Protocol of the Session on August 31, 2017

(Staatsminister Martin Dulig: Sie leben in einer Parallelwelt!)

Ihre Politik ist nicht die Lösung, sondern das Problem, Herr Dulig.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Staatsminister Martin Dulig: Sie leben in einer Parallelwelt! Sie waren noch nie in einem Unternehmen!)

Herr Wendt sprach gerade für die AfD-Fraktion. Die Rederunde wird jetzt abgeschlossen durch Frau Kollegin Zais, Fraktion GRÜNE.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ja, die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief und die Löhne steigen. Trotzdem fühlen viele Menschen eine Gerechtigkeitslücke. Herr Kollege Krauß, wir kommen beide aus dem Erzgebirge. Ich bin dort geboren, Sie leben dort heute noch und möchten dort ein Bundestagsmandat erreichen.

Es lohnt sich natürlich, gerade beim Erzgebirge etwas tiefer hinzuschauen und sich das, was Sie jetzt in rosigen Farben gezeichnet haben, etwas genauer anzuschauen.

Es stimmt auch, wir haben im Erzgebirge eine sinkende Arbeitslosenquote. Wir sind dort jetzt unter 6 %. Man muss sich aber auch anschauen, woher sozusagen dieser Abschwung gekommen ist. Viele sind tatsächlich in Rente gegangen und es gibt auch steigende Löhne, aber immer noch arbeitet jeder Dritte, nämlich 33,7 %, im Erzgebirge im Niedriglohnsektor. Das hat natürlich Auswirkungen zum Beispiel auf die Perspektive, auf die Zukunft des Erzgebirges als Wirtschaftsstandort.

Wenn wir uns den negativen Wanderungssaldo zum Beispiel bei den 25-Jährigen und Jüngeren anschauen, dann ist wirklich festzustellen, dass das Erzgebirge kein attraktiver Standort ist. Gute Wirtschaftspolitik würde bedeuten, deutlich mehr für das Erzgebirge zu tun, als Sie es im Moment tun.

Zwischen Plauen und Görlitz – auch das muss man grundsätzlich feststellen, wenn man sich die Zahlen anschaut – verdienen die Menschen immer noch deutlich weniger als im Bundesdurchschnitt. Trotz einer positiven Entwicklung bei den Gehältern – die Zahlen sind zum Teil genannt worden – mit einer Steigerung um 4,1 % im Jahr 2015 und um 3,8 % im Jahr 2016 verbleibt eine deutliche Einkommenslücke zum Bundesdurchschnitt, wenn man Sachsen damit vergleicht.

Um es ein wenig konkret zu machen und um mir nicht nur das Ranking innerhalb der Bundesländer anzuschauen, habe ich mir einmal den Beruf der Altenpflegerin herausgegriffen. Während eine sächsische Altenpflegerin ein durchschnittliches Bruttogehalt von 1 949 Euro im Monat hat, geht ihre Berufskollegin im Bundesdurchschnitt mit 2 557 Euro nach Hause, ein beträchtlicher Unterschied. Selbst bei Akademikern beträgt die Lücke bei den Einstiegsgehältern im Vergleich zwischen Sachsen und zum Beispiel Hessen oder Baden-Württemberg 30 %. Wer angesichts dessen von einem zukunftsfesten, attraktiven Wirtschaftsstandort Sachsen spricht, der hat, sage ich, die

Zeichen der Zeit mit Blick auf das Thema Fachkräfte nicht verstanden.

Auch wenn die Löhne derzeit steigen, passiert das in Sachsen vor dem Hintergrund eines vergleichsweise niedrigen Ausgangslohnniveaus. Dazu muss man sagen: Ja, es ist so, wer weit hinten liegt, hat natürlich auch beste Chancen aufzusteigen. Nach wie vor liegen wir im bundesweiten Vergleich der Nettoeinkommen privater Haushalte – das ist das, was die Menschen letztlich im Geldbeutel und zum Leben haben, Kollege Krauß – an vorletzter Stelle. Das muss man sich anschauen.

Ob das ein Grund ist, sich selbst zu bejubeln – das haben wir schon gehört –, wage ich gleichfalls zu bezweifeln.

Nach Berechnungen der Gewerkschaften sind die Löhne für Geringqualifizierte durch den Mindestlohn gestiegen. Das ist klar. Sachsen hat sehr davon profitiert. Es gab Branchen, zum Beispiel Handel, Gastronomie und Dienstleistungen, in denen es sich wirklich positiv ausgewirkt hat. Mit Blick auf Ihren Debattentitel muss man aber natürlich sagen, dass es bei Weitem nicht ausreicht, um ein Leben ohne Angst vor sozialem Abstieg zu führen.

Nach den aktuellen Zahlen des Mikrozensus zur Armutsgefährdung in Deutschland, die gestern bzw. vorgestern auch veröffentlicht wurden, sind in Sachsen 17,7 % der Bevölkerung armutsgefährdet. Auch das gehört zur Wahrheit, die Sie hier verschweigen.

(Staatsminister Martin Dulig: Massiver Rückgang!)

Nach den soziodemografischen Merkmalen sind davon 22 % nicht erwerbsfähige Kinder und Jugendliche. Fast die Hälfte der Armutsgefährdeten, nämlich 47,4 %, findet sich in Alleinerziehungsfamilien. Das ist nach unserer Auffassung ein Skandal. Diese weiter wachsende Schere zwischen Arm und Reich straft die derzeitige „Wohlfühlplakataktion“ der CDU Lügen. Die Gruppe der Alleinerziehenden arbeitet zudem oft in Teilzeit und zu geringen Löhnen, und Armut trifft die Kinder am meisten. Von wirklicher Chancengerechtigkeit ist Sachsen nach wie vor weit entfernt. Diese Familien und die Kinder endlich zu unterstützen, ihnen den Rücken zu stärken, das wäre eine gute und gerechte Sozialpolitik. Leider wird es das – und das ist unsere Überzeugung –, mit der CDU nicht geben.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Mit Frau Zais, Fraktion GRÜNE, sind wir am Ende der ersten Runde und eröffnen die nächste. Für die einbringende Fraktion ergreift erneut Herr Kollege Krauß das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte vorhin die Arbeitslosenzahlen von Sachsen genannt: 6,5 %. Vor wenigen Minuten hat die Bundesagentur für Arbeit die neuen Zahlen vorgestellt. Die Arbeitslosenquote ist weiter gesunken. Wir haben in diesem Land jetzt eine Arbeitslo

senquote von 6,4 %, das sind 3 800 Menschen weniger. Es ist heute also wieder ein guter Tag für Sachsen, weil weniger Menschen in Arbeitslosigkeit und mehr Menschen in Arbeit sind.

(Beifall bei der CDU)

Die Regionaldirektion hat begründet, warum die Zahl der Arbeitslosen gesunken ist. Sie sagt, die Einstellungsbereitschaft der Wirtschaft sei gestiegen. Das ist ein gutes Zeichen. In Richtung AfD: Natürlich gibt es auch eine demografische Komponente bei der Arbeitslosenzahl. Aber wir hatten noch nie so viele sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse und Jobs wie heute. Das kann man sich anschauen. Was Sie für ein Bild gemalt haben, hatte ich bislang nur von den LINKEN gehört.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das haben wir gerade gehört, auf welchem Sektor!)

Ich kann Ihnen nur raten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der AfD: Gehen Sie bitte zu Unternehmern und sprechen Sie mit denen, wie es auf dem Arbeitsmarkt aussieht. Die werden Ihnen durchgängig sagen: Wir suchen Arbeitskräfte, wir haben Bedarf. Wir würden die Leute gern einstellen. Wie soll ich das jetzt weiter ausführen, was Sie erzählt haben, Herr Kollege Wendt?

(Gunter Wild, AfD: Sie blenden die Realität aus! – Zuruf des Abg. Carsten Hütter, AfD)

Da ist wenig Realität vorhanden; das ist ein wenig traurig.

Zu den GRÜNEN. Ich bin dankbar, dass Frau Kollegin Zais auf das Erzgebirge eingegangen ist. Wenn ich mit den Menschen dort spreche, dann sagen sie, dass sie auch weiterhin gern im Erzgebirge leben möchten, dass sie Jobmöglichkeiten und weit mehr Ausbildungsplätze als Bewerber haben. Aber es gibt auch noch Hemmnisse, zum Beispiel, dass anständige Straßen fehlen. Die Menschen möchten schnell zur Arbeit kommen, und die Fabriken brauchen Lkws, die ebenfalls auf gute Straßen angewiesen sind. Bei jedem neuen Straßenprojekt kann man verfolgen, dass die GRÜNEN Steine in den Weg legen und alles zu verhindern versuchen. Auch noch die letzte Kröte soll dazu gebracht werden, dass sie dort im Spaziergang die Straße überqueren kann. Das ist eine Blockadepolitik der GRÜNEN.

(Beifall bei der CDU)

Sie sind eine reine Großstadtpartei. Ihnen geht es nicht um die Wirtschaft, Ihnen geht es nicht um die Menschen. Für Sie ist jede Kröte wichtiger als ein Arbeitnehmer oder ein Kind.

(Frank Heidan, CDU: Das haben wir gestern bei der Debatte gesehen!)

Sie wollen doch gar nicht, dass die Menschen in Arbeit kommen.

Zum Thema Armutsgefährdung. Ich lese Ihnen vor, was gestern eine überregionale Tageszeitung im Wirtschaftsteil berichtet hat: „In Deutschland ist die Gefahr, nicht genug zu verdienen, um sich ein normales Leben leisten zu können, zuletzt in vielen Landesteilen zurückgegangen. Vor allem der Osten holt auf. In den neuen Ländern ist die Armutsgefährdungsquote im vergangenen Jahr deutlich gesunken.“ Das ist etwas, was wir spüren.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Ich möchte zum Begriff Armut ergänzen: Der ist bei uns relativ, Herr Kollege Wendt. Es kommen aus dem Ausland Menschen nicht nur zu uns, weil sie politisch verfolgt sind, sondern auch, weil sie wissen: Wenn man politisch verfolgt ist, hat man hier ein soziales Niveau, von dem man ganz gut leben kann. Zu sagen, dass sie herkommen und dann hier verarmen, ist vollkommener Unsinn. Wir haben die Sozialleistungen genau dafür, egal ob für Deutsche oder für Ausländer. Die sind gleich hoch, damit niemand in Armut rutscht. Deswegen haben wir auch geschaut, was jemand als Hartz-IV-Empfänger bekommt:. Er bekommt so viel wie der untere Teil der Bevölkerung – die unteren 20 %, die jeden Tag früh aufstehen und arbeiten gehen. Und dann sagt man, das Gleiche solle ein Hartz-IV-Empfänger bekommen. Ist das nun arm oder reich? Es sorgt dafür, dass niemand vollkommen durch das Netz fällt. Das ist richtig so. Das muss die Aufgabe des sozialen Sicherungssystems sein.

(Zurufe von den LINKEN)

Ja, Sie können das gern vergleichen, Herr Kollege, was Sie zu Ostzeiten – – Schauen Sie sich an, wie das Lebensniveau dort war. Da müssen Sie sich nicht lange darüber – – Da war jeder Facharbeiter ein armer Kerl nach unserer heutigen Definition.

Zu den Kindern, die mit Hartz IV leben. Wir haben bereits gesagt, dass es einen deutlichen Rückgang bei den Zahlen gibt – zum Glück, denn die Eltern sind in Arbeit gekommen. Es betrifft gegenwärtig 76 000 Kinder. Ich möchte daran erinnern, dass es die LINKEN zutiefst ärgert, dass diese Zahl sinkt, weil das Weltbild zusammenbricht. Obwohl Sie wussten oder wissen könnten, dass es bei uns 76 000 Kinder gibt, die im Hartz-IV-Bezug sind, haben Sie vor nicht einmal einem halben Jahr Plakate geklebt, auf denen geschrieben stand, es gebe 150 000 Kinder.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Ich erkläre Ihnen das dann noch einmal! – Zurufe der Abg. Marco Böhme und Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Das war eine reine Lüge, die Sie verbreitet haben. Freuen Sie sich doch einfach, dass die Zahl der Hartz-IVEmpfänger sinkt, dass mehr Menschen in Arbeit sind, dass es diesen Menschen gut geht! Denn das ist wirklich gut für unser Land.

(Beifall bei der CDU – Zuruf von der AfD)

Das war die einbringende CDU-Fraktion; Alexander Krauß sprach für sie. Jetzt

kommt die einbringende SPD-Fraktion. Für sie spricht Frau Kollegin Pfeil-Zabel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, wir haben über das Thema Kinderarmut in den letzten Jahren schon sehr oft und auch sehr ausführlich diskutiert. Immer wieder stellen wir dasselbe fest: Kinderarmut hat unglaublich viele Facetten. Eine Facette ist für mich immer ganz entscheidend, nämlich das Gefühl oder die Tatsache der sozialen Ausgrenzung, die durch Kinderarmut auch für die Kinder erfolgt.

Schauen wir uns das ganz praktisch an. Wie oft haben wir es schon erlebt, noch in der Schule oder bei uns in den Wahlkreisen, wenn uns Kinder widerspiegeln: Ich trau mich nicht zu sagen, dass ich mit meinen Freunden nicht ins Kino gehen kann; ich habe dafür kein Geld. Ich traue mich nicht zu sagen, dass ich nicht mit auf Klassenfahrt fahren kann; meine Eltern schaffen das einfach nicht. Ich habe ein Schamgefühl, jemanden nach Hause einzuladen, weil meine Eltern den ganzen Tag vielleicht zu Hause sind, die Wohnung nicht schön ist, man kein Geld hat, sich schön einzurichten. Das ist für mich eine Folge von Kinderarmut, die ich ganz furchtbar finde. Denn die Probleme der Eltern spiegeln sich bei den Kindern wider.

Wir haben in so vielen Statistiken in den letzten Jahren gelesen, dass auch die Frage des Bildungsabschlusses sehr massiv davon abhängt, wie das Elternhaus aufgestellt ist. Ich stelle mir jedes Mal die Frage: Ja, gute Löhne sind der Schlüssel dafür, dass Kinder aufsteigen können, aber was können wir dafür tun, dass Kinder mehr Teilhabe unabhängig vom Elternhaus erleben? Ich glaube, an der Stelle müssen wir genauso ansetzen wie an der Frage Tarifbindung, gute Löhne usw.

(Beifall bei der SPD)

Ich denke, wir haben hier einige Stellschrauben, an denen wir drehen können. Wir haben zum Beispiel in den letzten Jahren den Kita-Schlüssel abgesenkt. Ich glaube, keiner von uns konnte sich zu Hause im Wahlkreis der Debatte entziehen, dass auch die Elterngebühren dadurch gestiegen sind. Das ist nun einmal so. Da trifft es nicht diejenigen, die den Betrag erstattet bekommen. Es trifft auch nicht diejenigen, die es nicht interessiert, ob sie 4 Euro mehr im Monat zahlen. Aber es trifft diejenigen, die gerade so über die Runden kommen und für die 4 Euro im Monat sehr viel bedeuten. Es trifft vor allem die Alleinerziehenden, die teilweise 40 Stunden in der Woche arbeiten und kaum die Zeit haben, ihr Kind noch zum Sportverein oder wohin auch immer zu fahren. Die trifft es an diesen Stellen. Ich glaube, da müssen wir sehr wohl immer ganz gut aufpassen, welche Entscheidungen wir auch hier treffen und wie sie sich auswirken.

Zum Thema ÖPNV. Das ist etwas, bei dem wir sehr viel bewirken können. Ich komme aus dem ländlichen Raum. Bei mir fährt in der Woche ein Bus früh zur Schule und einer wieder zurück. Es gibt genug Eltern, die keine Zeit haben, weil sie 40 Stunden arbeiten oder gar kein Auto

haben, die keine Möglichkeit haben, ihr Kind am Nachmittag noch zum Sportverein, zur Jugendfeuerwehr oder wohin auch immer zu fahren. Die Jugendverbandsarbeit ist in den letzten Jahren in unseren ländlichen Räumen massiv geschrumpft. Ich denke, auch das ist etwas, bei dem wir definitiv viel Nachholbedarf und nach wie vor noch viel vor uns haben.