Protocol of the Session on April 26, 2018

Nach Herrn Homann, SPD-Fraktion, spricht jetzt Herr Kollege Beger für die Fraktion AfD.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Zuerst einmal vielen Dank an DIE LINKE für den zweiten Teil des Debattenthemas „Gute Arbeit hat einen Mehrwert“ – dazu später mehr.

Karl Marx wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren. Ob damit genügend aktueller Anlass für eine Debatte hergestellt ist, sei dahingestellt. Ob Marx sich an seinem medialen Mythos und der Vermarktung seines Namens – unter anderem gestrickt durch die „Sächsische Zeitung“ mit einer huldvollen Wochenendbeilage – oder einer staatlich finanzierten Filmförderung erfreut hätte – ich weiß es nicht.

Ich möchte auch gar nicht so sehr über die Person Karl Marx sprechen. Die Beschreibung ökonomischer Prozesse durch seine Person, unter anderem mit der Kritik an der politischen Ökonomie, entfacht jedenfalls bis heute rege Kontroversen.

Indiskutabel ist jedoch eine Aktuelle Debatte, die einen Klassenkampf beschwört oder den Eindruck vermitteln möchte, dass Wirtschaft eine Teilmenge von Gerechtigkeit ist. Genau das implizieren Sie aber. Die Verknüpfung von Arbeit und Sozialem führt automatisch zur Debatte über soziale Gerechtigkeit.

Meine Damen und Herren, Aufgabe der Wirtschaft ist es, knappe Ressourcen möglichst effektiv zu verteilen und Produktionsfaktoren wie Arbeit und Kapital effizient einzusetzen. Das hat nichts mit Gerechtigkeit zu tun, im Gegenteil, diese Verteilung ist rein gewinn- und nutzenorientiert. Wohlfahrtsverluste entstehen jedoch oft, wenn der Staat eingreift und private Monopole schafft oder über

Enteignungen oder Förderungen Verknappungen oder Überproduktionen kreiert.

Solche vermeintlichen Erfolgsmodelle haben noch nie eine lange Lebensdauer aufweisen können. Planwirtschaftlich organisierte VEB-Betriebe waren nie wettbewerbsfähig. Auch insolvente Firmen wie die Philipp Holzmann AG konnten nicht gerettet werden. Die Produktion von Butterbergen in der Europäischen Union hat nirgendwo zu mehr Wohlstand geführt. Die Enteignung der herrschenden Klasse hat in der Geschichte weder in der Sowjetunion noch in der damaligen DDR einen Mehrwert hervorgebracht. Auch gute Arbeit wurde dort nicht besser entlohnt als in den Ländern mit freier Marktwirtschaft. Fehlende Innovation führte vielmehr dazu, dass harte Arbeit nur zur Beschneidung des Wohlstands führte.

Daher möchte ich empfehlen, anstatt 200 Jahre in die Vergangenheit zu schauen, einen Blick über den Tellerrand zu wagen. – Mehr dazu in der zweiten Rederunde.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Auf Herrn Beger folgt Herr Kollege Zschocke für die Fraktion GRÜNE, und dann haben wir schon das Ende der ersten Rederunde erreicht.

Vielen Dank, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „200 Jahre Karl Marx: Gute Arbeit hat Mehrwert – für ein sozial gerechtes Sachsen!“ – das Gute an dem Debattentitel ist ja, dass man sich quasi aussuchen kann, worüber man reden möchte.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Die Freiheit haben wir gelassen!)

Ich möchte den Blick auf einen zentralen Bereich des Themas lenken, der auch aktuell sehr kontrovers diskutiert wird, nämlich auf die sozialen Berufe.

Ein durchschnittliches Altersheim beherbergt in Deutschland zwei Gruppen von Hilfsbedürftigen: die Bewohner und die Pfleger. – Das ist ein Zitat des Komikers Nico Semsrott, der die dramatische Situation in der Altenpflege hier wunderbar auf den Punkt bringt. – Die Altenpflege steht ja exemplarisch für viele Bereiche in der Sozialwirtschaft, in denen es eben keine gute Arbeit mehr gibt und deren Wert und Mehrwert auch nicht geschätzt wird. Das führt insbesondere auch in Sachsen aktuell dazu, dass Fachkräfte wegen Überlastung häufig den Arbeitsplatz wechseln oder auch in Teilzeit wechseln oder sich zum Beispiel in Sachsen als Rettungssanitäter ausbilden lassen, um dann in ein anderes Bundesland zu wechseln, weil dort besser bezahlt wird.

Meine Damen und Herren, das ist ein ernstes Problem, weil die Gesundheits- und Sozialwirtschaft in Sachsen nach dem verarbeitenden Gewerbe eben die zweitgrößte Wirtschaftsbranche ist; dort ist fast jeder zehnte Arbeits

platz. Die Branche ist auch Wachstumsmotor und trägt maßgeblich zur Wertschöpfung bei. Aber gut bezahlte Arbeit und gute Arbeit mit guten Arbeitsbedingungen sind in dieser Branche selten. Die Beschäftigten arbeiten prekär, die Stellen sind oft befristet, hängen an unsicheren Fördertöpfen, fallen dem Kostendruck zum Opfer. Besonders bei der Krankenpflege oder bei der Altenpflege sind die Bedingungen immer weniger menschengerecht. Es fehlen Pflegekräfte, es fehlen Personalbemessungsgrenzen, die Arbeitsbelastung für den Einzelnen steigt immer mehr.

Wenn weniger Personal und mehr Aufgaben zusammenkommen und dazu noch schlechte Bezahlung, dann setzt das einen Teufelskreis in Gang. Die Berufe werden immer unattraktiver, der Nachwuchs bleibt aus, die Angebote werden reduziert oder beendet, es gibt immer längere Wartelisten, Aufnahmestopps in Pflegeheimen ganz aktuell. Wir sehen das in der Geburtshilfe, in der Jugendhilfe, in vielen sozialen Angeboten und ganz besonders dramatisch in der medizinischen Versorgung. Also gerade die Fachkräfte – gerade diese Menschen, die dafür sorgen, dass Menschen einen guten Weg ins Leben finden, dass sie gesund sind und gesund bleiben, dass sie in Würde alt werden können und gepflegt werden können, dass sie aus prekären Verhältnissen herausfinden – erleiden selbst körperliche und seelische Überlastung und stehen selbst in Gefahr, im Alter trotz Arbeit arm zu sein, meine Damen und Herren.

Typisch für diese Branche, die in Sachsen sehr groß ist, sind kleine Firmen, Vereine oder Dienste, wo Beschäftigte oft tariflich ungebunden arbeiten, wo viele Anbieter eben auch mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten kämpfen, wo Arbeit, die eigentlich qualifizierte Fachkräfte erfordert, auf immer weniger Qualifizierte abgewälzt oder sogar auf Ehrenamtliche verlagert wird. Bei Einkommen und Arbeitsbedingungen kann so ein regelrechter Sog nach unten entstehen – die Fachleute sprechen hier von einer sogenannten Soziosklerose. Diese schleichende Soziosklerose bedroht auch den Standort Sachsen.

Wenn wir heute aktuell über ein sozial gerechtes Sachsen und über gute Arbeit sprechen, dann müssen wir auch dringend über den Mehrwert guter Arbeit in der Gesundheits- und Sozialwirtschaft sprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Kollege Zschocke beendete die erste Rederunde für die Fraktion GRÜNE. Wir beginnen mit der zweiten Runde, und die einbringende Fraktion ergreift erneut das Wort. Für DIE LINKE spricht Herr Kollege Brünler.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ja, in der Tat, Marx‘ Analyse stammt aus dem 19. Jahrhundert, aber dennoch ist sie nicht tot und sie ist auch nicht überholt.

Marx hat den Kapitalismus analysiert, er hat ihn aber – auch wenn das heute bisweilen behauptet wurde – keineswegs verdammt. Marx hat auch durchaus die ungeheuer vorwärtsdrängende Kraft im Kapitalismus beschrieben. Richtig ist aber auch: Zu Marx‘ Analyse gehört die wachsende Ungleichheit, Ausbeutung und Fremdbestimmung dazu. Heute würde man sagen: permanente Arbeitsverdichtung. Oder die Frage, was viele Menschen heutzutage vor dem Stichwort Arbeit für null und Digitalisierung umtreibt: Wird meine Arbeitskraft in der Verwertung morgen überhaupt noch gebraucht oder werde ich morgen vielleicht schon aussortiert?

Oder auf Sachsen bezogen, ganz aktuell: ein ausgeprägter Niedriglohnsektor, der von der Staatsregierung lange Zeit als Standortfaktor gepriesen wurde, obwohl er doch eigentlich nichts anderes war als die Missachtung der arbeitenden Menschen und ihrer Arbeitsleistung.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Wir können uns auch heute wieder ganz konkret anschauen, dass diese Logik auch Eingang in den öffentlichen Dienst gefunden hat. Hier vor der Tür findet eine Demonstration von Mitarbeitern der staatlichen Schlossbetriebe gGmbH statt, denen man einen eigentlich verhandelten Tariflohn vorenthält.

Marx hat beschrieben, wie Soloselbstständige ohne Chancen sein werden, weil sie in einem freien Markt permanent an die Wand gedrängt werden, so wie sie schon heute wissen, dass sie in Zukunft von Altersarmut bedroht sein werden.

Marx hat die obszönen Exzesse beschrieben, wie sich Spitzenmanager, losgelöst von tatsächlicher Leistung und auch losgelöst von möglicher Verantwortung, permanent die Taschen füllen.

Marx hat beschrieben, wie eine fortschreitende Konzentration des Kapitals bei wenigen vonstattengeht und wie Kapitaleigner ihre Interessen mit ihrer Macht letztlich auch gegen Beschäftigte durchsetzen können. Auch dazu ein ganz konkretes Beispiel – ich sage nur: Görlitz. Der Kapitalismus, Kollege Rohwer, wie wir ihn erleben, ist eben keine Leistungsgesellschaft, sondern eine Gesellschaft, die auf Machtverhältnissen beruht.

Die Presse und auch der Landtagspräsident haben uns gefragt, ob wir heute die Revolution ausrufen wollen.

(Staatsminister Martin Dulig: Das machen Sie doch nicht!)

Nein, das ist nicht der Punkt,

(Zuruf von der CDU: Echt nicht?)

aber man muss sich tatsächlich fragen, wenn wir ein Wirtschaftsgefüge haben, welches nicht den permanent versprochenen Segen bringt, sondern das auch das Potenzial hat für eine Situation, dass die Abgehängten so nicht weiterleben wollen und dass gesellschaftliche Eliten so nicht weiter agieren können. Das muss man ernst nehmen. Wenn man es nicht ernst nimmt – das haben wir in der

Vergangenheit tatsächlich mehrfach erlebt –, dann kann es auch zum gewaltsamen Zusammenbruch ganzer Gesellschaften führen.

Nun wollen wir den Kopf nicht in den Sand stecken; denn der Kapitalismus ist – davon sind wir überzeugt – kein ewig geltendes Naturgesetz.

Marx hat richtig formuliert, er ist unter den konkreten Umständen seinerzeit, unter der konkreten Entwicklung der Produktivkräfte entstanden. So ist er auch ein vergängliches Kind seiner Zeit.

Das, meine Damen und Herren, wirft natürlich die Frage nach dem Danach auf. Es stellt sich die Frage nach den Herausforderungen der Digitalisierung, nach Industrie 4.0, nach dem Internet der Dinge und danach, wie sich unsere Gesellschaft dadurch verändern wird. Wie soll unsere Gesellschaft darauf reagieren? Ist unsere Demokratie, sind unsere Sozialsysteme darauf eingestellt? Ich glaube, viele, die länger darüber nachdenken, werden unruhig, weil sie spüren, dass das wahrscheinlich eher nicht der Fall ist.

Werden wir in Zukunft mit den gleichen Ungerechtigkeiten leben, nur eben modernisiert und vielleicht digital und noch verschärft, oder erleben wir im Moment tatsächlich eine Entwicklung der Produktivkräfte, die das derzeit Bestehende grundlegend verändern wird?

Dabei sind wir auch wieder ganz konkret bei der Situation in Sachsen. So gut es ist, dass der Freistaat eine Strategie „Sachsen Digital“ hat, so muss man sagen, dass sie eigentlich gesellschaftspolitisch weitgehend unkritisch ist und den ganzen Prozess eher von einer rein technologischen Seite betrachtet, ganz nach dem Gedanken: nur nicht den Anschluss verlieren.

Wir wollen keine Maschinenstürmerei betreiben, aber auch keinen blinden Technikoptimismus. Technische Neuerungen im Kapitalismus tendieren dazu, in soziale Zumutungen umzuschlagen, wenn sich an den politischen Verhältnissen nichts ändert.

Aus der Möglichkeit ungeahnter Produktivitätsfortschritte, aus der Möglichkeit, weniger zu arbeiten, wird so für die einen das Versprechen, mehr zu leben, für die anderen aber auch die Drohung von Erwerbslosigkeit und Prekarisierung.

Arbeitszeitverkürzung heißt die Herausforderung, wenn der technische Fortschritt allen nützen soll. Das ist die Dialektik der Digitalisierung. Dabei sind wir wieder ganz bei Marx.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Kollege Brünler hat jetzt für die einbringende Fraktion die zweite Rederunde eröffnet. Als Nächster spricht für die CDU-Fraktion Herr Kollege Ittershagen.

Sehr geehrter Herr Landtagspräsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Thema der aktuellen Debatte: 200 Jahre Karl Marx. Gute Arbeit hat Mehrwert. Für ein sozial gerechtes Sachsen. – Na ja, liebe Frau Schaper, selber darauf gekommen, oder wie seid Ihr zu dem Thema gekommen?

(Susanne Schaper, DIE LINKE: So wie Ihr!)

Gut, machen wir heute einmal etwas zu Karl Marx – anlässlich des 200. Geburtstages vielleicht ein kleiner Rahmen.