Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich Vorschläge wie den vorliegenden Gesetzentwurf lese, frage ich mich immer, wer auf eine solche Idee kommt. Was sind das für Leute, die sich hinstellen und sagen: „Jetzt machen wir Bildungsurlaub für Beschäftigte“?
Ich komme dann immer zu dem Schluss, dass das jemand sein muss, der noch nie auf Leistung arbeiten musste, der sich noch nie damit befassen musste, ob er alle Rechnungen zum Monatsende begleichen kann,
der sich noch nie Sorgen machen musste, ob er alle seine Mitarbeiter bezahlen kann und der noch nie befürchten musste, dass er nicht genug Aufträge hat bzw. ob er diese fristgemäß erledigen kann. Es muss also jemand sein, der am Monatsanfang immer weiß, was am Monatsende auf seinem Konto ist – wahrscheinlich weiß er das für das gesamte Jahr –, der noch nie finanzielle Ausgaben persönlich verantworten musste, und es muss jemand sein, der sich auf Arbeit langweilt.
Natürlich stellt sich mir auch die Frage, was das für Leute sind, die solchen Gesetzen in Parlamenten zustimmen. Nun, diese Frage sollten Sie sich möglicherweise selbst beantworten können.
Ich darf mich im Weiteren auf den vorliegenden Gesetzestext konzentrieren. Schon im Vorblatt gibt es Formulierungen, die irritierend sind: So lesen wir unter Punkt A –
Zielstellungen –, dass mit dem Rechtsanspruch auf Bildungsfreistellung den Bürgerinnen und Bürger die Möglichkeit gegeben wird, die Folgen des ökonomischen, technischen und sozialen Wandels beruflich und sozial besser zu bewältigen. In Punkt B „wesentlicher Inhalt“ ist dagegen notiert, dass mit dem vorliegenden Entwurf die Beschäftigten im Freistaat Sachsen erstmals gegenüber ihrem Arbeitgeber einen Rechtsanspruch auf Freistellung von der Arbeit unter Fortzahlung eines Arbeitsentgeltes erhalten sollen.
Sehr geehrte GRÜNEN-Fraktion: Wer denn nun? Bürgerinnen und Bürger? Oder doch nur Beschäftigte? Oder sind ausschließlich Beschäftigte Bürger unseres Freistaates und Unternehmer, Selbstständige und Freiberufler sind es nicht?
Es erschließt sich mir nicht, warum ausschließlich Arbeitnehmer und ihnen gleichgestellte Personen von einem Bildungsurlaub profitieren sollen. Sind Angestellte dümmer als Unternehmer? Oder warum soll es für Selbstständige einfacher sein, den ökonomischen, technischen und sozialen Wandel zu bewältigen? Stellen Sie sich einmal einen kleinen Handwerksbetrieb mit fünf Angestellten vor.
Der Chef bekommt es seit Jahren aufgrund der Auftragslage oder auch aus finanziellen Gründen nicht hin, wenigstens vier Wochen im Jahr Erholungsurlaub zu nehmen, soll aber nun seine Mitarbeiter zusätzlich zum Erholungsurlaub noch für eine weitere Woche Bildungsurlaub freistellen. Auch wenn der Unternehmer in diesem Fall einen Anteil erstattet bekommen soll – warum eigentlich nur einen Anteil? –, bleibt die Arbeit dennoch liegen.
Gibt es also Menschen erster und zweiter Klasse bei den GRÜNEN? Ein Freiberufler, der alles selbst zahlen, alles selbst organisieren und selbst verantworten muss – und andererseits ein abhängig Beschäftigter, der nicht nur zusätzlich freigestellt, sondern auch für die Zeit des Bildungsurlaubs bezahlt wird? Wir haben es bei dem vorliegenden Gesetzentwurf somit mit einer ganz klar begrenzten Klientel zu tun.
Das ist politisch nicht unüblich, betrifft in der Regel aber bestimmte Randgruppen, Minderheiten oder Personengruppen mit Benachteiligungen. Ein Arbeitnehmer ist aber keine in irgendeiner Form benachteiligte Person, schon gar nicht im Vergleich zu Unternehmern oder Selbstständigen. Diesen Status wählt doch jeder selbst. Gott sei Dank kann in unserer Gesellschaft noch jeder selbst entscheiden, ob er in ein Angestelltenverhältnis eintritt oder ein eigenes Unternehmen gründet. Das steht jedem frei, und deshalb kann es auch nicht sein, dass diese frei gewählte Entscheidung den einen mit Bildungsurlaub belohnt, den anderen aber dazu verdonnert, diesen zu bezahlen. Das ist mit uns nicht zu machen.
Letztlich sind wir davon überzeugt, dass die notwendigen Weichen für lebenslanges Lernen von jedem Bürger unseres Landes selbst und eigenverantwortlich gestellt werden können. Die Abgeordneten der Blauen Partei lehnen daher den vorliegenden Gesetzentwurf ab.
Sehr geehrter Herr Präsident! Ich muss sagen, ich finde, es ist schon eine ziemliche Frechheit, Kollegin Kersten, dass Sie hier 1,6 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern des Freistaates absprechen, ein Recht auch für sich in Anspruch nehmen zu können, das in 14 anderen Bundesländern gegeben ist und für das auch die großen Gewerkschaften, egal, ob Sie jetzt die Gesamtorganisationen, den DGB, die IG Metall oder Ver.di ansehen, eintreten, dass Sie alle diese als bescheuert hinstellen, als jemanden, der noch nie auf Leistung gearbeitet hat. Ich weiß nicht, woher Sie diese Frechheit nehmen. Ich finde es absolut übel, was Sie jetzt hier geboten haben.
Frau Zais, ich habe in meinem Redebeitrag niemandem das Recht abgesprochen, eine Weiterbildung wahrzunehmen. Dieses Recht kann jeder selbstverständlich für sich beanspruchen. Aber dieses Recht muss nicht der Arbeitgeber oder der Gesetzgeber garantieren.
Ja, warum auch? Das kann jeder Bürger selbst machen. Ich habe auch keinen Arbeitnehmer als „Dummchen“ hingestellt, sondern ich habe gefragt: Sind sie dümmer als Selbstständige oder Freiberufler? Ein Freiberufler oder ein Unternehmer hat das auch nicht.
Sie schreiben, dass sich der Arbeitnehmer dem sozialen, technologischen und arbeitsmarktrechtlichen Wandel stellen muss und dass er für diesen gewappnet werden muss. Warum muss das ein Selbstständiger, ein Unternehmer nicht?
(Frau Zais, GRÜNE: Er kann sich selbst freistellen! – Weitere Zurufe von den GRÜNEN, der SPD und den LINKEN)
das war auch die erste Runde. Gibt es weiteren Redebedarf in der Aussprache? – Das ist nicht der Fall.
Ich frage nun die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Frau Staatsministerin Dr. Stange, bitte sehr, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wann, wenn nicht jetzt, lohnt es, sich Gedanken über die Zukunft der Weiterbildung in Sachsen zu machen?
Einerseits verändert sich die Arbeitswelt rasant. Das Stichwort Arbeit 4.0 und der zunehmende Mangel an Fachkräften für hoch qualifizierte Tätigkeiten machen deutlich, welche Herausforderungen an die Aus- und Weiterbildung für alle gestellt werden, egal ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder die Unternehmen. Andererseits hat sich der Arbeitsmarkt in Sachsen sehr positiv entwickelt und bietet den Beschäftigten auch mehrere Optionen.
Vor diesem Hintergrund formuliert eine selbstbewusste Arbeitnehmerschaft zu Recht den Anspruch auf berufsbezogene persönliche Weiterbildung und Qualifikation, und das nicht nur im Bereich der beruflichen Weiterbildung. Deswegen ist auch nach meiner Auffassung und der Auffassung meines Kollegen Dulig der Grundgedanke eines Rechtsanspruchs auf Bildungsfreistellung richtig.
Allerdings ist der Gesetzentwurf in der vorliegenden Form ungeeignet, auch wenn Henning Homann deutlich gemacht hat, dass auch die SPD seit Jahren um ein Recht auf Bildungsfreistellung kämpft. Denn der Gesetzentwurf berücksichtigt nicht die vorhandenen Instrumente der Weiterbildungsförderung und fügt sich in der vorliegenden Gestaltung auch nicht in die Landschaft der bereits etablierten Instrumente ein, denn diese haben sich in der Tat in den letzten Jahren weiterentwickelt. Er beinhaltet einen hohen bürokratischen Aufwand, einerseits hinsichtlich des Verfahrens zur Anerkennung der Weiterbildungsveranstaltungen und zu Berichtspflichten und andererseits insbesondere für Kleinstunternehmen mit bis zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zum Erhalt eines finanziellen Ausgleichs. Hier sollte nachgearbeitet werden. Schließlich liefert der Entwurf keine Antworten auf eine der wichtigsten Fragen: Wie erreichen wir die Zielgruppen besser, die nur unterdurchschnittlich an Weiterbildung teilhaben?
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die berufliche Weiterbildung genießt einen sehr hohen Stellenwert in Sachsen. Das muss ja auch die Anhörung gezeigt haben, denn sowohl die sächsischen Unternehmen als auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter engagieren sich überdurchschnittlich im Bereich der beruflichen Weiterbildung.
Weiterbildung zu unterstützen ist in der heutigen Zeit auch aufgrund der demografischen Entwicklung dringend und wichtig, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter langfristig an ein Unternehmen zu binden. Sie ist eine Voraus
setzung, um neue Mitarbeiter zu finden und somit dem Fachkräftemangel vorzubeugen. Dies haben die meisten sächsischen Unternehmen erkannt. Fast 60 % der sächsischen Unternehmen unterstützen eine Freistellung von der Arbeit, auch durch die Kostenübernahme der Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. 63 % der beruflichen Weiterbildung finden während der bezahlten Arbeitszeit statt.
Die Bereitschaft der Unternehmen, ihren Mitarbeitern berufliche Weiterbildung zu ermöglichen, sie selbst zu organisieren, zu veranstalten und zu bezahlen, das sind richtige und wichtige Mechanismen, die helfen, die bevorstehenden Herausforderungen in den Unternehmen zu meistern. Diese Bereitschaft der Unternehmen wird vom Freistaat, von der Staatsregierung, unterstützt. Wir tun dies mit verschiedenen Weiterbildungsinstrumenten, die ich hier nur kurz benennen möchte.
Wir fördern Unternehmen mit dem betrieblichen Weiterbildungsscheck, um betrieblich notwendige Bildungsaktivitäten zu unterstützen. In der aktuellen Förderperiode wurden mit diesem Förderangebot rund 7 000 Unternehmen bei ihren betrieblichen Weiterbildungsaktivitäten unterstützt. Hierfür sind rund 16 Millionen Euro bewilligt worden.
Wir fördern auf der anderen Seite aber auch die Beschäftigten mit dem individuellen Weiterbildungsscheck, um ihnen eine individuelle berufsbezogene Weiterbildung zu ermöglichen. Seit Beginn der aktuellen Förderperiode haben wir rund 6 000 Personen mit der Bewilligung von über 18 Millionen Euro unterstützt.
Ein dritter Punkt: Wir unterstützen darüber hinaus den beruflichen Aufstieg mit dem Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz, dem sogenannten Aufstiegs-BAföG, früher auch Meister-BAföG genannt. Der Freistaat trägt hier 22 % der Förderung. Im Jahr 2016 haben mehr als 7 000 Personen mit einem Gesamtvolumen von 36,5 Millionen Euro davon Gebrauch gemacht.
Last but not least ist mit einem offiziellen Bildungsportal des Freistaates www.bildungsmarkt-sachsen.de eine
Plattform geschaffen worden, auf der Anbieter ihre Weiterbildungsangebote einstellen können, Einzelpersonen und Unternehmen ihre Bildungsbedarfe anmelden und Angebote direkt buchen können. Ergänzt wird dies durch das Bildungstelefon, eine individuelle persönliche Beratung rund um das Thema Weiterbildung, das vor einigen Jahren noch ein großes, weites Loch für viele Beschäftigte war, weil sie sich in dem Wust der Weiterbildung nicht zurechtgefunden haben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Maßnahmen greifen. Das heißt nicht, dass man Weiterbildung nicht noch ganzheitlicher gestalten kann. Es lohnt, die Grenzen zwischen beruflicher, akademischer und allgemeiner Weiterbildung neu zu denken.
Ein Ansatz für Weiterbildung in Sachsen, der alle Facetten berücksichtigt, die allgemeine, berufliche, politische,
soziale, kulturelle und intellektuelle Weiterbildung, sollte sich aber auch in den Rahmenbedingungen dessen, was sich die Bundesregierung auf den Weg zu bringen vorgenommen hat, wiederfinden.