Protocol of the Session on February 1, 2017

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Wie geht es konkret weiter? In den Ausschüssen liegen die Anträge aller Fraktionen vor. Wir werden in den Ausschüssen die Empfehlungen der Kommission im Detail prüfen, und wir werden ganz genau hinschauen. Das ist doch klar: Wir als Sächsischer Landtag und die Staatsregierung haben von der Kommission eine Aufgabenliste überreicht bekommen. Diese müssen und werden wir abarbeiten.

Der Innenminister hat erste Konsequenzen seines Ministeriums vorgestellt. Auch diese werden wir in den Ausschüssen genau prüfen und diskutieren. Einige Konsequenzen liegen bereits auf der Hand. So hat die Kommission Regelungslücken bei der Zusammenarbeit zwischen Bund und Land eindeutig identifiziert. Hier gibt es eindeutigen Gesetzgebungsbedarf im Bundestag.

Etwas anders verhält es sich bei den Empfehlungen für Sachsen. Hier benennt die Kommission vor allem organisatorische und strukturelle Probleme, zum Beispiel mangelnde Führungsfähigkeit des LKA. Nachholbedarf gibt es auch bei der Vorbereitung auf solche Terrorlagen, weil es nicht ausreichende Standards für Einsätze dieser Art gibt. Mangelnde Sensibilität bei Führungskräften und fehlende Fortbildung in diesem Bereich sind ebenso zu nennen.

Die Kommission sieht jedoch keinen Handlungsbedarf auf der Ebene des Sächsischen Landtags, Gesetzgebungsprozesse betreffend. Wir dürfen deshalb den zweiten Schritt nicht vor dem ersten tun. Zunächst müssen im Innenministerium die Hausaufgaben erledigt werden und danach können wir über weiteren Änderungsbedarf sprechen. Dazu kann durchaus eine Anpassung des Polizeigesetzes gehören.

Die Expertenkommission ermöglicht einerseits eine gute Aufarbeitung, andererseits sollte nicht nach jedem Polizeieinsatz, bei dem Fehler passieren, eine solche Kommission eingesetzt werden müssen. Warum war sie überhaupt notwendig?

Der Bericht legt den Finger in die Wunde einer mangelnden Fehlerkultur im Freistaat Sachsen. Die Auswertung

der Ereignisse um al-Bakr ist dabei nur die Spitze des Eisberges. Seinerzeit war eine Grundaussage von Verantwortlichen, man habe keine Fehler gemacht. War es mangelndes Problembewusstsein oder vielleicht doch diese Kultur der Unzuständigkeit, die auch von der Kommission identifiziert wurde? Pannen waren bereits damals offensichtlich, auch wenn das Ergebnis grundsätzlich gut ist, nämlich die Verhinderung eines Terroranschlags. Aber der Umgang damit war nicht gut. Es wurde zu oft reflexartig abgewiegelt.

Es ist eine Notwendigkeit, dass die Fehlerkultur in sächsischen Behörden besser werden muss. Fehler kommen vor; das ist normal. Entscheidend ist, dass sie angesprochen werden. Das zeugt nicht von Schwäche, sondern eher von Selbstbewusstsein und Professionalität.

Auch die Bewertungen von außen waren sehr problematisch. Sachsen ist mit Sicherheit kein failed state. Auch das Attribut Staatsversagen ist völlig überzogen. Die Wahrheit liegt wie immer in der Mitte. Diese extremen Einschätzungen bilden den Grundstein für die Kernaussage des Berichtes. Wir brauchen eine neue Kultur der gemeinsamen Verantwortungsübernahme, sei es bei Bundesbehörden oder bei sächsischen Behörden. Dafür ist wichtig, dass politisches und behördliches Führungspersonal solche Fehler zukünftig offen eingesteht und über Lösungen spricht, anstatt sie abzuwiegeln.

Deshalb möchte ich alle Verantwortlichen in der Staatsregierung, in der Polizeiführung, aber auch in anderen Behörden dazu ermuntern, zukünftig offensiv und ehrlich mit Fehlern umzugehen und zur jeweiligen Verantwortung zu stehen. Fehler müssen erkannt, benannt und reflektiert werden, dann kann man deren Wiederholung verhindern.

Ich würde es begrüßen, wenn zukünftig nicht mehr die Notwendigkeit bestünde, eine solche Expertenkommission unter extremem Druck der Öffentlichkeit einzurichten. Mir ist auch klar, dass Fehlerkultur und ein gutes Fehlermanagement nicht von heute auf morgen entstehen. Das ist ein Lernprozess für alle. Packen wir ihn endlich an!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Als Nächstes spricht die AfD-Fraktion; Herr Kollege Hütter.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kollegen Abgeordnete! Die CDU/SPD-Regierung ist um Schadensbegrenzung bemüht. An dieser Stelle möchten wir uns bei der Kommission ausdrücklich bedanken und bei allen, die dazu beigetragen haben, dass Schlimmeres in Chemnitz verhindert werden konnte.

Fehler wie im Fall al-Bakr dürfen nicht geschehen. Aber wissen Sie, was das Entscheidende ist? Wissen Sie, was das Entsetzliche ist und worüber nicht gesprochen wurde? – Es sind alles Fehler mit Ansage, vorhersehbare Fehler, sowohl bei den Sicherheitsbehörden als auch bei der

Justiz. Es sind Fehler, die aus einer fatalen Bundespolitik resultieren. Das ist der eigentliche Skandal.

(Beifall bei der AfD)

Für sich betrachtet, ist es selbstverständlich schon schlimm, dass mit dem LKA die falsche Behörde die Hoheit über den Einsatz hatte, dass es Kommunikationsprobleme zwischen den Kräften des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des mobilen Einsatzkommandos und des SEK der sächsischen Polizei gab. Es ist schlimm, dass Fehler bei der Fahndung, der Inhaftierung und der Informationsweitergabe insgesamt gemacht wurden. Entscheidende Erkenntnisse, die man auch aus den Versäumnissen um den NSU-Verbrechensprozess ziehen konnte, wurden ebenfalls nicht ausreichend umgesetzt. Wie sonst erklären sich die Kommunikationspannen, die immer wieder geschehen, nicht nur in Sachsen, sondern in ganz Deutschland?

Verheerend ist, dass in diesem Land immer erst etwas passieren muss, bevor die Politik endlich handelt. Wenn sie denn handelt, dann oft zeitversetzt und fehlerhaft. Das ist nicht nur ein Gefühl der Bürger, sondern das ist Realität. Die Sicherheitsbehörden und die Justiz waren schon vor dem Jahr 2015 und vor dem steilen Anstieg der terroristischen Gefahren überlastet. Das war schon damals deutlich erkennbar.

Die AfD hat dieses Problem im Sächsischen Landtag in Form von Anträgen und vielen Reden – unter anderem von unserer Fraktionsvorsitzenden, Frau Dr. Petry, Herrn Wippel, Frau Dr. Muster, Herrn Barth und mir – unmissverständlich und deutlich angesprochen.

Dass die personelle Situation in den sächsischen Justizvollzugsanstalten sehr angespannt ist und die Bediensteten dort unter einer hohen Dienstbelastung leiden, ist seit Längerem bekannt. Wie soll man sich dort schnell und gezielt auf neue Probleme einstellen? Das ist schlicht nicht leistbar. Erst jetzt im Doppelhaushalt 2017/2018 konnten sich die Regierungsparteien zu einem Stopp des Stellenabbaus und der Schaffung zusätzlicher Stellen für den sächsischen Justizvollzug durchringen. Bei der Polizei war es ganz ähnlich.

Jedes Mal gingen klare Forderungen auch der AfD voraus. Dafür wurde uns vorgeworfen, wir würden nur Ängste in der Bevölkerung schüren. Nun wird es offensichtlich, dass unsere Einschätzungen richtig waren. Die Regierung wollte jedoch damit nur von den eigenen Versäumnissen ablenken. Der rot-grüne Einfluss auf die sächsische CDU wird hier mal wieder klar erkennbar.

(Beifall bei der AfD – Lachen bei der CDU und der SPD – Unruhe – Zurufe)

Die Menschen draußen im Lande erwarten von den Politikern, dass diese vorausschauend handeln, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Es zieht sich aber wie ein roter Faden durch alle Politikfelder, dass es in Sachsen und in ganz Deutschland meist umgekehrt ist; nicht nur bei der Sicherheit, sondern auch bei der Bildung – Stich

wort Lehrermangel – und zuletzt auch in der Wirtschaft – Stichwort Russlandsanktionen. Der Fall al-Bakr ist ein weiterer unmissverständlicher Beweis dafür. Hier wurden jetzt mit viel Sach- und Personalaufwand eine Expertenkommission eingesetzt und Sachverständige herangezogen. Die Vorschläge und Erkenntnisse sind aber kaum neu.

Natürlich ist es gut, dass wir nun dieses Thema auf der Tagesordnung im Landtag haben. Da wird aber wieder einmal die alte Redewendung offenkundig: Der Prophet ist im eigenen Land nichts wert.

Die Staatsregierung kommt aber nicht mehr umhin, das Offensichtliche auszusprechen. Ich zitiere hierzu aus der Stellungnahme des sächsischen Justizministeriums

zum Bericht der Expertenkommission al-Bakr vom 27.01.2017: „Der Bericht führt sehr eindrücklich vor Augen, dass angesichts der durch den islamischen Terror entstandenen Bedrohung die gesamte deutsche Sicherheitsarchitektur auf Bundes- wie auf Landesebene herausgefordert ist.“ – Schön, dass der sächsische Justizminister die Feststellungen und Forderungen der AfD herausstellt und umsetzen will. – Ich zitiere weiter: „Die zunehmende Zahl ausländischer und extremistischer Gefangener stellt die Justizvollzugsbediensteten vor ganz neue Herausforderungen. Hier bedarf es daher neben den beschriebenen baulichen Veränderungen auch einer fortlaufenden Sensibilisierung der Bediensteten durch entsprechende Fortbildungsmaßnahmen. In neu konzipierten Schulungen sollen die Bediensteten daher noch besser für den Vollzugsalltag mit Gefangenen aus unterschiedlichen Kulturkreisen und mit unterschiedlichen, teils extremistischen politischen und religiösen Überzeugungen befähigt werden.“

Werte Staatsregierung, werte Regierungsparteien, es ist richtig, Symptome von Fehlentscheidungen zu bekämpfen. Wenn man aber nicht mindestens mit gleicher Härte die Ursachen bekämpft, dann wird man irgendwann der Probleme nicht mehr Herr.

Wir wollen es nicht so weit kommen lassen. Deshalb wird die AfD weiterhin dafür kämpfen, dass die nötige innere Sicherheit zum Schutz unserer Bürger gewährleistet wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der AfD)

Als letzte Fraktion in der ersten Rederunde spricht die Fraktion GRÜNE. Das Wort ergreift Herr Kollege Lippmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Anfang Oktober muss man im Innenministerium wohl erleichtert gewesen sein: Es stand ein anderes Haus im Fokus der Öffentlichkeit; zu sehr hatte der Suizid von al-Bakr in der JVA Leipzig den misslungenen Zugriff in Chemnitz überlagert.

Das nun veröffentlichte Ergebnis der unabhängigen Untersuchungskommission spricht in vielen Punkten Bände und vor allen Dingen eine deutlich andere Sprache

und widerlegt eindeutig das Märchen der Fehlerfreiheit, das uns noch im Innenausschuss erzählt wurde. Der Bericht ist umfassend und schonungslos und damit genau das, was wir uns von der unabhängigen Untersuchungskommission, welche wir unmittelbar nach den Ereignissen im Oktober gefordert hatten, erwartet haben.

Ich danke an dieser Stelle namens meiner Fraktion ausdrücklich den Mitgliedern der Untersuchungskommission für ihre exzellente Arbeit. Sie haben im erheblichen Maße dazu beigetragen, dass wir nun aus den Fehlern die notwendigen Konsequenzen ziehen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Denn Fehler gab es ausweislich der öffentlichen Verlautbarung der Kommission reichlich beim Zugriff gegen den Terrorverdächtigen. Es gab ein Führungsversagen, weil das LKA nicht in der Lage war, in angemessener Art und Weise und mit einem Führungsstab zu agieren. Es gab ein Kommunikationsversagen, da offenbar Einheiten nicht miteinander in Kontakt standen und somit in entscheidenden Momenten des Einsatzes nicht kommunizieren konnten; und es gab ein Kooperationsversagen, was die gegenseitige Unterstützung der Behörden untereinander angeht.

Ja, auch die Bundesbehörden müssen sich hier einen Schuh anziehen. Die Deutlichkeit der Bewertung von Herrn Prof. Landau und der Kommission in Bezug auf das Handeln des BKA und des Generalbundesanwalts war an Deutlichkeit kaum zu überbieten.

Doch auch Fehler von Bundesbehörden entbinden Sie, Herr Innenminister, nicht von der politischen Verantwortung für diesen desaströsen Polizeieinsatz; er hätte weit schlimmere Folgen haben können. Immerhin entfloh ein mutmaßlicher Terrorist wohl unmittelbar vor der Durchführung eines Anschlags.

Natürlich war es eine herausragende Einsatzsituation. Und es geht nicht um individuelle Schuld für gemachte Fehler, sondern um die politische Verantwortung hierfür. Diese politische Verantwortung tragen Sie, Herr Innenminister.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Sie tragen die politische Verantwortung für dieses polizeiliche Versagen, weil Sie seit Jahren auch in diesem Hohen Hause von einer stetig wachsenden Gefahr von Anschlägen durch Terroristen sprechen, weil Sie damit Bürgerrechtseingriffe legitimieren, die Sicherheitsbehörden hochrüsten und sogar von gemeinsamen Übungen mit der Bundeswehr träumen.

Doch trotz dieser fulminanten Ankündigungsrhetorik der letzten Jahre haben sich offenbar die sächsischen Polizeibehörden nicht ernsthaft mit der Frage befasst, ob man praktisch in der Lage ist, an einem Wochenende einen mutmaßlichen Terroristen festzunehmen. Es gibt offensichtlich eine falsche Prioritätensetzung, wenn der Leiter des LKA in der Vergangenheit vor allem durch öffentliche

Äußerungen zum Thema Bauschaum aufgefallen ist, anstatt seine Behörde fit für Terrorlagen zu machen.

Zwischen Ihren öffentlichen Reden, Herr Minister, und der Realität klafft eine Lücke, die nur die Folge eines massiven Führungsversagens der Hausspitze sein kann.

Ich muss auch nach der Regierungserklärung zur Kenntnis nehmen, dass man in Sachsen offenbar umgedeutet hat, was es bedeutet, wenn ein Minister politische Verantwortung für Fehler übernimmt. Nur, allein dieser kommunikative Schachzug ändert nichts an der Realität. Niemand will tatsächlich für das Versagen von Sicherheitsbehörden in Sachsen die Verantwortung übernehmen – weder im LKA noch im Innenministerium. Die Einstufung des gesamten Berichts als Verschlusssache soll möglicherweise die tatsächlichen Dimensionen dieser Verantwortungslosigkeit verschleiern. Man setzt darauf, dass mit wolkigen Bekenntnissen in der Öffentlichkeit und Alibireaktionen auch der Fall Al-Bakr schlussendlich ausgesessen werden kann – es wird weitergewurstelt, obwohl ein struktureller Neuanfang dringend geboten wäre.

Zur Übernahme von politischer Verantwortung gehört auch aktive Aufklärung. Davon ist das Innenministerium meiner Ansicht nach weit entfernt. Denn während sich der Justizminister kurz nach der Vorstellung des Untersuchungsberichtes mit konkreten Maßnahmen vor die Presse stellte, sind Sie dem Landtag und der Öffentlichkeit viel zu lange schuldig geblieben, welche konkreten Konsequenzen Sie aus dem Polizeiversagen ziehen. Wenn im Innenministerium tatsächlich jemand Verantwortung übernommen hätte, dann wäre es zu einer aktiveren Aufarbeitung des Einsatzes gekommen, die in mehr als einem lapidaren Dreiseiter an den Innenausschuss gemündet wäre.