Kein Staat kann sich in Europa vor dieser Frage drücken, deshalb brauchen wir eine Diskussion zu diesem Thema. Der Bürger hat ein Recht darauf, Antworten zu finden. Der Antrag der einreichenden Fraktion hat dafür keine Lösung.
(Beifall bei der CDU – Lachen des Abg. Gunter Wild, fraktionslos – André Barth, AfD, steht erneut am Mikrofon.)
Herr Schiemann, ich bin begeistert von dem, was Sie hier an Europapolitik vorgetragen haben. Grenzsicherung, Regulierung der Einwanderung – dies alles sind Forderungen, die wir auch unterstützen.
Aber, Herr Schiemann, Sie haben es nicht verstanden: Ihre Partei in Deutschland auf Bundesebene – nicht Sie auf Landesebene –, die SPD, die FDP und die GRÜNEN spielen uns seit Monaten einen Koalitionspoker vor. Hauptfrage war zunächst einmal: Bekommt die CSU eine Obergrenze? 200 000 ist ausgehandelt worden, und damit wurde vor der Bundestagswahl Frieden gemacht. Wir haben mittlerweile einen aktuellen Kompromiss in den Koalitionsgesprächen zwischen CDU und SPD: 200 000 plus 1 000 Familiennachzügler plus 1 000 Härtefälle.
Die Politik, die Sie hier aber vorstellen und die uns in Deutschland verkauft wird, wird durch das, was Ihre Abgeordneten in Europa tun – das Prinzip der Ersteinreise in die Europäische Union und damit die DublinVerordnung völlig zu entkernen –, ausgehöhlt. Deshalb ist Ihr politischer Ansatz, den Sie uns gerade vorgestellt haben, hochgradig unehrlich, Herr Schiemann, das muss ich Ihnen ganz deutlich sagen. Denn die wirkliche Asylpolitik wird in Europa gemacht, und worauf sich die Zuständigkeiten beziehen, die wir in Sachsen im Rahmen des Asylrechts haben, wissen Sie sehr gut, das muss ich Ihnen nicht erklären.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir haben einen Antrag der AfD-Fraktion vorliegen, die ihre Position zur Dublin-Verordnung dargelegt hat. Ich habe versucht, im Namen der CDU-Landtagsfraktion deutlich zu machen, dass wir uns sehr bewusst und schon sehr lange für eine Reform der Dublin-Verordnung eingesetzt haben, und ich denke, es ist in diesem Hohen Hause unstrittig, dass sie in der Realität nicht funktioniert hat.
Dies haben wir bereits 2015 hier besprochen, und wir sind froh, dass endlich eine Reaktion erfolgt ist: 2016 mit einem Reformvorschlag der Kommission und im Dezember 2017 durch die Diskussion, die im Europäischen Parlament stattgefunden hat. Ich gehe davon aus, dass es Fortschritte gibt. Realitätsnah muss es aber eine Entscheidung geben, die tatsächlich funktioniert und umgesetzt werden wird. Ich glaube, dass wir damit auch dem Anspruch der Wähler nahegekommen sind in der Frage: Wir müssen darüber eine Diskussion führen. Dies habe ich versucht darzulegen, und ich gehe nicht davon aus, dass ich Sie als Einreicher belogen habe.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute erleben wir – das durften wir jetzt beobachten – ein übliches Spiel: Die AfD versucht, die CDU vor sich herzutreiben, übernimmt Positionen, die Positionen vermischen sich. Tun Sie das. Das soll nicht unser Business als LINKE sein.
Was uns inhaltlich etwas angeht, ist der EU-Parlamentsvorschlag zur Reform der Dublin-Regelung. Die AfD – das haben wir gehört – und ich würde behaupten, auch die CDU wollen eine progressive Neuregelung verhindern. Dabei wissen wir alle – und ich stimme darin durchaus mit Ihnen überein, Herr Schiemann –, dass Dublin gescheitert ist. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.
Dublin funktioniert nicht und verursacht sinnlose Bürokratie zulasten von Menschen, und Dublin ist unsolidarisch.
Wir als LINKE stehen für eine offene Europäische Union – das ist kein Geheimnis –, einen Staatenverbund, der seiner humanitären Pflicht zur Aufnahme von schutzbedürftigen Menschen nachkommt, der flächendeckend gute Aufnahmebedingungen, rechtsstaatliche Verfahren und Freizügigkeit für alle garantiert. An dieser Stelle weise ich noch einmal darauf hin – das haben wir hier schon öfter dargelegt –: Der reiche Staatenverbund Europäische Union nimmt einen Bruchteil von Geflüchteten auf. Die meisten Geflüchteten stranden in den Anrainerstaaten von krisengeschüttelten Staaten, zum Beispiel Syrien. Das können Sie sich auch statistisch noch einmal anschauen.
Die europäische Realität sieht anders aus, als wir uns das als LINKE vorstellen, um nicht zu sagen: katastrophal. Abschottung nach außen ist die Devise, und innerhalb der EU gibt es gerade in Sachen Flüchtlingsaufnahme keinen gemeinsamen Nenner. Es ist wahrscheinlich hier Konsens, dies zu konstatieren. Es sind wenige Staaten – dazu gehört auch Deutschland, klar –, die die Hauptverantwortung tragen. Deshalb hoffen wir auf eine progressive Neuregelung des Asylsystems in Europa. Dazu gehört im Kern auch die Dublin-Verordnung.
Interessant ist es tatsächlich, wenn zwischen nationalen und europäischen Vertreterinnen und Vertretern der ehemaligen und der kommenden Großen Koalition Gräben auftreten, wie im Fall der Dublin-Verordnung, deren Reform im Europaparlament auch Konservative sowie Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
Angesichts dessen lässt sich doch auf eine fortschreitende Europäisierung von Entscheidungen hoffen, die nationale Egoismen in den Hintergrund treten lässt. Wenn wir über die europäische Flüchtlingspolitik, über Asylpolitik sprechen, dann müssen wir über mehr als über die hier thematisierte Dublin-Verordnung sprechen. Wir müssen über das gesamte gemeinsame europäische Asylsystem sprechen.
Im Frühjahr 2016 hat die Kommission grundlegende Änderungen nicht nur an Dublin, sondern auch an den bisherigen Richtlinien zur Aufnahme, Qualifikation, zu Verfahren usw. usf. vorgenommen. Das Tableau dazu ist riesengroß, zu groß, um es hier aufzuzeichnen. Im Grunde geht es aber darum, Menschen fernzuhalten, Asylverfahren in überlastete und undemokratische Drittstaaten zu verlagern, die sogenannte Sekundärmigration in der EU restriktiv zu unterbinden und das Recht auf ein faires Asylverfahren auszuhöhlen.
Die Leidtragenden – dies sei hier noch einmal betont – sind Menschen, Menschen, die an den Außengrenzen scheitern oder gar sterben. Über 3 000 Menschen ertranken im vergangenen Jahr im Mittelmeer. Das ist übrigens auch ein Grund dafür, dass diese Hatz auf Schlepper und deren Unterstützerinnen und Unterstützer einer falschen
Logik folgt. Wir brauchen sichere Einreisewege. Die Leidtragenden sind Menschen, die nach der Logik der Dublin-Verordnung in überlasteten Staaten festsitzen und innerhalb der EU hin- und hergeschickt werden, ohne – im schlimmsten Fall – Zugang zum Asylverfahren zu bekommen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der demokratischen Fraktionen! Die Reisen, die wir mit den Ausschüssen unternehmen, sollen ja auch fruchten und zur Inspiration unserer Politik beitragen, möchte man meinen. Auch Mitglieder der AfD-Fraktion waren bei der Innenausschussreise nach Italien dabei, aber scheinbar haben die dabeigewesenen AfD-Protagonisten – Sie, Herr Barth, waren zwar nicht dabei, aber Sie tauschen sich vielleicht in der Fraktion aus –
bei den verschiedenen Gesprächen, die wir dort geführt haben, einfach weggehört. Denn die dringendste Botschaft, die uns sowohl von offiziellen Vertreterinnen des italienischen Staates als auch von der Zivilgesellschaft auf den Weg gegeben wurde, war die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge innerhalb der Europäischen Union.
Und siehe da: Die Dublin-Verordnung, gegen deren progressive Veränderung sich der AfD-Antrag im Grunde genommen richtet, verhindert gerade eine bessere Verteilung.
Faktisch werden die EU-Randstaaten mit der Flüchtlingsaufnahme, deren Registrierung und der Führung der Asylverfahren alleingelassen. Wir kennen die Statistiken: Für circa 80 % der Menschen, die es betrifft, bleibt der Erstaufnahmestaat auch zuständig. Um Ihnen gleich den Wind aus den nationalistischen Segeln zu nehmen: Für Deutschland bedeutet Dublin vor allem ein Mehr an Bürokratie und ein Mehr an Antragstellerinnen und Antragstellern, und das hat nichts mir dem Jahr 2015 zu tun, als Dublin kurzzeitig für syrische Flüchtlinge außer Kraft gesetzt wurde.
Die Quote die realen Rücküberstellung von sogenannten Dublin-Flüchtlingen in Ersteintrittsstaaten liegt durchschnittlich bei unter 15 %. Im III. Quartal 2017 stimmte die Zahl von Rücküberstellungen nach Deutschland in etwa überein. Es ist doch vollkommen absurd: Da werden 3 000 Menschen zurückgeschickt und 3000 Menschen werden hierher geschickt. Das muss man sich überlegen, diese verrückte und inhumane Logik!
Im Jahr 2016 gab es dreimal so viele Überstellungen nach Deutschland wie Rücküberstellungen. Deutschland
Gleichzeitig kennen wir die Bedingungen – darauf müssen wir auch den Blick richten –, unter denen Geflüchtete in den belasteten Grenzstaaten leben müssen. Darum entschieden und entscheiden deutsche Gerichte immer wieder, dass Geflüchtete nicht nach Italien, Griechenland, Ungarn oder Bulgarien zurückgeschoben werden dürfen,
weil Ihnen dort eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, das Asylverfahren also systemische Mängel aufweise.
Zu guter Letzt wissen wir, wie gut „Sonderprogramme“ wie das Relocation-Programm funktionieren. Im Jahr 2015 wurde auf einem EU-Gipfel beschlossen, 160 000 Geflüchtete aus Italien und aus Griechenland innerhalb der EU umzuverteilen. Zwei Jahre nach Ablauf der Frist sind gerade einmal 30 % der Quote erfüllt worden.
Wir sehen es durchaus als positiv an, dass das Europäische Parlament eine weitgehende Reform der DublinVerordnung anstrebt. Wenn man die Fülle der Vorschläge betrachtet, bleiben die Antragsteller im Landtag doch sehr schmalspurig. Es kommt einem vor, als hätte vielleicht ein Mitarbeiter, eine Mitarbeiterin Ihrer Fraktion den „SPIEGEL“ gelesen oder – Sie haben es dann auch ausgeführt – die „DNN“ gelesen und gesagt: Hier müssen wir mal irgendwas aufschreiben. – So erscheint einem der Antrag. Bei allem berechtigten Anspruch, EU-Politik aus den Kommunen und auch aus den Ländern mitzugestalten: Dieser Antrag ist vollkommen überflüssig; zumal sich – das haben wir vielleicht schon gehört oder konnte man nachlesen –, AfD- und CDU-Verantwortungsträger dabei ziemlich einig sind und die Bundesregierung im Rat mit Sicherheit alles dafür tun wird, die Reform des EuropaParlaments zu kippen.
Die Berichterstatterin des Europaparlaments zu Dublin IV, Cecilia Wikström, betonte in einem Interview, dass es darum gehen müsse, eine europäische Antwort auf Problemlagen und auf die humanitäre Pflicht der Aufnahme von Geflüchteten zu finden. Dem schließen wir uns unbedingt an.
Besinnen Sie sich bitte: Es geht im Alternativvorschlag des Parlaments um einen neuen, um einen solidarischen und begrenzt an den Bedürfnissen der betroffenen Menschen orientierten Verteilschlüssel. Die Herstellung der Familieneinheit mit einem durchaus progressiven Familienbegriff, der nichts mit kulturellen Herkünften zu tun hat, wie Herr Schiemann das hier dargelegt hat, wird an dieser Stelle vehement bekämpft, weil es sich nicht um Bio-deutsche Familienmitglieder handelt. Aber dieser Vorschlag des Europaparlaments ist doch wohl das Mindeste, was in einer demokratischen, an Grund- und Menschenrechten orientierten Gesellschaft Konsens sein muss.
Wir als LINKE meinen übrigens, dass doch jeder so elaborierte Verteilschlüssel gegen den Freizügigkeitsdrang von Menschen scheitern muss. Wir meinen, dass Dublin ungerecht und unmenschlich ist. Wir meinen auch, dass die Europaparlamentsreform, so positive und wegweisende Elemente sie auch hat, an manchen Stellen in einer restriktiven Logik verharrt.
Es ist Fakt und auch verständlich, dass Menschen sich ihre Wege ungeachtet militärisch auftretender Polizeipräsenz, ungeachtet der Repressalien und ungeachtet der
Grenzkontrollen suchen. Die Menschen gehen dorthin, wo sie Angehörige haben, wo sie Freundinnen und Freunde haben, wo Sie Anker- und Anknüpfungspunkte haben. Genau das macht Menschen aus. Das ist urmenschlich.
Es gibt in diesem Sinne kaum eine Alternative als die komplette Abschaffung der Dublin-Logik zugunsten eines Free-Toys-Modells, verbunden mit einer EU-internen finanziellen Lastenausgleichsmethode, die Hauptaufnahmestaaten quasi finanziell bevorteilt, und verbunden mit der Verpflichtung – das ist wichtig für alle EU-Staaten –, menschenwürdige Aufnahmebedingungen und rechtsstaatliche Asylverfahren zu garantieren.
In diesem Sinne hoffen wir auf kluge, auf gerechte, auf solidarische, auf europäische Antworten zu den Herausforderungen unserer Zeit. Damit lehnen wir diesen Antrag selbstverständlich ab.
Sehr geehrte Frau Nagel, Ihr Vortrag war unlogisch. Sie haben auf der einen Seite darauf hingewiesen, dass es enorm wichtig sei, dass es eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in Europa geben müsse. In Ihren letzten Sätzen haben Sie ausgeführt, dass Sie keinen Verteilschlüssel haben wollen, weil Sie den natürlichen Zuzug oder Umzug – oder wie auch immer Sie das nennen wollen – dort nicht behindern wollen.