Protocol of the Session on November 10, 2016

(Petra Zais, GRÜNE: Die Kommunen sehen uns als Verantwortliche!)

Die Frage „Was ist Maßstab für den Erfolg?“ werden wir weder mit einem Antrag der Koalition beantworten können, noch kann er direkt durch staatliches Handeln einer Landesregierung erfolgen.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Indirekt, ja. Das wollen wir ja machen, deshalb gibt es den Antrag.

(Zuruf der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Wir haben die Verantwortung bei der Jugendberufsagentur durch die BA, die Bundesagentur für Arbeit, und die Kommunen. Wir wollen es nur nicht dem Zufall überlassen, inwieweit sie so gut zusammenarbeiten, dass auch diese qualitativen Maßstäbe, die wir haben, erfüllt werden. Genau das ist der Grund, warum wir uns darum kümmern – auch als Freistaat, auch als Staatsregierung, auch als Koalition –, dass dieses Projekt Jugendberufsagenturen nicht nur ein Projekt einer BA und der kommunalen Kräfte ist, sondern dass es von uns landespolitisch begleitet wird, weil es für uns politisch so bedeutsam ist.

Ich spreche deshalb noch einmal davon, damit wir auch über die Adressaten reden, die nicht nur in der Landesregierung zu suchen sind, sondern wir brauchen die Akteure vor Ort. Die wollen wir nach allen Kräften unterstützen.

Deshalb freue ich mich auch, dass ich Ihnen bereits heute eine Vereinbarung zur Weiterentwicklung von Jugendberufsagenturen im Freistaat Sachsen zwischen den kommunalen Spitzenverbänden, den Regionaldirektionen Sachsen, der Bundesagentur für Arbeit, dem Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz, für Kultus und für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr verkünden darf, die wir in Kürze veröffentlichen wollen, um zu zeigen, dass wir mit dieser Kooperationsvereinbarung auch einen Rahmen vorgegeben haben. Mein Dank geht dabei an alle Beteiligten.

Die Kooperationsvereinbarung lässt einen großen Gestaltungsspielraum im Rahmen der Umsetzung in den kommunalen Gebietskörperschaften zu und stellt in erster Linie auf eine Selbstverpflichtung aller Beteiligten vor Ort ab. Ich werde auch nicht die Kompetenzen der Akteure vor Ort infrage stellen. Ganz im Gegenteil: Wir brauchen diese sogar. Aber die Qualität und der Erfolg dieser Jugendberufsagentur hängt maßgeblich davon ab, inwieweit wir solche ehrgeizigen Ziele verfolgen, wie ich sie vorhin beschrieben habe, und uns nicht damit zufrieden geben, dass Expertinnen und Experten unter einem Dach sind, sondern nur, wenn tatsächlich dieser Perspektivenwechsel glaubhaft vollzogen wird, den Jugendlichen in den Mittelpunkt zu stellen und für ihn die optimalen Antworten zu finden.

Nutzen wir die vorhandenen Ressourcen und werden wir weiterhin gemeinsam für die jungen Menschen tätig. Wir lassen niemanden zurück. Wir interessieren uns für jede und jeden Jugendlichen, und wir sind gemeinsam dafür verantwortlich.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Abg. Petra Zais, GRÜNE)

Ich rufe nun zum Schlusswort auf. Wird es noch gewünscht? – Nein. Dann stelle ich Drucksache 6/3981 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Gibt es Gegenstimmen? – Keine. Stimmenthaltungen? – Bei einer Reihe von Stimmenthaltungen ist dem Antrag mit großer Mehrheit zugestimmt worden.

Meine Damen und Herren! Ich beende den Tagesordnungspunkt und rufe auf

Tagesordnungspunkt 4

Kinderarmut in Sachsen: Situation – Herausforderungen – Initiativen

Drucksache 6/5077, Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE,

und die Antwort der Staatsregierung

Als Einbringerin spricht zuerst die Fraktion DIE LINKE, Frau Abg. Schaper. Danach folgen CDU, SPD, AfD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn sie es wünscht. Frau Schaper, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Täglich eine warme Mahlzeit, frisches Obst und Gemüse, altersgerechte Bücher, Spielzeug fürs Freie, regelmäßige Freizeitaktivitäten, Geld für Schulausflüge oder einige neue Kleidungsstücke, die Möglichkeit, ab und zu Freunde und Freundinnen einzuladen, Geburtstage zu feiern. Das sind laut einer UNICEF-Studie Beispiele für Dinge, die arme Kinder täglich entbehren.

In Deutschland muss fast jedes elfte Kind auf mindestens zwei dieser Punkte verzichten. Wer in Armut aufwächst, hat lange mit den Folgen zu kämpfen, und das nicht nur gesundheitlich. Armut ist nicht abstrakt, sondern schadet ganz konkret. Was aus den Kindern von heute wird, liegt auch in unseren Händen. Es ist ein Skandal, dass in unserem Land Kinder aus wirtschaftlich benachteiligten Haushalten nicht dieselben Chancen auf höhere Bildung und somit auf freie Berufswahl vorfinden wie Kinder aus besser situierten Elternhäusern. Es ist eine Schande, dass Kinderarmut in einem der reichsten Länder der Welt immer noch ein Thema ist. Das zeugt gleichzeitig von der ungleichen Verteilung der Einkommen und Vermögen und einem fehlenden Willen der Regierenden – auch in Sachsen –, daran etwas zu ändern.

Statt sich dem Problem zu stellen, wird es schöngeredet, ignoriert oder auch weggelächelt. Diese Haltung, meine Damen und Herren, ist fahrlässig und holt uns spätestens in zehn bis 20 Jahren ein, und zwar dann, wenn die Kinder von heute erwachsen und viele von ihnen ohne Perspektive sind, weil sie als Kinder von Armen nicht dieselben Möglichkeiten hatten wie andere.

Zum Glück haben Sie ja noch uns, die soziale Opposition, die Sie immer wieder mit der Nase auf Probleme stößt, die Sie sonst zu wenig beachten.

(Beifall bei den LINKEN)

Ihre Antwort auf unsere Große Anfrage zur Kinderarmut belegt zweierlei: erstens, dass wir uns in Sachsen mit dem Thema stärker als bisher auseinandersetzen müssen, und zweitens, dass Sie Nachhilfe in Sachen Problemsensibilität brauchen; denn Sie haben bei Ihren Antworten eine große Kreativität entwickelt, um sich um das Thema herumzumogeln.

Das beginnt damit, dass Sie davon sprechen, dass 12,4 % der Kinder in Sachsen armutsgefährdet sind. Von einem historischen Tiefstand ist dabei die Rede. Zu einer solchen Einschätzung kann man nur kommen, wenn man den Bezug zur Realität völlig verloren hat.

Wenn man die Armut nur an den Durchschnittseinkommen in Sachsen messen will, die deutlich unter dem Bundesdurchschnitt liegen, dann kommt man selbstverständlich auf solche „traumhaften“ Zahlen. Sie verkennen aber nach wie vor, dass in Sachsen viele Menschen leben, die trotz Arbeit arm sind. Das liegt nicht etwa daran, dass Hartz-IV-Empfänger zu viel bekommen, sodass sie den ganzen Tag zu Hause sind, wie es Alexander Krauß immer so schön betont. Nein, das liegt daran, dass die Löhne in Sachsen teilweise so niedrig sind – immer noch trotz Mindestlohn –, dass es nicht zum Leben reicht. Das zeigt auch die Tatsache, dass nirgendwo so vom Mindestlohn profitiert wird wie in Sachsen. Daher ist es schon richtig, den Bundesmedian heranzuziehen, der für Sachsen im Jahr 2014 eine Armutsgefährdungsquote von 22,3 % ausweist. Das liegt um fast 10 % über Ihrem sogenannten historischen Tiefstand. Der Bundesdurchschnitt liegt ganz nebenbei bemerkt übrigens bei 19 %.

Das Kinderarmutsrisiko hängt von der Haushaltsgröße ab. Haushalte mit zwei Erwachsenen und einem Kind sind zu 11,3 % von Armut betroffen. Zwei Erwachsene und zwei Kinder bedeuten ein Risiko von 14,2 %. Paare mit drei oder mehr Kindern sind schon zu 21,8 % von Armut betroffen.

Wir müssen uns über den demografischen Wandel nicht wundern, wenn das Armutsrisiko mit jedem zusätzlichen Kind wächst. Sie stellen sogar fest, dass das so ist. Das war es dann aber auch schon.

Auch Sie müssten doch darauf kommen, dass die familienpolitischen Förderinstrumente nicht ausreichen. Was unternehmen Sie? Fühlen Sie sich nicht zuständig? Fehlen Ihnen Ideen? Aber Sie sind doch d i e Staatsregierung. Sie müssen doch aktiv werden, auch auf der Bundesebene. Oder sind Ihnen das die 150 000 Kinder in Sachsen, die unterhalb der Armutsgrenze leben, nicht wert?

Vielleicht ist Ihnen aber auch einfach nicht bewusst, was der Bezug von Hartz IV bedeutet. Es bedeutet Armut.

Im Jahr 2015 lebten in Sachsen über 80 000 Kinder unter 15 Jahren in Hartz-IV-Bedarfsgemeinschaften und rund 6 000 Kinder in Haushalten mit Leistungen nach SGB XII. Da kann man doch nicht von Einzelfällen sprechen. Es muss einem doch klar werden, dass Hartz IV und die damit verbundene Armut ein Massenphänomen ist. Hinzuzurechnen sind noch die Kinder in über 16 000 Wohngeldhaushalten und Kinder von rund 55 000 Eltern, die von Beiträgen zu Kindertagesstätten befreit sind. Leider haben wir dazu von Ihnen nur Zahlen aus dem Jahr 2010 aus allen kreisfreien Städten und Landkreisen erhalten, weil angeblich für das Jahr 2014 die Daten nicht übermittelt wurden. Doch fast überall in Sachsen ist laut der Tabelle ein Anstieg im Vergleich zum Jahr 2010 zu verzeichnen.

Wir müssen also davon ausgehen, dass die Gesamtzahl der Betroffenen im Jahr 2014 über der Zahl von 2010 liegt und sich damit das Problem verschärft und nicht entschärft. Das Bildungs- und Teilhabepaket ist schon dafür zu kritisieren, dass es allen bedürftigen Eltern unterstellt, die bereitgestellten Mittel nicht für ihre Kinder zu verwenden. Abgesehen davon, dass es 60 000 Betroffene in Anspruch genommen haben.

Allein wenn man diese Zahlen, die zu Hartz IV, Leistungen nach SGB XII, Wohngeld und Befreiung von Elternbeiträgen, gemeinsam betrachtet, beschleicht einen das Gefühl, dass die Kinderarmutsquote in Sachsen niemals nur bei 12,4 % liegen kann. Tatsächlich ist jedes vierte Kind im Freistaat Sachsen von Armut betroffen.

Mit unserer Großen Anfrage wollten wir erreichen, dass die Staatsregierung zum Thema Kinderarmut Stellung nimmt. Damit sind wir grandios gescheitert. Nicht, weil wir die falschen Fragen gestellt hätten, sondern weil die Staatsregierung über keine Erkenntnisse zu den Lebenslagen der betroffenen Kinder verfügt. Sie wollen auch nicht den von uns verlangten Lebenslagenreport erstellen. Die Sozialberichterstattung, die Sie im Koalitionsvertrag großspurig schon für das Jahr 2016 versprechen, wird nun endlich am Ende des Jahres – zumindest mit einer Zusammenstellung einer Kommission „Sozialberichterstattung“ – langsam auf den Weg gebracht. Mit Ergebnissen wird in diesem Jahr aber nicht zu rechnen sein. Logisch.

In bewährter Weise leugnen Sie, meine Damen und Herren, jede Verantwortung und delegieren entweder nach unten auf die Kommunen oder verweisen nach oben auf den Bund. Mit einer solchen Haltung macht man sich doch überflüssig. Wer sich heute nicht mit den Erwachsenen von morgen beschäftigt, verspielt die Zukunft unserer Gesellschaft. Oder um Herrn Helmut Kohl zu zitieren, da Ihnen Bertoldt Brecht vielleicht nicht so vertraut ist: „Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“

(Beifall des Abg. Horst Wehner, DIE LINKE)

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die CDUFraktion, Frau Abg. Dietzschold.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Aus dem Entwurf des neuen Armuts- und Reichtumsberichtes, der momentan in der Bundesregierung abgestimmt wird und aus dem die „Saarbrücker Zeitung“ zitiert, geht hervor, dass sich seit dem Anstieg bis Mitte des vergangenen Jahrzehnts die Armutsrisikoquote von Kindern nicht weiter erhöht hat. Weiter heißt es dann: „Nur wenige Kinder in Deutschland leiden unter einer materiellen Not.“ Wenn der Anteil der Haushalte mit einem beschränkten Zugang zu einem gewissen Lebensstandard und den damit verbundenen Gütern betrachtet werde, dann seien 5 % der Kinder betroffen.

Bereits im September 2016 haben wir im Landtag deutlich gemacht und darüber diskutiert, dass die Entwicklung im Freistaat Sachsen rückläufig ist. Lebten vor fünf Jahren in Sachsen 20,1 % der Kinder in Familien mit Grundsicherung, waren es im Jahr 2015 nur noch 16,9 %.

Gleichwohl muss man aber weiterhin alles daransetzen, um die Zahlen von Kindern in Armutslagen zu senken. Kinder in Armut können ihre Lebenssituation nicht selbst ändern. Deshalb hat hier der Staat eine besondere Verantwortung, und wir als Staat nehmen diese Verantwortung sehr wohl in Anspruch und tun etwas, Frau Schaper.

(Susanne Schaper, DIE LINKE: Hört, hört!)

Meine Kollegin Ines Saborowski-Richter hat in der Plenardebatte ausführlich aufgezeigt, welche umfangreichen Maßnahmen im frühkindlichen und schulischen Bereich seitens des Freistaates angeboten werden, um frühzeitig eine Teilhabe von Kindern, egal ob arm oder reich, zu ermöglichen.

Ich möchte an dieser Stelle die Ausführungen nicht wiederholen, aber doch noch einmal auf das Bildungs- und Teilhabepaket eingehen. Gerade Kindern und Jugendlichen wird im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes nicht unwesentlich geholfen. Diese Sachleistungen über Gutscheine oder Direktzahlungen sorgen dafür, dass die Leistungen direkt bei dem Kind ankommen. Sie erhalten auf Antrag Zuschüsse – das möchte ich besonders

erwähnen – zum Mittagessen in der Schule oder in der Kita, zur Schulbeförderung und zum persönlichen Bedarf; außerdem Aufwendungen für ein- und mehrtägige Ausflüge oder zur Lernförderung. Darüber hinaus erhalten sie Zuschüsse unter anderem zu Musikkursen oder zu Mitgliedsbeiträgen in Sportvereinen.

Im Schulgesetz des Freistaates Sachsen heißt es in § 1: „Der Erziehungs- und Bildungsauftrag der Schule wird bestimmt durch das Recht eines jeden jungen Menschen auf eine seinen Fähigkeiten und Neigungen entsprechende Erziehung und Bildung, ohne Rücksicht auf Herkunft oder wirtschaftliche Lage.“

Mit den in Sachsen bestehenden Betreuungs- und Bildungsangeboten werden mögliche negative Einflüsse der sozialen Herkunft auf Bildungschancen jedoch deutlich minimiert.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es wird häufig kritisiert – das besagt auch eine Studie, die derzeit im Auftrag des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales durchgeführt wird, und auch die Evolution des Bildungspakets, die in Kürze veröffentlicht wird –, dass es eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz für diese zweckgebundene Form der Bedarfsdeckung gibt. Drei Viertel der befragten Haushalte sprechen sich gegen eine reine Geldleistung aus.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade im Hinblick auf das Bildungs- und Teilhabepaket sind generell die Sozialleistungen anzusprechen. So ist derzeit auf Bundesebene vorgesehen, dass die Regelleistungen ab Januar 2017 erhöht werden sollen. Dabei ist geplant, dass die Regelleistungen für Kinder bis zum 13. Lebensjahr am stärksten steigen. Ihnen stehen künftig 21 Euro mehr zu und damit 291 Euro im Monat. Jugendliche ab 14 Jahre bekommen mit 311 Euro 5 Euro mehr als bislang. Der Regelbedarf für alleinstehende Erwachsene steigt von 404 Euro auf 409 Euro pro Monat. Für zwei erwachsene Leistungsempfänger in einer Wohnung soll der Regelsatz um 4 Euro auf 368 Euro pro Person und Monat angehoben werden. Ferner soll auch der Mietzuschuss angehoben werden.