Protocol of the Session on February 1, 2017

Zu den angesprochenen kritischen Punkten haben wir einen Änderungsantrag erarbeitet, den ich dann einbringen werde.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Nach Frau Kollegin Pfau ergreift jetzt Herr Kollege Homann für die SPDFraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Viele unbegleitete minderjährige Flüchtlinge haben in ihrem Heimatland traumatische Erfahrungen gemacht. Sie fliehen vor Hunger. Sie fliehen vor Gewalt. Sie fliehen vor Bürgerkriegen. Sie fliehen manchmal vor Terror, aber eben auch vor drohendem Kriegsdienst oder politischer Verfolgung. Jeder einzelne minderjährige Flüchtling hatte in seinem eigenen Land oftmals dramatische Erlebnisse.

Nach Schätzungen von Flüchtlingsorganisationen sind weltweit allein 6 bis 10 Millionen Kinder auf der Flucht. Nur wenige von ihnen kommen nach Deutschland und reisen als sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ein. Dass die Zahl der einreisenden minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland deutlich gestiegen ist, zeigt ein einfaches Zahlenbeispiel. Wurden vergleichsweise im Jahr 2013 insgesamt 6 583 unbegleitete ausländische Kinder und Jugendliche in Obhut genommen, so waren es 62 170 zum Stichtag 27. Januar 2017.

Ausländische Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Familie nach Deutschland einreisen, wurden bis zum 31. Oktober 2015 von den Jugendämtern an den Orten in Obhut genommen, an denen sie aufgegriffen wurden bzw. sich selbst beim Jugendamt gemeldet haben. Im Gegenzug leisteten die nicht betroffenen Bundesländer finanzielle Unterstützung in Millionenhöhe – auch wir in Sachsen, das muss man an dieser Stelle sagen.

Die im November 2016 in Kraft getretene gesetzliche Regelung sieht vor, dass Kinder und Jugendliche auf andere Bundesländer verteilt werden. Diese Regelung war notwendig, denn nur dadurch konnte sichergestellt werden, dass eine bedarfsgerechte Versorgung und Betreuung der unbegleiteten Minderjährigen nach den Standards der Kinder- und Jugendhilfe gewährleistet ist. Das ist auch richtig, denn einzelne Bundesländer waren allein überfordert, und wir konnten diese Herausforderung nur gemeinsam schultern. Das war wichtig, weil die deutsche Kinder- und Jugendhilfe nicht zwischen Kindern mit deutschem Pass und Kindern ohne deutschen Pass unterscheidet; denn es sind Kinder und Jugendliche, und diese haben einen besonderen Schutz aufgrund internationaler Konventionen. Deshalb war dieser Schritt an dieser Stelle auch kinder- und jugendpolitisch sowie humanitär ein absolut richtiger, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Für Sachsen bedeutet dies, dass gegenwärtig in der Zuständigkeit sächsischer Jugendämter 2 536 unbegleitete minderjährige Ausländer betreut werden. Im Übrigen sind etwa 221 davon zwischenzeitlich volljährig und werden dennoch weiter von den Jugendämtern betreut, weil ihre ganz persönliche Lebenssituation eine weitere Betreuung erfordert. Ich finde, auch das ist richtig. Wir müssen das Wohl dieser jungen Menschen im Blick haben. Das KJHG

gilt bis 27 Jahre, und dass wir Ausnahmen von der Regel machen, wenn es dem Kindeswohl dient, ist absolut zu unterstützen.

Wir als Sachsen müssen also seit November 2015 unsere Quote erfüllen. Wir erfüllen sie im Übrigen zu gerade einmal 80 %. Allein das ist schon eine Riesenleistung. Wenn die Quote jedoch zu 100 % erfüllt würde, müssten wir nach aktuellem Stand 607 zusätzliche minderjährige Geflüchtete aufnehmen; und ich kann mir gut vorstellen, dass dieser Zeitpunkt kommen wird, an dem wir 100 % der jungen Menschen aufnehmen müssen. Das zeigt, wir haben hier Handlungsbedarf.

Zur Wahrheit gehört, dass insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2015 in Sachsen Provisorien Alltag waren. Wenn wir ganz ehrlich sind, waren es insbesondere infrastrukturelle und personelle Herausforderungen, auf die wir bei der hohen Anzahl junger Flüchtlinge nur unzureichend vorbereitet waren. Inzwischen dienten auch Jugendherbergen oder ähnliche Einrichtungen als Unterkünfte, aber für uns ist klar: Das kann natürlich nur eine Übergangslösung gewesen sein.

Doch vor dem Hintergrund der oft traumatischen Erlebnisse, die die Kinder und Jugendlichen zu verarbeiten haben, kommt der pädagogischen Betreuung einschließlich einer entsprechenden Infrastruktur in den aufnehmenden Jugendeinrichtungen eine ganz bedeutende Rolle zu. Ich sage das vor dem Hintergrund, dass wir auch so ehrlich sein müssen, über Problemfälle zu sprechen. Natürlich gibt es auch bei diesen Jugendlichen – so sind Jugendliche nun einmal – Problemfälle. Ich sage an dieser Stelle aber auch: Unser Prinzip in Deutschland ist – ich halte das für eine Errungenschaft –, dass wir bei jungen Menschen nicht nur mit dem Rechtsstaat arbeiten, sondern auch mit Sozialpädagogik, mit Vorsorge, weil wir sie wieder auf den richtigen Weg bringen wollen. Natürlich ist Betreuung bei Problemfällen besonders wichtig, deshalb müssen wir ordentliche Standards zur Verfügung stellen.

Zur Wahrheit gehört aber auch: Die klare Mehrheit ist auf unsere Hilfe angewiesen und verdient sie auch. Wir dürfen nicht vergessen, dass diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge mit starken Belastungen zu uns kommen. Insbesondere die örtlichen Jugendämter, die vielen freien Träger und die vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – viele hauptamtlich, viele auch ehrenamtlich – haben in den vergangenen Monaten schier Unglaubliches geleistet. An dieser Stelle möchte auch ich noch einmal sagen: Allen Menschen, die sich für Kinder und Jugendliche aus anderen Ländern in schwierigen Situationen eingesetzt haben, meinen und unseren herzlichen Dank!

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)

Nunmehr gilt es, die Gesetze in Sachsen auf diese neue Situation einzustellen. Das heißt, wir wollen die aktuell geltenden Übergangsregelungen gesetzlich normieren und verbindlich regeln. So wird mit dem neuen Gesetz –

erstens – eine Regelung für die landesweite Verteilung der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen im Verhältnis zur jeweiligen Einwohnerzahl getroffen. Diese Praxis erfolgte bereits in den letzten 15 Monaten so. Sie hat sich bewährt, deshalb ist es richtig, dass wir sie im Gesetz verankern.

Zweitens wollen wir mit einer Verwaltungskostenpauschale gesetzlich finanzielle Sicherheit für die Landkreise schaffen. Diese Pauschale soll den personellen und sachlichen Aufwand bei den örtlichen Trägern der Jugendhilfe decken; denn wir sind dazu verpflichtet, dies zu organisieren. Nun könnte man spitz abrechnen, aber wir stehen auch im Dialog, und natürlich ist eine Spitzabrechnung immer ein besonderer bürokratischer Aufwand. Ich finde es gut, dass man sich auf eine Kostenpauschale geeinigt hat, diesen Weg sollten wir auch gehen.

Drittens – das ist ein Punkt, der offensichtlich öffentlich immer wieder thematisiert wurde – tragen wir in § 27 Abs. 3 des Gesetzes der Situation Rechnung. Grundsätzlich ist einer Einrichtung, die ohne entsprechende Betriebserlaubnis betrieben wird, der weitere Betrieb untersagt. An diesem Grundsatz wird natürlich auch weiterhin ohne Wenn und Aber festgehalten. Die Ausnahmesituation im Jahr 2015 hat jedoch gezeigt, dass in Notsituationen – ich betone: in absoluten Notsituationen – gar nicht so viele Inobhutnahme-Einrichtungen vorhanden sind, um alle Kinder und Jugendlichen unterzubringen. Deshalb wurde nunmehr eine Ergänzung in Abs. 3 vorgenommen, die in Fällen einer absoluten Notsituation den vorübergehenden Betrieb einer Einrichtung ohne die erforderliche Betriebserlaubnis vorsieht. Ich denke, dass eine solche Regelung im Sinne der Kinder und Jugendlichen ist. Daher sollte man das an dieser Stelle auch in die politische Debatte – bei aller berechtigten Sorge um die Verbindlichkeit von Fachstandards und Standards – entsprechend einsortieren.

Selbst die vorsorglichsten Planer konnten die Situation, die wir 2015 erlebt haben, als wir innerhalb kürzester Zeit von 140 auf über 2 500 Plätze aufstocken mussten, nicht voraussagen. Wir können nicht in die Glaskugel schauen und sagen, wie es weitergeht. Glauben Sie mir, wir haben sehr hart um diesen Kompromiss gerungen, die Regelung so zu schaffen, wie sie nun im Gesetz vorgeschlagen wird.

Ich finde, dass wir als Freistaat Sachsen der Verantwortung, die wir insbesondere den jungen Geflüchteten gegenüber haben, gerecht werden, und deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der Staatsregierung)

Für die AfD-Fraktion erteile ich Herrn Kollegen Wendt das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mir obliegt es wieder, dieses Gesetz zu kritisieren.

(Zuruf von der CDU: Gültig!)

Grundsätzlich: Mit der Änderung des Landesjugendhilfegesetzes möchten Sie Bundesrecht umsetzen, landesrechtliche Regelungen, die sich bisher in Vereinbarungen wiedergefunden haben, schaffen und damit für Planungssicherheit für die Landkreise und kreisfreien Städte sorgen. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden.

Aber was sind denn die Gründe für diese Gesetzesänderungen? Die Gründe liegen doch klar auf der Hand – werte Staatsregierung, sehr geehrte Kollegen Abgeordnete. Es müssen auf Bundes- und Landesebene Gesetze geändert werden, weil unser Land eines massenhaften Zustroms illegaler Migranten ausgesetzt war und immer noch ist.

(Beifall des Abg. André Barth, AfD)

Und dies alles, weil seitens der Bundesregierung gegen gültige Gesetzeslage verstoßen wurde.

Dieser Zustrom, von dem Sie übrigens auch in Ihrem Gesetzentwurf sprechen, wird weiter anhalten und sich künftig verstärken, wenn wir nicht endlich handeln. Dann helfen auch all Ihre Gesetze nicht mehr, deren Anwendung man sowieso infrage stellen muss, wenn man sieht, wie mit Gesetzen auf Bundesebene umgegangen wird.

Werte Abgeordnete der CDU-Fraktion, ich zitiere gern Ihr ehemaliges CDU-Fraktions- und Parteimitglied Erika Steinbach, die vor vier Tagen Folgendes auf Ihrer Facebookseite postete: „Sie alle haben die unkontrollierte Massenimmigration nach Deutschland unter Missachtung von Recht und Verträgen gewollt, gebilligt und/oder verteidigt.“ Neben dieser schriftlichen Stellungnahme waren Fotos von Angela Merkel, Martin Schulz, Sahra Wagenknecht und Katrin Göring-Eckardt zu sehen.

(Alexander Dierks, CDU: Sprechen Sie doch mal zum Landesjugendhilfegesetz!)

Es handelt sich also bei allen um im Bundestag vertretene Parteien, die für diese Zustände verantwortlich sind. Dem nicht genug – –

(Dagmar Neukirch, SPD: Zum Thema!)

Jetzt komme ich zum Thema.

(Ah! von der SPD und den GRÜNEN)

Sie wollen in Zukunft für weitere Notlagen gewappnet sein. Aus diesem Grund wollen Sie beispielsweise den § 27 im Landesjugendhilfegesetz ändern, indem Sie bei notstandsähnlichen Situationen Einrichtungen dulden wollen, die nicht über die zuständige und entsprechende Betriebserlaubnis verfügen.

Ich sage es klar und deutlich: Wir und die Bürger unseres Landes möchten nicht, dass es noch einmal zu derartigen Notsituationen kommt. Deshalb werden wir Ihr Vorhaben nicht unterstützen.

Lassen Sie mich innerhalb Ihres Gesetzes noch auf einen weiteren Paragrafen eingehen: den § 32 b Medizinische Untersuchung. Dort legen Sie fest, dass die unbegleiteten minderjährigen Ausländer eine Pflichtuntersuchung auf

ansteckende Krankheiten zu dulden haben. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, dass ich sehr verwundert bin. Sie sprechen von einer Pflichtuntersuchung, die der unbegleitete minderjährige Ausländer zu dulden hat. Erinnern Sie sich an den 9. November 2016? Ja, meine sehr geehrten Damen und Herren, an diesem Tag vor 27 Jahren fiel glücklicherweise die Berliner Mauer.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: 2016?! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

Ja, vor 27 Jahren; da müssen Sie besser zuhören.

(Luise Neuhaus-Wartenberg, DIE LINKE: Sie haben 2016 gesagt!)

Ja, ja, vor 27 Jahren, 2016, genau. Aber darauf möchte ich jetzt nicht zu sprechen kommen, da es thematisch nicht zu Ihrem Gesetz passt.

(Heiterkeit im Saal)

Am 9. November 2016 hatten wir einen Antrag mit der Drucksachennummer 6/6904 eingebracht, der eine medizinische Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Ausländern vorsah.

(Christian Piwarz, CDU: Versuchen Sie mal den Unterschied herauszufinden, Herr Wendt!)

Von allen Fraktionen ist dies auch mit dem Verweis auf die Menschenwürde, zum Beispiel durch Herrn Kiesewetter, und auf die Verletzung der körperlichen Integrität von Flüchtlingen, durch Frau Pfeil-Zabel, abgelehnt worden.

(Uwe Wurlitzer, AfD: Hört, hört! – Zuruf des Abg. Christian Piwarz, CDU) )