Protocol of the Session on April 11, 2017

Ich glaube, allein das zu lesen, würde sich schon lohnen, und es würde einiges von diesem Rundumschlag – da ist auch einiges, werte Frau Dr. Muster, durcheinandergebracht worden – bei Ihnen relativieren bzw. vereinfachen.

Wir Juristen sagen: „Der Blick ins Gesetzbuch erleichtert die Rechtsfindung.“ Nun haben Sie ins Gesetzbuch geschaut, aber dazu gibt es für die Verfassung eine ganze Menge an Rechtsprechung. Diese sollte man zurate ziehen.

Ich möchte hier nur einige zitieren: die Urteile des Sächsischen Verfassungsgerichts vom 23. April 2008 und vom 29. August 2008 und auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, eine sehr fein ausformulierte Entscheidung, die dann selbst mehrfach vom Bundesverfassungsgericht wieder zitiert worden ist, abgedruckt in den Nummern 110 und 199 der „Neuen Verwaltungszeitschrift“ 2004, in 1105 ff. – das ist die Entscheidung vom 30. März 2004 –, und ich darf noch auf die Entscheidung vom 7. April 2006 verweisen, die in der „Neuen Verwaltungszeitschrift“ 2009 in 1353 ff. abgehandelt wurde.

Wem diese mehrere Dutzend Seiten umfassende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu lang ist, dem empfehle ich, die Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages von 2006 zu lesen. Darin geht es sehr ausführlich um den Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Ich darf, um die Zeit nicht überzustrapazieren, aus der Zusammenfassung ausführen: „Der Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung ist grundsätzlich nicht ausforschbarer Initiativ-, Beratungs- und Handlungsbereich der Exekutive. Dazu gehört die Willensbildung der Regierung selbst, die sich vornehmlich in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollzieht.“

Jetzt kommt es: „Es existiert jedoch kein absoluter Kernbereich der Exekutive wie auch kein allumfassender Informationsanspruch des Parlaments. Die Frage, ob die Herausgabe von Informationen... die Funktionsfähigkeit und die Eigenverantwortung der Regierung beeinträchtigt, kann nicht pauschal beantwortet werden. Eine mögliche Beeinträchtigung lässt sich nur unter Berücksichtigung des Einzelfalls feststellen. Bei abgeschlossenen Vorgängen muss eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Schutz der funktionsnotwendigen freien und offenen Willensbildung innerhalb der Regierung und dem parlamentarischen Informationsinteresse stattfinden.“

Meine Damen und Herren von der AfD, Sie verfolgen mit Ihrem Antrag aber genau die generelle Herausgabe von Kabinettsbeschlüssen. Sie meinen, mit der Einschränkung auf Beschlüsse keinen Eingriff in die Selbstbefassung der Exekutive vorzunehmen. Das ist falsch. Beschlüsse sind erstens sehr vielfältiger Art – ich will das hier nicht weiter ausführen –, und zweitens gilt unter Heranziehung der Entscheidung, dass auch bei abgeschlossenen Vorgängen eine fallbezogene Abwägung vorzunehmen ist. Das Kontrollrecht, unser Kontrollinteresse, ja, auch unsere

parlamentarische Kontrollpflicht beinhalten eben kein solches absolutes Recht der Legislative gegenüber der Exekutive, sondern jeweils die Einzelfallabwägung.

Mit dem Blick auf das Informationsinteresse der Opposition darf auch nochmals auf die Instrumente der Kleinen Anfragen, der Befragung der Staatsregierung bis hin zu den Untersuchungsausschüssen verwiesen werden. Frau Kollegin Dr. Muster, Sie haben selbst darauf verwiesen, dass die Exekutive im Rahmen ihrer exekutiven Selbstverantwortung als Kabinett die Öffentlichkeit in gebotenem, sinnvollem Maße informiert. Nicht zuletzt darf ich dazu auf die Kabinettspressekonferenzen verweisen.

Die Interpretationen der sächsischen Verfassungsnorm, wie Sie sie hier vorgenommen haben, sind meines Erachtens höchst oberflächlich, wenn man die gängige Rechtsprechung dazu betrachtet. Insofern kann Ihr Antrag nur abgelehnt werden.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Auf Herrn Kollegen Kirmes, er sprach für die CDU-Fraktion, folgt nun Herr Kollege Bartl.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das Anliegen des Antrages im Allgemeinen, die Arbeit des Kabinetts für den Landtag transparenter zu gestalten, ist für uns ohne Weiteres nachvollziehbar. Wie Sie aber Ihr Vorhaben angehen, meine sehr verehrten Damen und Herren von der AfDFraktion, ist im Denkansatz doch etwas zu schlicht.

(Heiterkeit bei der CDU)

Sie wollen faktisch die Staatsregierung qua Beschluss des Landtags dazu verpflichten, gefasste Beschlüsse der Kabinettssitzungen – wenn auch ohne Begründung – zeitnah nach Genehmigung der Kabinettsprotokolle allen Landtagsabgeordneten zugänglich zu machen. Das begründen Sie wörtlich unter anderem mit folgender Aussage: „Zu einer effektiven Kontrolle der Staatsregierung durch den Landtag gehört, dass Letzterer weiß, was Erstere überhaupt tut.“ Und dann: „Die Arbeit einer jeden Regierung manifestiert sich in ihren Sitzungen und Beschlüssen.“ – Nun hoffe ich erst einmal sehr, dass das Selbstverständnis der Regierung in Sachsen etwas weiter geht.

(Heiterkeit bei der CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das glaubst du!)

Aber einmal abgesehen davon: So einfach ist es mit der Gewaltenteilung tatsächlich nicht. Schon im Antragstenor verweisen Sie selbst darauf – auch Kollege Kirmes hat darauf aufmerksam gemacht –, dass die Materie unmittelbar in den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung hineinspielt. Selbiger ist grundsätzlich nach der gesicherten Rechtsprechung der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit dieser Republik, nach allen einschlägigen Kommentierungen ein grundsätzlich nicht aus

forschbarer Initiativ-, Beratungs- und Entscheidungsbereich der Exekutive. Das mag uns nicht passen, aber so ist es. So ist die glasklare Rechtsprechung.

Damit sind jegliche Akte der Willensbildung durch die Regierung selbst sowohl hinsichtlich der Erörterung im Kabinett als auch in der Vorbereitung des Kabinetts zu Ressortentscheidungen, die sich vornehmlich auch in ressortübergreifenden und -internen Abstimmungsprozessen vollziehen, der parlamentarischen Kontrolle im Grundsätzlichen entzogen. Das ist die ganz klare Rechtslage.

Wie praktisch gehandhabt und wiederum parlamentarisch kontrolliert werden soll, dass jegliche Kabinettsprotokolle nach deren Genehmigung der Regierung selbst dahin gehend geprüft werden, ob bezogen auf das Einzelprotokoll weder Gründe des Datenschutzes noch die Nähe zum Kernbereich der Regierungstätigkeit der Überlassung an die Landtagsabgeordneten entgegenstehen, so wie Sie sich das vorstellen und wie es im Tenor heißt, ist uns einfach unerfindlich, wie das gehen soll.

Ich gebe zu, dass wir momentan zu wenige konkrete Vorstellungen haben, wie das alltägliche Kabinettsprotokoll daherkommt, also wie es aussieht respektive inhaltlich und formell angelegt ist. Da Sie, meine sehr geehrten Damen und Herren der AfD, viele Mitglieder in Ihren Reihen haben, die sich früher durch besondere Nähe und ausgeprägte Affinität zu regierungstragenden Parteien, wie etwa zur sächsischen CDU, auszeichneten,

(Martin Modschiedler, CDU: Hört, hört! – Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

mögen Sie näher dran sein – ein Vorsprung, den wir Ihnen gönnen. Aber dann sollten Sie ihn im Alltag auch nicht verleugnen und er sollte ausgesprochen werden.

Aber weiter zur Sache! Nach Artikel 50 der Sächsischen Verfassung hat die Staatsregierung dem Landtag rechtzeitig die Information über ihre Tätigkeit zukommen zu lassen, soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Parlaments erforderlich ist. „Diese“, wie es der Sächsische Verfassungsgerichtshof in einer früheren Auslegungsentscheidung zu Artikel 50 der Verfassung formulierte, „gouvernementale Unterrichtungspflicht“ – so hat er es geschrieben – „stellt eine spezielle Ausprägung des parlamentarischen Interpellationsrechts dar.“ Das ist die Entscheidung von 2008, auf die Kollege Kirmes ebenfalls bereits Bezug genommen hat.

Artikel 50 der Sächsischen Verfassung rückt die Pflicht der Staatsregierung, den Abgeordneten – Zitat – „die zur Ausübung ihres Mandats erforderlichen Informationen zu verschaffen, in den Vordergrund. Umfang und Zeitpunkt der Informationspflicht sind daher aufgabendefiniert.“ Das ist von der Rechtsprechung her dauerhaft fest definiert.

Von Verfassungs wegen ist die Staatsregierung gehalten, den Landtag über staatsleitende Regierungsentscheidungen von grundsätzlicher Bedeutung und ihnen zugrunde liegende Erwägungen zu unterrichten. Ob Artikel 50 der

Verfassung so extensiv ausgelegt werden kann, dass die Staatsregierung grundsätzlich die Vorlage jedes Kabinettsprotokolls schuldet, darf zumindest arg bezweifelt werden.

Was unseres Erachtens aber mit Sicherheit nicht geht, ist die verbindliche Aufforderung zur zeitnahen Überlassung aller Kabinettsprotokolle an alle Landtagsabgeordneten auf dem Beschlusswege, wie Sie das heute angehen. Ein Landtagbeschluss reicht als verpflichtende Rechtsgrundlage nun wahrlich nicht aus.

Das, was Sie hier mit der Vorgabe aufrufen, die Arbeit der Staatsregierung für alle Mitglieder des Landtags transparenter zu gestalten, haben verschiedene Oppositionsfraktionen in den vergangenen 25 Jahren schon mehrfach auf wesentlich soliderer Grundlage als Sie versucht, nämlich stets über einen entsprechenden Gesetzentwurf. Kollege Kirmes hat ein kurzes Privatissimum gegeben, wann dies begann.

(Heiterkeit bei der CDU)

Die SPD-Fraktion – um das einmal hinzuzufügen – hat 2003 einen Gesetzentwurf zur Unterrichtung des Landtags durch die Staatsregierung eingebracht, der sich sehr intensiv mit den Fragen der Kontrolle der Regierung befasste, und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Oktober 2014, also in dieser Legislaturperiode, den Gesetzentwurf zur Stärkung der Informations- und Beteiligungsrechte des Sächsischen Landtags, Drucksa

che 6/136, ebenfalls ganz klar auf die Transparenz der Regierungsarbeit ausgerichtet.

Fast zeitgleich, im Dezember 2014, hat unsere Fraktion ein Gesetz zur Verbesserung der Informationsbeziehungen zwischen dem Sächsischen Landtag und der Staatsregierung, insbesondere bei Angelegenheiten der Europäischen Union, vorgelegt, auch auf dasselbe Anliegen gerichtet. Die beiden letztgenannten Gesetzentwürfe wurden in zweiter Beratung in der 10. Sitzung des Sächsischen Landtags dieser Legislatur am 10. Juni 2015 behandelt und abgelehnt.

Im Übrigen hat die AfD-Fraktion beiden Gesetzentwürfen nicht zugestimmt.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ach, guck‘ an!)

Beiden Gesetzentwürfen haben sie nicht zugestimmt.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das haben sie nicht verstanden!)

In Ihrer Rede zum Entwurf der GRÜNEN zitieren Sie, verehrte Frau Kollegin Dr. Muster, einen Sachverständigen der Expertenanhörung, Prof. Degenhart, mit den Worten: „Die bestehenden Normen des Freistaates sind ausreichend und sie haben sich bewährt.“

(Heiterkeit bei den LINKEN, der CDU und den GRÜNEN – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Im Übrigen werfen Sie dann den GRÜNEN mit Ihrer Gesetzesinitiative vor, „das austarierte Gleichgewicht zwischen Legislative und Exekutive in wesentlichen Punkten zulasten der Exekutive zu verschieben“.

(Oh-Rufe von den LINKEN und der SPD – Martin Modschiedler, CDU: Sehr gut! – Beifall bei den LINKEN, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Wörtlich in Richtung GRÜNE: „Sie greifen ohne Not in das System der Gewaltenteilung ein. Sie berühren damit den Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung. Ich empfehle die Lektüre des Klassikers von Montesquieu ‚Vom Geist der Gesetze‘.“ – Originalton Frau Dr. Muster vor eineinhalb Jahren.

(Beifall und Heiterkeit bei den LINKEN, der CDU, der SPD und den GRÜNEN)

Nun kommen Sie, meine Damen und Herren von der AfD-Fraktion, in gewohnter populistischer Manier daher und meinen, so einfach im Vorbeigehen im Beschlussweg rechtlich festgefügte Welten korrigieren zu können. Das kann einfach nicht ernst gemeint sein.

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Ihrem Antragsanliegen kann man nicht zustimmen, weil schon der gewählte Weg im Minimum parlaments- und verfassungsrechtlich notleidend ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei den LINKEN und den GRÜNEN sowie vereinzelt bei der CDU und der SPD)

Nach Herrn Kollegen Bartl, Fraktion DIE LINKE, folgt jetzt Kollege Homann für die SPD.

(Unruhe im Saal)

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich könnte es mir jetzt leicht machen und sagen, ich hätte meinen Vorrednern nichts hinzuzufügen.