Protocol of the Session on June 22, 2017

gewünscht. Für die CDU spricht jetzt Herr Kollege Kiesewetter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe überlegt, wie ich mich dem Debattentitel „Integrationsgipfel – Selbstaufgabe einer erfolgreichen Nation“ nähere. Ich glaube, das Beste ist, das mit Sachlichkeit und Fakten zu tun. Ich denke, da liege ich nicht ganz verkehrt.

Zuerst ganz kurz ein Blick in die Historie. Der Integrationsgipfel ist eine jährliche Konferenz, die seit mehr als zehn Jahren, nämlich seit 2006, im Kanzleramt stattfindet, und zwar mit Vertretern aus Politik, Medien, Migrantenverbänden, Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften,

Sportverbänden. Das Ziel ist, Probleme der Einwanderung und der Integrationspolitik in intensiven Diskussionen zu behandeln. Dazu gibt es natürlich jährlich wechselnde Themenschwerpunkte.

Der Auslöser für diese Konferenzserie waren Ergebnisse der PISA-Studien, aus denen damals die politische Einsicht erwachsen ist, dass es notwendig ist, Zuwanderer besser in Deutschland zu integrieren.

Natürlich gab es Kontroversen rund um den Integrationsgipfel und auch Vorwürfe, dass das Showveranstaltungen seien. Aber wenn man Integration so denken will, dass es keine Einbahnstraße ist, dass sich von zwei Seiten aufeinander zubewegt werden muss, dass eine gelingende Integration die Voraussetzung für den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und zum Erhalt unseres Wohlstandes ist und dass Integrationsprozesse das Engagement von beiden Seiten und das Aufeinanderzugehen verlangen und dass wir uns in einem generationsübergreifenden Prozess und einer ebensolchen Aufgabe befinden, –

(Sebastian Wippel, AfD, steht am Saalmikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, ich würde gern weiter ausführen.

dann müssen wir natürlich Gesprächsformate entwickeln, die dazu beitragen, Lösungsansätze zu finden. Man muss sich an einen Tisch setzen.

In diesem Zusammenhang kann von Selbstaufgabe keine Rede sein. Gerade durch solche Gesprächsformate steuern und managen wir Integrationsthemen, ob im Bund oder in den Ländern.

Wenn das Impulspapier im Vorlauf des 9. Integrationsgipfels gerade angesprochen wurde, so heißt es nicht automatisch, dass alle darin stehenden Forderungen – so streitbar sie unter Umständen sein mögen – automatisch gleich Gesetzeskraft erlangen.

Wie werden wir als deutsche Nation wahrgenommen? Als ein starkes und attraktives Land mit einer robusten Wirtschaftskraft, mit hohen rechtsstaatlichen, sozialen und ökologischen Standards, mit einer freiheitlichen und toleranten Gesellschaft. Gerade deshalb kommen natürlich so viele zu uns, egal ob als Flüchtlinge, als Asylbewerber, als Arbeitsmigranten oder als Freizügigkeitsberechtigte, um nur ein paar zu nennen. Das ehrt uns, schafft natürlich aber auch neue Herausforderungen. Diesen haben wir uns gestellt, diesen stellen wir uns auch zukünftig, ob im Bund oder im Land. Das machen die Entwicklungen in den letzten beiden Jahren deutlich. Wir haben eine Vielzahl von neuen gesetzlichen Vorschriften auf der Ebene des Bundes. Als Beispiele nenne ich das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, mehrere Asylpakete und ein Integrationsgesetz, das einmalig in der deutschen Geschichte ist.

Wir haben mit diesem Gesetz den zentralen Leitsatz des Forderns und Förderns auch für Flüchtlinge rechtlich verbindlich gemacht. Man beachte dabei die Stellung der Worte Fordern und Fördern. Das ist in diesem Kontext wichtig und betrifft den Begriff der Bringschuld. Integration ist ein Angebot, aber auch eine Verpflichtung zu eigenen Anstrengungen. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit müssen wir lernen und Parallelgesellschaften verhindern. All das findet Berücksichtigung in den entsprechenden Vorschriften.

Auch auf der Ebene des Freistaates Sachsen waren wir nicht untätig. Die vergangenen zwei Jahre können sich sehen lassen mit all dem, was auf den Weg gebracht worden ist: ganze Maßnahmenpakete, Handlungskonzepte, zahlreiche Richtlinien, die über den Bereich unserer Staatsministerin für Gleichstellung und Integration forciert wurden.

Ich denke dabei konkret an die Richtlinie Soziale Betreuung, die Flüchtlingssozialarbeit ermöglicht, und wir haben die Richtlinie Integrative Maßnahmen, die ein eigenes Landessprachenprogramm beinhaltet. Wir haben den Bereich der Arbeitsmarktmentoren, und erstmals ist es so, dass die Richtlinien überzeichnet sind. Dies zeigt, wie sehr sich auch Vereine, Verbände und die Zivilgesellschaft bei diesem Thema engagieren, und ich denke, an dieser Stelle ist es wichtig und sachgerecht, all jenen, die sich in der letzten Zeit positiv für diese Themen engagiert haben, einen herzlichen Dank auszusprechen.

(Beifall bei der CDU, der SPD und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Es ist viel geworden, aber natürlich ist noch nicht alles perfekt.

Die Redezeit, Herr Kollege!

Wir sind in einem kontinuierlichen Fortschreibungsprozess. Es wird ein neues Zuwanderungsintegrationskonzept in Sachsen geben. Wir werden auch weiterhin auf allen Ebenen im Gespräch bleiben,

und wir wollen bei dieser Aufgabe den Blick nach vorn richten und nicht nach hinten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Kollege Kiesewetter sprach für die CDU. Nun spricht für DIE LINKE Frau Nagel.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es wurde viel sinniert, was die Aktuelle Debatte heute mit sich bringt, und überlegt: Schlagen Sie vielleicht einen Integrationsgipfel für Sachsen vor und haben übersehen, dass es seit zwei Jahren die Verbändeversammlung gibt?

(Lachen der Abg. Karin Wilke, AfD)

Geht es um den Bundesintegrationsgipfel? Dazu komme ich gleich. Dass uns nun hier aber purer Geschichtsrevisionismus präsentiert und demonstriert wird, wie der Mangel an politischer Bildung ausgehen kann, ist natürlich traurig.

(Beifall bei den LINKEN, der SPD und des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

Aber ich will dort ansetzen, wo mein Vorredner ebenfalls begonnen hat: am Bundesintegrationsgipfel. Darüber kann man viel diskutieren. Ich möchte vor allem bei der Kritik an dieser Institution ansetzen; denn zu Recht äußern immer wieder jene, um die es dabei eigentlich geht – die Migrantinnen und Migranten bzw. viele Migrantenorganisationen –, dass dort viel geredet wird, aber eigentlich nichts passiert. Herr Spangenberg, dabei beziehe ich mich auf Sie: Beim letzten Integrationsgipfel wurde die Neuformulierung eines Staatszieles vorgeschlagen. „Die Bundesrepublik ist ein vielfältiges Einwanderungsland“ – Zitat –: „Sie fördert die gleichberechtigte Teilhabe und Chancengerechtigkeit und die Integration aller Menschen.“

(Carsten Hütter, AfD: Ein Staatsziel! – Zuruf des Abg. André Barth, AfD)

Damit wären alle staatlichen Ebenen der Erfüllung dieses Staatszieles unterworfen, und klar, diese Forderung tut nicht nur der AfD weh, sondern sicher auch anderen Akteuren und Akteurinnen in diesem Hohen Hause. Dies sei dahingestellt. Die Forderungen werden artikuliert, und sie verpuffen regelmäßig.

Wenn man sich anschaut, was integrationspolitisch in der Bundesrepublik passiert – ich beziehe mich dabei nicht auf Sachsen; die Gesetzgebungskompetenz liegt vor allem auch auf Bundesebene –, dann ist das einfach nicht viel. Das Integrationsgesetz des Bundes aus dem vergangenen Jahr bezieht sich ausschließlich auf Geflüchtete und trägt eine Handschrift, die repressiv-restriktiv ist; ich erinnere an die Wohnsitzauflage, an 1,05-Euro-Jobs für Geflüchtete oder andere Mechanismen, die dort vorgesehen sind. Die Hürden für die Einbürgerung sind weiterhin sehr

hoch. Von der interkulturellen Öffnung sind wir vielerorts meilenweit entfernt, und die CDU führt schon wieder eine Debatte, die doppelte Staatsbürgerschaft über Bord zu werfen.

(André Barth, AfD: Richtig, richtig!)

Der Integrationsgipfel und die Integrationspolitik der Bundesrepublik führen nicht zur Selbstaufgabe der Nation. Das ist totaler Unfug. Sie sind Rohrkrepierer, würde ich sagen, und verharren in einer Logik überbordender Bringschuldansprüche an neu Zugewanderte und in der Logik exklusiver Zuwanderung für wirtschaftliche Leistungsträger und Leistungsträgerinnen.

(André Barth, AfD: Fahren Sie mal nach Polen, Frau Nagel, und sehen Sie sich das dort an!)

Was wir stattdessen brauchen, ist eine Logik der Öffnung, eine Politik, die die Realität globaler Migrations- und Wanderungsbewegungen anerkennt. Wir brauchen – ich zitiere hierzu den Bürgermeister von Palermo – „das Menschenrecht auf Freizügigkeit und die Staatsbürgerschaft des Wohnortes“. Niemand darf von Teilhabe ausgeschlossen werden, weil er oder sie woanders geboren ist und in ein neues Staatsgebiet einwandert. Kurz kann man auch sagen: „Kein Mensch ist illegal“, so wie es uns in Palermo zugeworfen wurde.

Wenn wir endlich diesen Weg beschreiten würden, könnte dies tatsächlich den Untergang der Nation bedeuten – einer Nation, wie Sie sie denken. Wir haben es ja gehört: Deutsche Tugend, deutscher Fleiß – Sie haben es aufgezählt – bedeuten immer auch Ausschluss und Diskriminierung von Menschen, die nicht zu Ihrer Volksgemeinschaft gehören. Was ist denn das für ein Gedankenkonstrukt?

(Zuruf des Abg. André Barth, AfD – Gegenruf der Abg. Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE)

Wenn wir endlich einen anderen Weg beschreiten, müssen wir genau diese deutschen Tugenden über Bord werfen. Wozu brauchen wir die denn? Wir müssen auch die Realität über Bord werfen, die tödliche Grenzzäune bedeutet und dass Menschen vielleicht noch erschossen werden, wenn sie die Grenze überschreiten wollen – wie Sie es vorgeschlagen haben.

(Beifall bei den LINKEN)

Wir müssen den Paradigmenwechsel vollziehen und vor allem zu einer Idee kommen, die ein inklusives „Wir, die hier leben“ meint und nicht nur jene, die hier geboren sind.

(André Barth, AfD: Wir wollen aber auch keinen Einheitsbrei, Frau Nagel!)

Ich möchte das zum Schluss an einem Punkt festmachen, der uns alle betrifft. In einigen Wochen sind Wahlen, und auch davon werden wieder 4,5 Millionen volljährige Menschen, Migrantinnen und Migranten, ausgeschlossen werden, Menschen, denen immer wieder vorgeworfen wird, dass sie sich hier nicht demokratisch verhalten, sich unterzuordnen hätten und dass sie eine Parallelgesell

schaft entwickeln würden. Sie werden von demokratischen Prozessen systematisch ausgeschlossen, obwohl die politischen Entscheidungen sie selbst betreffen. Darüber müssen wir sprechen. Wir müssen darüber sprechen, wie wir unsere Gesellschaft gestalten und den Menschen hier Teilhabe, auch politische, zukommen lassen können.

Die Redezeit ist zu Ende, Frau Nagel.

Wir brauchen Ihre Vorstellungen von Nation nicht.

(Beifall bei den LINKEN)

Die Redezeit ist zu Ende!

Wir wollen Ihre Vorstellungen von Nation offensiv über Bord werfen.

Vielen Dank.