Das richtige Instrument für große Städte, wo diese Identifikationspunkte durch Lebenswirklichkeit, durch Veränderung der baulichen Strukturen, den Weg- und Zuzug von Bevölkerung, die völlig veränderte Situation von Ehrenamtsstrukturen, von der Frage sozialer Vernetzung ein Steuerungsinstrument zu geben, ist die Stadtbezirksverfassung. Das sieht man auch schon in der Rechtsregelung, nämlich ähnlich große, strukturierte Gebiete mit einer städtebaulichen Bezugsgröße. Geben Sie denen die entsprechenden Stärkungsrechte.
Wir schaffen dafür die Voraussetzungen. Jammern Sie nicht herum: Nutzen Sie das, was möglich ist! Und wir bitten noch einmal um Zustimmung, auch wenn ich weiß, dass das vergebliche Liebesmühe ist.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Kollege Hartmann, Sie waren ja eben etwas abgeschweift in die Niederungen der Dresdner Kommunalpolitik; deshalb möchte ich gern zurückkommen zu dem hier gegenständlichen Gesetzentwurf. Ich möchte noch einmal sehr deutlich machen, worin die Unterschiede zwischen der Ortschaftsverfassung und der Stadtbezirksverfassung bestehen, damit wir das noch einmal ganz klar vor Augen haben.
Mit der Ortschaftsverfassung ist es jetzt möglich und zulässig, auch in Großstädten – das hat die Rechtsaufsichtsbehörde bereits bestätigt, und das ist jetzt nicht eine LINKEN-Unterorganisation, sondern die Rechtsauf
sichtsbehörde ist ja dem Innenministerium mit ihrem geschäftsführenden Innenminister unterstellt –; sie hat ganz klar gesagt: Das ist im Augenblick zulässig.
Wollen wir noch einmal ganz klar sagen, was man mit der Ortschaftsverfassung erreichen kann: Mit der Ortschaftsverfassung werden in den einzelnen Teilen einer Stadt entsprechende Vertretungen direkt und unmittelbar von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt. Dann haben diese Vertretungen Entscheidungskompetenzen. Sie haben
Finanzmittel zur Verfügung, die sie jeweils für ihren Bereich eigenständig ausgeben können. Das macht doch gerade den Reiz aus: dass die Bürgerinnen und Bürger vor Ort ihre eigenen Mandatsträger wählen, die dann auch etwas zu entscheiden haben.
Genau das wollten wir erreichen. Das, was Sie jetzt machen – und deshalb werfen wir Ihnen das hier auch vor –, ist, dass Sie genau das verhindern und dass Sie die Bürgerinnen und Bürger hinter die Fichte führen; die veräppeln Sie. Sie sagen jetzt, liebe Bürgerinnen und Bürger – –
Nö, jetzt bin ich dran. Also, lieber Kollege Hartmann, Sie haben jetzt lange genug gesprochen; Sie können dann auch noch einmal vorgehen.
Was machen Sie jetzt? Sie führen sie hinter die Fichte, weil Sie sagen: Liebe Bürger, ihr dürft jetzt bei den Kommunalwahlen Stadtbezirksbeiräte unmittelbar wählen – das ist ein erheblicher organisatorischer und finanzieller Aufwand –, und anschließend haben diese Vertretungen nichts zu entscheiden, nichts zu sagen. Damit führen Sie sozusagen die Menschen hinter die Fichte und Sie erweisen unserer Demokratie einen Bärendienst.
Deshalb sagen wir: Das ist falsch, und wir wollen gern die Ortschaftsverfassung einführen, so wie es im Augenblick möglich ist, und wir fordern Sie auf, es zu unterlassen, dass Sie dieses Demokratieabbaugesetz ins Werk setzen. Das ist unsere zentrale Forderung, die ich hier noch einmal aufgemacht habe.
Herr Schollbach, Sie sind wirklich – ich weiß nicht, ob es intellektuell begründet ist – relativ resistent.
Ich versuche es noch einmal deutlich zu machen: Das ist kein Demokratieabbaugesetz, das ist eine Stärkung der Rechte der kommunalen Selbstverwaltung im Stadtbezirksrecht. Ich weiß, dass Sie jetzt politisch Sorge davor haben, dass Sie möglicherweise in die Lage versetzt werden als der erklärte Oppositionsführer – nein, Regierungsführer; es ist eine Frage der Perspektive – im Dresdner Stadtrat jetzt zu entscheiden, dass die Rechte – und das bitte ich Sie noch einmal zur Kenntnis zu nehmen –, die ein Stadtbezirksbeirat jetzt bekommen kann, wenn der zuständige Gemeinderat – und das wären in Dresden als Teilmenge auch Sie – Ihnen die Rechte zuordnet, und zwar in Anlehnung der Rechte des Ortschaftsrechts.
Das heißt, wenn Sie die Möglichkeiten nutzen wollen, die Sie hier aufführen, dann führen Sie doch die Leute nicht hinter die Fichte, sondern sorgen Sie dafür, dass sie die Rechte bekommen mit den finanziellen Mitteln. Dann kümmern Sie sich auch darum, dass das, was sie beschließen, ernst genommen wird! Wir eröffnen diesen Korridor. Das ist der Grund, warum der sozialdemokratische Koalitionspartner genau diesen Weg mit uns gemeinsam geht.
Ich fordere Sie noch einmal auf: Nutzen Sie diese Möglichkeiten! Machen Sie es abrechenbar und transparent! Versuchen Sie jetzt nicht, die Leute hinter die Fichte zu führen, indem Sie vorsorglich den Eindruck vermitteln, dass es nicht mehr Mitwirkungsrechte geben könne! Sie sind jetzt ganz wesentlich daran beteiligt, ob diese Rechte in Dresden Realität werden oder nicht.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es fällt mir jetzt schwer – es ist auch schwierig –, noch etwas Spannung in die Debatte zu bringen. Es ist genug Pulver verschossen worden. Teilweise waren auch Fehlzündungen dabei, Herr Schollbach.
Ich will den gesamten Prozess einmal aus meiner Sicht darstellen. Er war für mich durchaus sehr spannend, aber auch sehr erkenntnisreich. Als ehemaliger und langjähriger Bürgermeister empfand ich die Mitarbeit an der Fortentwicklung des Kommunalrechts als ganz besonderes Privileg.
Spannend war es deshalb, weil an diesem Prozess zahlreiche Abgeordnete beider Koalitionsfraktionen beteiligt waren, die nicht nur genügend fachliche Voraussetzungen mitgebracht haben, sondern auch reichlich kommunalpolitische Erfahrung: als Ortschafts-, Gemeinde-, Stadt- oder Kreisrat, aber auch als Bürgermeister. Schon aus diesem Grund, das heißt aufgrund dieser Zusammensetzung, haben sich intensive Diskussionen und sachlich-fachliche Auseinandersetzungen entwickelt. Ich möchte an dieser Stelle den in der Arbeitsgruppe Mitwirkenden für die faire, sachliche und konstruktive Zusammenarbeit herzlich Dank sagen.
Erkenntnisreich war es deshalb, weil in den vielfältigen Diskussionen über die verschiedenen Themen bzw. Änderungsvorschläge unterschiedlichste Sichtweisen
deutlich wurden, und das nicht nur unter den beteiligten Abgeordneten. Wir haben auch zahlreiche Gespräche mit Kommunalpolitikern geführt. Ich denke, das ist besonders entscheidend gewesen. Solche Gespräche suchen – das hätten einige der heutigen Redner im Vorfeld auch einmal tun sollen. Sehr schnell wurden die Spannungsfelder sichtbar – es ist schon angesprochen worden – zwischen der Absicht, die lokale Demokratie zu stärken, den Bürgerinnen und Bürgern, auch den Kindern und Jugendlichen mehr Mitwirkungsmöglichkeiten einzuräumen, und dem durchaus nachvollziehbaren Wunsch, die zentrale Rolle eines Stadt- und Gemeinderates, die Arbeitsfähigkeit und die Einheitlichkeit einer Verwaltung nicht infrage zu stellen.
Oder: Der Absicht, bürokratischen Aufwand bzw. Standards abzubauen, stehen durchaus die Kontrollrechte und -pflichten der Räte und – zu deren Unterstützung – der Rechnungsprüfer entgegen, die letztendlich einen gewissen Arbeitsaufwand bedingen, um Ergebnisse und Prozesse nachvollziehen zu können.
Während Kreis-, Stadt- und Gemeinderäte oftmals Regelungsbedarf im Kommunalrecht anmelden, um Auslegungs- oder Streitfragen vor Ort zu vermeiden, sind
Bürgermeister und Landräte sowie die Spitzenverbände eher für größtmögliche Entscheidungsspielräume im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung.
Diese beispielhaft von mir soeben genannten Konfliktfelder sind ohne intensive Gespräche, ohne Abwägung der unterschiedlichsten Perspektiven und der darauf aufbauenden Kompromisse nicht aufzulösen. Das ist in den Redebeiträgen der Koalitionsfraktionen schon deutlich geworden.
Dass es hier Konflikte gibt, wurde nicht zuletzt während der Anhörung sehr deutlich. Selten waren sich die eingeladenen Sachverständigen bei der Bewertung einzelner Punkte des Gesetzentwurfs so einig. Oft wurden einzelne Regelungen sowohl begrüßt als auch – von anderen Sachverständigen – als kritikwürdig empfunden.
Einen „großen Wurf“, wie ihn die Opposition, hauptsächlich die LINKEN, in Presseveröffentlichungen verlangt haben, hat keiner der Sachverständigen, schon gar keiner der Betroffenen, verlangt. Für mich stellt sich ohnehin die Frage, wie ein „großer Wurf“ bei diesem Thema überhaupt definiert werden soll: Macht man das am Umfang des Gesetzesvorhabens fest oder an der Lesart der Opposition bzw. an den Forderungen, die sie erhebt? In letzterem Fall wäre es denkbar, dass die Opposition hier keinen großen Wurf sieht. Wir werden deren Änderungsanträge zum Gesetzentwurf nachher ablehnen.
Die Koalition setzt mit dem Gesetzentwurf und dem dazugehörigen Änderungsantrag ihre eigenen Zielsetzungen und Prioritäten um, die ihnen im Ergebnis der Sachverständigenanhörung und der vielen Gespräche – das betone ich immer wieder – mit den Praktikern in den Kommunen wichtig sind.
Aber – mit Verlaub, Herr Kollege Lippmann – von einem „Anschlag auf die kommunale Selbstverwaltung“ zu sprechen – –
Ich korrigiere mich. „Angriff“ – gut. Auch davon hat in der Anhörung keiner der Sachverständigen gesprochen, nicht einmal im Entferntesten. Ich denke, eine solche Bezeichnung gibt der Gesetzentwurf, der uns heute vorliegt, in keiner Weise her.
Ich muss Ihnen trotzdem die Frage stellen – ich habe sie vorhin schon einmal gestellt –: Haben Sie sich überhaupt mit Kommunalpolitikern unterhalten?