Protocol of the Session on November 15, 2017

ausgeht, die geplant sind. Mehr soll normalerweise eine Anstalt nicht haben, damit eine gewisse Flexibilität besteht.

Gleichzeitig werden völlig neue Anforderungen an die Arbeit der Strafvollzugsbediensteten gestellt, und zwar durch einen gewachsenen Anteil von Gefangenen mit Migrationshintergrund – das Stichwort ist hier Sprachbarrieren – oder durch Gefangene, die aus völlig neuen Kriminalitätsphänomenen, zum Beispiel Terrorismusstraftaten, kommen und normalerweise eine ganz andere Behandlung brauchen. Außerdem haben wir geschätzte 60 bis 70 % Gefangene, die verhaltensauffällig sind, BTM-Abhängigkeit, Psychosen, Alkoholabhängigkeit

Unter der Wirkung all dessen sind die Krankenstände bei den Bediensteten stabil hoch. 34,5 Krankheitstage entfielen 2016 durchschnittlich auf jeden Strafvollzugsbediensteten. Das ist kein Wunder bei einem angehäuften Berg von 79 107 Mehrarbeits- und Überstunden im sächsischen Strafvollzug per 30.09.

Parallel häufen sich speziell in den Anstalten des Männervollzugs – Frauen sind noch relativ friedlich – Gewalttätigkeiten unter Gefangenen und zunehmend auch gegenüber Bediensteten. Wir wissen, dass gerade in einem Prozess in Zwickau der lebensgefährliche Anschlag auf einen Bediensteten verhandelt wird, und wir wissen von ähnlichen Gewalthandlungen in den letzten Wochen in der JVA in Leipzig, von Vorkommnissen in Bautzen und dergleichen mehr.

Ich denke, dass es nicht zu hoch gegriffen oder Schwarzmalerei ist, wenn wir angesichts dessen mit dem Titel unserer heutigen Debatte vor dem drohenden Kollaps des Strafvollzugs warnen. Die Situation stellt sich durchaus dramatisch dar. Das System ist, weil es seit Jahren am Limit gefahren wird, einfach nicht mehr in der Lage, die Anforderungen zu erfüllen. Es gibt einen sehr starken Einsatz und eine sehr große Flexibilität beim Personal in den Justizvollzugsanstalten, das sich in hohem Maße engagiert. Teilweise entwickeln selbst die Gefangenen Mitverantwortung und erhebliche Solidarität. Aber jetzt reicht es einfach nicht mehr. Jetzt muss etwas getan werden!

Ein weiterer Anlass für uns, diese Debatte auf die Tagesordnung zu nehmen, waren die Signale aus der CDUFraktion. Das Stichwort ist hier die Fraktionsklausur in Zeulenroda. Da ist von der Brisanz beim sächsischen Strafvollzug offensichtlich nichts angekommen. Im entsprechenden Eckpunktepapier wird der Strafvollzug nicht als Ausgabenschwerpunkt genannt, –

Die Redezeit ist zu Ende.

– sondern es wird lediglich allgemein gesagt: „Wir wollen weiter investieren.“

(Martin Modschiedler, CDU: Da steht die Justiz drin!)

Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei den LINKEN)

Die zweite Aktuelle Debatte ist eröffnet durch Herrn Bartl von der einbringenden Fraktion DIE LINKE. Jetzt spricht für die CDUFraktion Kollegin Dombois.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartl, die heutige Aktuelle Debatte mit den Worten „... Drohenden Kollaps in den Justizvollzugsanstalten abwenden!“ halten wir von der Wortwahl her für sehr unangemessen. Es wird ein wenig der Anschein vermittelt, als ob wir alle überhaupt keinen Überblick mehr hätten, was in unseren Strafvollzugsanstalten geschieht, und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihrer Arbeit nicht mehr nachkommen könnten. Ich weiß nicht, ob wir uns mit solchen Formulierungen nach außen wirklich einen Gefallen tun.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, gern.

Bitte, Kollege Bartl.

Frau Präsidentin – –

(Heiterkeit)

Frau Kollegin Dombois, ich weiß, dass Sie sehr viel in Justizvollzugsanstalten unterwegs sind und Kenntnis haben. Ist Ihnen schon untergekommen, dass das Personal sagt: Wir sind kurz vor dem Kollaps?

Ich habe mit meiner Rede gerade erst begonnen.

Ja, deshalb meine Frage. Fällt Ihnen gegenüber der Begriff „Kollaps“ aus dem Personal heraus?

(Martin Modschiedler, CDU: Erst mal zuhören!)

Das habe ich noch nie gehört, –

Okay.

– das muss ich jetzt so sagen: dass von einem Kollaps noch nie gesprochen worden ist – von Problemen schon, aber nicht von einem Kollaps. Ich halte die Wortwahl für ungünstig, und ich sage Ihnen auch, warum: Wir hatten in den Strafvollzugsanstalten einen sehr schweren Anfang. Ich denke nur daran, wie

viele Probleme es in Regis gegeben hat. Wir haben über die ganzen Jahre hinweg fraktionsübergreifend – es ist eigentlich selten der Fall, dass man sich zu einem solchen Thema miteinander findet – für Verständnis für die Justizvollzugsanstalten geworben, auch in der Öffentlichkeit. Sie wissen, wie schwer eine Standortsuche ist. Das ist wie mit dem Kindergarten: Alle wollen einen haben, aber bitte nicht vor der eigenen Haustür. Gerade über alles, was Strafgefangene betrifft, gibt es doch in der Öffentlichkeit immer eine Riesendiskussion: dass wir zu viel Soziales anbieten würden, dass wir uns viel zu sehr um die jungen Menschen, überhaupt um Strafgefangene kümmern.

Wir haben gemeinsam versucht zu vermitteln, dass dies eine Notwendigkeit sei und getan werden müsse. Wir haben dafür geworben, Personal für diese schwierigen Aufgaben zu finden. Wer will schon im Vollzug arbeiten, wenn es einen solchen Blick auf Strafvollzugsanstalten gibt? Es ist eine schwere Arbeit, aber wir brauchen dort unbedingt Fachpersonal. Wir haben dafür geworben, ehrenamtliche Kräfte zu finden, denn ohne diese – ich denke dabei an die Diakonie, Straffälligenhilfe usw. – würden wir diese Aufgaben überhaupt nicht mehr leisten können. Dessen müssen wir uns ebenfalls bewusst sein.

Was eine solche Negativdarstellung bringt, haben wir erst vor Kurzem bemerkt. Dazu muss ich einmal Ihre Kollegin Nagel ansprechen – Sie ist gerade nicht hier –, die völlig leichtfertig – sicher aus einem Irrtum heraus oder weil sie etwas verkannt hat – den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in Regis-Breitingen unterstellt hat, rechtsextreme Tendenzen aufzuweisen. Es ging um die Postkarte; ich möchte es nicht weiter ausführen. Sie hat sich dafür im Nachhinein entschuldigt. Das ist in Ordnung, aber es hat eine Riesenschlagzeile gegeben. Der Vollzug war wieder negativ im öffentlichen Fokus, und die Entschuldigung war dann ganz klein in der Presse abgedruckt.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Dafür kann Frau Nagel nichts!)

Dies hat natürlich zur Folge, dass noch heute viele Bedienstete E-Mails und andere Aussagen bekommen, was dort eigentlich für Zustände herrschen würden. Deshalb sage ich: Wir tun uns mit einer solchen Art und Weise der Diskussion keinen Gefallen.

(Beifall bei der CDU und des Abg. Harald Baumann-Hasske, SPD)

Ich bin gerade in den letzten Wochen sehr viel in den Vollzugsanstalten unterwegs gewesen, weil mich diese Situation interessiert. Wir waren mit dem Staatsminister in Regis-Breitingen und haben dort eine Suchttherapiestation eröffnet. Dazu möchte ich anmerken, dass dies eigentlich nicht die Aufgabe der Justiz ist; aber das Staatsministerium hat sich dazu entschieden, da dies gerade in Regis für die jungen Menschen wichtig ist. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dort waren so etwas von motiviert! Sie freuen sich auf diese neue Aufgabe und sagen: Das ist auch mit Blick auf die Zukunft für die

jungen Menschen, wenn sie aus dem Vollzug entlassen werden und drogenfrei sind, eine wirkliche Chance, wieder in der Gesellschaft anzukommen.

(Marco Böhme, DIE LINKE: Das bestreitet doch keiner!)

Ich war in Zeithain – fast hätte ich gesagt: eine tolle Einrichtung; aber das muss man zu einem Vollzug nicht unbedingt sagen. Aber ich sage einmal: Von der Ausrichtung und der Therapiestation her und was dort mit welcher Motivation geleistet wird, kann ich wirklich nicht feststellen, dass irgendjemand das Gefühl hat, kurz vor einem Kollaps zu stehen.

Meine Redezeit ist jetzt nur noch kurz. Ich würde gern in der zweiten Runde etwas zur Personalsituation sagen.

(Beifall bei der CDU)

Nach der CDU-Fraktion – es sprach Frau Kollegin Dombois – kommt die SPDFraktion zu Wort. Bitte, Herr Kollege Baumann-Hasske, das Pult gehört Ihnen – jedenfalls für einen gewissen Zeitraum.

Vielen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vorab: Ich bin der Linksfraktion für diese Aktuelle Stunde dankbar. Ich finde es immer gut, wenn Fragen des Strafvollzuges in diesem Hohen Hause sachlich diskutiert werden. Der Strafvollzug ist kein Thema, mit dem sich in der Öffentlichkeit Lorbeeren oder Wählerstimmen verdienen lassen, gleichwohl verdient er Aufmerksamkeit. Er ist auch kein Thema, mit dem man sich in der Öffentlichkeit profilieren oder Aufmerksamkeit für sich gewinnen könnte. Deshalb finde ich es gut, dass wir heute darüber diskutieren.

Der Titel ist allerdings etwas irreführend, sage ich einmal vorsichtig. Schon die Überschrift „Hinter Gittern?...“ mit Fragezeichen suggeriert, es sei nicht gewährleistet, dass dort Sicherheit herrscht und weggesperrt bleibt, wer eingesperrt gehört. Eines ist jedenfalls sicher: Zum Wegsperren reichen die Kapazitäten aus. Warum also bitte dieser Populismus? Denn darum darf es nicht gehen.

Unser Strafvollzugsgesetz sieht das reine Wegsperren ja überhaupt nicht vor; es formuliert den Zweck anders: „Der Vollzug dient dem Ziel, die Gefangenen zu befähigen, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen.“ – So heißt es in § 2 Abs. 1 Satz 1 Strafvollzugsgesetz. Dass dieses Ziel richtig ist, dürfte in diesem Hause niemand bezweifeln.

Das Gesetz formuliert anspruchsvolle Aufgaben für den Strafvollzug, und wenn schon im Titel der drohende Kollaps der Justizvollzugsanstalten an die Wand gemalt wird, dann ja wohl nicht deshalb, weil man die Gefangenen nicht sicher hinter Gittern verwahren könnte, sondern weil es der Feststellung bedarf, ob diesen Ansprüchen des Gesetzes mit den vorhandenen Ressourcen überhaupt Genüge getan werden kann: Wird der Vollzug seiner

Aufgabe als Resozialisierungs- und Erziehungseinrichtung gerecht, oder kann er das nicht?

Meine Damen und Herren, seit ich diesem Haus angehöre und Justizpolitischer Sprecher meiner Fraktion bin, bin ich in allen Vollzugsanstalten des Freistaates unterwegs und kann vor Ort feststellen, wie die Situation ist. Man wird feststellen müssen, dass es fast überall im Vollzug zu wenig Personal gibt.

Wir als Regierungsfraktionen hatten im letzten Haushalt 20 zusätzliche Stellen für den Vollzug eingebracht. Erkundigt man sich danach, welche Wirkung dies hatte, muss man erfahren, dass es bisher im laufenden Jahr nicht genug ausgebildete AVZ-Mitarbeiter gab, um diese Stellen zu besetzen. Einige Anstalten haben sich mit Tarifkräften beholfen, die aber keine Dauerlösung sein können. Das bedeutet, dass die Kapazitäten der Schule in Bobritzsch zur Ausbildung von Beamten im allgemeinen Vollzugsdienst erweitert werden sollen. Die zweijährige Ausbildung sollte geeignet sein, den zukünftigen Bedarf zu decken.

Es ist aber nicht zu verkennen, dass der Personalabbau im Strafvollzug in den vergangenen Jahren bei gleichzeitiger Verabschiedung anspruchsvoller Ziele im Strafvollzugsgesetz dazu geführt hat, dass viele Strafanstalten diesen ihren Aufgaben nicht mehr im geforderten Umfang nachkommen können. Dazu reichen die 20 zusätzlichen Stellen nicht aus, selbst wenn wir sie besetzen könnten. Hinzu tritt der Umstand, dass wir in Sachsen steigende Gefangenenzahlen haben. Das hat etwas mit der veränderten Bevölkerungsentwicklung zu tun, aber auch mit der Tatsache, dass viele Menschen neu nach Sachsen gekommen sind. Es hat mit dem zunehmenden Drogenproblem zu tun. Sachsen ist ein Brennpunkt für Drogenmissbrauch durch Crystal.

Meine Damen und Herren! Wer in den vergangenen Wochen die Presse verfolgt hat, konnte lesen, dass Justizminister Gemkow im Jugendgefängnis in RegisBreitingen eine neue Suchttherapiestation eröffnet hat. Frau Dombois ist schon darauf eingegangen.

Nach den guten Erfahrungen im Strafvollzug in Zeithain haben auch jugendliche Strafgefangene die Möglichkeit, im besonderen Gewaltverhältnis des Strafvollzuges eine Suchttherapie durchzuführen, wenn sie das wollen. Ich finde das sehr sinnvoll im Sinne des Ziels des Strafvollzuges. Im Jugendstrafvollzug kommt zum Gedanken der Resozialisierung in verstärktem Maße noch das Erziehungsziel hinzu, also die Nachholung einer fehlenden Sozialisierung. Suchtvermeidung und das Erlernen der Vermeidung von Drogen ist ein wichtiges Ziel von Erziehung.

Meine Damen und Herren! Es gibt auch Kritiker, die der Auffassung sind – –