Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Staatsminister! Lassen Sie mich zu Beginn etwas versichern: Sie haben die volle Unterstützung der GRÜNEN-Fraktion für eine Europapolitik, die die Teilhabe der Menschen an europäischen Entscheidungen verbessert, für eine Politik, die den Zusammenhalt der Europäischen Union stärkt, und für eine Politik, die das Versprechen Europas in dieser entscheidenden Zeit erneuert.
Sie zeichnen heute hier ein positives Bild von der sächsischen Europapolitik und ich persönlich glaube Ihnen, Herr Staatsminister, dass Sie die Europapolitik des Freistaates im Sinne gemeinsamer Werte gestalten wollen.
Ich bin um etwas anderes besorgt: die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit Ihres Regierungshandelns. Diese Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit sächsischer Europapolitik verwundert allerdings nicht; sie ist nämlich Ausdruck eines doppelzüngigen Europabekenntnisses der CDU in Sachsen; Europaskepsis ist allgegenwärtig. Es war Ihr eigener Parteikollege Günther Oettinger, der den CDU-Abgeordneten im Europaausschuss kürzlich eine Standpredigt für eine EU der offenen Grenzen halten musste; denn immer wieder ist aus den Reihen der sächsischen Union die Forderung nach dauerhaften Kontrollen an den europäischen Binnengrenzen zu hören. Dabei waren wir politisch schon einen Schritt weiter – europarechtlich sind wir es bekanntermaßen sowieso.
Wer die Werte der europäischen Einigung schützen möchte, der muss zuallererst offene Grenzen in Europa verteidigen. Wenn Sie es mit Ihrer Agenda ernst meinen, Herr Staatsminister, dann machen Sie sich stark dafür, dass der Plan von geschlossenen Grenzen auch in Sachsen ein für alle Mal der Vergangenheit angehört.
Ein weiteres Beispiel dieser Doppelzüngigkeit sind die Abwehrreflexe gegen europäische Gesetzgebung. Der jüngste Vorschlag der Europäischen Kommission, bürokratische Hürden bei der Umsetzung grenzüberschreitender Projekte abzubauen, hat bei den Koalitionsfraktionen in Sachsen nicht zum ersten Mal zu einem engstirnigen Abwehrreflex geführt. Wir haben das im Juni vor der parlamentarischen Sommerpause hier erlebt. Dabei ist die Umsetzung grenzübergreifender Projekte so wichtig für Europas Regionen. Mit einem solchen Anwendungsmechanismus stärken wir Europa vor Ort. Während wir
GRÜNE in Sachsen, aber zum Beispiel auch die CDU und SPD in Nordrhein-Westfalen die Initiative der Kommission ausdrücklich begrüßen, wittern Sie hier, von Europaskepsis getrieben, Einmischung.
Ich wünschte mir manchmal, der Ministerpräsident würde sich gegen dieses alltägliche Pauschal-Bashing in Richtung Brüssel aus den eigenen Reihen genauso wehren, wie er das lautstark gegen Sachsen-Bashing tut.
Nächstes Beispiel: europäische Grundrechte. Mein Eindruck ist, dass der Ministerpräsident und die CDU in Sachsen beim Thema Pressefreiheit der ungarischen Fidesz von Victor Orbán ideologisch näherstehen als der Bundes-CDU.
Statt wie die Bundeskanzlerin die Arbeit von Pressevertretern klar und deutlich zu verurteilen, werden Journalistinnen und Journalisten via Twitter hier in seriöse und nichtseriöse eingeteilt. Dass Sie wenige Berührungsängste mit Feinden europäischer Grundrechte haben, zeigt auch das Hofieren des ungarischen Ministerpräsidenten. Zum Wahlsieg seiner rechtspopulistischen Partei Fidesz, die Ausgrenzung betreibt, Bürgerrechte einschränkt und auch die Forschungsfreiheit angreift, gratuliert der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende euphorisch mit den besten Grüßen der sächsischen Union.
Dieses Bild fügt sich in Aussagen des Landtagspräsidenten Dr. Matthias Rößler im Rahmen des Forums Mitteleuropa ein. Ich schätze den engagierten Einsatz im Rahmen dieses Formates sehr. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich wünsche mir eine Fortsetzung des engen Austausches mit den Parlamentariern und Experten aus Polen, der Slowakei, Tschechien, Ungarn, Österreich und Sachsen. Allerdings teile ich nicht die Signale, die Sie dort mitunter aussenden. Das fällt auch auf den Freistaat als Ganzes zurück. Herr Dr. Rößler, Sie betonten dort zuletzt, „dass wir Sachsen keine Westeuropäer sind“. Sie haben in Bratislava für die damals diskutierte Konditionierung von EU-Fördermitteln das Wohlwollen der EUMitgliedsländer als Beweggrund angeführt und Sie witterten gar eine pauschale Bestrafung der mittel- und osteuropäischen Mitgliedsstaaten, also Willkür des Westens gegen Mittel- und Osteuropa.
Sie unterschlagen aber dabei, dass es hier nicht um Ost oder West geht und dass es nicht um Willkür und eine Hegemonie geht. Es war mit dem Vorschlag auch keine pauschale Bestrafung von Mitgliedsstaaten gewollt. Nein, es ging um die Frage, wie wir europäische Grundrechte schützen. Pressefreiheit und die Unabhängigkeit der Justiz sind zentrale Grundpfeiler der europäischen Einigung. Und wenn eben an diesen Grundpfeilern von den Regierungen unserer Nachbarländer gesägt wird, dann müssen wir das offen ansprechen. Statt Rückgrat zu wahren und für europäische Grundwerte einzustehen, beteiligt sich die sächsische CDU an den nationalistischen Erzählungen und treibt damit den Keil zwischen Ost und West.
Während der Anti-Europäer Orbán im vergangenen Jahr mit dem sächsischen Ministerpräsidenten und dem CDUFraktionsvorsitzenden in Dresden zum Essen geladen wurden, kämpfte die Brücke/Most-Stiftung um ihren Fortbestand, ein weiteres Kapitel bloßer Lippenbekenntnisse der Staatsregierung. Mit der großen Einschränkung der Arbeit einer der wichtigsten Initiativen der interkulturellen Zusammenarbeit ist ein weiterer Grundstein des europäischen Sachsens rissig geworden. Auf Unterstützung durch die Staatsregierung konnte sich die Brücke/Most-Stiftung genauso wenig verlassen wie viele, viele andere europapolitische Bildungsträger in Sachsen.
Sie, Herr Staatsminister, agieren viel zu unentschlossen, wenn es darum geht, den proeuropäischen Initiativen und Vereinen in Sachsen unter die Arme zu greifen.
Über institutionelle Förderung wollen Sie nicht reden, aber selbst mit einer durchdachten Projektförderung wäre bereits viel geholfen. Ich könnte die Liste von Anspruch und Wirklichkeit von sächsischer Europapolitik noch weiterführen, aber ich möchte auch noch zu einem anderen Thema kommen.
Die künftige EU-Förderperiode – sie wurde ja heute schon angesprochen: 2021 bis 2027 – stellt Sachsen vor Herausforderungen. Der Freistaat hat in den letzten drei Jahrzehnten große finanzielle Solidarität durch die EUMitgliedsstaaten erfahren. Mit Blick auf unsere Nachbarn befinden wir uns mit dem frühen EU-Beitritt in einer privilegierten Sonderrolle. Genau das sollten wir im Hinterkopf behalten, wenn EU-Fördermittel künftig verstärkt in Regionen fließen, die mit stärkeren Strukturproblemen zu kämpfen haben. Umso wichtiger ist es aber für Sachsen, darauf zu schauen, wie wir die zur Verfügung stehenden Mittel künftig einsetzen wollen.
Der wichtigste Leitgedanke sollte aus meiner Sicht dabei sein, dass Kohäsionsmittel zur Bewältigung gemeinsamer europäischer Herausforderungen eingesetzt werden. EUFördermittel für staatliche Kernaufgaben einzusetzen, wie in der Vergangenheit hier in Sachsen, führt dazu, dass Bürgerinnen und Bürger den Mehrwert europäischer Förderung nicht erkennen können. Da können Sie noch so viele Informationsschilder an modernisierte Schulen anbringen, Sie haben mit diesem System der Ersatzfinanzierung an Stellen, an denen der Freistaat originär in der Verantwortung ist, selbst zur wahrgenommenen Bürgerferne der EU beigetragen.
Wir GRÜNE setzen uns dafür ein, dass die Kohäsionsmittel im Bereich umweltfreundlicher Innovationen, der Biodiversität, CO2-armer Mobilität, der Ressourceneffizienz, aber auch für den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt, der Gleichstellung, der sozialen Inklusion, des europäischen Kulturerbes und der kulturellen Vielfalt genutzt werden, stärken wir dabei doch viel mehr die Beteiligungsmöglichkeiten vor Ort. Ähnlich wie die lokalen Arbeitsgruppen im Leader-Programm, ließe sich
die Entscheidung über den Einsatz der Mittel von Akteuren auf Landkreisebene, in den Städten und Gemeinden, auch auf andere Bereiche ausweiten. So stärken wir das bürgernahe Europa.
Die enge Zusammenarbeit mit unseren Nachbarregionen in Nordböhmen und Niederschlesien ist ein weiterer bedeutender Baustein sächsischer Europapolitik. Grenzübergreifende Polizeiarbeit und Rettungsdienste sind ein guter Schritt, doch wir stehen in unserer Region vor globalen Herausforderungen. Um die Klimaziele von Paris zu erreichen, müssen Polen, Tschechien und Sachsen engagierter handeln. Der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung und der für alle absehbare Strukturwandel im Dreiländereck müssen zusammen angegangen werden.
Die aufkommende Argumentation der Koalition, der Ausstieg Sachsens aus der Braunkohle würde zu längeren Laufzeiten der Kraftwerke in Polen und Tschechien führen, ist gefährlich. Kein Staat kann allein den Klimawandel aufhalten.
Das darf aber nicht als Ausrede dafür herhalten, dass wir unsere Politik hier nicht ändern. Europäisch handeln heißt, einen gemeinsamen Transformationsprozess für die gesamte Region voranzubringen und gemeinsam den Klimaschutz anzupacken.
Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister! Die Europaminister der Länder haben sich im Februar dieses Jahres mit Blick auf die anstehende Europawahl zum Ziel gesetzt, die Sichtbarkeit der Werte und Errungenschaften der EU zu erhöhen und für mehr demokratische Beteiligung zu werben. Es ist richtig, dass die Länder ihre Rolle als Bindeglied in der Kommunikation zwischen der nationalen und lokalen Ebene in Europa stärker wahrnehmen wollen. Eine EU, in der die Menschen Lust haben, sich einzumischen und mitzubestimmen, gelingt eben nur, wenn die Bürgerinnen und Bürger die Alltagsvorzüge eines geeinten Europas auch kennen.
Wenn der Freistaat seiner Verantwortung für den Zusammenhalt Europas gerecht werden will, ist jetzt der richtige Zeitpunkt, neue Impulse für die europapolitische Bildung in Sachsen zu setzen. Im Regierungsentwurf für den anstehenden Doppelhaushalt des Freistaates erkenne ich leider keine Impulse für eine Verbesserung der Vermittlung Europas in Sachsen. Für die Förderung der europapolitischen Bildung in Sachsen bedarf es eines entschlossenen Neuanfangs. Viele Initiativen und Vereine stehen bereit, in der Schüler-, Jugend- und Erwachsenenbildung Europa zu vermitteln, aber sie brauchen dazu die Unterstützung des Freistaates, sie brauchen eine auskömmliche Finanzierung, aber sie brauchen auch eine Förderung, die ihrer Trägerlandschaft in Sachsen entspricht.
Wir GRÜNE haben einen Antrag vorgelegt, in dem wir fordern, gemeinsam mit den Projektträgern ein Gesamtkonzept für die europapolitische Bildung im Land zu entwickeln. Damit soll die Grundlage gelegt werden für eine flächendeckende Europa-Informationsarbeit in
Sachsen. Ich freue mich, wenn wir bei diesem Schlüsselthema vor Ort zu greifbaren Ergebnissen kommen. Nehmen Sie Ihre Verantwortung für den Zusammenhalt in Europa und Sachsen ernst und reden Sie nicht nur, sondern werden Sie aktiv.
Das war Frau Dr. Maicher, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Jetzt hat Frau Dr. Petry das Wort am Ende dieser Rederunde.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Minister Schenk! Sie haben heute einige Kernsätze in die Runde geworfen, die überraschen, wenn man sieht, wie die Union europapolitisch in Brüssel agiert. Aber Sie haben recht, Europa gelingt nur gemeinsam mit den Nationen. Und wenn es stimmen würde, was Sie sagen, dann könnte ich auch zustimmen: Europa ist kein Prozess der Verstaatlichung. Nur: Sie agieren, und das wissen Sie genau, völlig anders. Deshalb ist es unehrlich, den Bürgern Sand in die Augen zu streuen. Gut ist dabei, dass die Bürger das längst gemerkt haben. Deswegen müssen Sie eine solche Rede halten, um Sand in die Augen zu streuen, da viele die Brüsseler Bürokratie ablehnen und ein derartiges Europa nicht wünschen.
Es wäre noch ehrlicher, wenn Sie nicht von EUFörderung sprächen, sondern schlicht zugäben, dass dies im Wesentlichen deutsche Steuergelder sind. 23 Milliarden Euro pro Jahr und in Zukunft bis zu 12 Milliarden Euro mehr. Ehrlich wäre auch zuzugeben, dass die Europäische Union Protektion, also Abschottung gegen fernöstliche Märkte, gegen die Vereinigten Staaten von Amerika betreibt. Ehrlich wäre auch zu sagen, dass der Kommunismus in Brüssel so überbordend ist, dass wir einen Siebenjahresplan brauchen, auch wenn Fünfjahrespläne im Kommunismus der DDR gescheitert sind.
Was wir brauchen, ist mehr Wettbewerb. Ja, wir brauchen mehr Solidarität, aber Verantwortung ist in einem Brüssel, mit dieser Kommission, nicht zu machen.
Deswegen brauchen wir eine Rückkehr zur Verantwortung. Diese ist in einer Kommission aber nicht zu haben.
Mit Frau Kollegin Dr. Petry sind wir am Ende unserer Rederunde angekommen. Wir könnten eine weitere eröffnen, wenn noch Redebedarf bestünde. – Das kann ich nicht feststellen. – Doch. Bitte. Entschuldigung. Redezeit ist noch vorhanden. Herr Kollege Baumann-Hasske spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In dieser Debatte ist vorhin gerade von Herrn Beger etwas gefallen, das ich nicht so stehenlassen möchte. Herr Beger hat behauptet, die Europäische Union sei antieuropäisch, antieuropäisch deshalb, weil Polen und Ungarn jetzt in der Kritik stehen, weil sie den Rechtsstaat abschaffen und die demokratischen Prozesse in ihrem Lande infrage stellen. Ich weiß nicht, ob man da nicht möglicherweise doch etwas von den Füßen auf den Kopf stellt. Es kann doch nicht wahr sein, dass Mitglieder der Europäischen Union die europäischen Werte verraten und die Europäische Union, die das kritisiert, dann als antieuropäisch tituliert wird. Das kann so, glaube ich, nicht durchgehen.
Sie haben in Ihrer eigentümlichen Logik behauptet, die Europäische Union sei kein Friedensprojekt. Nun kann man lange darüber diskutieren, ob in der heutigen Zeit das Argument des Friedensprojektes die Bürgerinnen und Bürger noch überzeugt, weil wir schon lange in Europa Frieden haben, weil wir es für selbstverständlich halten und es nicht mehr mit der Europäischen Union in Verbindung bringen. Aber dass die Europäische Union als Reaktion auf den Zweiten Weltkrieg und die größte Menschheitskatastrophe, die es gegeben hat, gegründet wurde und dass es seitdem in Europa, innerhalb der Europäischen Union keinen Krieg der europäischen Gemeinschaft mehr gab, werden Sie doch wohl nicht leugnen wollen. Das ist einfach lächerlich.
Herr Kollege Beger, Sie haben die Taskforce Subsidiarität kritisiert, die es gab und die jetzt einen Bericht abgegeben hat. Sie haben kritisiert, dass die Taskforce Subsidiaritätsverletzungen in der Weise, dass die Struktur der Europäischen Union verändert werden müsse, nicht hat feststellen können. Dann hätten Sie sich mit der Problematik etwas näher auseinandersetzen müssen, bevor Sie solche Kritik in die Welt setzen; denn die Taskforce hat die Regionen in Europa, also die Ebene unterhalb des Staates, die Bundesländer, die Kommunen, gefragt, ob sie Bedarf sehen, strukturelle Veränderungen vorzunehmen und Kompetenzen von der europäischen Ebene wieder auf die nationale oder regionale Ebene herunterzunehmen.
Auf diese Fragen sind keine Antworten gekommen. Da haben nicht irgendwelche Experten aus Brüssel zusammengesessen und sich selbst in die Tasche gelogen – alle Regionen Europas, der Europäischen Union waren gefragt. Es kamen keine Vorschläge, was man herunternehmen sollte. Ich selbst war in der Anhörung im Ausschuss der Regionen zu dieser Thematik. Ich kann Ihnen sagen, ich habe diese Fragen selbst vernommen. Es gab in der Runde niemanden, der gesagt hätte, was im Bereich der Subsidiarität verändert werden sollte und welche Kompetenzen die Europäische Union abgeben sollte. Von Ihnen habe ich vorhin auch nichts gehört. Sie sagen, wir sollen wieder neue Sachverständige einsetzen, die das beurteilen.
Von Ihnen haben wir keinen einzigen Vorschlag gehört, was die Europäische Union an Kompetenz abgeben sollte. Also was soll dieses Geschwätz?!