Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Als CDU-Fraktion haben wir eine differenziertere Sicht auf die Aussagen des vorliegenden Berichtes
und bei seiner Bewertung als die Opposition. In einem sind wir uns aber wohl einig: Die Expertenkommission
Durch diesen Bericht verstehen wir die komplexe Dimension des Falles, insbesondere des Polizeieinsatzes, und können ihn nachvollziehen. Minutengenau werden die verschiedenen Abläufe zwischen dem 7. und dem 12. Oktober offengelegt. Der Bericht beschreibt die Arbeit der eingebundenen Behörden und benennt ganz klar die entstandenen Fehler. Er gibt ganz konkrete Handlungsempfehlungen an den Freistaat Sachsen, an die Behörden des Bundes und der anderen Bundesländer.
Ich darf im Namen der CDU-Fraktion Herrn Prof. Landau und den Mitgliedern der Expertenkommission für ihre akribische Arbeit herzlich danken.
Unser Dank geht auch an die Staatsregierung. Mit dem offenen Umgang mit dieser Thematik und der Einsetzung der Kommission hat Ministerpräsident Tillich die umfassende Aufarbeitung des Falls al-Bakr auf den Weg gebracht. Wir und die einzelnen Behörden können die Chronologie der Ereignisse analysieren und die Maßnahmen auf den Weg bringen, die erforderlich sind, um dem Terror, der unser Land bedroht, künftig entschlossen und gut vorbereitet entgegenzutreten.
Meine Damen und Herren! Bedanken möchten wir uns auch bei unseren sächsischen Einsatzkräften im Dienst. Sie standen in Chemnitz vor einer großen Herausforderung und unter enormem Druck. Wir wollen und müssen besonders zu ihrer Sicherheit daran arbeiten, bessere Voraussetzungen zu schaffen. Nur so können wir ihnen in Gefahrenlagen bestmögliche Handlungsroutinen und – strukturen bieten, was letztendlich zu unser aller Schutz ist.
Bevor ich auf die Fehlerkette eingehe, möchte ich zunächst noch zwei Punkte betonen, die wir bei allen zweifellos vorliegenden Versäumnissen und im Bericht völlig zu Recht angesprochenen Fehlern stets im Hinterkopf behalten sollten.
Herr Stange, ich bin froh, dass Sie in Ihrer Chronik des Terrors nicht sagen mussten: 8. Oktober, Berlin, unzählige Tote und Verletzte.
Wer sich an Berlin erinnert und die Folgen des schrecklichen terroristischen Anschlags auf den Weihnachtsmarkt gesehen hat, der hat eine Ahnung davon, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist. Die Anschlagspläne von al-Bakr lassen vermuten, dass es Anschläge auf einen Berliner Flughafen hätte geben können. Ich bin allen dankbar, die dazu beigetragen haben, dass wir das verhindern konnten.
Zweitens. Meine Damen und Herren! Es gibt keine typisch sächsischen Fehler. Der sächsische Sicherheitsapparat ist nach Überzeugung der unabhängigen Expertenkommission besser aufgestellt als in so manchem anderen Bundesland.
Angesichts der durch den islamischen Terror entstandenen Bedrohung ist der gesamte deutsche Sicherheitsapparat auf Bundes- und Landesebene herausgefordert. Der Fall al-Bakr hat alle Beteiligten vor neue, bislang in Deutschland unbekannte Herausforderungen gestellt. Deshalb ist in den Fehlbeurteilungen und Fehleinschätzungen Einzelner kein Totalversagen, kein Staatsversagen und erst recht kein typisch sächsisches Versagen erkennbar.
Meine Damen und Herren, die Expertenkommission stellte fest, dass sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz als auch der sächsische Verfassungsschutz eine gute Arbeit geleistet haben. Durch das Zusammenspiel der Behörden konnte der Terrorverdächtige rechtzeitig identifiziert und sein Aufenthaltsort ermittelt werden. Im weiteren Verlauf der Geschehnisse wurden bei der Aufarbeitung des Falles verschiedene Fehler bekannt, doch diese wurden zu keinem Zeitpunkt wider besseres Wissen getan. Dennoch wirkten sie leider so zusammen, dass der Polizeieinsatz im Oktober 2016 in Chemnitz letztendlich scheitern musste. Das BKA hat die Einsatzleitung nicht übernommen, obwohl sächsische Sicherheitsbehörden Personalbedenken äußerten – trotz einer Sachlage, die den Einsatz als enorme Herausforderung erkennen ließ. Auf die dringend gebotene Übernahme der Ermittlungen durch den Generalbundesanwalt wird mein Kollege Modschiedler in der zweiten Runde noch im Detail eingehen.
Die finale Entscheidung, dass das LKA den Einsatz führt, war falsch. Über den gesamten Zeitraum des Einsatzes gab es keinen funktionsfähigen Führungsstab. Da ständig reagiert werden musste, war ein eigenständiges und strategisches Agieren nicht möglich. Strukturelle und personelle Defizite sind hierfür verantwortlich zu machen.
Die Fehleinschätzung des Polizeiführers beruhte auf einem Irrtum. Indem er annahm, es handele sich nur um eine Festnahme, erfasste er nach Angaben der Expertenkommission nicht das volle Maß der Lage. Vielleicht konnte er es aufgrund der Informationslage auch nicht vollumfänglich erfassen.
Im Gegensatz zur Opposition hat für uns die sachliche und fachliche Aufarbeitung eindeutig Vorrang vor dem reflexartigen Ruf nach personellen Konsequenzen. Wir erwarten, dass sich die Verantwortlichen entsprechend an einer lückenlosen Aufklärung und Aufarbeitung beteiligen. Grundsätzlich ist bei Personalentscheidungen die notwendige Sensibilität auch im Interesse des jeweiligen Beamten zu wahren. Dem sollten wir künftig mehr Beachtung schenken.
Die Kommission bemängelt weiterhin die gravierenden Kommunikationsprobleme zwischen den eingesetzten Kräften des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Mobilen Einsatzkommandos und des Spezialeinsatzkommandos der sächsischen Polizei. Auch hier ist das Fehlen eines funktionierenden Führungsstabes als Ursache genannt. Die fehlende Kommunikation nach innen und nach außen kann somit – neben den strukturellen Defiziten beim LKA – als Hauptproblem angesehen werden, und das, meine Damen und Herren, müssen wir verbessern.
Künftig sind zwingend einheitliche Kommunikationsmittel und -wege zu nutzen. Fahndungsaufrufe, auch über die sozialen Medien, müssen umgehend mehrsprachig erfolgen. Den jungen Syrern, die aufgrund des Fahndungsaufrufes der Polizei den Tatverdächtigen erkannt, ihn in der Folge dingfest gemacht und den Sicherheitsbehörden übergeben haben, danken wir an dieser Stelle.
Kommen wir nun zu den Maßnahmen, die Innenminister Ulbig sowohl am vergangenen Freitag dem Innenausschuss als auch heute in der Regierungserklärung dargelegt hat.
Die Zuständigkeit bei ad hoc vorliegenden Terrorlagen wird ab sofort der örtlich zuständigen Polizeidirektion übergeben. Dies ist eine unmittelbare Konsequenz aus dem Bericht, die wir ausdrücklich begrüßen. Das LKA hält ab sofort eine funktionierende Stabsorganisation für Terrorlagen für einzelne Einsatzabschnitte vor; ständige Einsatzstäbe sichern damit eine stabile Koordination und Kommunikation. Für uns ist klar: Es darf künftig keine Folgefehler aufgrund mangelhafter Führung mehr geben.
Mit dem Aufbau des OAZ zum polizeilichen Terrorismus- und Extremismusabwehrzentrum werden die Konsequenzen von LKA und OAZ gebündelt. Das ist aus unserer Sicht der richtige Weg, um gezielt Lagen analysieren und entsprechend darauf reagieren zu können. Wir begrüßen ausdrücklich, dass neben der Nutzung bereits bestehender Trainingsstätten zeitnah ein zusätzliches Übungs- und Trainingszentrum in die Ausbildungseinrichtung der Polizei in Schneeberg installiert wird. So können die Beamtinnen und Beamten Fähigkeiten erwerben, die sie im Fall der Fälle brauchen. Wir haben gelernt: Ständiges Reagieren und Austarieren ist bei akuten Gefahrenlagen von immenser Bedeutung.
Wir unterstützen den Vorschlag, die einsatzbegleitende Arbeit der Polizei in sozialen Medien zu verstärken. Hier erwarten wir konkrete Pläne und Maßnahmen zur praktischen Umsetzung. Die Aufklärung im Internet zu verstärken ist für uns als Fraktion in Zeiten der Digitalisierung eine Selbstverständlichkeit. Für uns ist klar: Die gewonnenen Erkenntnisse aus dem Fall al-Bakr müssen im
Rahmen der anstehenden Novellierung des Polizeigesetzes berücksichtigt werden. Insbesondere über Regelungen zur Erweiterung der polizeilichen Befugnisse müssen wir diskutieren. Aber, meine Damen und Herren, wir werden diese Diskussion offen, nüchtern und sachlich gemeinsam führen.
Die Zusammenarbeit der Länder untereinander, aber auch die Vernetzung von Polizeibehörden im Bund und in den Ländern muss sichergestellt werden. Wir brauchen ein Informationsmanagement, das eine hohe Qualität der Kommunikation sichert. Die CDU-Fraktion unterstützt den Innenminister darin, seinen Vorsitz in der IMK dafür zu nutzen.
Die Aufstockung bei der Personalausstattung der Polizei war richtig und bleibt richtig. Wir werden genau beobachten, ob und wie wir auf diesem Weg weitere Schritte gehen und welche Bereiche möglicherweise gestärkt werden müssen. Wir dürfen dabei aber nicht ausschließlich auf Quantität setzen. Es geht auch und vor allem um Qualität, und ich betone an dieser Stelle noch einmal ausdrücklich: Wir brauchen top ausgebildetes Personal, das die Möglichkeit erhält, sich stets verbessern und qualifizieren zu können. Das sind wir den Beamtinnen und Beamten in unserem Freistaat Sachsen schuldig.
Herr Prof. Landau hat von einer „Kultur der gemeinsamen Verantwortlichkeit“ gesprochen. Dem stimmen wir als CDU-Fraktion uneingeschränkt zu. Der erste Schritt dahin ist mit dem Bericht der Expertenkommission getan, weitere müssen nun zeitnah folgen. Deshalb werben wir als CDU-Aktion für eine Kultur des „Sich-verbessernWollens“. Das wird von uns erwartet, und das darf der Bürger auch zu Recht von uns erwarten, meine sehr geehrten Damen und Herren. Wenn wir als Politik Fehler erkennen und jetzt konsequent gegensteuern, dann erwarten wir auch die konsequente Umsetzung durch jene, die fachlich dafür zuständig sind. Wir fordern die Bereitschaft auch von den beteiligten Behörden des Freistaates ein. Das heißt, aus Fehlern zu lernen, sich stets verbessern zu wollen und bereit zur Kommunikation zwischen den Behörden, den Ländern und mit dem Bund zu sein.
Gleichwohl sind wir uns darüber im Klaren, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt und auch nicht geben wird. Dennoch bleibt es unser Auftrag, unser Ziel, ein Maximum an Sicherheit zu erreichen. Der Bericht der Expertenkommission mit seinen Handlungsempfehlungen und die Vorschläge der Staatsregierung zu den einzuleitenden Maßnahmen werden uns dabei helfen. Als CDU-Fraktion werden wir uns dazu ausführlich, konstruktiv und in die Zukunft gewandt an der Diskussion beteiligen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Innenminister Ulbig! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Von der Kultur der Unzuständigkeit hin zur Kultur einer gemeinsamen Verantwortlichkeit – das ist die Grundaussage der Expertenkommission zu den Lehren aus dem al-Bakr-Komplex. Sie spricht mir direkt aus dem Herzen. Diese Grundaussage sollte nicht nur für die Bewältigung von Terrorlagen, sondern generell für das Zusammenwirken von Sicherheitsbehörden gelten. Ich komme in meiner Rede später darauf zurück.
Zum eigentlichen Thema. Uns liegt endlich der Abschlussbericht der Expertenkommission vor. Es war auch richtig, nach dem Polizeieinsatz zur Ergreifung al-Bakrs und den Ereignissen in der JVA Leipzig – bis zu seinem Suizid – die unabhängige Expertenkommission einzuberufen und mit der Aufklärung des Komplexes zu beauftragen. Die Öffentlichkeit brauchte dringend eine rückhaltlose und umfassende Aufklärung möglicher Fehler der Sicherheitsbehörden. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder selbst lechzen doch auch nach Erkenntnissen aus diesem al-Bakr-Komplex; denn – auch das gehört zur Wahrheit dazu – die Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik muss sich insgesamt noch auf den sich verändernden internationalen Terrorismus, aber auch auf neue Kriminalitätsphänomene einstellen. Das haben uns nicht zuletzt die Ereignisse in Berlin vom Dezember letzten Jahres deutlich vor Augen geführt.
Die Expertenkommission hat den Komplex untersucht und Empfehlungen erarbeitet, die zur Bewältigung künftiger Antiterrorlagen für alle deutschen Sicherheitsbehörden von großer Bedeutung sind. Wichtig ist, dass die Empfehlungen jetzt in Ruhe geprüft und umgesetzt werden. Schnellschüsse helfen uns dabei nicht weiter. Insofern kann heute auch nur eine erste Stellungnahme im Sächsischen Landtag stattfinden. Auch die Ausschüsse für Inneres und Verfassung und Recht werden den Bericht auswerten und intensiv mit den verantwortlichen Personen diskutieren.
Auch ich möchte mich bei der Expertenkommission für die schonungslose und rückhaltlose Aufarbeitung der Pannen und für die weiteren Erkenntnisse bedanken. Sie macht uns auf Probleme aufmerksam, die es zu lösen gilt, angefangen von offensichtlichen Regelungslücken im Zusammenwirken zwischen Bundes- und Landesbehörden. Wir wissen nun, dass sowohl das BKA als auch der Generalbundesanwalt den Fall bereits am 7. Oktober hätten übernehmen können und müssen.
Die Kommission hat aber auch einige Probleme und Fehler der sächsischen Behörden aufgedeckt. Einige führten zu fatalen Folgefehlern. Herr Ulbig, Herr Voigt und Herr Stange sind auf einige Punkte schon eingegangen. Ich möchte den Mechanismus noch einmal beispielhaft an der Feststellung deutlich machen, dass das Landeskriminalamt keinen eigenen Führungsstab, sondern nur eine Führungsgruppe hatte und dementsprechend unzu
reichend strukturell aufgestellt war, um solche großen Lagen zu führen. Sie gingen davon aus, dass es um die Festnahme eines Terroristen anstelle einer komplexen Terrorlage ging. Die Aufgaben waren deshalb vor Ort nicht klar. Durch mangelnde Führung entstanden dann die bereits beschriebenen Kommunikationsprobleme. Einsatzkräfte kommunizierten auf unterschiedlichen Kanälen. Das begünstigte das Entwischen des Täters.
Aber das ist eben kein rein sächsisches Problem; auch das hat die Expertenkommission klipp und klar gesagt. Auch in anderen Ländern hätte das passieren können. Das macht es nicht besser. Aber die Erkenntnisse der Expertenkommission können somit beispielgebend für alle Sicherheitsbehörden im Bund und in den Ländern sein. Alle werden von den sächsischen Erfahrungen profitieren.