Damen und Herren in der roten Robe mit Sicherheit nicht gedacht, dass wir in Sachsen das irgendwann einmal im Gefahrenabwehrrecht haben oder – was wir gestern behandelt haben – im Strafvollzugsrecht. Dort haben Sie jetzt auch schon eine „drohende Gefahr“ enthalten – und im Datenschutz. Das ist gestern auch installiert worden. Das Ding marschiert doch durch.
Es interessiert Sie überhaupt nicht, dass Sie damit die gesamten genannten Berufsgruppen auf den Pelz bekommen. Die Wirtschaftsberaterkammer, der Journalistenverband, der Landesarbeitskreis Mobile Jugendarbeit – alle protestieren energisch und schildern aus ihrer Sicht ihre Betroffenheit ganz konkret – ohne dass Sie in der Zeit zwischen den Zuschriften und der heutigen Vorlage der Beschlussempfehlung irgendetwas getan hätten.
Wahrlich, welche Kategorien von Polizeibeamten, welche Art von Superpolizisten des Alltags Ihnen vorschweben müssen, wenn Sie diesen zutrauen – – Jetzt lese ich Ihnen einmal vor, wie Sie das freihändig in der Dynamik des Alltags nach § 77 Abs. 2 geändert haben. Sie haben diesen Paragrafen jetzt geändert und folgende Abwägung hineingeschrieben, nach der sie die betreffenden Berufsgruppen jetzt vermeintlich als zweite Kategorie der Berufsgeheimnisträger einstufen, um dem entgegenzukommen.
Sie haben jetzt folgende Regelung: „Soweit durch eine Maßnahme ein Berufsgeheimnisträger gemäß § 53 Abs. 1 Nrn. 3, 3 a, 3 b und 5 StPO“ – Zwischenbemerkung: das sind eben Buchprüfer, Steuerberater, Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Suchtberater, Journalisten etc. – „voraussichtlich Erkenntnisse erlangen würden, über die diese Personen das Zeugnis verweigern dürften, ist dies im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und der Würdigung des öffentlichen Interesses an den von dieser Person wahrgenommenen Aufgaben und des Interesses an der Geheimhaltung der dieser Person anvertrauten oder bekannt gewordenen Daten zu berücksichtigen.“
(Beifall und Heiterkeit bei den LINKEN – Zuruf von der CDU: Meine Güte! – Zuruf von der AfD: Alter Schwede!)
Das ist doch völlig unvorstellbar. Wie soll denn ein normaler Polizeivollzugsbeamter, der die Polizeifachschule in Leipzig oder in Chemnitz besucht hat, diese Subsummierung, diese Abwägungsprüfung vornehmen? Das muss ich als Strafverteidiger dreimal lesen, damit ich es einmal begreife.
Aus gutem Grund hat Ihnen deshalb auch der Herr Datenschutzbeauftragte ausgesprochen prononciert mit Schreiben vom 26. März mitgeteilt, dass die hier allein und vollständig dem handelnden Beamten auferlegte Würdigung des jeweiligen Vertrauensverhältnisses den Beamten überfordern und der Gesetzgeber schon aus Fürsorgepflicht in diesem Bereich mit hohem Konfliktpotenzial genaue Vorgaben treffen muss.
Da haben Sie nichts getan. Sie übergehen das völlig und tun hier so, also hätten Sie auf jeden Zuruf des Datenschutzbeauftragten reagiert. Das haben Sie nicht getan.
Sie greifen in das Berufsgeheimnisrecht ein, im sensibelsten Bereich, und haben nicht einmal in Näherung eine Sicherheit, dass man dies so halten kann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. Vielen Dank, Herr Kollege Bartl, dass Sie noch einmal den Bezug zu dem Schreiben des Sächsischen Datenschutzbeauftragten hergestellt haben.
Würden Sie mir recht geben, dass in der Sitzung des Verfassungs- und Rechtsausschusses, dem Sie vorsitzen, über dieses Thema gesprochen wurde und dass wir auf das Anraten des Sächsischen Datenschutzbeauftragten, eine etwas klarere Formulierung zu verwenden, genau diese klare Formulierung in den Änderungsantrag geschrieben haben und der Sächsische Datenschutzbeauftragte danach zu Protokoll gegeben hat, dass diese Änderungen in seinem Sinne sind? Würden Sie mir darin recht geben?
Für die Fassung, die Sie jetzt mit dem Änderungsantrag vorgelegt haben, gelten nach meiner Auffassung nach wie vor die Einwendungen.