Protocol of the Session on March 13, 2019

Zweite Beratung des Entwurfs

Sächsisches Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt

des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der

Europäischen Union (Sächsisches Brexit-Übergangsgesetz – SächsBrexitÜG)

Drucksache 6/16508, Gesetzentwurf der Staatsregierung

Drucksache 6/16809, Beschlussempfehlung des Europaausschusses

Den Fraktionen wird nun das Wort zur allgemeinen Aussprache erteilt. Die Reihenfolge in der ersten Runde: CDU, DIE LINKE, SPD, AfD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Das Wort ergreift für die CDU-Fraktion Herr Kollege Schiemann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nach zweijähriger Verhandlungsperiode endet am 29. März 2019 um 23 Uhr die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland in der Europäischen Union.

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Alle bisherigen Versuche der Europäischen Union, mit der britischen Regierung ein geordnetes Austrittsabkommen zu beschließen, verweigerte das britische Unterhaus. Trotz der hoffnungsvollen Angebote, die die EU den Briten gemacht hat, gab es auch am gestrigen Abend erneut ein Nein.

Wir erleben ein Wechselbad der Gefühle und ein ständiges Pendeln zwischen einem Drama von Shakespeareschem Ausmaß und einer Groteske, alles verbunden mit den großen Verlusten und einem bitteren Ende für die Europäische Union und für das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland.

Die älteste und bislang stabile und gut funktionierende Demokratie scheint gelähmt und handlungsunfähig zu sein. Die Folgen für das Vereinigte Königreich und für seine Bürger und Unternehmen sind noch nicht bis ins Letzte absehbar. Aufgrund der weiter herrschenden Unsicherheit verwandelt sich die Insel in ein großes Lagerhaus, und Medikamente, Lebensmittel oder Industriebauteile werden gehortet.

Viele Firmen, wie Rover oder BMW, haben Betriebspausen oder Kurzarbeit für den Fall eines harten Brexit

angekündigt. Andere haben das Land bereits verlassen; noch vor dem Brexit kommt der Brexodus. Firmen wandern ab. Honda schließt seine Fabrik im südenglischen Swindon. Landrover produziert sein Modell Discovery künftig in der Slowakei. Viele Unternehmen gründen Tochterunternehmen. Schon mehr als 30 Banken haben sich neu in Frankfurt am Main niedergelassen.

Das britische Volk befindet sich nicht zuletzt deshalb in dieser Lage, weil das Gift des Populismus die politische Debatte dort schon vor langer Zeit befallen hat. Uns wird vor Augen geführt, wohin Populismus am Ende als Ergebnis führt.

Für den Freistaat Sachsen ist das Vereinigte Königreich einer der bedeutendsten Wirtschaftspartner, insbesondere beim Export. 18 sächsische Unternehmen mit circa 3 200 Arbeitsplätzen haben britische Anteilseigner. Rund 250 sächsische Unternehmen pflegen Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich und Nordirland, und 13 Unternehmen verfügen dort über eine Niederlassung bzw. eine Produktionsstätte. Im Jahr 2018 haben Unternehmen aus dem Freistaat Sachsen Waren im Wert von knapp unter 2,4 Milliarden Euro in das Vereinigte Königreich exportiert. Damit liegt dieser Handelspartner im Ranking der wichtigsten internationalen Märkte für hiesige Firmen auf Platz 3. Der Freistaat Sachsen hat Platz 3 im Export mit dem Vereinigten Königreich. Im Gegenzug wurden im Jahr 2018 Waren im Wert von 900 Millionen Euro aus Großbritannien eingeführt. Das entspricht Platz 8 in der Reihenfolge der Importländer.

Deshalb unterstützen wir auch weiterhin alle Vorschläge, die dazu führen, eine geordnete Lösung zu finden, um eine solide Zusammenarbeit im sächsischen Interesse fortzuführen. Der 29. März indes ist nicht mehr weit vom heutigen Tag entfernt. Auf diesen Tag müssen wir vorbereitet sein und für diesen Fall ist der vorgelegte Entwurf

eines Sächsischen Gesetzes für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreiches Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union gemacht.

Das Gesetz regelt den Fall, dass ein Austrittsabkommen zustande kommt und es eben keinen harten Brexit gibt. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass Bezugnahme im Landesrecht auf die Mitgliedschaft in der EU oder in der EURATOM während des Übergangszeitraums inklusive möglicher Verlängerungen so zu verstehen sind, dass auch das Vereinigte Königreich davon erfasst ist. Dies umfasst alle Landesgesetze, landesrechtlichen Normen und die in das Landesrecht transformierten Staatsverträge. Das heißt, das Vereinigte Königreich und seine Bürger werden während eines Übergangszeitraumes bei einem geordneten Brexit weiterhin so behandelt, als wären sie noch in der Europäischen Union.

Nun bleibt es auch im sächsischen Interesse zu hoffen, dass es dennoch zu einem geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs und Nordirlands kommt. Ich bitte Sie um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf.

(Beifall bei der CDU)

Als Nächstes spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das vorliegende Sächsische Brexit-Übergangsgesetz ist dem Regelungsgehalt gemäß übersichtlich und regelt die Frage der Bürgereigenschaft für Staatsangehörige des Vereinigten Königsreichs mit dem Ausscheiden aus der Europäischen Union.

Meine Fraktion ist grundsätzlich der Auffassung, dass für alle Einwohnerinnen und Einwohner von Gemeinden und Landkreisen unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit ein aktives Wahlrecht zu den Kommunalvertretungen eingerichtet werden sollte. Dies wünschen wir uns auch auf Landes- und Bundesebene. Das wissen Sie. Zugleich wissen wir, dass diese Frage mit dem vorliegenden Gesetz nur schwerlich zu bewegen ist, geht es doch darum, die mit einem geordneten Brexit vereinbarten Grundsätze und Folgen rechtlich abzusichern. Dennoch hat dies eben weitreichende Konsequenzen, wie den Verlust des Wahlrechts auf kommunaler Ebene für Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland.

Auch wenn noch unklar ist, wie es mit dem Brexit tatsächlich weitergeht – Kollege Schiemann bemühte schon literarische Bezüge –, und über konkrete Auswirkungen auf beiden Seiten der Brexit-Trennung im Grunde nur spekuliert werden kann, sollte die Debatte genutzt werden, zu diskutieren, wofür der Brexit eigentlich steht und welche Konsequenzen mit Blick auf Europa zu ziehen sind. Der Brexit spiegelt die widersprüchliche und krisenhafte Situation in der Europäischen Union auf der einen und die Verantwortungslosigkeit populistischer Politik auf

der anderen Seite wider. Kollege Schiemann, darin sind wir uns durchaus einig.

Die bis heute nicht gelöste Krise der EU besteht vor allem in ihrer mangelnden demokratischen Verfasstheit. Diese macht es möglich, dass egoistische nationale Interessen über die Ratsstrukturen gemeinsame, auf die Interessen aller Menschen in der EU gerichtete Politik verhindert. Dieses Defizit kann auch nicht mit dem Verweis auf die Dominanz der USA und Chinas und die daraus abgeleitete Bedeutung einer EU-Geschlossenheit übertüncht werden.

Viele finanz- und wirtschaftstechnische Instrumente wurden nach der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise seit 2008 entwickelt. Die EU ist dennoch nicht stabiler oder auf einem gesunden politischen Kurs. Substanziell ungelöste Fragen in den Bereichen der politischen Struktur und Demokratie, der Technologieentwicklung und der Finanzwirtschaft führen zu einer Situation, die trotz allen Antikrisenmanagements der EU getrost als Dauerkrise bezeichnet werden kann. Andererseits sind die WeißbuchDebatte oder die Versuche, eine europäische Säule sozialer Rechte zu errichten, nicht an einen Punkt gekommen, an dem sie die eigentlichen Defizite der EU in der Wahrnehmung vieler Unionsbürgerinnen und -bürger, zu denen zurzeit auch die Briten gehören, tatsächlich überwunden hätten.

Diese und andere zu begrüßende Diskussionen und Entwicklungen, also Weißbuch etc., sind im EU-Recht nicht verankert oder zu weich, um irgendeine neue Stabilität zu erzeugen. Stattdessen ist ein Hang zur Militarisierung der EU zu beobachten, und, mit Zuwanderung und Terrorgefahr begründet, eine neue Verflechtung der Bereiche innerer und äußerer Sicherheit; siehe unter anderem Frontex.

Und was macht Sachsen? Fördermittel, grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Entwicklungszusammenarbeit zu thematisieren, so wie das unter anderem heute passiert, die auch nur im europäischen Rahmen wirklich Sinn machen, sind gewiss dringend zu bearbeitende Themen, aber das reicht nicht aus. Europapolitik kann nicht als Kampagne betrieben werden, meine Damen und Herren, Fördermittel sind nicht das Zentrum der europapolitischen Aktivitäten. Mit diesem Denken werden die EU und Europa weiter gespalten statt geeint und die Orbans und Urbans werden weiter Oberwasser bekommen.

Wir brauchen mutige Anstöße, zum Beispiel die Vorschläge der Präsidentinnen und Präsidenten der deutschen Länderparlamente anlässlich ihrer Europakonferenz am 28. und 29. Januar 2019 in Brüssel zu einer Beteiligung der Regionen mit Gesetzgebungsbefugnissen und Subsidiaritätsverfahren, die Subsidiarität eben nicht als Abwehrinstrument verstehen, sondern als Methode demokratischer Mitgestaltung. Nur so kann sich eine rationale Politik der Krisenbewältigung in der EU durchsetzen und EU besser erlebbar werden.

So notwendig das hier vorliegende inhaltlich überschaubare Gesetz ist, es muss gleichzeitig Anlass sein, erstens die strategischen Grundfragen der EU im gesamten

politischen Raum lebendig zu diskutieren und vorhandene demokratische Instrumente auch der Regionen offensiv zu nutzen. Auch die Vision einer europäischen Republik der Regionen kann und muss ernsthaft erörtert und Initiativen wie die von Macron dürfen nicht zerredet werden, sondern wenn einzelne Vorschläge nicht passen, nicht gefallen, müssen eigene Konzepte angeboten werden. Wichtig ist, das Momentum, das derartige Vorstöße auslösen kann, aufzunehmen und nicht wie bisher in stoischer Manier sowohl von der Bundesregierung, teils auch aus Sachsen betrieben, abzuwürgen. Sachsen muss sich nach unserer Auffassung in diesem Sinne einbringen.

Zweitens. In pragmatischer Hinsicht ist eine kluge Schadensbegrenzung zu betreiben – Kollege Schiemann, darauf sind Sie insbesondere eingegangen – und nach Wegen zu suchen, mit dem Vereinigten Königreich auf vielfältige Weise in Verbindung zu bleiben und nach Formen der Integration zu suchen. Das ist das Gebot der Stunde. Auch darin sind wir uns einig.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Nach Kollegen Stange kommt jetzt für die SPD-Fraktion Herr Kollege Baumann-Hasske zu Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte jetzt nicht eine Tour d‘Horizon durch die Europapolitik machen. Da ist viel verbesserungsfähig. Herr Stange, dazu haben Sie eine Menge gesagt, dem ich mich durchaus anschließen kann. Ich meine, wir sollten uns darüber klar werden, was da parallel zu dem passiert, was wir heute hier erleben. Gestern Abend hat das Britische Unterhaus den Vertrag über den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union zum zweiten Mal abgelehnt. In der Folge hat die Europäische Union erklärt, dass es keine Verhandlungsspielräume mehr gibt. Das klingt erst einmal nach hartem Brexit.

Nun wird heute darüber diskutiert, ob es einen harten Brexit geben soll. Ich glaube, es ist kein Blick in die Glaskugel, zu sagen, dass davor alle zurückscheuen werden und es heute im Unterhaus keine Mehrheit für einen harten Brexit geben wird. Der Erfolg wird also sein, dass heute der harte Brexit abgelehnt wird. Das ist vor einigen Wochen schon einmal dagewesen. Dann wird morgen darüber diskutiert werden, wie es denn weitergehen soll. Das „Weitergehen soll“ heißt: Kommt es denn nun Ende des Monats zum Austritt oder kommt es nicht zum Austritt? Und weil das alle scheuen, werden sie auch noch beschließen, dass sie den Antrag stellen werden, den Austrittstermin zu verschieben. Ich glaube, das wird hier weitgehend auf Konsens stoßen. Wohin kommen wir dann? Der Austrittsvertrag wird nicht ratifiziert werden. Einen harten Brexit will auch keiner. Es gibt dann noch ein Drittes, das im Raum steht: Das ist ein weiteres Referendum. Auch das ist jeden Tag in der steten Diskussion.

Ich denke, man kann davon ausgehen, dass es zu einem weiteren Referendum kommen wird. Das wünschen sich auch viele. Man kann damit die Hoffnung verknüpfen, dass sich dadurch etwas Grundlegendes in der britischen Öffentlichkeit ändert. Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre sagen allerdings etwas anderes. Die Erfahrungen sagen: Es ist alles möglich. Und es ist auch möglich, dass ein weiteres Referendum das erste bestätigt. Dann, so glaube ich, haben wir endgültig den Salat. Dann ist nämlich im Grunde die Politik zwischen der Europäischen Union und Großbritannien kaum noch kalkulierbar. Es wird spätestens dann dazu führen, dass in Großbritannien Regierungswechsel, Neuwahlen stattfinden und dann neu verhandelt werden muss.

Das Problem dabei ist dann allerdings auch, dass Großbritannien zunächst nicht an der Europawahl teilnehmen wird. Wir wissen noch gar nicht, wie sich eine Fristverlängerung auswirken soll, denn die Europawahl steht vor der Tür. Wenn Großbritannien an der Wahl nicht teilnimmt, ist für den Fall, dass Großbritannien dann noch in der Europäischen Union wäre, bisher nichts vorgesehen. Also wird das Europäische Parlament darüber noch einmal zu beraten haben, wie es denn mit diesem Sachverhalt umgehen soll. Sie sehen also: Wir haben ein großes Durcheinander auf der europäischen Ebene.

Die Staatsregierung legt hier einen Gesetzentwurf vor, der einen Ausschnitt aus diesen zahlreichen Möglichkeiten beleuchtet. Das Einzige, was man im Moment tun kann, ist, diesen Ausschnitt umzusetzen. Er bezieht sich auf den Austrittsvertrag, der jetzt mit einiger Sicherheit nicht zustande kommt. Trotzdem meine ich, dass es sinnvoll ist, das jetzt umzusetzen, um alles zu tun, was man tun kann, damit das Ganze nach Möglichkeit ohne allzu großes Chaos über die Bühne geht. Das Chaos werden wir trotzdem erleben, fürchte ich. Aber vielleicht wird auch das Referendum noch zu einem anderen Ergebnis führen.

In diesem Sinne kann ich ankündigen, dass auch unsere Fraktion diesem Entwurf zustimmen wird.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Für die AfD-Fraktion spricht jetzt Frau Kollegin Wilke.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, der Brexit steht unmittelbar bevor. Noch immer wissen wir nicht, mit welcher Art Brexit wir es zu tun bekommen. Das betrifft zum einen den exakten Zeitpunkt des Ausscheidens der Briten aus der EU und zum anderen die Frage des Ausscheidens mit oder ohne Abkommen. Zuletzt gab es Anzeichen dafür, dass die Briten vielleicht doch nicht zum 29. März dieses Jahres, sondern eher später aus der EU ausscheiden könnten.

Die Sächsische Staatsregierung – das möchte ich hier gern anerkennen – hat gut daran getan, sich mittels des vorliegenden Gesetzentwurfs auf die Variante eines Ausschei

dens mit Abkommen einzustellen. Schließlich hatte sich die britische Premierministerin Theresa May mit dem Verhandlungsführer der EU im November letzten Jahres auf ein solches verständigt. Ich erspare es uns, im Detail auf den Inhalt des Gesetzentwurfes der Staatsregierung einzugehen. Es bringt keinen Erkenntnisgewinn, wenn ich die Ausführungen meiner Vorredner wiederhole.

Nach dem zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU beschlossenen Austrittsabkommen soll sich an den Austritt ein Übergangszeitraum anschließen. In diesem Zeitraum soll das Vereinigte Königreich im Unionsrecht und im darauf beruhenden nationalen Recht im Wesentlichen weiter als Mitgliedsstaat der EU gelten.

In der Konsequenz stellt der vorliegende Gesetzentwurf klar, dass auch das sächsische Landesrecht nahezu überall dort, wo es auf die EU Bezug nimmt, im Übergangszeitraum Großbritannien mit einschließt. Es wird fingiert, dass das Vereinigte Königreich im Übergangszeitraum weiterhin Mitglied der EU ist. Ausgenommen davon wird die aktive und passive Wahlberechtigung bei Kommunal- und Europawahlen. Sie entfällt für Staatsbürger Großbritanniens mit Ausscheiden aus der EU.

Liebe Kollegen! Der Beschlussempfehlung des Europaausschusses können Sie entnehmen, dass dieser dem Gesetzentwurf einstimmig zugestimmt hat. Die AfDFraktion trägt den Entwurf also mit und wird auch hier im Plenum zustimmen.