Auch auf der Landesebene haben wir einige Instrumente: den Landespräventionsrat mit dem Lenkungsausschuss häusliche Gewalt und den Landesaktionsplan für den Kampf gegen häusliche Gewalt. Das ist ein guter Anfang, aber es ist lange nicht ausreichend, um das massive Problem in den Griff zu bekommen, denn leider sind die Zahlen der Opfer nicht rückläufig. Was rückläufig ist, sind die Platzkapazitäten. Immer wieder kommt es vor, dass Frauen abgewiesen werden müssen, weil die Plätze in den Frauenschutzeinrichtungen belegt sind. Das liegt auch daran, dass Gewalt nicht planbar ist. Wir wissen nicht, wann, zu welcher Zeit besonders viele Plätze gebraucht werden.
Ich habe im August eine Kleine Anfrage gestellt und nachgefragt, wie viele Abweisungen es gab. Die Antwort war, dass es dazu keine validen Daten gebe. Das heißt, das Problem ist zwar bekannt, aber es ist schwer, Maßnahmen zu ergreifen, weil die Zahlen fehlen. Trotzdem kann man eine Minimalforderung für Sachsen aufmachen, nämlich eine Schutzeinrichtung pro Landkreis. Aber nicht einmal das ist erfüllt. In Nordsachsen gibt es keine, ebenso im Erzgebirge. Für das Erzgebirge hat der Landesfrauenrat nun eine Petition gestartet, um diesem Missstand abzuhelfen.
Da reicht es nicht, zu sagen, dass sich kein Träger findet, sondern es muss die Frage beantwortet werden, warum sich dafür kein Träger findet; denn das ist ein strukturelles Problem, das vor allem mit der Förderung zu tun hat.
Diese flächendeckenden Hilfsstrukturen können aber nur ein Baustein sein. Es bedarf vieler anderer Bausteine, zum Beispiel mehr spezialisierte Beratungsstellen für erwachsene Betroffene sexueller Gewalt; denn es ist auch ein Problem, häusliche und sexualisierte Gewalt in einem Themenkomplex zu behandeln.
Aber auch, wenn wir da weiter sind, ist der Blick noch nicht einmal auf alle Facetten gerichtet. Besonders wichtig – das möchte ich hier in den Fokus rücken – sind Kinder. Kinder sind von häuslicher Gewalt immer mitbetroffen, direkt oder indirekt. Sie erleben und erleiden traumatische Erfahrungen, die ihr gesamtes Leben prägen, und sie geraten in eine Gewaltspirale; denn wer mit häuslicher Gewalt groß wird, hat oft kaum eine Chance, andere Konfliktlösungen zu erlernen. Deshalb ist es sehr häufig der Fall, dass sich Kinder, die in Haushalten groß werden, in denen häusliche Gewalt passiert, später auch wieder in Beziehungsmustern wiederfinden, die von Gewalt geprägt sind, und zwar aktiv oder passiv, das heißt, als Täterin oder Täter oder eben auch als Opfer. Wenn in ihrem Elternhaus häusliche Gewalt stattfindet, sind sie der Situation schutzlos ausgeliefert. Allein 2018 wurden in Dresden vier Todesfälle von Kindern infolge häuslicher Gewalt bekannt. Die Betreuung und Beratung mitbetroffener Kinder muss hohe Priorität haben.
Die Projekte haben lange um eine Finanzierung gekämpft. In Sachsen ist es seit Kurzem förderfähig. Das ist ein Fortschritt. Aber diese Projekte müssen ausgebaut werden.
Der zweite Fokus, den ich aufmachen möchte, sind Frauen mit Behinderung. Hier kommen nämlich mehrere Faktoren zusammen. Zum einen haben Menschen mit Behinderung nachweislich ein höheres Risiko, Opfer von Gewalt zu werden. Mädchen mit Behinderung werden zwei- bis dreimal so häufig Opfer von sexuellem Missbrauch. Zugleich haben sie aber kaum oder viel schwereren Zugang zu den Hilfsstrukturen. Von den
14 Schutzhäusern ist nur eines barrierefrei im Sinne von rollstuhlgerecht, und keine der Beratungsstellen ist barrierefrei zugänglich.
Das kann man den Vereinen auch nicht anlasten; denn normalerweise haben sie ihre Vereinsräume zur Miete bezogen und keine Möglichkeit, diese barrierefrei umzugestalten, jedenfalls nicht ohne Weiteres. Auch dieses Problem ist der Staatsregierung bekannt; denn in dem schon erwähnten Landesaktionsplan sind Frauen mit Behinderung als Zielgruppe festgelegt. Dort sind mehrere Empfehlungen ausgesprochen, unter anderem der Ausbau von barrierefreien Hilfsangeboten. Das Problem ist nur, dieser Aktionsplan wurde zuletzt 2013 aktualisiert und seitdem noch nicht fortgeschrieben. Von den geforderten Maßnahmen wurden nur wenige umgesetzt. Das macht deutlich: Ein Aktionsplan mit Empfehlungen ist nicht ausreichend. Wir brauchen – und das fordern wir – ein konkretes, verbindliches sächsisches Maßnahmenprogramm zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt.
Gewalt, insbesondere gegen Frauen und Mädchen, ist keine Privatsache. Wir müssen entschieden dagegen vorgehen, klar und konsequent. Lassen Sie uns heute damit anfangen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Sehr geehrte Frau Buddeberg! Danke für Ihre Einführung in dieses sensible Thema. Als ich den Titel Ihres Antrages gelesen habe, war ich zunächst sehr angetan. Das änderte sich allerdings schlagartig, als ich den dazugehörigen Antragstext las. Sie fordern hier Dinge ein, die schon auf den Weg gebracht wurden. Das Deutsche Institut für Menschenrechte hat anlässlich des Inkrafttretens der Istanbul-Konvention eine Analyse mit Handlungsempfehlungen formuliert. Darin wird ausdrücklich betont, dass wir in Deutschland bereits auf dem richtigen Weg sind.
Der im Bericht genannten Baustellen werden wir uns natürlich annahmen. Dafür braucht es allerdings Zeit. Ihre Forderung, dass dies bis spätestens März 2019 fertig zu sein hat, empfinde ich als unrealistisch.
Gestatten Sie mir noch einen gut gemeinten Hinweis: Sie sollten sich an den Gedanken gewöhnen, dass gesellschaftliche Entwicklungen in einer Demokratie nicht von oben befohlen werden können, sondern sich stetig entwickeln müssen. Doch natürlich sind auch wir in der Regierung nicht untätig. Falls Sie ernsthaft an geplanten Maßnahmen interessiert sind, empfehle ich Ihnen einen Blick in die Kleine Anfrage der Kollegin Meier.
Von der Novellierung der Richtlinie „Chancengleichheit“ über die Erhöhung des Leistungsspektrums der Fachberatungsstellen bis hin zu Projekten tut der Freistaat einiges,
Auch auf der Bundesebene ist einiges passiert. Es wurde eine rund um die Uhr erreichbare Telefonberatung eingerichtet und das Sexualstrafrecht angepasst. Eine umfassende Evaluierung des Abkommens finden Sie übrigens im Anhang zum Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Ratifizierung des Abkommens. Dort wird wiederum deutlich, das die in Deutschland getroffenen Maßnahmen bereits in vielen Punkten wesentlich über die Forderungen des Istanbul-Abkommens hinausgehen. Die bestehenden Baustellen können wir gern gemeinsam im Ausschuss diskutieren und weitere Handlungsempfehlungen erarbeiten.
Meine Fraktion wird Ihnen bestätigen können. Ich setze mich stark für den Erhalt und den Ausbau der Strukturen gegen häusliche Gewalt ein.
Bereits am Anfang meiner Tätigkeit habe ich mich dafür eingesetzt, dass mehr Geld hierzu in den sächsischen
Liebe Kollegen! Bitte setzen Sie sich dafür ein, dass die kommunale Familie bei dem Thema häusliche Gewalt ebenfalls Verantwortung übernimmt. Wir werden Ihren Antrag heute ablehnen.
08000 116 016 – ist diese Rufnummer bekannt? Wenn nicht, ein Beispiel: „Ihre beste Freundin wirkt in letzter Zeit ängstlich und verschüchtert, geht Ihren Fragen aber beharrlich aus dem Weg.“ Oder: „Sie haben den Verdacht, dass Ihre Nachbarin von ihrem Partner bzw. ihrer Partnerin geschlagen wurde, da sie neulich eine auffällige Schramme im Gesicht hatte.“ Oder: „In Ihrer Familie hat es eine Vergewaltigung gegeben. … Was können Sie tun? Rufen Sie uns an...“ – So lese ich es auf der Internetseite des Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen.
Gewalt gegen Frauen als eines der größten Gesundheitsrisiken von Frauen weltweit. Häusliche Gewalt bezeichnet körperliche, sexuelle, psychische und wirtschaftliche Gewalt bzw. Gewalttaten zwischen Menschen, die in einem Haushalt leben. Wie kommt es dazu und vor allem, warum befreien sich Opfer häuslicher Gewalt nicht aus diesem Teufelskreis?
Hierzu entwickelte die Psychologin Lenore E. Walker als Erklärungsmuster die Zyklustheorie der Gewalt. Demnach versuchen Opfer, Spannungssituationen zu bagatellisieren, und bemühen sich, den Partner zu besänftigen. Während der folgenden offenen Gewalttätigkeit empfinden sie sich als hilflos und können weder vorhersagen, wann ein Gewaltausbruch erfolgt oder was er beinhaltet, noch können sie die Gewalt durch eigenes Verhalten verhindern oder reduzieren.
Nach Walker versuchen die Betroffenen dann, die Verletzungen zu vertuschen, um den Partner nicht zu erneuten Übergriffen herauszufordern, und sie nach außen unsichtbar zu machen. Nach der Gewalttätigkeit legt der Täter häufig ein liebe- und reuevolles Verhalten an den Tag, bittet um Verzeihung und verspricht, nie wieder Gewalt anzuwenden. Nach Walker führen diese Bemühungen dazu, dass kurzzeitige realistische Einschätzungen der Situation und Gefahr sowie Gefühle von Wut und Angst durch die Betroffenen in den Hintergrund gestellt werden.
Opfer, die diesen Zyklus erstmalig durchlaufen, hoffen, dass die Gewalt aufhört. Opfer, die diesen Zyklus mehrfach durchlaufen haben, wissen laut dieser Theorie, dass sie ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden für diesen idealisierten Zustand aufgeben, was zu ihrer Selbstabwertung und Beschämung beiträgt.
Von Bedeutung sind zudem gesellschaftliche Einflussfaktoren und Sozialisationsbedingungen. Mädchen und Frauen wird systematisch vermittelt, dass ihr persönlicher Wert nicht in erster Linie auf ihren Fähigkeiten, sondern auf ihren Reiz gegenüber Männern und ihrer Beziehung zu Männern beruht. Statt zu Aktivität werden Mädchen und Frauen zu Passivität und Nachgiebigkeit erzogen. Gewalt wird zudem gesellschaftlich immer noch bagatellisiert und von vielen Vorurteilen geprägt.
Zu über 90 % sind Frauen und Kinder Opfer häuslicher Gewalt. Am 12. Oktober 2017 nun hat Deutschland die Beitrittsurkunde zum Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt ratifiziert. Anfang Februar 2018 – Sie sagten es, Frau Buddeberg – hinterlegte Elke Ferner von der SPD-Fraktion, damalige Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium, die Ratifizierungsurkunde der sogenannten IstanbulKonvention beim Generalsekretär des Europarates. Damit ist das rechtlich bindende Menschenrechtsinstrument in Deutschland in Kraft getreten. Die Istanbul-Konvention ist auch ein sozialdemokratisches Herzensanliegen.
Der Antrag der LINKEN wie auch die Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes greifen die wesentlichen Elemente auf und fordern die Schaffung eines flächendeckenden, umfassenden und allgemein zugänglichen Unterstützungssystems für alle von Gewalt betroffenen Mädchen und Frauen sowie deren Kinder, Maßnahmen im Sorgerechts- und Umgangsrechtsverfahren bei vorheriger häuslicher Gewalt, Angebote für Opfer von Vergewaltigung und sexualisierter Gewalt, Gewährleistung effektiver Strafverfolgung sowie des Zugangs zur Rechtsverfolgung sowie die Einrichtung und angemessene Finanzierung einer unabhängigen Monitoringstelle.
Zweifellos sind dies auch unsere sozialdemokratischen Forderungen. Nur, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion DIE LINKE, Sie selbst haben vor dem Sommer unserem Opferschutzantrag auf der Drucksache 6/13748 zugestimmt. Damit haben wir wesentliche Aspekte Ihres Antrags bereits in der Umsetzung. Es ist also nicht so, als starteten wir hier in Sachsen bei der Bekämpfung von häuslicher Gewalt mit der Istanbul-Konvention bei null. Bereits in den vergangenen Jahren – Frau Buddeberg, auch Sie haben darauf hingewiesen – wurde eine umfassende Kette staatlicher und nichtstaatlicher Interventionsmaßnahmen entwickelt. Im Lenkungsausschuss
arbeiten Ministerien mit freien Trägern und NGOs zusammen und brachten bereits 2006 einen landesweiten Aktionsplan zur Bekämpfung häuslicher Gewalt auf den Weg, der 2013 fortgeschrieben wurde. Auch das haben Sie erwähnt.
Aktuell ist Sachsen mit einer Bedarfsanalyse ein Baustein im Modellprojekt des Bundesministeriums zu häuslicher Gewalt. Bundesministerin Giffey plant, für 2020 für diesen Themenbereich 30 Millionen Euro einzustellen. Liebe Fraktion DIE LINKE, so sehr wir inhaltlich bei Ihnen sind, aber lassen Sie uns die Ergebnisse des Mo
dellprojekts auf Bundesebene abwarten und statt eines Schnellschusses in Q I/19 anschließend nach sorgfältiger Planung eine nachhaltige und zukunftssichere Systemverbesserung erreichen.
Neben flächendeckenden Gewaltschutzeinrichtungen in Sachsen – über die hierfür erforderlichen Gelder wird ja gerade im Zusammenhang mit dem aktuell anstehenden Doppelhaushalt 2019/2020 verhandelt – braucht es auch einen intensiven Ausbau an Präventionsarbeit. Um eine breitere Schicht von Betroffenen zu erreichen, müssen wir gezielte Öffentlichkeitsarbeit betreiben, Sensibilisierung und Aufklärung bis hin zu Therapien für Sekundäropfer. Betroffene Kinder müssen die Chance bekommen, Erlebtes zu verarbeiten – auch das sagten Sie vorhin –, auch deshalb, um damit einer Vererbung häuslicher Gewalt in die nächsten Generationen vorzubauen.
Meine Damen und Herren, statistisch gesehen erfährt auch in Sachsen jede vierte Frau körperliche, psychische und/oder sexualisierte Gewalt durch einen Beziehungspartner. Deutschlands Beitritt zur Istanbul-Konvention ist ein wichtiger und ein wesentlicher Schritt. Lassen Sie uns die Chance nutzen, für unseren Freistaat die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Ein sächsisches Maßnahmenprogramm zum Schutz vor häuslicher und sexualisierter Gewalt bis Ende Q I/19 zu erarbeiten, ist völlig überstürzt. Dies würde der Bedeutung dieser Aufgabe nicht gerecht. Daher wird meine Fraktion Ihren Antrag ablehnen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen! Mit dem vorliegenden Antrag soll die bereits ratifizierte Istanbul-Konvention mit einem sächsischen Maßnahmenplan untersetzt werden.
Ich möchte zunächst noch einmal einen Schritt zurückgehen, um die Ziele und Zwecke der Konvention zu beleuchten. Es geht wieder einmal um ein linkes Lieblingsthema, die Gleichstellung von Frau und Mann. Die Konvention basiert auf der Annahme, dass Gewalt gegen Frauen der Ausdruck historisch gewachsener ungleicher Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ist. Die Gewalt gegen Frauen sei strukturell bedingt und solle einen sozialen Mechanismus zur Unterdrückung der Frau darstellen. Des Weiteren geht es um Zwangsehen, ehrverletzende Straftaten und Genitalverstümmelungen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir leben in Deutschland weder in einem Dritte-Welt-Land, noch gilt hier die Scharia. Man kann also schon einmal grundsätzlich die Relevanz der Istanbul-Konvention für die Verhältnisse in Deutschland infrage stellen.