Protocol of the Session on November 10, 2016

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Gerade im Hinblick auf das Bildungs- und Teilhabepaket sind generell die Sozialleistungen anzusprechen. So ist derzeit auf Bundesebene vorgesehen, dass die Regelleistungen ab Januar 2017 erhöht werden sollen. Dabei ist geplant, dass die Regelleistungen für Kinder bis zum 13. Lebensjahr am stärksten steigen. Ihnen stehen künftig 21 Euro mehr zu und damit 291 Euro im Monat. Jugendliche ab 14 Jahre bekommen mit 311 Euro 5 Euro mehr als bislang. Der Regelbedarf für alleinstehende Erwachsene steigt von 404 Euro auf 409 Euro pro Monat. Für zwei erwachsene Leistungsempfänger in einer Wohnung soll der Regelsatz um 4 Euro auf 368 Euro pro Person und Monat angehoben werden. Ferner soll auch der Mietzuschuss angehoben werden.

Diese Maßnahmen gehen einher mit den bereits beschlossenen Steuererleichterungen sowie der Anhebung von steuerlichen Freibeträgen und des Kindergeldes. So soll auch in den Jahren 2017 und 2018 der Grundbeitrag pro Kopf um 168 Euro auf 8 820 Euro steigen.

(Susanne Schaper, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein. – Im Jahr 2018 soll der Grundbeitrag pro Kopf um weitere 180 Euro auf 9 000 Euro steigen. Das Kindergeld wird ebenfalls steigen.

Damit kommt zum Ausdruck, dass es in der Bundesrepublik Deutschland und im Freistaat Sachsen gute Systeme

gibt, wenn es darum geht, Kinder zu unterstützen, die aus einkommensarmen Verhältnissen kommen.

Der Bundesrat hat in der vergangenen Woche sehr ausführlich zu den geplanten Erhöhungen der Regelbedarfe Stellung genommen und Verbesserungen verlangt. Gerade diese aktuellen Maßnahmen zeigen deutlich auf, dass seitens der Bundesregierung wie aber auch der Länder und des Freistaates Sachsen in nicht unerheblichem Maße Verbesserungen im Bereich der Sozialleistungen vorgenommen und angestrebt werden.

Meine Damen und Herren! Zum Schluss möchte ich noch einmal den Altbundeskanzler Helmut Schmidt zitieren, der im Jahr 2009 feststellte: „Überall lesen Sie zum Beispiel in Überschriften, wie viel Prozent arme Kinder in Deutschland leben. Manches, was man heute als Armut beklagt, wäre in meiner Kindheit beinahe kleinbürgerlicher Wohlstand gewesen.“

(Beifall bei der CDU)

Die SPD-Fraktion, Herr Homann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kinderarmut ist in einer modernen sozialen Gesellschaft nicht zu akzeptieren, egal ob es 20, 10 oder 5 % sind. Deshalb möchte ich an dieser Stelle erst einmal Danke sagen, liebe Linksfraktion, dass Sie an dem Thema Kinderarmut weiter drangeblieben sind.

Ich möchte aber auch dem Sozialministerium Danke sagen, dass Sie auf diese Große Anfrage geantwortet und an verschiedenen Stellen durchaus substanzielle Einschätzungen und Ausführungen eingebracht haben. Ich finde, dass man Kinderarmut in einer modernen sozialen Gesellschaft nicht akzeptieren kann, weil sie zwei wesentliche Bedeutungen hat. Erstens. Wir müssen Kinderarmut bekämpfen, um unser Versprechen eines funktionierenden Kinderschutzes einzulösen. Zweitens. Wir müssen Kinderarmut bekämpfen, um unser Aufstiegsversprechen einzulösen, dass alle die gleichen Chancen haben. Wir müssen an dieser Stelle Kinderarmut beseitigen, weil Kinderarmut genau diese Chancengleichheit torpediert.

Die Große Anfrage arbeitet mit der Armutsdefinition anhand der Armutsgefährdungsquote. Das sind auch wieder solche Begriffe, wie sie eben beim Thema Jugendberufsagentur genannt wurden. Deshalb noch einmal kurz zur Erklärung: Es geht um relative Einkommensarmut. Ganz vereinfacht formuliert bedeutet es: Betrachtet wird derjenige, der Pi mal Daumen weniger als 60 % des Durchschnittshaushaltseinkommens hat. Die Zahlen

zeigen es. Ich werbe damit für eine differenzierte Betrachtung, um auf den Kern zu kommen, dass die Armutsgefährdungsquote in den Jahren von 2005 bis 2009 in Sachsen nach den Bundeszahlen von 27 auf 22,3 % gesunken ist. Das ist vom Trend her schon einmal gut. Es ist aber keine Entwarnung. Die Frage, die wir uns stellen

sollten, ist, wie es zu diesem Fortschritt gekommen ist. Das hat etwas mit unserer positiven wirtschaftlichen Entwicklung zu tun. Noch nie war die Arbeitslosigkeit so niedrig. Wir haben eine positive Lohnentwicklung.

Ich komme zu meinem Punkt, der mir im Bereich der Bekämpfung von Kinderarmut absolut wichtig ist. Die allererste Feststellung ist: Wenn wir Kinderarmut weiterhin nachhaltig und erfolgreich bekämpfen wollen, dann müssen wir die Einkommensarmut der Eltern bekämpfen. Das heißt, wir brauchen gute Löhne in Sachsen und in Deutschland.

(Beifall bei der SPD, der Abg. Hannelore Dietzschold, CDU, und der Staatsregierung)

Hierbei ist die Einführung des Mindestlohnes wichtig. Es ist aber auch der Appell an die Wirtschaft wichtig, sich auf Tariflöhne einzulassen. Zweitens. Die Zahlen zeigen, dass die Gefahr der Kinderarmut mit der Anzahl der Kinder steigt. Bei zwei Erwachsenen mit einem Kind liegt das Risiko bei 11 %, bei zwei Erwachsenen mit drei Kindern bei 21,8 %.

(Staatsminister Martin Dulig: Und bei sechs Kindern?)

Bei sechs Kindern, sehr geehrter Herr Minister, habe ich jetzt keine Zahlen vorliegen.

Ich komme damit zum entscheidenden Punkt: Die Zahlen explodieren bei den Alleinerziehenden, denn sie liegen bei 46,8 %. Während die Armutsgefährdungsquote bei einem Kind oder zwei oder drei Kindern in den letzten Jahren deutlich gesunken ist, ist das Armutsrisiko bei Alleinerziehenden anhaltend hoch, also ohne eine signifikante Veränderung.

Das ist der zweite Kernpunkt. Wenn wir Kinderarmut nachhaltig und erfolgreich bekämpfen wollen – das wollen wir –, dann müssen wir Alleinerziehende in dieser Gesellschaft stärker unterstützen.

(Beifall bei der SPD)

Ich finde, das, was die Koalition in Berlin mit der Veränderung beim Unterhaltsvorschuss vereinbart hat, ist ein großer Erfolg. Man muss aber auch dazusagen: Unterhaltsvorschuss bedeutet, wenn Eltern getrennt leben und ein Elternteil den Unterhalt nicht zahlt, dass dann der Staat einspringt. Dass das vorher bis zum zwölften Lebensjahr und bei 72 Monaten gedeckelt war, war schlichtweg ein Skandal; als wenn das Kind nach 72 Monaten den Bedarf nicht mehr hätte. Deshalb ist es aber erst recht ein großer Erfolg, dass diese Koalition zum 01.01.2017 den Unterhaltsvorschuss bis zum 18. Lebensjahr und ohne Einschränkungen weiterzahlt. Das ist wichtig für die Kinder, meine sehr geehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der SPD)

Wir können aber nicht nur mit dem Finger auf den Bund zeigen. Wir haben selbstverständlich als Land eine Verantwortung. Da können wir uns auch nicht wegdrücken.

Als Land haben wir für Dinge Zuständigkeiten, die für einen anderen Aspekt von Armut relevant sind. Es geht nicht um Einkommen, sondern es geht um Chancen. Kinderarmut ist auch eine Armut an Chancen.

Deshalb ist es wichtig, dass wir in Sachsen als Zuständige für Infrastruktur an dieser Stelle einige Dinge auf den Weg gebracht haben. Ich erwähne hierbei durchaus bewusst die Verbesserung des Kita-Schlüssels. Für die schrittweise Absenkung investieren wir als Land in dieser Legislaturperiode zusätzlich 500 Millionen Euro. Wir haben das Modellprojekt „Eltern-Kind-Zentren“ eingeführt und werden dies auch in den nächsten Jahren weiterführen. Wir haben bei den Ganztagsangeboten auch in den Haushaltsverhandlungen nochmals etwas draufgelegt. Wir haben in der Kinder- und Jugendpolitik die Zeit der Kürzungen beendet, bei der Jugendpauschale für die Jugendverbände etwas draufgelegt und werden beim nächsten Doppelhaushalt – Frau Sozialministerin, auch dank Ihres Engagements – das erste Mal in Sachsen ein Landesprogramm über 15 Millionen Euro im Jahr haben.

Damit will ich den dritten Punkt ansprechen. Wenn wir Kinderarmut erfolgreich und nachhaltig bekämpfen wollen, dann dürfen wir nicht nur über Einkommen sprechen, sondern dann müssen wir auch darüber sprechen, dass wir eine starke Infrastruktur für unsere Kinder und Jugendlichen brauchen, um sie selbst zu befähigen, in dieser Gesellschaft ihren Weg zu gehen.

(Beifall der Abg. Sabine Friedel, SPD)

Ich komme zum Punkt Sozialberichterstattung. Eine gute Sozialberichterstattung ist absolut notwendig, um das Thema zu bearbeiten. Wir haben deshalb im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir die Sozialberichterstattung in Sachsen umfassend reformieren und verbessern. Richtig ist, dass sie noch nicht vorliegt. Das hatten wir anders versprochen, aber es funktioniert nicht immer alles bis zu dem Zeitpunkt, zu dem man es sich vornimmt. Manchmal muss man eine Hausaufgabe auch um eine Woche verschieben – um in einem Bild zu bleiben.

Wir sind an dieser Stelle sehr intensiv dran. Das können Sie im Übrigen, wenn Sie den Haushalt aufmerksam lesen, daran erkennen, dass wir die Mittel für die Sozialberichterstattung massiv erhöht haben. Das bedeutet, wir werden in Sachsen eine ordentlichere Sozialberichterstattung im Jahr 2017 bekommen, mit der wir auch unsere im Koalitionsvertrag vereinbarte Strategie zur Armutsbekämpfung – bei der es im Übrigen nicht nur um Kinderarmut geht, sondern um alle Armutsformen – ordentlich absichern.

Zum vierten Punkt. Wir brauchen, um in der Bekämpfung der Kinderarmut erfolgreich zu sein, eine gute Sozialberichterstattung. Auch hierzu hat sich die Koalition in Sachsen auf den Weg gemacht.

Damit komme ich zu meinem letzten Punkt. Ich glaube, wir tun etwas. Ich glaube, das, was wir tun, ist gut und das, was wir tun, wirkt nicht alles sofort, manches braucht seine Zeit, gerade in der Familienpolitik und in der

Förderung von Kindern und Jugendlichen. Trotzdem bleibt noch einiges zu tun, sowohl im Bund als auch im Land.

Die SPD-Fraktion hat dazu in der letzten Legislaturperiode ein umfassendes Konzept für eine Kindergrundsicherung vorgelegt. Ein zentraler Punkt der Kindergrundsicherung in unserem Konzept ist die Reform des Familienlastenausgleichs. Kaum ein Land in Europa investiert so viel Geld in seine Kinder und Familien wie Deutschland. Aber kaum ein Land in Europa hat eine so hohe Kinderarmutsquote.

Die Gelder, die wir hierfür ausgeben, sind offensichtlich nicht nur sozial ungerecht, sondern auch ineffizient verteilt. Kinder von Erwerbslosen und Geringverdienern erhalten zum Beispiel Sozialgeld. Kindergeld und Elterngeld wird hingegen auf die Leistungen des Staates angerechnet. Das halten wir für falsch. Kinder von Erwerbstätigen erhalten Kindergeld. Gut- und Besserverdiener erhalten aber nicht nur Kindergeld, sondern profitieren auch noch von den Steuerfreibeträgen.

Das halten wir für ungerecht und nicht zielführend. Wir möchten gern die Familienleistungen, also Kindergeld, Sozialgeld, Kinderzuschlag, Kinderfreibeträge, Ehegattensplitting, die alle abhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt werden, durch eine einkommensunabhängige Kindergrundsicherung in Höhe von 356 Euro ersetzen. Das hätte einen ganz einfachen Leitgedanken: Für uns sind in dieser Gesellschaft alle Kinder gleich viel wert. Das liegt noch vor uns.

(Beifall bei der SPD)

Sie sehen also: Gute Arbeit, Alleinerziehende stärken, eine starke Infrastruktur für Kinder und Jugendliche, eine gute Sozialberichterstattung und eine Debatte über die Zukunft des Familienlastenausgleichs – das sind die Eckpunkte unserer Strategie gegen Kinderarmut.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD – Beifall der Staatsministerinnen Barbara Klepsch und Petra Köpping)

Für die AfD Herr Abg. Wendt, bitte.

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! „Arme Kinder – Arme Rentner – Armes Deutschland“ – dies war das Motto einer AfDKundgebung, die vor einigen Wochen in Pirna stattfand und auf der auch ich sprechen durfte.

Diese Thematik wurde von den Veranstaltern nicht zufällig gewählt. Sie wurde gewählt, weil es in all den vergangenen Jahren nicht wirklich vorzeigbare Verbesserungen gab. Nun ist das Thema nicht nur bei den Medien, sondern mittlerweile auch wieder bei der Politik angekommen, und im Hinblick auf die kommende Bundestagswahl schießen nun die Vorschläge der Bundestagsparteien wie Pilze aus dem Boden und alle versprechen, etwas dagegen

zu tun. Wer es glaubt, wird nicht selig, aber dann doch, wie in den letzten Jahren auch, eines Besseren belehrt. Ich möchte nicht schon wieder auf die vielen Zahlen eingehen, die wir bereits in den letzten Wochen thematisiert haben, sondern die Wurzeln des Übels freilegen.

Wir müssen endlich weg von der punktuellen Symptombekämpfung und hin zur Ursachenbekämpfung kommen. Dazu zitiere ich gern meine Kollegin Andrea Kersten, die sich im letzten Plenum mit einem Antrag der Linksfraktion auseinandergesetzt hat: „Armut ist Mangel an Einkommen in der Familie, und Kinderarmut ist niemals losgelöst von der Familie zu betrachten.“ Und weiter: „Es gibt keine reichen Kinder in armen Familien.“

(Henning Homann, SPD: Aha!)

Deshalb müssen wir auch weg von unfreiwilliger Teilzeitarbeit, Arbeit auf Abruf, Leiharbeit mit Dumpinglöhnen; denn all diese Auswüchse tragen zur Verschärfung der Armut bei. Daher helfen auch hier keine großflächigen Einzelmaßnahmen, die separierend auf Kinder ausgerichtet werden, sondern die Situation in den Familien muss sich grundlegend verbessern; denn nur dann verbessert sich auch nachhaltig etwas bei den Kindern.