Protocol of the Session on June 27, 2018

Warum das schlecht ist, möchte ich mit einem Zitat des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier aus der heutigen Tagespresse über den Streit zwischen den Unionsparteien umschreiben: „Ich habe mich dieser Tage häufiger gefragt: Wie sollen wir erfolgreich für Vernunft und Augenmaß in der politischen Debatte werben, wenn auf höchster Ebene und selbst im Regierungslager mit Unnachsichtigkeit und maßloser Härte über eigentlich doch lösbare Probleme gestritten wird?“ Wir hätten diese Debatte anders führen können, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD)

Aber es ist angesprochen und ich will die SPD-Sichtweise beitragen. Zuallererst, wir sollten keine Scheindebatte über das deutsche Grenzregime führen. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident tut ja gerade so, als könnten wir mir nichts, dir nichts an der Grenze jeden Nichtdeutschen abweisen. Er sollte es besser wissen, meine Damen und Herren. Schlimmer noch, er unterstellt Unsicherheit und rechtswidriges Verhalten und stärkt damit nur Ängste, statt sie zu nehmen. Denn das Gegenteil ist der Fall, meine Damen und Herren. Es gibt Abweichungen zwischen deutschem und europäischem Recht, die nicht widersprüchlich sind, sondern in der Sache eindeutig. Obwohl § 18 Asylgesetz sagt, Asylbewerber können unter bestimmten Umständen an der Grenze abgewiesen werden, gilt das nur, soweit es nicht gegen europäische Regeln steht. In der Dublin-III-Verordnung ist eben festgelegt, dass jeder Asylsuchende einem Verfahren unterzogen wird, auch zur Prüfung, welcher Staat zuständig ist. Die Prüfung der Zuständigkeit ist ebenfalls in der Dublin-Verordnung verankert.

Eine pauschale Zurückweisung an der Grenze wäre ein Verstoß gegen Verfahrensgarantien der Artikel 4 bis 6 und gegen die Dublin-III-Verordnung. Wenn der ehemalige bayerische Ministerpräsident vorschlägt, Asylsuchende ohne Verfahren an der Grenze abzuweisen, schlägt er den Rechtsbruch vor, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Wir haben nach wie vor in Europa einen großen Druck durch die weltweiten Migrationsbewegungen, auf unsere Grenze, innerhalb Europas, aber auch auf die europäische und die deutsche Innenpolitik. Das belastet nach wie vor die Beziehungen zwischen den europäischen Mitgliedsstaaten und wir müssen diese Probleme lösen, wenn wir mit dem europäischen Projekt weiterkommen wollen. Deshalb finde ich es gut, dass nach wie vor mit Ernsthaftigkeit und Nachdruck an einer europäischen Lösung der Migrationssituation gearbeitet wird. Es geht darum, die Verteilung zwischen den Mitgliedsstaaten fair zu organisieren.

Der Koalitionsvertrag im Bund zwischen den Unionsparteien und der SPD ist eindeutig. Er bekennt sich zur Reform der Dublin-Verordnung und einem fairen Verteilverfahren. Das ist auch bitter notwendig, meine Damen und Herren, denn die südeuropäischen Mitgliedsstaaten fangen immer noch den absoluten Hauptteil der Migrationsbewegung ab. Im Augenblick lassen wir sie ziemlich allein damit. Das dürfen wir nicht zulassen.

(Beifall bei der SPD)

Deshalb ist der Vorschlag des Europäischen Parlaments zu den Dublin-Reformen unterstützenswert. Es geht darum, ein gemeinsames und automatisiertes Umsiedlungssystem zu etablieren,

(André Barth, AfD: Aha, Umsiedlungssystem!)

das die Asylsuchenden fair auf alle EU-Mitgliedsstaaten verteilt. Damit würde die Verantwortung für die Schutzsuchenden proportional auf allen Mitgliedsstaaten liegen und nicht nur auf wenigen. Ich kann deshalb nur darum bitten, dass wir zu einer maßvollen Debatte zurückkehren und uns nicht der Versuchung der aktuellen Diskussion auf der Bundesebene auch hier im Landtag hingeben, und hoffe deshalb auf die zweite Rederunde.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Das war Kollege Pallas für die einbringende SPD-Fraktion. Nun spricht für die Fraktion DIE LINKE Herr Kollege Stange.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Kollege Pallas, ich möchte Ihnen an dieser Stelle Respekt zollen für Ihre Position, auch deshalb, weil ich erahnen kann, dass es in einer Koalition mit Sicherheit schwierige Diskussionen geben kann, wenn Positionen so deutlich auseinander gehen. Noch einmal, meinen Respekt dafür.

(Albrecht Pallas, SPD: Es ging um die CSU!)

Na ja, na ja, Kollege Pallas, das mag sein. Allerdings hat sich ein nicht ganz unbedeutender Sachse hinter die Position dieses ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten gestellt, die die Abweisung von Asylsuchenden an den deutschen Grenzen betrifft. Damit hat er sich genau diese Sache zu eigen gemacht. Es ist kein Geringerer als unser Ministerpräsident Michael Kretschmer, der das so vertritt. Sie haben vollkommen recht: Eine sachliche Debatte ist anzumahnen, aber so, wie sie die CSU und auch der Ministerpräsident führen wollen, ist sie alles andere als sachlich. Sie ist vielmehr völlig abseits aller möglichen Sicherheitsrisiken, die es im alltäglichen Leben gibt. Es ist eine Sicherheitsdebatte, die sehr bewusst eine machtpolitische Debatte in diesem Lande darstellt. Angesichts und unter dem Eindruck der Wahlergebnisse der AfD versucht die CSU und versuchen auch Teile der CDU, die politische Macht zu erhalten und sich genau dafür dieser Debatte zu bemächtigen. Es geht um Machterhalt. Es geht

eben nicht um Sicherheit, sondern nur um die Sicherheit der Regierenden in ihrem Land. Punkt.

(Beifall bei den LINKEN und der AfD – Carsten Hütter, AfD: Das ist ja fürchterlich! Richtig!)

Die Abweisung von Asylbewerbern an den Grenzen –

(Frank Kupfer, CDU: Ihr könnt Freunde haben! – Andre Barth, AfD: Nächstes Jahr sind das eure Freunde! Schauen wir mal!)

würde im Grunde einhergehen mit dem, meine Damen und Herren, was man kurzerhand „Grenzen dicht“ nennen kann. Dieses „Grenzen dicht“ bringt uns aber keineswegs mehr Sicherheit. Dieses „Grenzen dicht“ bringt uns im schlimmsten Fall, und es ist zu vermuten – Kollege Schiemann, da können Sie vier Spuren für die A 4 fordern –, mehr Verkehrschaos in Sachsen statt Sicherheit; das aber mit Sicherheit, meine Damen und Herren.

Noch etwas sei gesagt: In der CDU – zur Ehrenrettung – gibt es natürlich auch andere Auffassungen zu dieser Position. Der niedersächsische Ministerpräsident Armin Laschet hat es im Grunde – –

(Andreas Nowak, CDU: Der ist Nordrhein-Westfalen!)

Entschuldigung, Nordrhein-Westfalen. Vielen Dank. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet hat es auf die kurze Formel gebracht: Wir brauchen keine Zollhäuschen und Grenzkontrollen und die wollen wir auch nicht haben. Recht hat er. Die wollen wir nicht haben. Der Ministerpräsident, der sich die Position des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten zu eigen gemacht hat, müsste uns einmal erklären, was an der Arbeit der Bundespolizei, die seit 2017 4 000 rechtswidrige Grenzübertritte unterbunden hat, denn jetzt schlecht gewesen ist.

Denn wenn Sie sagen, wir müssen dichtmachen und wir müssen abweisen – was ja im Grunde mit Dichtmachen einhergeht –, dann muss die Arbeit also schlecht gewesen sein. Das verstehe ich nicht ganz; das muss mir der Ministerpräsident erklären.

Meine Damen und Herren! Wer die Grenzen in Europa dichtmachen will, der will sich abschotten. Europäisches Recht aber widerspricht genau dieser Abschottungspolitik. Es gibt kein Recht auf Abschottung in Europa.

(Carsten Hütter, AfD: Aber es gibt auch kein Recht auf offene Grenzen! – Dirk Panther, SPD: Lesen Sie einmal im Schengen-Abkommen nach!)

Ja, das sollten Sie nachlesen; das hilft manchmal. Jawohl, die offenen Grenzen sind vereinbarte Sache. Schengen lässt grüßen. Das ist Ihnen vielleicht nicht bekannt, aber das können wir gemeinsam nachlesen.

Ihre Redezeit ist zu Ende.

Der Rechtsbruch besteht darin, Europa abzuschotten und die Grenzen dichtzumachen. – Alles Weitere in der zweiten Runde.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den LINKEN und vereinzelt bei der SPD)

Nach Herrn Kollegen Stange – er sprach für die Fraktion DIE LINKE – kommt jetzt Herr Kollege Urban für die AfD zu Wort.

(Frank Kupfer, CDU: Mal sehen, ob er jetzt auch Beifall bekommt von den Kommunisten!)

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete! „Sicherheit nach innen braucht Sicherheit in Europa“, sagen CDU und SPD. Dieser Debattentitel ist aus meiner Sicht ein Euphemismus für die Fortsetzung der Durchwinkepolitik der letzten Jahre und damit eine weitere Zumutung für die Bürger des Landes. Das Gerede der CDU von einer europäischen Lösung ist nur ein billiger Trick zum Zeitgewinn und zur Ausgrenzung der Kritiker als Nationalisten. Die Debatte über Sicherheit in Deutschland muss in Deutschland und nicht in Europa geführt werden. Die deutschen Grenzen sind auch nicht die europäischen Grenzen, sondern es sind die nationalen Grenzen. Der Schutz der inneren Sicherheit ist daher gleichbedeutend mit dem Schutz unserer nationalen Grenzen.

Udo Di Fabio, ehemaliger Verfassungsrichter, sagt dazu: „Die Staatsgrenzen sind die tragenden Wände der Demokratien. Wer sie einreißt, sollte wissen, was er tut. Es mag schwer sein, Grenzen in einer wirksamen und zugleich humanen Weise zu schützen, aber dieser Aufgabe kann keine Regierung entgehen.“

Das Erlebnis des Kontrollverlustes an den nationalen Grenzen ist für uns Deutsche eine traumatische Erfahrung. Dieses Erlebnis ist auch kein einmaliges Erlebnis, das jetzt bald drei Jahre zurückliegt. Dieses Erlebnis wiederholt sich seither für die Bürger des Landes tagtäglich im Inneren.

(Beifall bei der AfD)

Das Erlebnis wird sichtbar an bisher weitgehend unbekannter Gewalt: Messerstechereien, Raubüberfälle,

sexuelle Übergriffe, Vergewaltigungen, Morde – begangen oftmals am helllichten Tag von genau den Menschen, die an den Grenzen nicht kontrolliert wurden. Dieses traumatische Ereignis spiegelt sich auch in der Polizeilichen Kriminalstatistik Sachsens aus 2017 wider: 46 % aller Totschlagsdelikte wurden durch Ausländer begangen; 31 % aller Vergewaltigungen und sexuellen Nötigungen geschehen durch Ausländer, und fast 90 % aller bandenmäßigen Einbrüche geschehen ebenfalls durch Ausländer.

Dieses traumatische Erlebnis wird sichtbar an einem Staat, der täglich im Inneren und an seinen Grenzen als wehrlos vorgeführt wird – von Tausenden jungen Män

nern, die weder aus Kriegs- noch aus Notstandsgebieten kamen. Es ist daher höchste Zeit, dass unser Staat seine Wehrhaftigkeit zurückgewinnt.

(Beifall bei der AfD)

Ministerpräsident Kretschmer versucht nun, durch Übernahme der CSU-Forderungen den Anschein der Normalität zu erwecken. Aber seine Forderungen sind nicht normal – sie sind weiterhin die Umkehrung des eigentlich Selbstverständlichen. Herr Kretschmer fordert, Herkunftsländern, die keine Papiere für Abschiebungen ausstellen, die Entwicklungshilfe zu entziehen. Wir fordern, Menschen ohne Papiere erst gar nicht über die Grenzen zu lassen.

(Beifall bei der AfD)

Herr Kretschmer fordert, in ganz Europa Asylbewerbern nur noch Sachleistungen statt Geld zu geben, und zwar einheitlich in ganz Europa. Wir fordern, nicht auf Europa zu warten, sondern sofort hier in Sachsen damit zu beginnen! Das Asylbewerberleistungsgesetz lässt es zu.

(Beifall bei der AfD)

Herr Kretschmer fordert, Asylverfahren zu beschleunigen und Nichtberechtigte zur schnelleren Ausreise zu bringen. Wir fordern, den vielen Worten endlich Taten folgen zu lassen. 2017 erfolgten ein Drittel weniger Abschiebungen als 2016. Die Zahl der Ausreisepflichtigen wuchs innerhalb eines Jahres um 3 000 Personen auf insgesamt mittlerweise 11 000.

Herr Kretschmer fordert: Wer aus einem sicheren Drittstaat einreist, muss dahin zurückkehren. Es sei eine Selbstverständlichkeit, dass an den Grenzen zurückgewiesen wird. Wir fragen: an welcher Grenze, bitte? Ohne eine reale, geschützte Grenze kann es auch keine Zurückweisungen geben.

Herr Kretschmer warnt vor Vertrauensverlusten für die Union in der Bevölkerung. Wir sagen: Zu spät – das Vertrauen der Bevölkerung hat die CDU bereits verloren.