Protocol of the Session on February 1, 2017

Obwohl es im Bereich der Schulpolitik hohen Anpassungsdruck und Handlungsbedarf gab, hat es de facto wenig Bewegung gegeben, wenn wir uns einmal die

letzten 15 oder 20 Jahre der Geschichte des Sächsischen Schulgesetzes anschauen.

Dass es überhaupt Bewegung gegeben hat – das muss hier ganz klar festgestellt werden –, resultierte aus dem Druck derer, die seit Jahrzehnten mit den Konsequenzen einer oft starren, unmodernen und – leider muss ich das so sagen – zunehmend ideologisch geprägten Bildungspolitik der CDU zu tun haben.

(Dr. Frauke Petry, AfD: Das sagen die Richtigen!)

Das sind die Eltern, Lehrerinnen und Lehrer, Kinder und Schulträger. Vom viel gepriesenen Schulfrieden kann in Sachsen schon lange keine Rede mehr sein.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

Doch anstatt die Urteile als Chance zur Verbesserung zu sehen und grundsätzlich über Fehlstellungen sächsischer Bildungspolitik nachzudenken, bewegt sich die Koalition leider immer nur stückweise. Jedes Mal wird die bemängelte Praxis gerade so weit abgewandelt, dass sie vor Gericht Bestand hat. Gesichtwahrung, dafür steht auch der heute vorgelegte Gesetzentwurf der Koalition zur Bildungsempfehlung, insbesondere zum heute hier schon viel zitierten § 34 des Sächsischen Schulgesetzes.

Wir haben heute schon viel zum Urteil des Oberverwaltungsgerichts gehört. Diesem Urteil ist ein Entscheid des Verwaltungsgerichts Dresden vorausgegangen. Es lohnt sich auch hier, einen Blick in die Urteilsbegründung zu werfen, denn das vorausgegangene Urteil ist ein Meilenstein hin zu mehr Chancengerechtigkeit.

Für mich war in diesem Urteil ein Kernsatz wesentlich, nämlich dass für den künftigen Bildungsweg eines Kindes nicht die Frage entscheidend sein darf, ob das Kind in der Lage sein wird, ein sehr gutes Abitur abzulegen. Diese Art der positiven Auslese hat das Gericht als nicht akzeptabel eingeschätzt und den Einfluss des Staates beschränkt.

Liebe Sabine Friedel, wenn sich die SPD heute hier hinstellt und in diesem Kontext die Hürde von 2,0 sozusagen als eine zu akzeptierende Hürde ansieht, dann ist das für mich schwierig, auch mit Blick auf diesen Satz in der Urteilsbegründung des Gerichts. Es geht nicht darum, ein sehr gutes Abitur abzulegen; mit 2,0 ist man in Sachsen schon vorne an der Spitze gut mit dabei. Vielmehr geht es darum, ob das Kind das Abitur schafft.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Echt?)

Die bisherige Praxis der Bildungsempfehlung hat das eben nicht berücksichtigt.

Letztlich musste auch die Koalition in ihrem vorgelegten Entwurf den Eltern zugestehen, über den künftigen Bildungsweg ihrer Kinder selbst zu entscheiden. Das ist die gute Nachricht. Das ist auch der Anlass dafür, dass wir heute nicht gegen diesen Gesetzentwurf stimmen werden. Das ist das Minimum.

Aber die Durchsetzung dieses Rechts bleibt nach dem Willen der Koalition bürokratisch, ist von Misstrauen

geprägt und sanktionsbehaftet. Über die Hürden hat Kollegin Friedel berichtet. Eltern, so die Botschaft, sind nicht in der Lage, die Leistungs- und Schulfähigkeit ihrer Kinder einzuschätzen. Ich wage die Prophezeiung, dass Teile der jetzt vorgelegten Neuregelung einer erneuten gerichtlichen Überprüfung nicht standhalten werden.

(Beifall bei der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Etwas stört mich besonders. Auf der einen Seite haben wir Eltern, die trotz abschlägiger Bildungsempfehlung für das Gymnasium diesen Weg mit ihrem Kind gehen wollen – von ihnen war heute hauptsächlich die Rede. Ihnen macht es die Koalition besonders schwer. Dazu haben wir heute schon einiges gehört, zum Beispiel von einer zusätzlichen Leistungserhebung, für die es eigentlich nicht den geringsten Grund gibt – außer dass man im Nachgang doch noch sagen möchte: Aber wir hatten in gewisser Weise doch recht. Es gibt dafür keinen Grund, weil die Leistungserhebung nicht benotet wird. Wozu also diesen zusätzlichen Stress für die Eltern und die Kinder, diesen zusätzlichen Arbeitsaufwand für die Lehrerinnen und Lehrer? Ich kann es nicht nachvollziehen.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Dann lernen sie, ihren Namen zu tanzen, und fertig!)

Es ist tatsächlich eine Zumutung.

Auf der anderen Seite haben wir jene Eltern, die trotz einer Empfehlung für das Gymnasium diesen Weg mit ihrem Kind nicht gehen wollen. Warum gibt es hier keine Pflichtberatung? Warum spricht keiner über diese möglicherweise vertanen Chancen auf höhere Bildung? Legt die Gesellschaft darauf keinen Wert?

Ein Beispiel: 2016 erhielten im Erzgebirgskreis 44,6 % der Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium. Tatsächlich angemeldet haben sich 28,7 %. Ein ähnliches Bild gibt es im Landkreis Leipzig. Dort bekamen 50,1 % der Kinder eine Empfehlung für das Gymnasium, aber nur 32,5 % meldeten sich tatsächlich am Gymnasium an. Sitzen dort, liebe Kollegin Friedel, nur die Bastler? Sitzen die nur in den ländlichen Regionen? Sitzen sie nur an Standorten, wo Oberschulen vielleicht gefährdet sind?

Zur Ehrlichkeit gehört es zu sagen, dass die Bildungsempfehlung in Sachsen bisher nicht nur ungerecht war, sie hatte auch eine Lenkungswirkung: Die Lenkungswirkung – das haben wir heute mehrfach gehört –, der Wirtschaft Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen und gegebenenfalls auch Standorte zu erhalten. Das kann aber nicht der Anspruch von Bildungspolitik sein.

Danke.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen Redebedarf für eine weitere Runde? – Herr Abg. Bienst, bitte sehr. Sie haben das Wort.

Verehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eines möchte ich zu Beginn klarstellen, liebe Kollegin Falken: Unsere klaren Strukturen, die wir in Sachsen haben, werden wir auch in Zukunft beibehalten. Genau diese klaren Strukturen haben uns in der Vergangenheit zum Erfolg verholfen.

(Vereinzelt Beifall bei der CDU)

Deswegen wird das auch so bleiben, zumindest solange die CDU hier regiert.

(Zuruf der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Ich möchte einen zweiten Punkt ansprechen, den Frau Kollegin Zais gerade mit benannt hat. Sie kritisiert dieses starre Schulsystem. – Haben Sie denn zum Beispiel schon einmal mit Grundschullehrerinnen oder Schulleitern an Grundschulen über dieses Problem gesprochen?

(Petra Zais, GRÜNE: Jeden Morgen, jeden Tag!)

Vielleicht haben wir da unterschiedliche Wahrnehmungen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man mir immer wieder sagt: Liebe Freunde von der CDU, haltet bitte an diesem Schulsystem, haltet bitte an dieser Zweigliedrigkeit fest! Bitte lenkt Schüler nach der 4. Klasse in die Oberschule bzw. ans Gymnasium.

(Beifall bei der CDU)

Das sind meine Erfahrungswerte. Tut mir herzlich leid, es ist aber so.

Herr Bienst, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ja, bitte.

Bitte, Frau Abg. Falken.

Herr Bienst, meine Frage ist: Können Sie sich an die Veranstaltung erinnern, die wir vor zwei Wochen in Kamenz hatten? Dort haben ganz viele Bürger und Lehrer – es waren sogar Schulleiter dabei – vehement das längere gemeinsame Lernen eingefordert. Können Sie sich daran noch erinnern?

Daran kann ich mich nicht erinnern.

(Oh-Rufe und Lachen von den LINKEN und der AfD)

Tut mir herzlich leid. Ich hätte bestimmt das Wort ergriffen und dann dagegen gesprochen.

(Lachen der Abg. Cornelia Falken, DIE LINKE)

Zur Klage der Eltern, die hier aufgelaufen ist, muss ich einmal die Frage zurückgeben: Wie lange hat es denn gebraucht, um es überhaupt zu einer solchen Klage kommen zu lassen? Wir haben in Sachsen jahrelang dieses bewährte Instrument der Bildungsempfehlung gehandhabt, ohne das im Gesetz zu verbriefen.

Es war ein Einzelfall, der sehr unglücklich gelaufen ist, bei dem vielleicht mit einer gewissen Sensibilität, auch seitens der unmittelbar Betroffenen, ein anderer Weg hätte gegangen werden können. Das wurde aber eben nicht getan. Genau dieser Sachverhalt hat uns zu dieser Klage geführt und hat uns auch etwas ins Hausaufgabenheft geschrieben. Das haben wir jetzt gemacht, indem wir dieses Gesetz vorlegen.

Nein, wir haben keine Hürden eingebaut, wenn wir am Gymnasium noch einmal ein solches Beratungsgespräch mit den Eltern führen lassen und das Kind auch noch einmal auffordern, seine Leistungen vor den Eltern darzulegen. Am Ende des Tages hat dann der Elternteil eben mit seinem Gewissen zu vereinbaren: Gebe ich mein Kind in diesen höheren Bildungsgang, oder lasse ich mein Kind vielleicht doch auf der Mittelschule lernen, um es später einmal einen sehr guten Facharbeiter werden zu lassen? – Genau das ist der Grund. Die Beteiligung und die Eigenverantwortung der Eltern zu stärken ist in diesem Prozess notwendig, um nicht nachher tatsächlich Klagen zu bekommen. Der Elternteil muss sich also bewusst für diesen Weg entscheiden.

Dass die Lenkung nach der 4. Klasse, die Sie hier kritisieren, dem Kind so viel Schaden zufügt, ist bis jetzt nicht von Wissenschaftlern bewiesen worden. Wir haben dazu bereits Anhörungen gehabt, und da wurde uns genau das Gegenteil genannt: dass wissenschaftliche Untersuchungen auch dazu geführt haben, dass man sagt: Jawohl, eine zeitliche Trennung der Kinder in zwei Leistungsgruppen ist sogar von Vorteil für diese Kinder. – Wir können uns also lange darüber streiten, ob es so ist, wie Sie es hier gesagt haben.

Noch einmal zu Frau Kersten: Liebe Frau Kersten! Wir werden es im Zusammenhang mit Ihrem Antrag sicherlich noch zu diskutieren haben: Ich kann mir nicht vorstellen, wie eine Schule eine Bildungsempfehlung für den berufsbildenden Bereich zu stellen hat. Ich denke, die Kinder oder Jugendlichen – dann mit schon 16 Jahren – sind so weit, gemeinsam mit den Eltern darüber zu entscheiden, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten und welches Interesse sie haben, um später einen Beruf zu erlangen.

Sie haben ja richtigerweise ausgeführt, dass man in einer dualen Ausbildung natürlich auch einen Ausbildungsvertrag haben muss. Derjenige, der den Ausbildungsvertrag schließt, entscheidet darüber, ob die Leistungen, die das Kind oder der Bewerber gebracht hat, ausreichend sind, um genau diese Berufsausbildung mit Erfolg abzuschließen; denn ein Meister in unseren Betrieben wird keinen Jugendlichen in die Lehre schicken – das kostet nebenbei nämlich ein wenig Geld –, um dann zu sagen: Nein, der ist für mich nicht tragbar. Er ist nicht tauglich. Den schmeiße ich wieder raus! – Ich denke, da müssen wir bei der Realität bleiben. Das wird so nicht gehandhabt, auch nicht in Zukunft.

Der Durchschnitt von 2,0, den wir festgelegt haben, dient letztendlich dazu, unsere Oberschulen weiter zu stärken. Ich nehme Ihnen die Befürchtung, dass nun alle Eltern

sagen: Unser Kind muss auf das Gymnasium gehen. Wenn wir bei 2, 3 oder 5 % landen, werden es viele sein. Der Schüler mit einem Durchschnitt von 2,1 bis 2,5 ist nämlich genau der Schüler, der dann in der Oberschule die Leistungsspitze darstellt. Genau diese Leistungsspitze brauchen wir, um wiederum andere Schüler mitzunehmen, um dann letztendlich auch ein gewisses gutes Potenzial zu haben,