Protocol of the Session on September 28, 2016

Herr Stange, bitte.

(Klaus Tischendorf, DIE LINKE: Immer schön bei der Wahrheit bleiben! Knapp daneben ist auch vorbei!)

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Kollege Schiemann, wir können es im Protokoll nachlesen. Was Sie gesagt haben, haben Sie gesagt – welch philosophischer Satz!

(Heiterkeit bei den LINKEN)

Lassen Sie mich Folgendes insgesamt sagen: Wohin sollen denn Geflüchtete, die in einer Unterkunft untergebracht sind, gegebenenfalls nach einem Polizeigewahrsam

kommen? Ein Deutscher, der einen festen Wohnsitz oder auch keinen hat, wird nach dem Polizeigewahrsam nach Hause oder eben auch nicht dahin entlassen. Gleiches Recht für alle, Kollege Schiemann, auch für den Jugendlichen, der im Polizeigewahrsam war.

Lassen Sie mich noch etwas sagen, um das richtigzustellen: Tun Sie bitte nicht so – Kollegin Zais hat es schon gesagt –, als würde sich hier irgendjemand zu Gewalt bekennen. Das ist Käse!

Jetzt zur Debatte zurück. Worum geht es? Lehren aus Bautzen ziehen! Wir hatten vor ein paar Wochen schon einmal versucht, damit zu beginnen. Es geht eigentlich um die Frage von Integration. Es geht um die Frage der Integration von Geflüchteten, aber nicht nur von Geflüchteten. Wir haben auch viele andere Ausländer in Deutschland, die hier ihren Wohnsitz haben, hier leben und arbeiten wollen.

Das alles hängt mit dem zusammen, was ich heute früh außerhalb der Tagesordnung auf Herrn Staatsminister entgegnet habe. Es hat damit zu tun, wie unsere Gesellschaft insgesamt beschaffen ist und wie die Menschen in diesem Land bereit sind, Integration zuzulassen.

Für den Prozess der Integration sind zwei Dinge – Kollege Hartmann, richtig, zwei Seiten einer Medaille – vonnöten: der Integrationswille derer, die hierherkommen, und der Integrationswille derer, die hier sind. Ich glaube, dass wir in unserer Gesellschaft ein erhebliches Defizit auf der Seite haben, bei der es um den Willen geht, diejenigen, die zu uns kommen, tatsächlich zu integrieren. Das verstellt uns alle Möglichkeiten für eine sinnvolle, tief greifende Integration.

Ich will Ihnen ein Beispiel nennen, um es Ihnen zu erleuchten: Es geht um berufliche Integration. Sie wissen, dass ich einen Lebenspartner habe, der aus Panama kommt. Er hat hervorragende Studienabschlüsse. Er ist von der Ingenieurkammer als Ingenieur anerkannt. Das ist jetzt kein Werbeblock, sondern ich will Ihnen nur sagen, worum es geht. Er bewirbt sich seit drei Jahren bei öffentlichen Unternehmen, bei privaten Unternehmen, bei Ämtern des Bundes und der Länder. Er bekommt nicht einmal die Chance auf ein Vorstellungsgespräch. Ich will denen, die die Entscheidung fällen, um Gottes willen keinen Rassismus vorwerfen. Aber wir müssen uns überlegen, wie wir genau in diesem Korridor die Stöpsel ziehen und die Sperren öffnen, damit Integration wirklich möglich wird. Alles Gerede über berufliche Integration können Sie als Makulatur bezeichnen, wenn wir das nicht hinbekommen.

Im Übrigen bezieht sich Integration nicht nur auf Geflüchtete und Ausländer, die hier leben. Es bezieht sich auch auf Deutsche, die hier leben. Da meine ich jetzt nicht die Debatte von vorhin, sondern das, was die Arbeitsgemeinschaft für Kinder- und Jugendhilfe 2008 aufgeschrieben hat. Ich darf zitieren: „Die Gemeinschaftsfähigkeit der in einem Gemeinwesen lebenden Menschen bildet die Grundlage sowohl für den Fortbestand als auch die Fortentwicklung einer Gesellschaft. Integration ist in

diesem Zusammenhang die Aufgabe sämtlicher gesellschaftlicher Kräfte, allen jungen Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, das individuelle Recht auf Teilhabe an den gesellschaftlichen Ressourcen soziale Sicherheit, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Kultur zu verwirklichen sowie Entwicklungen der Gesellschaft mitzugestalten und Verantwortung in ihr zu übernehmen.“

Das gilt für alle, die wir integrieren wollen, wenn wir bereit sind. Deshalb bitte ich Sie alle, etwas dafür zu tun. Es gilt, Kollege Hartmann, was ich vorhin zu Ihnen gesagt habe: Machen wir uns auf, wirkliche Integration zu gestalten.

Bitte kommen Sie zum Ende.

Wir müssen als Gesellschaft dazu bereit sein. Darum bitte ich Sie.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Redezeiten haben noch die CDU-Fraktion, die SPD-Fraktion und die AfD. Wird das Wort von diesen Fraktionen noch einmal gewünscht? – Das sieht nicht mehr so aus. Dann erteile ich jetzt dem Sächsischen Ausländerbeauftragten das Wort. Geert Mackenroth, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wir sprechen heute über drei Sätze in einem Debattentitel: Erstens darf Gewalt nicht erfolgreich sein – das ist völlig richtig –, zweitens, ein Imperativ, sollen wir Lehren aus den Vorfällen von Bautzen ziehen. Darum wollen wir uns alle gemeinsam bemühen. Allerdings halte ich die dritte Aussage, die Integration „eventbetonter Jugendlicher“ sei gescheitert, für falsch. Für falsch halte ich sie schon deshalb, weil Integration, verehrte Kolleginnen und Kollegen, kein Zustand ist sondern ein dynamischer Prozess. Von daher sollten wir die Hoffnung auch nicht aufgeben.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Wir sprechen über ein brisantes Phänomen. Frust, Wut, Ausgrenzung, Alkohol, krude Überzeugungen spielen dabei eine wichtige Rolle. Es gibt 70 sogenannte niederschwellige Polizeieinsätze. Ich kenne die Anlässe dafür nicht und ich weiß auch nicht, wer die Polizei jeweils gerufen hat. Es gibt immer wieder Beschwerden über Alkoholmissbrauch auf dem Bautzner Kornmarkt, ohne dass seitens der Ordnungsbehörden reagiert wird.

Kollege Homann, die Zuständigkeit für Reaktionen bei in Obhut genommenen Jugendlichen liegt nicht bei den Gerichten, sondern – das hat Kollege Schiemann völlig richtig angesprochen – woanders.

Wie dem auch sei, am Kornmarkt eskaliert jedenfalls die Lage; sie wird wieder einmal zum sächsischen Menetekel. Junge Flüchtlinge und Rechtsextreme provozieren sich

offenbar so lange gegenseitig, bis das Ganze in entfesselten Jagdszenen in der Innenstadt kulminiert. Rechtsextremisten vertreiben die Flüchtlinge sowie deren Freunde und Betreuer vom Kornmarkt. Die dabei entstandenen Bilder gehen wieder durch die Medien. Das alles ist schlimm. Herr Lippmann, ich gebe Ihnen recht: Nicht nur wegen des Imageverlustes, sondern auch in der Sache wollen wir solche Bilder nicht haben. Aber auch wenn die Bilder und die Berichterstattung zum Teil ungerecht sind, hilft doch Medienschelte im Ergebnis nicht weiter.

Betrachten wir doch einmal nüchtern und schonungslos mögliche Ursachen. Sechs Punkte fallen mir dazu ein:

Erstens scheint Integrationsarbeit außerhalb der großen Städte und im ländlichen Raum strukturell schwächer ausgeprägt zu sein als in der Stadt. Zivilgesellschaftliche Akteure, Begegnungsräume, Beratungsstellen, Freizeitangebote sind nicht überall gleichstark vorhanden. Gegenmittel könnte insoweit sein, den ländlichen Raum strukturell zu stärken – jedenfalls sind nicht weniger sondern eher mehr Angebote zu schaffen.

Zweitens ist es andererseits vielleicht auch so, dass auf dem flachen Land der Widerstand gegen Fremdes grundsätzlich stärker ist. Wenn dem so sein sollte, dann brauchen wir als Gegenmittel eine verbesserte und intensivierte Aufklärung.

Drittens ist die rechtsextreme Szene in kleineren Städten wohl häufig organisierter und mutiger als in der Großstadt. Mangelndes Wissen und falsche Informationen führen zuweilen zu einer Toleranz- und Demokratieferne, und die Betroffenen sind mit Argumenten kaum mehr erreichbar. Ein Gegenmittel könnte sein, neue niedrigschwellige Formate für Kommunikation zu entwickeln und damit Wissensstand und Informationen zu verbessern.

Viertens. Gewaltbereiten Rechtsextremisten haben wir in Sachsen offenbar doch zu lange unzulässige Freiräume gewährt und den rechtsstaatlichen Kontrolldruck nicht hoch genug gehalten. Das Gegenmittel dafür ist einfach: Kontroll- und Verfolgungsdruck noch weiter erhöhen – auf Deutsch gesagt: null Toleranz. Der Rechtsstaat darf Besetzungen des öffentlichen demokratischen Raumes nicht tolerieren.

Fünftens. Erfahrungen, aber auch Wahlergebnisse zeigen, dass sich Protestpotenzial und rechtsextremes Gedankengut – trotz überall vergleichbaren verbalen Gegensteuerns – in manchen Gebieten, in manchen Landkreisen stärker ausbreiten konnte als anderswo. Gegenmittel ist eine saubere Analyse dessen, was geschehen ist, um dann, bitte schön, auch vom Besseren zu lernen. Integration ist und bleibt Chefsache, und auch das von Kollegen Schiemann in Bautzen angewandte Modell, einen runden Tisch einzuberufen, scheint mir richtig zu sein.

(Beifall des Abg. Thomas Colditz, CDU)

Zum Schluss sechstens: Es gibt Hinweise, dass beide Seiten – Rechtsextreme wie Unterstützerszene – nicht nur aus Bautzen stammen, sondern diese Stadt als eine Art Aufmarschgebiet angesehen haben. Beide Seiten haben

ein Feindbild, einerseits im Asylbewerber und andererseits in Polizei und Ordnungsbehörden schlechthin, gefunden und instrumentalisieren gezielt bildungsferne Einwohner und andere Gruppen. Gegenmittel gegen Instrumentalisierung ist schlicht Entsolidarisierung. Das müssen wir von denen verlangen, die sich einem Instrumentalisierungsversuch gegenübersehen.

Das, meine Damen und Herren, ist die Lage.

Die große Mehrheit der Bautzner wie auch anderer Orte im Freistaat ist demokratisch, will – da bin ich anderer Auffassung als Sie, Kollege Stange – positiv integrieren und leidet unter den Konflikten.

Wir müssen in einem breiten gesellschaftlichen Dialog Lösungen finden, darüber notfalls streiten und – wichtig – vor allen Dingen mit demokratischen Mitteln argumentieren und reagieren. Dabei ist für mich Prävention immer besser als Repression, Vorbeugen besser als Heilen. Sozial- und Jugendarbeit, das Werben für unseren Staat, unser Gesellschaftssystem ist mühsam – auch und weil wir Fehler gemacht haben. Es ist noch schwieriger zu werben, wenn man gleichzeitig Fehler eingestehen muss.

Ich sehe die Anstrengungen, die Initiativen wie „Bautzen ist bunt“ auf sich nehmen. Sie leisten oft Prächtiges unter schwierigen finanziellen und auch gesellschaftlichen Bedingungen. Wir sollten, meine Damen und Herren, diesen Unterstützern dankbar sein. Ihr Beitrag ist mittlerweile vor Ort oft unverzichtbar für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.

(Beifall bei der CDU, den LINKEN, der SPD und den GRÜNEN)

Zudem gilt es, Populismus und Fremdenfeindlichkeit zu entlarven. Wir müssen dabei oft gegen schlichte Unwissenheit, Ignoranz und sehr einfaches Denken ankämpfen.

Es gilt zu vermitteln: Unsere Demokratie, unsere offene Gesellschaft schützt letztlich uns alle. Es gibt kein Land in Europa, in der Welt, in dem es den Menschen grundsätzlich besser geht als hier bei uns. Deshalb wollen so viele hierher.

Wir brauchen also mehr Begegnung, müssen die demokratischen Spielregeln konsequent vermitteln, durchsetzen und Angebote für alle Altersgruppen, auf dem Land wie in den Städten, machen.

Die interkulturellen Wochen, deren feierliche Eröffnung ich am Sonntag in Bautzen zusammen mit Petra Köpping besuchen durfte, sind ein guter, wegweisender Beitrag zum Gelingen der Kommunikation.

Eines, auch wenn es wehtut, müssen wir immer im Auge behalten: Wir dürfen nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Im Verhältnis zu den Flüchtlingen sind es die dumpfen, organisierten und gewaltbereiten Rechtsextremen, die mit einer perfiden Strategie Aktionsschwerpunkte setzen und ohne Rücksicht auf das Ansehen ihrer angeblich so schützenswerten Heimat Einwohner, Investoren und Gäste verschrecken. Das zerstört weite Teile der

guten Arbeit der letzten Jahre im Freistaat und in den betroffenen Gemeinden, und es wirft uns weit zurück.

Die Integration derjenigen, die bei uns bleiben werden, muss gerade hier bei uns im Freistaat besonders gut klappen. Dann ist mir auch um das Image des Freistaates nicht bange.

Meine Damen und Herren, wir wollen gemeinsam eine gewaltfreie Gesellschaft aufbauen, in der jeder die Chance hat, sich entsprechend seinen Fähigkeiten und seiner Leistungsbereitschaft zu entwickeln und seine Zukunft zu gestalten. Bildung, die Lust auf Bildung, Neugier, Toleranz und Demokratieverständnis müssen wir auf allen Ebenen und überall fordern und fördern. Daran gilt es zu arbeiten, nicht nur in Bautzen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der Staatsregierung)

Ich bitte jetzt die Staatsregierung, Frau Ministerin Köpping.