Vielleicht sollten Sie, bevor Sie mir sozusagen Dinge unterstellen, einfach eine Weiterbildung in Sachen Demokratie machen.
Ich möchte erwidern. Ich habe Konrad Adenauer zitiert und habe das am Beispiel Ihres Freistellungsgesetzes festgemacht. Ich habe das nicht selbst erfunden.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben derzeit einen tief greifenden Wandel. Durch die Digitalisierung steht vieles auf dem Prüfstand, gesellschaftliche Prozesse verändern sich. Es ist nicht möglich, sich der fortschreitenden Globalisierung zu entziehen, und wir werden durch diese Entwicklung als Gesellschaft auch heterogener und multikultureller, völlig egal, ob das hier allen gefällt oder nicht. Um als Einzelner und als Gesellschaft hier nicht den Anschluss zu verlieren, wird immer wieder wie ein Mantra die Parole vom lebenslangen Lernen bemüht. Aber dabei darf es nicht beim Bekenntnis bleiben, sondern dem müssen auch Taten folgen. Es müssen die Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass lebenslanges Lernen auch möglich ist. Die Anhörung hierzu am 16. Januar 2018 im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr hat das nochmals anschaulich bestätigt. Meine Vorrednerin Frau Kollegin Zais hat dazu schon ausgeführt.
Sachsen hat in diesem Punkt großen Nachholbedarf. Der Freistaat ist aktuell eines von nur zwei Bundesländern, in denen es noch immer kein Bildungsfreistellungsgesetz gibt. Der Verweis darauf, dass Menschen sich hierzulande erfolgreich in Abend- oder Wochenendveranstaltungen fortbilden, ist richtig, aber er ist zu kurz gesprungen. So treffsicher solche Angebote im Einzelfall sind, wie learning on the job, Kurzschulung in den Unternehmen, computergestützte Schulungsangebote, die klassischen Unterricht ganz oder teilweise ersetzen sollen – eines fehlt. Erfolgreiches Lernen heißt nicht einfach, möglichst viele Informationen zu vermitteln, sondern erfolgreiches Lernen heißt, sich die notwendige Zeit zu nehmen, um eine Beziehung zum Thema aufzubauen und sich darüber austauschen zu können. Erfolgreiches Lernen heißt, sich die Zeit zu nehmen, tatsächlich Kompetenzen zu entwickeln, und das ist eben nicht nebenher möglich. Dazu braucht es bisweilen mehrere Tage am Stück, die als garantierte Fort- und Weiterbildungszeit möglich sein müssen.
Nun sind ja Teile der Wirtschaft bereits selbst tätig geworden und bieten ihren Mitarbeitern umfangreiche Weiterbildungsangebote an. Ich erinnere auch hier an die Anhörung, wonach in Betrieben zum Teil eine berufliche Weiterbildung sogar für die Mitarbeiter als Teil des Arbeitsvertrages festgeschrieben ist. Andere Unternehmen gewähren ihren Mitarbeitern inzwischen Freistellungen im Wettbewerb um Fachkräfte. Alles in Butter, könnte man auf den ersten Blick meinen. Da, wo die Politik noch schläft, ergreift der Markt selbst die Initiative. Aber eben leider nur auf den erste Blick.
Lebenslanges Lernen kann nicht vom guten Willen einzelner Arbeitgeber abhängen, und lebenslanges Lernen meint eben auch mehr als berufliche Weiterbildung. Es soll – so zumindest sieht es ein Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates von 2006 vor – dazu
beitragen, dass sich die Gemeinschaft zu einer fortschrittlichen wissensbasierten Gesellschaft mit nachhaltiger wirtschaftlicher Entwicklung, mehr und besseren Arbeitsplätzen und größerem sozialem Zusammenhalt entwickelt, in der zugleich ein guter Schutz der Umwelt für künftige Generationen gewährleistet ist.
Damit hat Kollege Heidan sogar recht, indem er auch darauf verwiesen hat, aber daraus muss man auch die Konsequenzen ziehen. Dann muss man auch sagen: Hier muss die Wirtschaft die nötigen Rahmenbedingungen dafür zumindest zulassen. Dabei, Kollege Heidan, hilft es nicht, Horrorszenarien mit Maximalwerten an die Wand zu malen. Die Anhörung hat auch ergeben, dass die Rechnung, die Sie hier aufgemacht haben, in den Bundesländern, in denen es solche Bildungsfreistellungsgesetze gibt, nicht einmal im Ansatz stimmt.
Die Fraktion DIE LINKE hat selbst ein Gesetz über die Weiterbildung und das lebenslange Lernen im Freistaat Sachsen vorgelegt. Unser Gesetzentwurf, der, nebenbei bemerkt, bereits mit dem der GRÜNEN in den Geschäftsgang eingebracht wurde, geht über den heute zu debattierenden Entwurf der GRÜNEN hinaus. Es wird Sie demnach nicht wundern, dass wir im vorliegenden Entwurf einige Kritikpunkte bzw. noch immer Klärungsbedarf sehen.
So sagt das Gesetz der GRÜNEN zum Beispiel nichts darüber aus, wie der Rechtsanspruch auf Bildungsfreistellung durchgesetzt werden soll, wenn sie wiederholt aus betrieblichen Gründen versagt worden ist. Ein weiteres Problem sehen wir, wenn Weiterbildungsveranstaltungen von mindestens drei Tagen im Block anerkannt werden sollen. Im Hinblick auf die kleinen und mittleren Unternehmen sollten durchaus kürzere Bildungsveranstaltungen möglich sein, doch dafür wird über die im Gesetz vorgesehene finanzielle Kompensation hinaus noch ein Weg gefunden werden müssen. Dennoch gilt: Trotz einiger Schwächen im Detail halten wir den Gesetzentwurf für einen Schritt in die richtige Richtung. Aus diesem Grund werden wir ihm heute zustimmen.
Meine Damen und Herren! Und nun die SPD-Fraktion, Herr Kollege Homann. Sie haben das Wort, Herr Kollege Homann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Gesetzentwurf der GRÜNEN strebt die Einführung eines Rechts auf Weiterbildung für sächsische Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an. Wir als SPDFraktion halten das im Grunde für eine gute Idee. Wir haben in der letzten Legislaturperiode selber dazu einen Gesetzentwurf eingebracht und in den letzten Jahrzehnten in 14 von 16 Bundesländern maßgeblich an der Durchsetzung eines solchen Rechts auf Weiterbildung gearbeitet.
Bildungsfreistellung ist für uns deshalb wichtig, weil wir damit das Motto des lebenslangen Lernens in die Realität umsetzen wollen. Wir dürfen nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Wir wollen als Staat deutlich machen, dass wir die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Sachsen unterstützen, sich in ihrem Arbeitsleben weiterzuentwickeln, ihre Persönlichkeit und ihr Engagement in dieser Gesellschaft zu stärken. Deshalb erhält ein Arbeitnehmer die Zeit, um sich beruflich, allgemein oder auch politisch weiterzubilden. Das ist und war Grundsatz sozialdemokratischer Arbeitsmarktpolitik. Wir erleben eine Situation, in der wir in Deutschland in einem Fachkräftewettbewerb sind. Auch unter diesem Aspekt sollte man darüber nachdenken, ob ein kluges Recht auf Weiterbildung nicht auch ein Standortfaktor sein könnte.
Ich glaube, in der Debatte braucht Sachsen ein Weiterbildungsgesetz. Es ist wichtig, dass wir die grundsätzliche Frage stellen, in welcher Gesellschaft wir einmal leben wollen. Wie können wir sicherstellen, dass in Sachsen in Zukunft Wohlstand für alle und nicht nur für wenige möglich wird? Das bedeutet, wir leben in Deutschland in einer Wissensgesellschaft. Wir wollen in Sachsen die Industrie der Zukunft. Wir wollen die Innovation der Zukunft. Wir wollen den Prozess der Digitalisierung zu einem Erfolgsprojekt auch für die sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer machen. Wenn wir uns dieses Ziel, das uns im Grundsatz eint, denke ich, gesteckt haben, dann müssen wir uns Instrumente überlegen, mit denen ein solches Ziel erreichbar ist. Ein Weiterbildungsgesetz ist ein wichtiger Baustein auf dem Wege zur Erreichung eines solchen wichtigen Zukunftsziels für den Freistaat Sachsen.
Die Anhörung des Wirtschaftsausschusses im Mai hat gezeigt, dass dieses Anliegen der Weiterbildung eigentlich breit geteilt wird, zum Beispiel auch vom Sächsischen Verband der Volkshochschulen. Die Anhörung hat aber auch gezeigt, dass so mancher noch Vorbehalte hat. Ja, es gibt Unterschiede zwischen den Parteien und so auch Unterschiede zwischen SPD und CDU. Ich finde, das muss man respektieren, und das ist auch richtig so. In einer Koalition kommt man nur dann voran, wenn Konsens besteht. Wenn man meine Rede mit der von Frank Heidan vergleicht, stellt man fest, dass es keinen Konsens gibt und es deshalb aus dieser Koalition auch keine Zustimmung für diesen Gesetzentwurf geben kann.
Wir werden als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten dieses Thema weiter voranbringen und den Austausch mit all jenen suchen, die zurzeit noch Vorbehalte gegen ein solches Weiterbildungsgesetz haben. Wir hoffen, dass Sachsen nach der Landtagswahl 2019 das 15. Bundesland wird, in dem ein solches Weiterbildungsgesetz gilt.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeordneten! Mein Redebeitrag bezieht sich heute auf den Entwurf des Bildungsfreistellungsgesetzes der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Drucksache 6/12693.
Was wollen die GRÜNEN? Einen gesetzlichen Anspruch auf fünf Tage Bildungsfreistellung für alle Mitarbeiter aus Firmen mit mehr als zehn Mitarbeitern. Ja, rechtlich ist es möglich, und andere tun es auch. Aber ist die Garantie des Anspruchs auch sinnvoll? Oder wollen wir nur kopieren, weil es andere Bundesländer auch haben? In der öffentlichen Anhörung zum Gesetzentwurf wurde zu Recht bemängelt, dass erstens der Gesetzentwurf mit vielen bürokratischen Belastungen versehen ist – und Bürokratie haben wir ja nun wirklich schon genug –, zweitens der im Gesetz dargestellte Kostenaufwand nicht realistisch ist, weil er viel zu niedrig angesetzt wurde, und drittens die Regelung für Kleinbetriebe ab elf Mitarbeitern einen hohen Kostenfaktor darstellt und deshalb geeignet ist, dass Unternehmer ihr Unternehmen klein halten.
Meine Damen und Herren der einbringenden Fraktion! Sie führen in der Begründung Ihres Gesetzentwurfs allerdings selbst aus: „Statistische Auswertungen der Inanspruchnahme in anderen Bundesländern zeigen, dass die Bildungsfreistellung von 1 bis 2 % der Berechtigten in Anspruch genommen wird. Ich wiederhole: nur von 1 bis 2 %! Das zeigt doch eines ganz deutlich: Die Gesetze zur Bildungsfreistellung bzw. zum Bildungsurlaub gehen an der Lebensrealität der Menschen kilometerweit vorbei. Ihr Gesetzentwurf reiht sich genau dort ein. Mit der Forderung nach einem Recht auf Bildungsfreistellung, das kaum jemand in Anspruch nimmt, versuchen Sie, sich politisch als Samariter für den Arbeitnehmer zu profilieren. Das ist völlig absurd. Wer soll denn die Arbeit erledigen, wenn die Kollegen auf Bildungsurlaub sind? Wie mittelstandsunfreundlich ist Ihre Idee? Das bedeutet wieder nur mehr Bürokratie und mehr Probleme für die Firmeninhaber und Arbeitgeber. Erst die Datenschutzgrundverordnung und gleich hinterher das Bildungsfreistellungsgesetz – gratuliere!
Auch wenn es einen finanziellen Ausgleich für die Arbeitgeber geben soll, stellt sich die Frage, woher er die Vertretung nimmt. Der Arbeitsmarkt ist in vielen Branchen leer gefegt. Stellen Sie sich vor, in einer Baufirma von 30 Mitarbeitern nähme jeder fünf Tage Bildungsurlaub in Anspruch. Dann muss sich der Chef nicht nur Gedanken machen, wie er den Jahresurlaub und das Abbummeln der Überstunden organisieren soll – nein, er muss dann auch noch 150 Tage Bildungsfreistellung pro Jahr vertreten lassen. Es fragt sich nur: von wem?
Frau Grimm, Sie haben darauf verwiesen, dass nur 1 bis 2 % der Berechtigten diesen Bildungsurlaub in Anspruch nehmen würden. Wie viel
entspricht das denn in Ihrem Beispiel mit der kleinen Firma von fünf Arbeitnehmern? Wovon reden Sie da jetzt?
Ja, Frau Zais, momentan ist das noch so. Aber in Zeiten des Fachkräftemangels und in denen Arbeitnehmer wissen, wo sie ihre Rechte einklagen können, wird sich das künftig ändern. Ich sehe hier Probleme auf die Arbeitgeber zukommen, und diese sind für mich nicht tragbar. Bildung und Weiterbildung muss sich an fachlichen und betrieblichen Erfordernissen ausrichten. Nur dann ist über einen Anspruch auf Bildungsfreistellung zu diskutieren.
Jede Firma hat ein eigenes Interesse bezüglich der Bildung ihrer Mitarbeiter, um mit dem Fortschritt der Zeit mithalten zu können – dafür muss niemand Urlaub nehmen.
Darüber hinaus stellt sich folgende grundsätzliche Frage: Ist die allgemeine oder gesellschaftliche Bildung, insbesondere die politische Bildung, dem Verantwortungs- bzw. Geschäftsbereich des Arbeitgebers zuzuordnen? Ein klares Nein!
Ich möchte eine Kurzintervention bezüglich des Redebeitrags von Frau Grimm halten. Wir haben gehört, sehr geehrter Herr Präsident, dass Frau Grimm ihre Ablehnung eines Weiterbildungsgesetzes unter anderem damit begründet, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihr Recht wahrnehmen könnten und aufgrund des Fachkräftemangels nun auch selbstbewusster auftreten könnten.
Ich will hierzu feststellen: Ich möchte hoffen, dass die sächsischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer selbstbewusster auftreten, denn sie haben ein Recht auf gute Arbeitsbedingungen verdient. Ich finde, die Argumentation, sie könnten ihr Recht jetzt wahrnehmen, geradezu perfide. Was ist denn mit einem Recht auf Krankenversicherung? Was ist mit einem Recht auf Mutterschutz? Was ist mit einem Recht auf eine ordentliche Rente im Alter? Mit dieser Begründung könnte die AfD genau diese großen Errungenschaften der letzten Jahrzehnte, die viele Parteien, die auch hier im Landtag vertreten sind und diese gemeinsam mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern erkämpft haben, infrage stellen. Das, finde ich, ist eine sehr perfide Argumentation.
Lasst uns die Arbeitnehmerrechte schützen und ausbauen, anstatt die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer dafür zu beschimpfen, dass sie ihre Rechte wahrnehmen.
Ja. – Herr Abg. Homann, Sie haben die Kranken- und die Rentenversicherung angesprochen. Das ist alles gut und schön. Ich habe in meinem Beispiel sogar noch die Krankentage vergessen, die der Arbeitgeber ja auch noch vertreten lassen muss. Die Arbeitgeber werden also mit einem solchem Gesetz immer mehr in die Zwinge genommen. Ich glaube, das brauchen wir in der heutigen Zeit nicht, wenn wir Arbeitsplätze in kleinen und mittelständischen Unternehmen für die Arbeitnehmer schaffen wollen – insbesondere im ländlichen Raum.