Protocol of the Session on January 30, 2019

dass in den Mitgliedsstaaten seit dem Zweiten Weltkrieg keine kriegerischen Auseinandersetzungen stattgefunden haben. Aber Europa hat nicht nur Konsequenzen aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen, es hat auch regionale Konflikte befriedet. Nordirland ist das beste Beispiel dafür. Der Konflikt zwischen Griechenland und Nordmazedonien ist auf dem Weg, ein weiteres zu werden, und Nordirland zeigt, was geschieht, wenn die einigende Kraft Europas geschwächt wird.

Meine Damen und Herren, es droht ein harter Brexit ohne Vertrag. In dieser Situation rechnen eigentlich fast alle Beobachter mit einer Verlängerung der Austrittsfrist. Der Europaausschuss hat in der vergangenen Woche in Brüssel getagt und auch dort von den Beobachtern und zum Teil auch von den Beteiligten die Meinung gehört, dass es wohl auf eine Verlängerung der Austrittsfrist hinauslaufen müsse. Aber die Briten beantragen das nicht. Gestern ist ein Antrag im Unterhaus zu diesem Thema gescheitert. Alles wirkt, als warte im Unterhaus jede Seite auf die andere. Es gilt zu beweisen, wer die besseren Nerven hat. Wer sich zuerst bewegt, hat verloren. Aber: Ist der Brexit wirklich ein Spiel? Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, als hätten da einige verantwortungslose Spieler eine neue Art gefunden, sich die Langeweile zu vertreiben.

Meine Damen und Herren, was bedeutet es für die Wirtschaft? Wirtschaftspolitik hat viel mit Psychologie zu tun. Unternehmen brauchen klare Rechtsverhältnisse, um planen und entscheiden zu können. Diese unglaubliche Hängepartie, die uns die britische Regierung bietet, ist geeignet, die Wirtschaft in Großbritannien und ihre Partner grundsätzlich zu verunsichern. Wenn man daran denkt, mit welchen Mitteln die Entscheidung des Referendums manipuliert wurde, dann ist die große Unsicherheit berechtigt, und die Folgen sind messbar.

Die Redezeit, Herr Kollege.

2018 sanken die sächsischen Exporte nach Großbritannien um 11 %. – Weiteres trage ich Ihnen in einer zweiten Runde vor.

(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der CDU)

Vielen Dank. Das war die einbringende SPD-Fraktion, Kollege BaumannHasske. – Als Nächstes spricht jetzt für die Fraktion DIE LINKE Frau Feiks.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen Abgeordnete! Seit 2016 wurden in Europa Chancen verpasst, vor und nach der Entscheidung zum Brexit, was die demokratische Kultur anbelangt, aber auch, was Teilhabe und Informationen angeht. Deshalb müssten Bürgerinnen und Bürger mit dem neuen Kenntnisstand, den es mittlerweile gibt, in

Großbritannien neu befragt werden; ein zweites Referendum müsste her.

Dafür müssten dann eigentlich auch Expertinnen und Experten heran, die klar und verständlich die Konsequenzen der Entscheidung darlegen, weil wir Folgendes gesehen haben: Beteiligung funktioniert nur, wenn klar ist, worüber man entscheidet. Was ist aber passiert? Vier Jahre lang gab es kaum Einbindung aller Beteiligten, auch nicht im Parlament. Das Ergebnis hat nicht nur die Premierministerin, sondern haben wir alle jetzt zu tragen. Wir kennen das im Grunde genommen auch nur zu gut aus Sachsen: zu wenig Debatten, kaum Einbeziehung gegenteiliger Auffassungen. Dabei ist es doch genau Aufgabe von Politik, dass man um die bestmögliche Idee ringt und das Beste herauszuholen versucht.

Wahrscheinlich ist jetzt ein Austritt Großbritanniens ohne jegliches Abkommen. Das ist eine politische, aber auch ökonomische und vor allem eine soziale Katastrophe für ganz Europa. In Sachsen ist der Schaden noch nicht vorhersehbar. Es wurde vorhin von Herrn Schiemann von „Spuren in der Wirtschaft“ gesprochen.

Schauen wir auf die Handelsbeziehungen. Eigentlich reichen den sächsischen Unternehmen die RusslandSanktionen schon, nun kommt auch noch der Brexit. Großbritannien ist der drittgrößte Handelspartner sächsischer Unternehmen. 350 Unternehmen exportieren ins Vereinigte Königreich; das bedeutet, jeder fünfte Betrieb. Damit bangen schon wieder Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer um ihre Jobs und ihre Zukunft.

Neben dem wirtschaftlichen Schaden ist bei einem kalten Brexit der moralische Schaden immens. Es geht auch schon lange nicht mehr nur um den Brexit; denn das Referendum war für viele Britinnen und Briten eine Chance, ihrem tief verankerten Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment Ausdruck zu verleihen. Wir sprechen viel zu wenig über die wahren Gründe, warum auch in Deutschland und in ganz Europa nicht wenige Menschen Nazis und Rassisten wählen oder wie zum Beispiel Donald Trump in den Vereinigten Staaten Präsident werden konnte.

(André Barth, AfD: Das gehört auch zum Thema?)

Wo wurde am meisten für den Brexit gestimmt? In den früheren Industriearbeiterbezirken. Wir durchleben eine globale strukturelle Transformation, die unser Wirtschaftssystem stark verändert. Politik weigert sich beharrlich, über die Verteilungswirkungen der Globalisierung und der Automatisierung zu reden. Die Menschen fühlen sich alleingelassen. Aber wir müssten doch als Politikerinnen und Politiker diejenigen sein, die ehrlich sagen, was passiert, vielleicht auch zugeben, dass wir nicht für alles sofort eine Antwort haben. Aber das alles, ohne Angst zu machen – wie Sie da drüben.

Mal ehrlich, wer hat denn hierbei Lösungen und tragfähige Konzepte? Auch hier im Haus reden wir viel lieber über Migration, Identität und wie man das Land am besten verwaltet. Wir müssen aber endlich beginnen,

gemeinsam Visionen zu entwickeln, wie eine Gesellschaft in einem postindustriellen Zeitalter aussehen kann. Das gilt selbstverständlich auch für Sachsen, für die Lausitz genauso wie für Nordsachsen. Dazu gehört, ehrlich zu sagen, dass Jobs nicht zurückkommen, auch wenn wir Handelsbarrieren errichten, Migration einschränken.

Mauern sind keine Lösung, virtuell genauso wenig wie im realen Leben.

(Beifall bei den LINKEN)

Globale Veränderung lässt sich nicht aufhalten, aber wenn wir das gemeinsam wollen, lässt sie sich gestalten. Darüber müssen wir diskutieren. Wir müssen die Vorteile der Globalisierung gerechter verteilen. Wenn wir das nicht hinbekommen, wird die Polarisierung in Politik und Gesellschaft weiter zunehmen.

Die Frage, die wir heute auf allen Ebenen beantworten müssen, ist: Wie kann man Zusammenhalt schaffen, statt der Spaltung weiter Raum zu geben? Hoffnung gibt es meiner Meinung nach trotzdem in dieser verfahrenen Situation.

Erstens ist Fortschritt nicht aufzuhalten – gestalten wir ihn, und zwar sozial.

Zweitens können wir die Chance nutzen. Es wird gerade über den Brexit gesprochen. Sprechen wir über die Vorteile der EU für jeden Einzelnen, statt die EU immer wieder zum Buhmann zu machen, wenn national etwas nicht läuft. Hinterfragen wir die Exportorientierung in Sachsen.

Drittens. Ist es nicht sinnvoller, in Binnenmärkte zu investieren? Stichwort: „Regionale Wirtschaftskreisläufe“.

Viertens. Verteilen wir den Reichtum besser und kümmern uns um die Schwächeren.

Wir alle haben die Aufgabe, in unsere Parteienfamilien hineinzuwirken, damit es vielleicht nicht zum Schlimmsten kommt. Erste Vorschläge wurden bereits gemacht, –

Die Redezeit ist zu Ende, Frau Kollegin.

– wie man mit dem Brexit auch hierzulande umgehen kann. – Mein Kollege Enrico Stange wird dann fortsetzen.

(Beifall bei den LINKEN)

Das war Kollegin Feiks für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht für die AfDFraktion Herr Kollege Beger, bitte.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Welches ist die größte Stadt Europas? Ich sage es Ihnen: Es ist Moskau mit 11,5 Millionen Einwohnern. Nach dem Ausscheiden Großbritanniens werden die vier größten Städte Europas außerhalb des Gebietes der Europäischen Union liegen. Dennoch sprechen Vertreter der Altparteien von Europa, wenn sie nur

die EU meinen. Gegenüber den europäischen Ländern außerhalb der EU ist das ausgrenzend.

Unsere Themen sind ja heute die Folgen des Brexit für Frieden, Demokratie und freien Handel in Europa. Beginnen wir also mit dem Frieden. Meine Damen und Herren, der Brexit wird für den Frieden in Europa überhaupt keine Konsequenzen haben, wenn wir alle vernünftig damit umgehen. Die Briten waren in den letzten 70 Jahren immer ein verlässlicher Partner in der internationalen Politik. Ich sehe keinen Grund, weshalb sich daran etwas ändern sollte. Vielfach wird zurzeit die Gefahr eines Wiederaufbrechens des gewalttätigen Nordirlandkonflikts beschworen. Das wäre in der Tat eine schreckliche Entwicklung.

Zum Wohl aller möchte ich aber meine Lieblingssozialdemokratin zitieren, im weiteren Sinne eine Parteifreundin von Ihnen, Herr Baumann-Hasske. Ich spreche von der ehemaligen Labour-Abgeordneten im britischen Unterhaus Gisela Stuart. Frau Stuart gehört bis heute zu den Befürwortern des Brexit und war an führenden Positionen in der Kampagne für ein Ausscheiden aus der EU beteiligt. Frau Stuart wies im Interview mit dem Deutschlandfunk am 9. Januar dieses Jahres darauf hin, dass sowohl die Regierung Irlands als auch diejenige Großbritanniens erklärtermaßen keine harten Grenzen wollen. Das gelte ausdrücklich auch im Falle eines Ausscheidens Großbritanniens ohne Abkommen mit der EU. Wir sollten Vertrauen in den Friedenswillen und die Friedensfähigkeit der Verantwortlichen auf der grünen Insel haben.

Ich komme zum zweiten Punkt, den Folgen für die Demokratie. Die Demokratie in Großbritannien wird auf jeden Fall gestärkt. Es ist gerade das Grundmotiv der Brexit-Befürworter im Vereinigten Königreich. Gisela Stuart hat darauf wiederholt hingewiesen. In dem besagten Interview sagte sie – ich zitiere –: „Aber was die Politiker ganz oft vergessen, ist das, wofür die Leute abgestimmt haben. Das war, dass sie sagten, wir wollen das letzte Wort darüber haben, wer unsere Gesetze macht, damit wir diese auch wieder abwählen können.“ Darum ging es den Briten vor allem.

Im Vereinigten Königreich soll die Demokratie zweifelsfrei gestärkt werden. Schön wäre es, könnte man dies auch über die verbleibenden Mitgliedsländer der EU und die EU selbst sagen. Mein Wunsch wäre es, dass der Austritt Großbritanniens zu einem grundsätzlichen Nachdenken in der EU über die Stärkung demokratischer Prinzipien führt. Optimistisch bin ich aufgrund der Erfahrungen in der Vergangenheit jedoch nicht. Die Entwicklung der letzten 30 Jahre war ein Hin zu mehr EU-Zentralisierung und weg von der Demokratie.

Zu den Folgen für den freien Handel komme ich in der zweiten Runde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Das war Herr Kollege Beger für die AfD-Fraktion. Jetzt spricht für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Dr. Maicher.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute im Sächsischen Landtag über eine unmittelbar bevorstehende Zäsur, die wir selbst nicht beeinflussen können, deren Folgen wir aber spüren werden. Ich habe viel von meinen Vorrednerinnen und Vorrednern gehört, was die Briten alles machen sollen, was das Unterhaus machen muss, was Frau May machen muss. Ich würde aber auch gern darüber reden, was wir jetzt hier in Sachsen endlich in dieser Situation machen müssen und was in unserem Interesse liegen müsste.

Wir müssen uns endlich mit dem Thema wirklich beschäftigen. Der Brexit steht – das kann man nicht mehr leugnen – schneller und vor allem chaotischer vor der Tür, als viele hier – zumindest die Pro-Europäer in diesem Hohen Hause – befürchtet haben. Wir sehen sehr deutlich, dass wir eine Lose-Lose-Situation haben. Die Europäische Union wird negative Auswirkungen haben, Großbritannien auch und natürlich auch wir in Sachsen. Das heißt: Niemand wird gewinnen. Vordergründig wird es hierbei sichtbar; es wurde auch schon genannt: Das sind die Einschränkungen bei den Wirtschaftsbeziehungen, das sind die Handelsbeziehungen, die Arbeitnehmerfreizügigkeit, ganz besonders für uns in Sachsen auch die Zusammenarbeit im Forschungskontext, die Erasmusaustausche. All das wird nicht so weiterlaufen wie bisher – weder mit einem Austrittsabkommen noch mit einem No-DealBrexit.

Aber es steht noch mehr als dieses Vordergründige auf dem Spiel. Großbritannien gehört zur EU, und wenn das Vereinigte Königreich geht, dann geht auch ein Stück Europa. Das ist das Tragische. Deshalb haben wir hier eine Aufgabe, auch in Sachsen starke Beziehungen zu erhalten, die Türen offen zu lassen. Darum muss sich die Staatsregierung jetzt endlich kümmern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In Zukunft geht es auch um den europäischen Zusammenhalt und um die Stabilität der EU. Deshalb bin ich froh, dass die Europäische Union jetzt bei der Einigung und bei den Verhandlungen zusammengestanden hat und sich nicht auseinanderdividieren lässt. Wir müssen aus diesem Chaos, das sichtbar ist, lernen: Das Chaos wurde von Nationalismus, Populismus, von verantwortungslosen Parteispielen geschaffen. Diese völkisch nationalistischen Strömungen stürzen das eigene Land in die Unregierbarkeit. Jeder normale Mensch würde sagen: Was steht jetzt an? Was ist die Aufgabe?

Die Aufgabe für einen richtigen Weg in die Zukunft der Europäischen Union ist doch jetzt, beherzt dort Reformen anzupacken, wo sie notwendig sind, europäische Werte wieder in den Vordergrund zu stellen, Pressefreiheit, Demokratie zu sichern, die soziale Säule der EU zu stärken. Nur die Nationalisten, die rechts außen sind, die

AfD auch hier in Sachsen, wollen Deutschland mit einem Brexit ebenfalls ruinieren. Diese Alpträume müssen wir hier gemeinsam rechtzeitig platzen lassen.

Dazu gehört auch, ehrlich zu sein und auf sächsischer Ebene aktiv zu handeln. Ich freue mich über die heutige Debatte, weil es mich schon interessiert, was die Staatsregierung bisher unternommen hat, um die Menschen hier im Land auf den Brexit vorzubereiten. Was passiert, wenn es zu einem harten Brexit kommen sollte?

Sucht man in Sachsen Online-Informationen zum Thema Brexit, dann wird man auf die Seiten der Bundesregierung oder auf die Europäische Kommission verwiesen. Dort findet sich zum Beispiel auch ein Link „Deutschland bereitet sich vor“. Ich frage mich: Was ist denn mit Sachsen? Bereitet sich Sachsen ebenfalls vor? Wir haben immer noch kein Brexit-Übergangsgesetz für Sachsen, wie viele andere Bundesländer das haben. Wenn ich in den vergangenen Jahren im Europaausschuss nachgefragt habe, wie die Staatsregierung die Auswirkungen einschätzt und welche Maßnahmen wir treffen müssen, dann höre ich immer wieder das gleiche Lied: Sachsen wird vor allen Dingen weniger Fördermittel von der EU bekommen. Das ist das einzige Thema, das Sie hier interessiert.

(Widerspruch bei der CDU und der Staatsregierung)