Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich glaube, es ist wichtig, dass Europa von den Bürgern empfunden werden muss. Wir müssen uns auch den Fehlentwicklungen stellen, nicht den Populisten das Wort reden. Darum geht es nicht. Aber wir müssen Antworten auf die Fragen der Bürger finden. Wir dürfen den Populisten nicht das Spielfeld überlassen. Damit Europa ein Europa der Bürger bleibt, brauchen wir diese Korrekturen.
Europa darf sich nicht vom Empfinden der Menschen entfernen. Frau Dr. Charlotte Knobloch hat bei ihrem Besuch in Bautzen in der Schule in Gesundbrunnen Folgendes gesagt: „Ihr werdet Verantwortung übernehmen für eine friedliche Entwicklung in Europa.“
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Mit der EU verbindet sich die Vorstellung, dass eine friedliche, reformerische, evolutionäre Entwicklung der menschlichen Gesellschaft demokratisch auch oberhalb der nationalen Ebene mög
Aber bleiben wir nüchtern. Wir hören immer wieder die Frage, ob Europa nicht doch gescheitert sei. Und wenn man sich anschaut, wie vielfältig und komplex dies ist, wie bürokratisch, wie oft tatsächlich Mittel verschwendet werden, auch in der Europäischen Union, dann kann einem schon unwohl werden. Wenn man bedenkt, wie viele unterschiedliche Kulturen sich unter dem gemeinsamen Dach zusammenfinden, wundert einen die Komplexität schon weniger.
Frau Dr. Petry hat vorhin das demokratische Defizit Europas angesprochen. Das wird immer wieder angemahnt. Natürlich gibt es im Europäischen Parlament Abgeordnete, die für deutlich weniger Wählerinnen und Wähler stehen, als das bei anderen der Fall ist. Bei kleinen Ländern ist der Schlüssel sehr viel günstiger für die Wählerinnen und Wähler als in großen Ländern. Das ist natürlich der Struktur einer übernationalen, internationalen Organisation geschuldet. Wenn man davon weg will, wenn man das abschaffen will, wenn man das demokratische Defizit beseitigen will, wenn man ein Initiativrecht für das Europäische Parlament will, dann will man mehr Europa und nicht weniger. Wir müssen uns darüber klar sein, dass diese Forderung dazu führt, dass Europa stärker demokratisch integriert wird und einen stärkeren staatlichen Charakter bekommt, als wir ihn heute haben. Wer diese Forderung aufstellt, muss dann auch konsequent sein.
(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN und den GRÜNEN – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das haben Sie nicht verstanden, Frau Petry! – Dr. Frauke Petry, AfD: Sie verstehen nur sehr einseitig!)
Ich glaube, der Brexit ist ein empfindlicher Rückschlag für das Projekt Europa, und zwar einfach schon deswegen, weil damit erkennbar wird, dass man aus der Europäischen Union auch austreten kann. Das könnte in der Tat Schule machen. Es gibt auch andere Staaten in Europa, die sich möglicherweise mit den Werten Europas nicht mehr so ganz identifizieren wollen.
Aber zugleich ist der Brexit auch eine Entlastung für die Europäische Union. Denn Großbritannien hat immer Ausnahmen gefordert, hat immer einen Sonderstatus gehabt, hat sich nicht der Europäischen Grundrechtecharta unterworfen, hat eine eigene Agrarpolitik gemacht, hat bessere finanzielle Verhandlungen geführt als andere Mitgliedsstaaten. Es wird deutlich, dass diese Ausnahmesituation für die Europäische Union nicht zuträglich war.
Warten wir die Verhandlungen über den Brexit ab. Ob er tatsächlich für Europa gefährlich wird, muss man abwarten.
Meine Damen und Herren! Was ist mit dem erwachenden Nationalismus? Vor uns stehen Wahlen, bei denen mit antieuropäischen Argumenten Wahlkampf gemacht wird, heute in den Niederlanden, in den nächsten Wochen in Frankreich.
Machen wir uns nichts vor: Nationalismus war, wenn auch in verdeckter Form, immer da. Nationalstaaten haben die Europäische Union gegründet. Sie kam ja nicht von irgendwo aus dem außerirdischen Bereich, sondern von Nationalstaaten in Europa, die gerade mit dem Nationalismus ihre Erfahrungen gemacht hatten. Niemand von den großen Vorkämpfern der europäischen Integration hat sie gegen das eigene Verfassungsrecht oder die Staatlichkeit seines Herkunftslandes vorangetrieben. Die EU ist, wie sie ist, weil dies im Interesse der Mitgliedsstaaten liegt. Die EU ist weniger das Ergebnis von zu viel Enthusiasmus oder Begeisterung, sie ist vielmehr das pragmatische Ergebnis von Schlussfolgerungen aus den großen Katastrophen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und der Erkenntnis, wie man diesen Zusammenhängen durch praktisches Handeln etwas entgegensetzen könnte.
Warum sollte eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik nicht im nationalen Interesse der Mitgliedstaaten sein? Haben wir nicht international gemeinsam mehr Gewicht? Warum sollte eine gemeinsame Entwicklungspolitik der EU nicht im nationalen Interesse der Mitgliedsstaaten sein, wenn sie es ermöglicht, dass Menschen in ihren Herkunftsstaaten ein vernünftiges Leben führen? Warum sollte eine gemeinsame europäische Einwanderungspolitik nach Europa nicht im Interesse der Mitgliedsstaaten liegen, die so dringend Einwanderung benötigen?
Wenn sich also Rechtsnationale gegen die Europäische Union, gegen den Euro, gegen offene Grenzen und gegen freien Handel in der EU wenden, dann einzig aus dem Machtkalkül heraus, dass man mit der Angst vor dem Anderen und dem Fremden mal wieder auf Stimmenfang gehen kann.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Da muss man sich erst einmal erholen – nicht von Ihnen, Herr Baumann-Hasske, sondern von Ihrem Vorredner. Kollege Schiemann rutscht irgendwann auf sich selber aus.
Entschuldigung, 60 Jahre Römische Verträge sind natürlich Anlass zum Innehalten und zum Nachdenken. Aber, Kollege Schiemann, der Ausgangspunkt waren die Nationalstaaten. Ihren richtigen Satz haben Sie hinterher nachgeschoben. Die Zukunft werden nur die Regionen in Europa sein. Betrachten Sie es bitte so herum. Nicht der Nationalstaat wird uns retten. Der Nationalstaat und die nationalstaatlichen Eigeninteressen haben uns dahin geführt, wo wir mit Europa heute sind. Das ist das Problem.
Frau Petry, halten Sie einmal inne. Nicht den Euro zu schaffen und ihn einzuführen war falsch, sondern die ökonomischen Ungleichgewichte nicht zu regulieren. Diese sind frei entstanden. Der Exportüberschuss in dieser gigantischen Höhe war nur durch den Euro möglich.
Das sollte man wissen. Mit Ihrem Klippschulvolkswirtschaftsverständnis kommen Sie hier nicht weiter.
Ein nächster Punkt: Wenn Sie sich hier gemeinschaftlich darüber aufregen, dass viel in Europa, in Brüssel entschieden wird, dann halten Sie einmal inne. Erinnern Sie sich daran, was wir manchmal im Europaausschuss versuchen. Ein Stichwort ist hier Multilevel Governance, Mehrebenengestaltungssystem. Herr Schiemann, machen Sie doch einmal mit im Europaausschuss und bremsen Sie nicht immer nur! Dann könnten wir tatsächlich eine Region sein, in der wir als Parlament aktiv in Europa mitgestalten.
„Zeigen Sie nicht nach Europa!“ Was ist denn das Zeigen nach Europa? Multilevel Governance – manchmal kommen die Buchstaben durcheinander – ist doch nicht gestern vom Himmel gefallen.
Das gibt es schon länger. Machen Sie dabei mit, dann gelingt es uns tatsächlich, hier im Landtag Europapolitik zu machen! Ich kann das nicht mehr hören.