Protocol of the Session on November 10, 2016

Es ist im Übrigen sehr schade, dass Herr Pohle seinen Antrag zu Protokoll gab. So ist folgender schöner Absatz zum Thema Arbeitsschutz im Plenum völlig untergegangen: „Ebenso müssen die Berufsgenossenschaften besser in die Lage versetzt werden, Arbeitsschutzbedingungen in ihren Unternehmen prozessbezogen zu verbessern.“

Wir unsererseits können den Unternehmen die dazu notwendige Zeit verschaffen, indem wir in anderen Bereichen bürokratische Hindernisse, wie etwa die Doppelberechnung der Löhne zur Sozialversicherungsvorauszahlung oder zweifelhafte Dokumentationspflichten, beseitigen.

Die Analyse ist im Kern absolut richtig, doch welche Taten hat die Staatsregierung folgen lassen: keine. Ein Antrag unserer Fraktion, in dem wir die Abschaffung der Vorfälligkeit für Sozialversicherungsbeiträge gefordert haben, wurde im Plenum – mit breiter Mehrheit sogar – noch abgelehnt.

(Staatsminister Martin Dulig: Was hat das mit Arbeitsschutz zu tun?)

Meine Damen und Herren! Jetzt möchte ich von weiteren politischen Vorwürfen einmal kurz absehen, denn es geht hier um einen wesentlichen Punkt, in dem wir uns – so denke ich – alle einig sind: Schwere und tödliche Arbeitsunfälle müssen vermieden werden. Jeder Arbeitsunfall ist einer zu viel. Punkt.

Die Anzahl der schweren und tödlichen Arbeitsunfälle ist nun aber zwischen 2013 und 2014 drastisch gestiegen. Ein Blick in den aktuellen Jahresbericht der Gewerbeaufsicht des Freistaates aus dem Jahre 2015 zeigt: Im Zeitraum zwischen 2014 und 2015 haben sich die Zahlen noch einmal dramatisch erhöht. Bei den schweren Arbeitsunfällen musste eine Steigerung von 18 % verzeichnet werden. Hinzu kamen 14 Unfälle, die tödlich endeten.

Jetzt kann man ja vieles tun, man kann Konzepte und Programme wie „Gute Arbeit für Sachsen“ entwickeln, man kann Arbeitsschutzallianzen mit den Handwerkskammern, mit den IHKs, mit den Unfallversicherungen und -kassen schmieden. Das erweitert die Perspektiven, stärkt die Kompetenz und ist sinnvoll.

(Zuruf des Staatsministers Martin Dulig)

Was man aber nicht tun sollte: diese Maßnahmen gegen die originären Aufgaben der Arbeitsschutzverwaltung aufzurechnen. Herr Dulig, Sie haben in der 25. Sitzung zum Thema Arbeitsschutz ausgeführt, dass Sie Ihre Hausaufgaben gemacht haben. Die Einstellung einer Psychologin und die Priorisierung der Abteilung Arbeitsschutz nach Risikobereichen ist keine Erledigung der

Hausaufgaben. Sie haben allenfalls begonnen, Hausaufgaben zu machen.

(Staatsminister Martin Dulig: Das habe ich auch gesagt!)

Wie erfolgreich Sie dabei sind, wird sich in den Haushaltsverhandlungen zeigen, wenn im entsprechenden Stellenplan der Landesdirektion nicht nur zusätzliche Stellen für Asyl, sondern auch für die Wiederbelebung des Personalbestandes bei der Arbeitsschutzverwaltung

eingeplant und durchgesetzt werden.

Meine Damen und Herren! Was DIE LINKE in ihrem Antrag unter dem Punkt II einfordert, ist so grundsätzlich, dass es eigentlich überflüssig sein müsste. Leider ist es auch nicht neu. Das ist aber nicht die Schuld der Antragstellerin. Die gestellten Forderungen sind allerdings wie Nägel ohne Köpfe und werden den Arbeitsschutz kaum verbessern. Wir brauchen keine Forderung nach einem Konzept bis 2017, dessen Notwendigkeit der Staatsminister selbst bejaht hat – welches das SMWA laut seiner Aussage bereits erarbeitet und nach den Haushaltsverhandlungen irgendwann im ersten Quartal vorgelegt werden soll –, sondern wir brauchen eine Umsetzung, das heißt Geld im Haushalt und eine Besetzung der Stellen, vornehmlich mit der Mindeststellenzahl aus den Jahren 2010 oder 2011. Das war nämlich der Zeitpunkt, an dem letztmalig die Frage im Raum stand, wie und nicht ob die Aufgaben erledigt werden können.

Damit erübrigen sich im Wesentlichen die Punkte 1 bis 3 des zweiten Antragsteils. Wir beantragen folglich eine punktweise Abstimmung, wobei wir Punkt I zustimmen und uns beim Punkt II enthalten werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. Frau Abg. Zais; bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Vieles von dem, was ich mir notiert habe, kann ich weglassen; selbst das Zitieren aus dem Plenarprotokoll vom Dezember 2015 hat mir Herr Beger vorweggenommen. Es war bisher eine sachliche Debatte, deswegen will ich mich in die Sachlichkeit einreihen.

Gleich vorab, Kollege Brünler: Wir werden Ihrem Antrag nicht zustimmen. Ich war auch etwas enttäuscht, als ich das gelesen habe, denn es ist ein dünner Antrag ohne Substanz, ein zahnloser Tiger, kaum konkrete Forderungen.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Seien Sie doch mal ehrlich!)

Ich muss auch ehrlich sagen, die Zeit beim Thema Arbeitsschutz, insbesondere was die Landesdirektion anbelangt, weiter zu verschwenden und erneut Konzepte zu

fordern ist eigentlich vorbei. Was wir brauchen, sind Taten. Was wir brauchen – das habe ich jetzt mit Freude von Kollegen Homann zur Kenntnis genommen –, ist, dass im Rahmen der Debatte um den Doppelhaushalt 2017/2018 endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden sollen. Ich bin gespannt, ob das auch tatsächlich passiert und zusätzliches Geld, zusätzliche Stellen auch für den Arbeitsschutz eingestellt werden sollen.

Wir warten das nicht ab; wir haben als GRÜNE eine eigene Personaloffensive gestartet und im Rahmen dieser Personaloffensive insgesamt 112 Stellen für die Landesdirektion vorgesehen, davon zehn unbefristete Stellen für den Arbeitsschutz. Insofern, Kollege Homann, geht es nicht nur darum, die kw-Vermerke zu streichen, sondern tatsächlich die Ausstattung mit Personal zu verbessern.

Wie dringend das geboten ist, dazu zitiere ich noch einmal aus dem Bericht der Kommission. Dort steht nämlich: „Aufgrund der zahlreichen zu erwartenden Personalabgänge in der Abteilung 5 Arbeitsschutz und der bisherigen restriktiven Einstellungspolitik müssen wir bei Nichtkompensation des Weggangs durch Neueinstellungen die Aufgaben an Dritte vergeben. Der Mehrbedarf von 1 Million Euro pro Jahr begründet sich insbesondere damit, dass eine Vielzahl“ – jetzt kommt es – „gesetzlich vorgeschriebener Leistungen der Landesdirektion mit den vorhandenen personellen Kapazitäten schlichtweg nicht mehr erfüllbar ist. Die personelle Ausstattung der Landesdirektion lässt eine Leistungserbringung mit eigenem Personal nicht mehr zu.“

Das ist der Punkt. Hier erwarten wir, dass gehandelt wird. Zu diesem Thema haben wir unseren Antrag eingebracht, und wir haben eigentlich keinen Bock mehr, uns länger mit Konzepten und Hinauszögern zu befassen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Den kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Dulig, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erste Vorbemerkung: Ihre Kritik ist berechtigt. Zweitens, die Lösung gibt es nur im Haushalt, nämlich die konkrete Lösung. Drittens, natürlich haben wir weitergearbeitet, weil es um eine inhaltliche Weiterentwicklung des Themas ging.

Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren, die Arbeitswelt befindet sich aktuell vor einem tief greifenden und dynamischen Wandel, der allein durch Digitalisierung und Automatisierung und weitreichende Vernetzung geprägt wird.

Die Rolle der menschlichen Arbeitskraft wird sich durch die neue Unabhängigkeit der digitalen Arbeit von Raum und Zeit, neue Formen der Zusammenarbeit von Mensch

und Maschine sowie eine Zunahme atypischer Beschäftigungsverhältnisse verändern. Die Digitalisierung der Arbeitsprozesse in der Produktion wie im Dienstleistungsbereich ändert eben auch die typische Arbeitsstätte. Zunehmend werden Leistungen außerhalb des Betriebes erbracht. Die Erwerbstätigen, die dort jeweils Leistungen erbringen, unterliegen dann unter Umständen nur noch teilweise oder gar nicht mehr dem Schutz des geltenden Arbeitsschutzrechts.

Dies betrifft in erster Linie Beschäftigte in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, Soloselbstständige an

mobilen Arbeitsorten, die sogenannten Crowdworker. Deshalb müssen die Rechtsvorschriften des Arbeitsschutzes und des Arbeitsrechts so angepasst werden, dass der Schutz der Gesundheit und die Mitwirkung der Beschäftigten auch bei neuen Arbeitsformen und Arbeitsverhältnissen gewährleistet bleiben.

Mit dem Projekt der Staatsregierung „Gute Arbeit für Sachsen“ haben wir in diesem Sinne nicht nur Zeichen gesetzt, sondern wollen wir Zustände ändern. Gute Arbeitsbedingungen für leistungsfähige Beschäftigte zu schaffen ist nur mit gutem Arbeits- und Gesundheitsschutz erreichbar.

Wir kennen die Schwachstellen im staatlichen Arbeitsschutz, die wir übernommen haben. Die Anzahl der tödlichen und schweren Arbeitsunfälle ist entgegen dem Bundestrend gestiegen. In der Arbeitsschutzbehörde gibt es relevante Personalprobleme; die Anzahl der Betriebskontrollen ist viel zu niedrig.

Derzeit werden in Sachsen die Programme zur gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie nicht erfüllt und in wichtigen Arbeitsschutzbezirken und Rechtsbereichen ist ein rechtskonformer Vollzug nicht mehr möglich. Mit dem Projekt „Gute Arbeit für Sachsen“ hat der Arbeitsschutz in meinem Haus, das als oberste Arbeitsschutzbehörde Sachsens fungiert, wieder jenen Stellenwert bekommen, der nötig ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Arbeitsschutz ist ein Gebot der Humanität und des vorausschauenden Denkens. Ohne aktiven Arbeits- und Gesundheitsschutz steigen Arbeitsunfälle und arbeitsbedingte Erkrankungen, erhöhen sich die Ausfallzeiten der Beschäftigten und steigen die Folgekosten von Behandlungen, Reha und Pflege.

Wir haben eine leitende Arbeitspsychologin für das Schwerpunktprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie in der obersten Arbeitsschutzbehörde eingestellt. Wir haben auf Minister- und Staatssekretärsebene mit dem SMI und dem SMF über Personal- und Neuorganisationsfragen verhandelt. Mit Herrn Kollegen Ulbig habe ich verabredet, für den Arbeitsschutz in der Landesdirektion eine Lösung zu schaffen.

Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen konnten die beiden Regierungsfraktionen zumindest einen Personalzuwachs sowie die Verschiebung von kw-Stellen im neuen Doppelhaushalt für die Jahre 2017 und 2018

erreichen. Das ist gut, aber es ist noch nicht das Ende der Dinge bezüglich der Personalneuorganisation im Arbeitsschutz. Gemessen an der Ausgangslage ist es immerhin ein Plus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Arbeitsschutzbehörde ist eine Eingriffsinstanz mit sonderpolizeilicher Befugnis. Das muss wieder aktiv gelebt werden. In Zeiten des Wettbewerbs um Fachkräfte und älter gewordener Belegschaften ist es existenzwichtig, gute und gesundheitsfördernde Arbeitsbedingungen zu haben. Ohne Kontrolle, Beratung und manchmal auch Ahndung werden wir dieses Sicherheitsniveau in den einzelnen Wirtschaftszweigen nicht halten können.

Natürlich muss geprüft werden, wie unser Arbeitsschutzsystem den neuen Anforderungen an die digitale Welt gerecht werden kann. Wir müssen uns die Frage stellen, welche Kompetenzen, Sichtweisen und Handlungsstrategien sowie sinnvollen Qualifikationen die Arbeitsschutzakteure brauchen. Wir stehen vor großen Herausforderungen; denn die Vielfalt der Themen ist gestiegen.

Nötig ist nicht nur Personal, sondern geschultes Personal in der Arbeitsschutzbehörde. Wir haben veranlasst, dass die sächsischen Arbeitsschutzingenieure ab dem nächsten Jahr an den Schulungen im Ausbildungsverbund der Arbeitsschutzverwaltungen teilnehmen. Ebenso legen wir Wert auf die Qualifizierung des Fachpersonals zu Fragen psychischer Belastung am Arbeitsplatz. Dafür finden mit den am Programm direkt Beteiligten regelmäßige Beratungen und Schulungen statt.

Fachkräfte suchen nicht nur gut bezahlte und interessante Arbeit, sie suchen auch gute und gesundheitszuträgliche Arbeitsbedingungen. Es gilt, die Arbeit so zu gestalten, dass Beschäftigte bis zum Eintritt in das Rentenalter gute Arbeitsbedingungen vorfinden, in welcher Tätigkeit auch immer.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den Arbeitsprogrammen der gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie ist genau festgelegt, wie die Betriebe bezüglich der psychischen Belastungen und der Muskel-Skelett

Belastungen zu kontrollieren sind. In Sachsen haben wir die Branchen priorisiert, in denen viele der gesundheitsgefährdenden Belastungen auftreten. Das Arbeitsprogramm Psyche beispielsweise hat im Mai 2015 begonnen. Seitdem wurden fast 130 Betriebe mit insgesamt circa 26 000 Beschäftigten besichtigt und beraten.

Die Gesundheitsgefährdung am Arbeitsplatz bleibt heutzutage nicht nur auf den Maschinenunfall oder den Sturz vom Gerüst begrenzt. Oft tragen auch psychische Erkrankungen zum Krankheitsstand bei. Für die Betroffenen sind sie ein großes Leid, für die Unternehmen bedeuten sie den langwierigen Verzicht auf gute Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Die Beratung der Unternehmen hinsichtlich psychischer Belastungen ist sehr aufwendig, da das Thema für die meisten Verantwortlichen noch nicht greifbar ist. Daher

setzen wir parallel auf die Aufklärung und Stärkung der Verantwortlichen und Multiplikatoren.