Protocol of the Session on June 22, 2017

(Christian Piwarz, CDU: Oh!)

Sie nicht, das ist mir völlig klar. – Das belegt ein weiteres schlechtes Beispiel einer Demokratie à la Sachsen.

(Christian Piwarz, CDU: So kurz vor der Sommerpause!)

Ja, ja, das müssen Sie sich schon noch sagen lassen, Herr Dr. Jaeckel. – Ganz anders in Sachsen-Anhalt. Die dortige Staatskanzlei hat am 15. Juni 2017 – noch einmal zur Klärung: wir sind dort nicht in der Regierung, sondern Sie – eine erste Positionierung zum Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas, das unmittelbar mit den Vorhaben des Weißbuches im Zusammenhang steht, vorgelegt, und sogar – man höre und staune! – eine inhaltliche Bewertung aus der Sicht der beteiligten Ressorts abgegeben. Es geht offenkundig schon, dass sich Landesregierungen zum Weißbuch und seinen Inhalten mit eigener – auch bewertender – Position äußern. Aber man muss es natürlich wollen.

So läuft die Position der Staatsregierung darauf hinaus, sich – jedenfalls dem Landtag gegenüber – im Wesentlichen aus der Debatte um die Zukunft der EU herauszuhalten: Wir sind ja nicht direkt gemeint, das macht ja der Bund. – Alles Mögliche an Debatten und Kommunikation mit EU-Bezug wird dann als hinreichende regionale Beteiligung an der EU-Zukunftsdebatte vorgeführt. Wenigstens würde man aber, nachdem man zunächst mit Verweis auf Finanzen eine eigene Initiative zu Konsultationen mit der Europäischen Kommission in Sachsen verwirft, noch einmal darüber nachdenken und feststellen – ich zitiere –: „Sollte eine Anfrage der Kommission an die Staatsregierung herangetragen werden, erfolgt selbstverständlich eine erneute Prüfung.“ – Was in Richtung Kommission zu einem wohlmeinend offenen Selbstverständnis führt, ist offenbar beim Antrag von gewählten Vertreterinnen und Vertretern der Bürgerinnen und Bürger in Sachsen völlig machbar.

So ist Europa nicht zu machen, meine Damen und Herren, deshalb brauchen wir für die Zukunft eine umfangreiche Debatte und eine willige Staatsregierung. Darauf würde ich mich sehr freuen, Herr Staatsminister. Wir stimmen dem Antrag der Kolleginnen und Kollegen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN)

Auf Herrn Kollegen Stange folgt nun Herr Kollege Baumann-Hasske.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Mit diesem Antrag nehmen die GRÜNEN den Faden auf, der sich aus dem Weißbuch der EU-Kommission ergibt. Das ist im Grundsatz zu begrüßen. Ich begrüße auch ausdrücklich, dass wir heute eine Debatte über Europa führen können.

Allerdings eröffnet der Antrag eigentlich nicht die Debatte über die Zukunft Europas, wie die EU-Kommission das mit dem Weißbuch meint, sondern er möchte die Staatsregierung auffordern, dafür eine Vorlage zu liefern. Einzelnen Punkten des Beschlussantrages lassen sich dann doch einige Passagen entnehmen, die eine Vorstellung der

Entwicklung Europas vermitteln können, jedoch ohne erkennbaren Bezug zum Weißbuch. Wir halten diese Herangehensweise für widersprüchlich und werden den Antrag deshalb ablehnen.

Aber im Einzelnen zu den Punkten. Im Feststellungsantrag wird in den Ziffern VI und VII das geschlossene Vorangehen aller Mitgliedsstaaten beschworen. Dieses Ziel erscheint auch uns wünschenswert, allerdings lassen die unterschiedlichen Debatten und Haltungen der Mitgliedsstaaten in Bezug auf den Kanon der Grundwerte der Europäischen Union, insbesondere auf Migration und Asylrecht, den Verdacht aufkommen, dass ein einheitliches, gemeinsames Vorgehen künftig nicht zustande kommen könnte.

In diesem Bereich ist aber ein Fortschritt in der Zusammenarbeit unabdingbar. Eine einseitige Belastung einzelner Staaten ohne jedweden Ausgleich durch andere, die sich nicht beteiligen, ist der Bevölkerung nicht zu vermitteln. Es wird weiterhin Migration geben und es bedarf einer gemeinsamen Reform der Dublin-Abkommen. Wer das nicht will, muss sich gefallen lassen, dass diejenigen vorangehen, die sich einigen wollen und müssen. Das bedeutet nicht, dass andere sich dem dann nicht auch wieder anschließen können. Dafür muss der Prozess natürlich offen sein.

Die bisherigen Beispiele der verstärkten Zusammenarbeit – Schengen, der Euro oder die Europäische Staatsanwaltschaft, wenn sie denn kommt – zeigen, dass verstärkte Zusammenarbeit möglich ist und erfolgreich sein kann. Wo die verstärkte Zusammenarbeit an Grenzen stößt, muss sich die EU in ihrer integrativen Kraft beweisen. Dabei scheint uns das bisher bevorzugte gemeinsame Vorgehen eher zu den befürchteten Fliehkräften beizutragen, als dies eine verstärkte Zusammenarbeit tun würde. Denn wenn jeder Mitgliedsstaat überall Vetorecht hat, macht er davon offensichtlich neuerdings auch bevorzugt Gebrauch. Aber das müsste man im Einzelnen diskutieren.

Meine Damen und Herren! Gegen eine Stärkung des Europäischen Parlaments wird kein Demokrat ernsthafte Einwände erheben. Unsere Partei fordert seit vielen Jahren ein Gesetzesinitiativrecht des Parlaments. Ein Parlament, das die Gesetze nicht selbst auch einbringen darf, die es beschließt, ist eines Teils seiner Funktion beraubt. Ob gerade dieses Initiativrecht die Schwelle darstellt, an der sich festmacht, ob die EU eigenstaatliche Souveränität entfaltet oder nicht, wie die Staatsregierung dies in ihrer Stellungnahme ausgeführt hat, das ist eine Diskussion, denke ich, für das europarechtliche Seminar.

Schon das Initiativrecht der Kommission könnte eine solche Grenze überschritten haben. Die bloße Existenz eines vom Volk gewählten, die Kommission bestätigenden Parlaments trägt Züge der Eigenstaatlichkeit. Im Rahmen der gültigen Verträge wäre – wie die Staatsregierung zutreffend festhält – das Gesetzesinitiativrecht des Parlaments nicht möglich. Doch wird der Brexit wohl ohnehin

Anpassungen notwendig machen, in deren Rahmen auch solche Möglichkeiten eröffnet werden könnten.

Ob die Teilnahme an europäischen Bürgerinitiativen oder gar an den Wahlen des Europäischen Parlaments bereits ab einem Alter von 16 Jahren möglich sein sollte, bedarf zumindest der weiteren Diskussion. Wir befürworten das für die Wahlen auf kommunaler, auf Landes- und möglicherweise auch auf Bundesebene. Ob es auf der europäischen Ebene auch so sein sollte, die ja von der tatsächlichen Funktion her und in der medialen Darstellung sehr weit vom Erleben im Alltag der Bürgerinnen und Bürger entfernt ist, das bedarf einer vertieften Beratung. Darüber sind wir uns nicht so ganz im Klaren. Wir würden es nicht ohne Weiteres unterstützen.

Den Zugang zur europäischen Bürgerinitiative insgesamt zu erleichtern wäre wünschenswert, weil dadurch die Partizipation der Europäerinnen und Europäer am Geschehen der europäischen Politik gestärkt werden würde. Wohlgemerkt: Das ist keine Form von direkter Volksgesetzgebung, sondern es ist lediglich eine Initiative, mit der die Kommission dann umgehen muss. Da kann man auch mit niedrigeren Hürden ohne Weiteres herangehen.

Zur Möglichkeit der Anhörung im Europäischen Parlament zu Subsidiaritätsfragen hat sich die Staatsregierung in ihrer Stellungnahme bereits geäußert. Sie sind bereits möglich.

Meine Damen und Herren! Die Staatsregierung hat bereits ausgeführt, welche Veranstaltungen des Bürgerdialogs in diesem Jahr durchgeführt wurden. Ich gehe davon aus, dass diese Aktivitäten fortgesetzt werden.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Das war unser Herr Kollege Baumann-Hasske, SPD-Fraktion. Für die AfDFraktion spricht jetzt Herr Kollege Barth.

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrter Herr Staatsminister! Der Antrag der Grünen enthält – das will ich gern zugeben – sehr viel Wohlklingendes. Es ist unter anderem die Rede von Menschenwürde, Freiheit und Demokratie als Werte der EU,

(Zuruf des Abg. Valentin Lippmann, GRÜNE)

die es entschieden zu verteidigen und für die Zukunft zu gestalten gelte.

Aber, meine Damen und Herren, stellen wir uns doch einfach mal die Frage: Wie sieht es denn in Wahrheit mit der Demokratie in Europa aus? Ist das EU-Parlament tatsächlich demokratisch gewählt?

(Sebastian Wippel, AfD: Nein!)

Nein, das ist es nicht. Denn andernfalls müsste es in allen EU-Ländern nach den gleichen Regeln gewählt werden, und jeder Abgeordnete müsste ungefähr die gleiche Anzahl von Wählerstimmen gewinnen, um in das EU

Parlament einzuziehen. Meine Damen und Herren, das ist gerade nicht der Fall.

Die GRÜNEN gehen auf diesen elementaren Schwachpunkt des EU-Parlaments mit ihrem Antrag mit keiner Silbe ein. Immerhin benennen sie aber eine weitere Hauptschwäche des EU-Parlaments – das haben auch andere Redner bereits getan –: Es besteht kein Gesetzgebungsinitiativrecht. Der Antrag fordert, die Staatsregierung möge sich diesbezüglich bei der Bundesregierung für eine Änderung einsetzen.

In der Tat: Ein Parlament, das sich nur mit Gesetzentwürfen befassen darf, die ihm von dritter Seite vorgelegt werden, selbst aber kein Initiativrecht hat, ist eigentlich gar kein Parlament. Der elementare Grundsatz jeder Demokratie, dass alle Staatsgewalt vom Volk ausgeht, wird somit auf den Kopf gestellt, meine Damen und Herren. Keine Gleichwertigkeit der Wählerstimmen – das sage ich nur als Stichwort.

Vollends absurd wird aber der Gedanke, die EU habe etwas mit Demokratie zu tun, wenn wir auf die Legitimation der übrigen EU-Institutionen schauen. Ich stelle kurz drei Fragen bezüglich der Europäischen Kommission: Werden die EU-Kommissare vom Volk gewählt?

(Uwe Wurlitzer, AfD: Nein!)

Werden die EU-Kommissare vom Parlament vorgeschlagen?

(Nein! von der AfD)

Gibt es irgendeine demokratische Legitimation dieser Institutionen?

(Zurufe von der CDU und der SPD)

Nein, es gibt sie nicht. Liebe Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN, wenn man bei diesen Fakten ernsthaft behauptet, die EU stünde für Werte der Demokratie, dann bleibt mir das schleierhaft.

(Martin Modschiedler, CDU: Europarecht haben Sie abgewählt, Herr Barth! – Heiterkeit bei der CDU)

Wenn Sie etwas sagen wollen, dann kommen Sie nach vorn, Herrn Modschiedler.

(Martin Modschiedler, CDU: Ich komme heute nicht vor!)

Okay, kein Problem.

(Heiterkeit bei der CDU)

Dabei habe ich aber die Bevormundung der demokratisch gewählten Regierungen, die wir derzeit in der Europäischen Union erleben, noch mit keinem einzigen Wort erwähnt, meine Damen und Herren.

Nach meiner Überzeugung und die meiner Fraktion sind es gerade diese Demokratiedefizite und das Empfinden, dass die EU letztendlich um demokratische Errungen

schaft gebracht worden ist, welche die Briten im vergangenen Jahr zum Brexit-Votum bewegt haben.

(Zuruf von den LINKEN)

Das sage ich doch gar nicht! Ich stelle nur fest, dass es so war.