Protocol of the Session on February 1, 2017

In diesen Entscheidungen, die heute für uns hinsichtlich einer Veränderung des Gesetzes in § 34 anstehen, haben Sie wiederum Hürden eingebaut; meine Kollegin Friedel hat es gerade dargelegt: Es gibt Leistungsfeststellungen,

es gibt Gespräche am Gymnasium, obwohl weder die Eltern noch die Schüler die Vertreter des Gymnasiums jemals vorher gesehen haben, und die Fristen – wir haben gehört, in der Anhörung hat es daran starke Kritik gegeben – sind sehr eng. Sie bauen Hürden ein, um an das Gymnasium zu kommen, um die Eltern und Schüler abzuschrecken und Eltern davor zurückzuhalten, ihr Kind ans Gymnasium zu geben.

Aber das eigentliche Problem möchte ich jetzt beschreiben. Die Entscheidung, für Schüler in der vierten Klasse den weiteren Bildungsweg festzuschreiben, fällt viel zu früh, sie fällt eindeutig viel zu früh. Weder Eltern noch Lehrer, noch Schüler – schon gleich gar nicht die Schüler – sind in der Lage, in einem Alter von zehn Jahren bei Kindern zu entscheiden, welchen weiteren Bildungsweg sie gehen sollen. Kinder werden nach Notendurchschnitten sortiert. Kinder werden nach Leistungen sortiert – mit zehn Jahren! Die Bildungschancen sind dadurch ganz klar ungerecht verteilt. Viele Kinder werden frühzeitig stigmatisiert und diskriminiert.

(Frank Kupfer, CDU: So ein Blödsinn! Das ist doch wirklich Blödsinn, und das wissen Sie!)

Bei der Grundschulzeit sorgt die Bildungsempfehlung für enormen Stress für Eltern, Lehrer und Kinder. Sie sollten Regelungen treffen und Vorschläge entgegennehmen, die dazu führen, dass der Stress an der Schule abgebaut wird und Schülerinnen und Schüler Spaß und Freude am Lernen haben und der Stress sich nicht enorm erhöht.

Wir haben in den Anhörungen gehört, dass 13 bis 14 % der Viertklässler in Deutsch und Mathematik Nachhilfeunterricht bekommen, und zwar nur deshalb, um es möglicherweise zu schaffen, zum Halbjahr in der vierten Klasse eine Bildungsempfehlung zu erhalten, die das Gymnasium ermöglicht. Das ist eine extrem hohe Anzahl. Das ist ganz klar Stress. Das heißt, wir – das wissen Sie auch, ich will es trotzdem noch einmal ganz klar benennen und betonen – gehen den Weg, dass wir empfehlen, das längere gemeinsame Lernen auch im Freistaat Sachsen endlich einzuführen.

(Beifall bei den LINKEN)

Irgendwann werden Sie diesen Weg gehen müssen, und dann wird es wie bei vielen anderen Sachen, die Sie entschieden haben, wodurch im Schulsystem katastrophale Situationen entstanden, wieder zu spät sein. Wir, DIE LINKE, werden diesen Gesetzentwurf ablehnen, weil unser Weg heißt: Längeres gemeinsames Lernen, mehr Zeit zum guten Lernen, zum gemeinsamen Lernen, zur Freude und zum Spaß, Zeit nehmen für das Lernen und nicht, Entscheidungen und Stress in der Schule zu verursachen.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die AfDFraktion Frau Abg. Kersten.

(Zuruf von der CDU: Nicht der Rede wert, Frau Kollegin!)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Knapp 25 Jahre und eine Klage hat es gedauert, bis es die CDU – derzeit in Koalition mit der SPD – schafft, den Zugang zum Gymnasium gesetzlich zu regeln, 25 Jahre nach Verabschiedung der Sächsischen Verfassung – und dann wird uns ein solches Papier vorgelegt, ein Gesetzentwurf, der unnötig, widersprüchlich und unvollständig ist. Er ist derzeit unnötig, weil er – ebenso wie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts – allein den Eltern die Entscheidung zubilligt, welche weiterführende Schule ihr Kind besucht. Oberverwaltungsgerichtsurteil und Gesetzesänderung

führen somit zum selben Ergebnis. Eine separate Befassung mit dieser Thematik, obwohl in Kürze das Schulgesetz sowieso neu gefasst wird, wäre aus unserer Sicht nicht notwendig gewesen.

Als Zweites habe ich von Widersprüchlichkeit gesprochen. Dazu lesen wir in Abs. 5 Satz 1 des Gesetzentwurfes: „Über die Ausbildung an einer berufsbildenden Schule oder einer Schule des zweiten Bildungsweges entscheiden die Eltern oder der volljährige Schüler.“ So weit, so gut. In Satz 2 steht nun aber: „Die Schule lehnt die Aufnahme ab, wenn der Schüler für die Schulart oder den jeweiligen Bildungsgang nach Begabung oder Leistung nicht geeignet ist.“ Ja, meine Damen und Herren, zuerst sollen also Eltern und Schüler entscheiden, dann aber kann die Schule diese Entscheidung wieder revidieren. Wer entscheidet denn nun tatsächlich? Offensichtlich die Schule. Dem Wahlrecht der Eltern scheint die Regierungskoalition in Bezug auf den beruflichen Bildungsweg ihrer Kinder nur insoweit Rechnung tragen zu müssen, als dass diese zunächst einmal benennen dürfen, was sie denn gern hätten. Danach greift aber dann eine leistungsbezogene Auslese.

Wir halten das zwar für den richtigen Ansatz, allerdings stellt sich uns die Frage, warum bei den berufsbildenden Schulen das Leistungskriterium das entscheidende Zugangskriterium sein kann, beim Zugang zum Gymnasium aber offensichtlich nicht. Abgesehen davon können Berufsschulen, die nach § 4 des Schulgesetzes auch zu den berufsbildenden Schulen gehören, Schüler nicht ablehnen, schon gar nicht aus Begabungs- oder Leistungsgründen. Wer einen Ausbildungsvertrag vorlegen kann, muss auch an der Berufsschule angenommen werden.

Drittens hatte ich erwähnt, dass der Gesetzentwurf unvollständig ist. Warum? Weil er keine Regelungen für andere weiterführende Schulen enthält, für die es gleichfalls Zugangsvoraussetzungen gibt, und zwar solche, die über die des normalen Gymnasiums hinausgehen. Dazu zählen Gymnasien mit vertiefter Ausrichtung, zum Beispiel Sport- oder Musikgymnasien. Dazu zählen Sportmittelschulen, und dazu zählt auch das Landesgymnasium für Hochbegabte „Sankt Afra“.

Die Regelungen bezüglich der Aufnahmebeschränkungen dieser Schulen sind in § 62 des Schulgesetzes verankert, ebenso wie bisher die Regelungen zum Gymnasium. Genau diese sind aber gemäß Urteil des OVG als nicht ausreichend betrachtet worden. Damit wird eine offene Flanke gelassen, da möglicherweise nun auch Eltern ihre Kinder in diese Schule hineinklagen können bzw. werden, ohne dass entsprechende Leistungen belegt werden müssen. Ich selbst denke derzeit auch darüber nach, einen meiner Söhne beim Musikgymnasium anzumelden. Es kann zwar weder einer singen noch ein Instrument spielen, aber mir würde eine musikalische Ausbildung für meine Kinder schon gut gefallen, und mein Wille reicht ja aus.

Soweit meine Ausführungen zu allgemeinen Mängeln des Gesetzentwurfs. Darüber hinaus gibt es auch einen inhaltlichen Dissens unserer Fraktion in Bezug auf die Ausgestaltung der Bildungsempfehlung. Diesen möchte ich Ihnen natürlich nicht vorenthalten in der Hoffnung, dass dieses Hohe Haus heute noch einmal überlegt, ob es richtig ist, hier und heute den vorgelegten Gesetzentwurf so zu beschließen.

Ich möchte drei Anhaltspunkte benennen: Erstens. Die Gesetzesänderung hebelt Sinn und Zweck eines mehrgliedrigen Schulsystems aus. Dessen unterschiedliche Schularten verfolgen – zumindest sollte es so sein – explizit unterschiedliche Lern- und Leistungsziele und müssen demzufolge, wenn sie sich denn unterscheiden wollen, auch unterschiedliche Leistungsanforderungen an ihre Schüler stellen. Wenn diese Leistungsanforderungen letztlich aber kein Entscheidungskriterium mehr darstellen, sondern – wie jetzt geplant – nur die Eltern entscheiden, bedarf es keines mehrgliedrigen Schulsystems mehr. Der Weg zur Gemeinschaftsschule ist beschritten. Das lehnt die AfD klar und deutlich ab.

Zweitens, Stichwort: Akademisierungswahn. Schon in der Anhörung wurde klar, dass mit der neuen Bildungsempfehlung mit höheren Anmeldezahlen an die Gymnasien gerechnet werden kann oder sogar muss. 1960 gingen gerade einmal 4 % aller Schüler auf ein Gymnasium.

Heute sind wir bei rund 50 %. Das Abitur ist die Vorbereitung auf eine akademische Laufbahn. Es soll die Absolventen zu einem Hochschulstudium führen. Für eine Berufsausbildung ist kein Abitur erforderlich. Wir brauchen keine 50 % Akademiker. Wir brauchen Fachkräfte im Handwerk, in der Industrie, in der Dienstleistungsbranche und so weiter und so fort. Ein Facharbeiter muss keine zwölf Jahre zur Schule gehen. Eine zehnjährige – vorausgesetzt natürlich gute – Schulbildung ist dafür völlig ausreichend. Genau dorthin müssen wir wieder kommen.

(Beifall bei der AfD)

Damit bin ich beim dritten Punkt. Mit der neuen Bildungsempfehlung werden unsere Mittelschulen weiter geschwächt. Reden viele heute schon von sogenannten Resteschulen, wird der weitere Entzug von leistungsstär

keren Schülern das Bildungsniveau senken und vor allem den Ruf unserer Mittelschulen weiter beschädigen. Denn es wird Eltern geben, die erst einmal schauen, ob ihr Kind nicht doch das Abitur schaffen kann. Probieren kann man es ja einmal.

Auch werden Eltern möglicherweise ihre Kinder an einem Gymnasium anmelden, weil dieses einen kürzeren Schulweg bietet. So zumindest gibt es bereits einige Gedankenspiele von Chemnitzer Eltern, wie wir kürzlich lesen konnten. Weil die Stadt Chemnitz die terminlich zugesagte Fertigstellung einer Oberschule nicht halten kann, überlegen Eltern, ihre Kinder lieber an einem nahegelegenen Gymnasium anzumelden, als die Kinder auf die sowieso schon überfüllte und gegebenenfalls weiter entfernte Oberschule zu schicken. Damit wird möglicherweise die Wahl der weiterführenden Schulart auch mit Gründen zusammenhängen, die mit Bildungswegentscheidungen nichts zu tun haben.

Doch zurück zum Ruf unserer Mittelschulen: Meine Damen und Herren! Mittelschulen waren einmal die wichtigste Säule unseres Schulsystems. Sie waren Facharbeiterschmieden. Genau, sie waren es. Mittlerweile nehmen viele Unternehmen lieber einen Abiturienten als Azubi statt einen Mittelschüler. Warum ist das so?

(Patrick Schreiber, CDU: Warum wohl?)

Warum reicht vielen Unternehmen der Realschulabschluss nicht mehr?

(Patrick Schreiber, CDU: Und warum?)

Sehr geehrte Damen und Herren von CDU und SPD! Haben Sie darüber nachgedacht, bevor Sie diese Bildungsempfehlung auf den Tisch gelegt haben?

(Zurufe von der CDU)

Ich glaube nicht!

(Patrick Schreiber, CDU: Dann sagen Sie es ruhig mal!)

Natürlich gebe ich Ihnen recht, wenn Sie jetzt erwidern würden, dass dieses Problem mit der Bildungsempfehlung – wie immer sie auch formuliert wäre – nicht gelöst werden kann. Das ist richtig. Was die mir vorliegende Bildungsempfehlung aber mit Sicherheit erreicht, ist eine weitere Verschärfung dieser Entwicklung. Diese Bildungsempfehlung darf deshalb nicht kommen. Wir haben einen besseren Vorschlag; diesen stelle ich Ihnen allerdings erst im Anschluss an diese Debatte vor.

Zuvor lohnt noch ein Blick auf einige aus unserer Sicht wesentliche Punkte.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Kersten?

Bitte.

Frau Kersten, vielen Dank erst einmal. Sie haben gerade eine Frage in den Raum geworfen und uns sozusagen unterstellt, wir hätten uns diese Frage nicht gestellt. Ich frage Sie jetzt einfach einmal nach Ihrer Meinung: Warum geschieht diese Entwicklung denn? Warum stellen Betriebe lieber Abiturienten ein als Oberschüler? Geben Sie uns doch einfach einmal eine erhellende Antwort.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Weil das Niveau an den Mittelschulen sinkt!)

Weil das Bildungsniveau an unseren Mittelschulen immer weiter gesunken ist, deswegen stellt man eben lieber Abiturienten ein. Das ist eben so. Der Ruf unserer Mittelschulen ist beschädigt.

(Beifall bei der AfD)

Ich wollte kurz noch den Blick auf wesentliche Punkte des Urteils des Oberverwaltungsgerichts Bautzen lenken. Obwohl im besagten Fall also der Klage der Eltern stattgegeben wurde, die ihr Kind auch ohne entsprechende Bildungsempfehlung ein Gymnasium besuchen lassen wollten, wurde diese Entscheidung vor allem damit begründet, dass es aufgrund der Grundrechtsrelevanz des Sachverhalts einer gesetzlichen Regelung bedürfe, und zwar einer dezidierten Regelung, die ein mögliches Begabungs- bzw. Leistungskriterium auch inhaltlich ausgestaltet.

Gleichfalls wurde im Urteil formuliert, dass die staatliche Befugnis der Schulgliederung und Unterrichtsordnung dem Elternrecht Grenzen setzt. Diese Beschränkung habe zwangsläufig eine Typisierung der Leistungsanforderungen für den Schulzugang und, damit einhergehend, eine gewisse Schülerauslese zur Folge.

Ich hoffe, Sie können diese letzten Ausführungen in Erinnerung behalten, denn unter genau diesem Blickwinkel ist unser Änderungsantrag zu betrachten.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Für die Fraktion GRÜNE Frau Abg. Zais, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Dass in Sachsen über Jahre hinweg die Gerichte Bildungspolitik betrieben und Schulpolitik vorangebracht haben, ist nichts Neues. Ich erinnere hier nur an die Entscheidungen beispielsweise zu den Themen Lernmittelfreiheit, Gleichbehandlung der Schulen in freier Trägerschaft mit Schulen in öffentlicher Hand, also staatlichen Schulen, und zu dem Recht auf inklusive Beschulung oder nun an das Urteil zur verbindlichen Bildungsempfehlung.