Protocol of the Session on November 9, 2016

Jetzt sind Sie als Chef der Regierung eines Landes gefragt, das innerhalb weniger Tage durch einen vermeintlichen Polizei- und Justizskandal schwer beschädigt wurde. Werden Sie heute und hier im Parlament Ihrer Verantwortung gerecht. Das darf das Hohe Haus von Ihnen erwarten. Das darf die Bevölkerung von Ihnen erwarten. Das

erwartet die Republik. Deshalb erwarten wir, dass Sie nicht kneifen, Herr Ministerpräsident, und heute in die Bütt gehen – einfach klare Worte, klare Aussagen, einen klaren Kurs.

Danke.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die Fraktion DIE LINKE hat Kollege Bartl gerade den Antrag eingebracht. Jetzt spricht für die CDU-Fraktion Kollege Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun, Herr Bartl, das mit der Bambule kann ich Ihnen nicht ersparen, weil sich die Frage stellt, wer damit angefangen hat, nämlich Sie mit diesem Antragstheater. „Kein Abducken mehr, Herr Tillich!,“ so beginnt Ihr Antrag, und ich muss sagen, das ist das Letzte, was Sie dem Ministerpräsidenten vorwerfen können. Das ist ein untauglicher Versuch am zweifelsohne tauglichen Objekt. Dass Sie sich am Ministerpräsidenten abarbeiten wollen, erschließt sich mir schon. Nur sollten Sie es vielleicht in etwas qualifizierter Art tun.

(Beifall bei der CDU – Zurufe)

Das klare Bekenntnis des Ministerpräsidenten in der Frage liegt vor. Da müssen Sie nur einmal zuhören. Im Übrigen verweise ich neben Artikel 63 Abs. 1 auch auf Artikel 63 Abs. 2, nämlich die Ressorthoheit, die die Sächsische Verfassung, die Sie in der Frage bemühen, klar vorsieht.

Die „Affäre al-Bakr“ haben Sie es genannt, Herr Bartl. Ich muss Ihnen sagen, die Affäre al-Bakr weise ich im Namen meiner Fraktion von uns.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Ist ja klar! – Weitere Zurufe von den LINKEN)

Jetzt widme ich mich einmal Ihren inhaltlichen Ausführungen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es beginnt mit dem Vorwurf des Staatsversagens – die Verwendung eines unpassenden Begriffes: Staatsversagen. Die Fraktion DIE LINKE hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die geläufige wissenschaftliche Begriffsdefinition „Staatsversagen“ zu recherchieren, oder sie hat es vorsätzlich nicht getan. Staatsversagen, das können Sie nachlesen, wird in der Neuen Politischen Ökonomie als das Gegenteil des Marktversagens angesehen: Das ist dann der Fall, wenn eine unternehmerische Tätigkeit des Staates zu schlechteren volkswirtschaftlichen Ergebnissen oder ineffizienteren Lösungen wirtschaftlicher Probleme führt. Ich komme gleich darauf zu sprechen.

(Zurufe von den LINKEN)

Dies hat in der Tat nichts mit dem Fall al-Bakr zu tun. Das merken selbst Sie. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Dass Sie sich aber dieser Rhetorik bedienen, so wie es im Übrigen auch die neue Rechte tut, meine Herren und Damen von der Fraktion DIE LINKE, zeigt,

welche Grundlage Sie haben. Ich möchte das nicht weiter kommentieren.

Das Thema ist für politische Spielereien viel zu ernst. – Hinzu kommt die begriffliche Unschärfe. Es geht hierbei nicht um ein Staatsversagen. Das machen Sie auch gerne an anderer Stelle, vor allem Ihr Fraktionsvorsitzender. Das ist nicht nur bei dem Thema der Sicherheit und Ordnung der Fall, sondern auch im Bereich Bildung. Das ist schon einmalig. Das ist eine besondere unnachahmliche Art, wie Sie die differenzierte Argumentation bemühen.

(Christian Piwarz, CDU: Das ist einfach widerlich! – Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE)

Schlussendlich ist es nicht mehr als eine bloße Übertreibung der Begrifflichkeiten, mit der Sie dem Rufbild Sachsens, so wie Sie es sagen, noch weiter schaden.

(Beifall des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU – Zurufe von den LINKEN)

Stattdessen wäre es besser, einen konstruktiven Beitrag zu leisten, wie wir den besonderen Anforderungen im Rahmen der Terrorabwehr – um gendergerecht zu bleiben – von Terroristinnen und Terroristen zukünftig noch besser gerecht werden können.

Ja, Folgendes möchte ich deutlich sagen: Es hat Fehler und Fehleinschätzungen im Fall al-Bakr gegeben. Weder der Polizeieinsatz, die Fahndung noch die spätere Inhaftierung des Tatverdächtigen waren vollständig beanstandungsfrei. Sie selbst kennen die Ergebnisse des Sonderausschusses, in dem wir Parlamentarier umfassend über das Handeln der Behörden aufgeklärt wurden. Ein Staatsversagen allerdings, so wie Sie es an dieser Stelle formulieren, kann ich aus den gewonnenen Erkenntnissen nicht erkennen. Haben Sie keine Sorge, ich werfe Ihnen jetzt keinen billigen Populismus vor.

(Zurufe von den LINKEN)

Ich werfe Ihnen aber eine niveaulose Art der politischen Auseinandersetzung allemal vor, weil Sie es auch besser wissen müssten.

(Beifall bei der CDU)

Al-Bakr wurde festgesetzt. 1,5 Kilogramm hochgefährlicher Sprengstoff wurden sichergestellt. Ein wahrscheinlich größerer Anschlag konnte verhindert werden. Es war fünf vor zwölf. Meine sehr geehrten Damen und Herren von den LINKEN, das ist ein großer Erfolg. Trotz aller berechtigten Kritik, die man äußern kann, lassen wir uns diesen Erfolg von Ihnen nicht kleinreden.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Wir alle miteinander möchten uns nicht vorstellen, welche Debatte Sie an dieser Stelle über die erfolglose Arbeit des Verfassungsschutzes und der Polizeibehörden begonnen hätten, wenn dieser Anschlag nicht verhindert worden wäre.

Ich möchte Folgendes noch einmal betonen: Die Verhinderung eines Anschlags war ein großer Erfolg. Über zukünftige Verbesserungen bei den Terroreinsätzen oder bei der Inhaftierung von Terrorverdächtigen können und müssen wir in den kommenden Monaten reden und um die besten politischen Lösungen streiten. Ihr Abgesang auf die politische und gesellschaftliche Leistungsfähigkeit unserer staatlichen Strukturen ist lächerlich und entbehrt jeglicher faktischen Grundlage. Ebenso ist Ihr permanentes Lamentieren, dass die Staatsregierung sich wegducken und ihrer Verantwortung entziehen würde, bloße Rhetorik.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Kollege Hartmann?

Bitte, Herr Stange.

Vielen Dank, Kollege Hartmann. Ich möchte mich nur mittels einer Zwischenfrage rückversichern. Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Erfolg – das Festsetzen – durch Syrer zustande gekommen ist?

(Svend-Gunnar Kirmes, CDU: Ja und?!)

Herr Stange, das ist mir sehr wohl bewusst.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Es sind keine Beamten! – Zurufe von der CDU und den LINKEN)

Das sage ich auch in Richtung Ihrer Fraktion. Die Grundlagen der Geheimdienstarbeit einschließlich der Arbeit des Verfassungsschutzes des Freistaates Sachsen und Bundes haben die Grundlage für die Erkenntnisse gelegt, die in der Folge zu einem Polizeieinsatz geführt haben.

(Rico Gebhardt, DIE LINKE: Ausländischer Geheimdienst, Herr Hartmann!)

Dieser hat auch verhindert, dass sich der Tatverdächtige mit Sprengstoff durch das Land bewegen konnte.

(Zurufe des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE, und des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

Mir ist sehr wohl bewusst, dass im Rahmen der Festnahme Dritte, nämlich Syrer, mitgewirkt haben. Das stelle ich damit auch nicht in Abrede.

(Enrico Stange, DIE LINKE: Mitgewirkt! – Steve Ittershagen, CDU: Was soll die Frage?!)

Es handelt sich meiner Meinung nach mehr als um nur Glück, auch wenn es Ihnen natürlich nicht schmecken wird, wenn der Verfassungsschutz erfolgreiche Arbeit leistet. Das führt Ihre eigene Argumentation ad absurdum.

(Beifall bei der CDU)

Ich komme zurück. Ihr permanentes Lamentieren, dass die Staatsregierung sich wegducken und der Verantwortung entziehen würde, ist bloße Rhetorik. Wir haben sowohl klare Aussagen des Ministerpräsidenten, des

Staatsministers der Justiz als auch des Innenministers dazu vernehmen können. Wir haben die entsprechenden Informationen erhalten. Die Aufarbeitung hat begonnen. Uns ist daran gelegen, die genauen Hintergründe im Fall al-Bakr zu klären. Hierzu gab es eine fast sechsstündige Sitzung des Innenausschusses gemeinsam mit dem Verfassungs- und Rechtsausschusses.

(Zuruf des Abg. Svend-Gunnar Kirmes, CDU)

Die Sitzung hat gezeigt, dass sich Sachsen intensiver auf Terroreinsätze – insbesondere mit islamistischem Hintergrund – vorbereiten muss. Herausgestellt wurde in der Sitzung ebenfalls, dass neben Fragen eines bundeseinheitlichen Strafvollzugs sowie der Schulung kultureller Kompetenzen mit dem Blick auf neue Tätertypen und Dolmetschertätigkeiten auch die Kommunikation zwischen den Ressorts besser sein muss. Das ist zweifelsohne so. Die Staatsregierung hat eine unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung des Falls al-Bakr eingesetzt, die knapp zwei Wochen nach dem Suizid des Terrorverdächtigen ihre Arbeit aufgenommen hat. Bis zum Jahresende soll der Bericht vorliegen. Im Übrigen wäre es klug und sinnvoll, die Ergebnisse dieses Berichts bei der Diskussion über notwendige Folgemaßnahmen zu berücksichtigen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! An dieser Stelle zeigt sich, dass Ihr Antrag nur billiger Populismus ist und Sie auf einer Welle mitreiten möchten.

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Lesen lernen!)

Es geht Ihnen nicht um eine Aufklärung. Es geht Ihnen darum, dieser Staatsregierung ein Fehlversagen vorzuwerfen. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Damit überstrapazieren Sie die Rolle, die Sie haben.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von den LINKEN)

Dass das der Fall ist, kann man auch im Beschlusspunkt 2 Ihres Antrags sehen. Sie stellen dort übrigens die eigenen Regeln des Haushaltsrechts dieses Hohen Hauses vom Kopf auf die Füße. Sonst beklagen Sie, dass es entsprechende Ergänzungsvorlagen geben muss. Mit Ihrem Antrag vom 26. Oktober 2016 sowie mit der Einbringung in das Hohe Haus heute erwarten Sie eine Beschlusszustimmung. Man könnte aber auch meinen, Sie haben es schon gar nicht erwartet, weil Sie selbst über Ihren Antrag lachen müssen.