Protocol of the Session on September 28, 2016

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Sie sehen, dass ich jetzt an das Rednerpult geeilt bin, obwohl wir heute fast ausschließlich eine ordnungspolitische Diskussion geführt haben. Ich tue das sehr gern, weil ich denke, dass wir in die Diskussion einen anderen Schwerpunkt hinlegen sollten.

Deshalb herzlichen Dank, Kollege Mackenroth, für die Worte, die in die Richtung Integration gegangen sind. Ich bin der Meinung, dass wir bei der Ursachensuche ein ganzes Stück tiefer gehen müssen.

Klar ist, Gewalt lehnen wir generell ab – egal, wer sie ausübt. Alle – wirklich alle! –, die in Deutschland leben, haben sich auf dem Boden unseres Grundgesetzes zu bewegen. Dazu herrscht, denke ich, bei allen Einigkeit. Trotzdem müssen wir einen ehrlichen Diskurs führen.

Ja, wir haben Fehler gemacht. Zu Beginn der Flüchtlingskrise haben wir die Bürger nicht so eingebunden, wie wir es hätten tun müssen. Ich spreche nicht nur von Sachsen, sondern von ganz Deutschland. Wir hätten frühzeitiger, ehrlicher informieren und aufklären müssen.

Wir haben die Bevölkerung an dieser Stelle nicht mitgenommen.

(Beifall des Abg. Enrico Stange, DIE LINKE)

Wenn wir schon eine Bestandsaufnahme machen, dann müssen wir eine gesellschaftspolitische Bestandsaufnahme machen. Ist es wirklich allein die Flüchtlingskrise, die uns hier in Sachsen, in Ostdeutschland bewegt? Ich glaube nicht. Ich denke, dass wir eine ganze Spannweite an Problemen in Ostdeutschland haben, die wir in Betracht ziehen und über die wir diskutieren müssen. Es reicht nicht, wenn wir nur informieren, sondern wir müssen die Menschen mitnehmen.

Wir haben eine wendebedingte Problematik in Ostdeutschland. Was meine ich mit „wendebedingt“? Viele Menschen, die 1989 auf die Straße gegangen sind, hatten große Hoffnungen. Sie haben gesagt: Jetzt beginnt das wahre Leben, jetzt bin ich frei, jetzt habe ich Demokratie. Sie sind enttäuscht worden. Über diese Enttäuschung müssen wir sprechen.

Martin Dulig und ich waren in den letzten zwei Wochen – es hat sich durch Zufall ergeben; von Bautzen war da noch keine Rede – in Bautzen, Weißwasser und Zittau, und wir haben dort immer die gleichen Gespräche geführt: Frau Köpping, Sie reden über Integration. Frau Köpping, Sie reden darüber, dass die Menschen, die zu uns kommen, eine Berufsanerkennung bekommen sollen. Wer hat sich um meine Berufsanerkennung gekümmert? Ich habe in der Textilbranche gearbeitet und habe einen Facharbeiterabschluss. Wer hat mir hinterher geholfen?

Das mag subjektiv sein – das sehe ich auch so –, aber die Problemlage bei den Menschen ist vorhanden. Sie sind benachteiligt, sie sind nicht mitgenommen worden, und dort müssen wir ansetzen. Deshalb, lieber Kollege Mackenroth, bin ich voll bei Ihnen: Integration gilt für alle, auch für die Menschen, die da sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, den GRÜNEN und des Staatsministers Markus Ulbig)

Trotzdem kommt in dem einen oder anderen Interview immer mal heraus: Sachsen macht da nichts, Sachsen bringt da nichts auf den Weg. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, konkret für den Landkreis Bautzen die Maßnahmen herauszuziehen, die wir dort vorbereitet und organisiert haben. Im März dieses Jahres haben wir ein Integrationspaket mit 34,4 Millionen Euro verabschiedet. Das ist viel Geld.

In den Diskussionen sage ich immer wieder: Dieses Geld kommt uns allen zugute. Es kommt nicht nur Geflüchteten zugute. Viele Menschen haben Arbeit gefunden, und zwar eine Arbeit, wodurch sie sich persönlich – weil sie viele Jahre Arbeitslosigkeit erlebt haben – wieder ein Stück aufgewertet fühlen.

Wir haben auf der einen Seite in unserer finanziellen Aufstockung das Thema „Asylsuchende und Zuwanderung“ in den Fokus gelegt. Im Landkreis Bautzen haben wir dazu zehn Projekte mit 365 000 Euro aufgelegt. Aber wir haben nicht nur in diese Instrumente wie Integration in soziale Betreuung und integrative Maßnahmen investiert, sondern wir haben auch neue Projekte aufgelegt, wie die Bestellung von Integrationskoordinatoren. Dazu hat der Landkreis Bautzen zurzeit die Anträge laufen, er will auch zehn Integrationskoordinatoren einstellen.

In Bautzen selbst haben wir vier Integrationskurse, die mittlerweile sehr gut besucht sind. Natürlich gibt es hier und da immer mal ein Problem; das ist doch gar nicht aus der Welt zu schaffen. Aber wir haben in unserem Kabinettsbeschluss den Fokus auf die Mehrheitsgesellschaft gelegt.

Wir haben den Etat für die Richtlinie „Weltoffenes Sachsen“ auf 4,3 Millionen Euro aufgewertet. Auch davon hat der Landkreis Bautzen 288 000 Euro in acht Projekten beantragt. Das sind Projekte, wobei man lernt, miteinander umzugehen. Wie führe ich eine Diskussion? Wie setze ich mich demokratisch, ohne Gewalt, mit anderen Ansichten auseinander?

Wir haben im Landkreis Bautzen zehn Flüchtlingssozialarbeiter. Wenn ich alle Sozialarbeiterstrukturen zusammennehme, dann sind es immerhin 111. Das heißt, wir haben im Landkreis Bautzen – von der Voraussetzung her – eine ganze Menge auf den Weg gebracht.

Zurzeit haben wir im Landkreis 2 600 Asylbewerber, davon sind 27 % Kinder. 179 Kinder sind ohne Begleitung nach Deutschland gekommen. Insgesamt haben wir einen Anteil von 6 500 Ausländern. Das entspricht 2,1 % der Bevölkerung. Manchmal denke ich: Lasst uns doch so viel Selbstbewusstsein haben, dass wir mit dieser Sache zurechtkommen und handeln können – und zwar gemeinsam.

(Beifall bei der SPD, der CDU, des Abg. Heiko Kosel, DIE LINKE, und des Staatsministers Markus Ulbig)

Ich möchte noch auf ein Problem eingehen, weil wir das als Freistaat unterstützen und begleiten: Das sind Lebensumstände der Menschen, die da sind. Ich habe mir mal die Mühe gemacht zu schauen, wie das denn aussieht, auch im Landkreis Bautzen. Ja, wir haben ein drittes Mal die Situation, in der die Bereiche ausgedünnt, verändert werden. Die erste große Abwanderungswelle hatten wir hier im Osten bis 1989. Viele Menschen, die gut qualifiziert, gut ausgebildet gewesen sind, haben die ehemalige DDR verlassen. Dann kam die zweite Welle, nach 1990. Die Menschen wurden ausgebildet, sie haben gute Abschlüsse erworben, und sie haben keine Arbeit gefunden.

In Zittau haben wir, wie ich gehört habe, eine Arbeitslosenquote von immer noch 11 %. Vor allem junge Frauen verlassen diese Region. Das bedeutet, dass wir auch im Landkreis Bautzen einen Überschuss an jungen Männern haben, und um jene müssen wir uns kümmern. Sie finden keine Frauen.

(Heiterkeit im Saal)

Jetzt kann man das einfach ins Lächerliche ziehen und fragen: Was ist denn das für ein Problem? Ich kann Ihnen gern meine E-Mails zeigen, in denen junge Menschen fragen: Wo finde ich denn hier eine Frau? Und wenn ich die habe, dann gehe ich nicht mehr zu Pegida.

(Heiterkeit der Abg. Daniela Kuge, CDU)

Das will ich wirklich nicht lächerlich dargestellt haben, aber das ist ein Problem, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Deswegen finde ich gut – und dafür werbe ich noch einmal –, dass wir in unseren Förderrichtlinien, die wir im Gleichstellungsbereich haben, uns ganz speziell auch um Männer kümmern, um ihnen die Wege zu ebnen. Wie können wir Rollenbilder, Kooperations- und Teamfähigkeit, soziale Kompetenz und Fürsorge erlernen? Das halte ich für eine wichtige Frage, auch wenn ich das Thema „Radikalisierung der Gesellschaft“ insgesamt betrachte.

Zum Abschluss lassen Sie mich noch sagen: Den runden Tisch, den Kollege Schiemann einberufen hat, finde ich richtig und wichtig. Eine Bitte habe ich auch: Laden Sie uns dazu ein. Wir würden gern behilflich sein, auch bei den neuen Maßnahmen, die dort auf den Weg gebracht werden.

Lieber Kollege Mackenroth, ja, wir waren am Sonntag zur Interkulturellen Woche in Bautzen. Wir haben das Programm und die vielen Helferinnen und Helfer gesehen. Ich kann nur sagen: Die Mehrheitsgesellschaft steht hinter unseren Maßnahmen. Wir müssen die Menschen nur dazu bewegen, dass wir uns gemeinsam mit denjenigen beschäftigen, die unentschlossen und unzufrieden sind, damit wir sie in unseren Prozessen mitnehmen können. Dann kann Integration für uns alle gelingen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU, den LINKEN, den GRÜNEN und des Staatsministers Markus Ulbig)

Meine Damen und Herren! Damit haben wir die Zweite Aktuelle Debatte abgeschlossen, und ich kann den Tagesordnungspunkt beenden.

Wir kommen zu

Tagesordnungspunkt 2

Zweite Beratung des Entwurfs

Gesetz zur Änderung der Sächsischen Gemeindeordnung (SächsGemO)

Drucksache 6/3486, Gesetzentwurf der AfD

Drucksache 6/6475, Beschlussempfehlung des Innenausschusses

In der allgemeinen Aussprache beginnt die AfD-Fraktion. Danach folgen CDU, DIE LINKE, SPD, GRÜNE und die Staatsregierung, wenn gewünscht. Ich erteile der AfDFraktion, Herrn Abg. Barth, das Wort.

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnetenkollegen! Mit diesem Gesetzentwurf zur Änderung der Gemeindeordnung

möchte meine Fraktion erreichen, dass eine Person gleichzeitig ehrenamtlicher Bürgermeister in zwei Gemeinden sein kann.

Die jetzige Fassung des § 49 Abs. 4 der Sächsischen Gemeindeordnung, wonach der Bürgermeister nicht gleichzeitig sonstiger Bediensteter der Gemeinde oder Bürgermeister einer anderen Gemeinde sein kann, soll dahin gehend geändert werden, dass der Bürgermeister lediglich nicht sonstiger Bediensteter der Gemeinde sein kann.

Im Ergebnis dieser Änderung könnte ein Bürgermeister gleichzeitig Bürgermeister einer anderen Gemeinde werden; denn nach unserer Auffassung, meine Damen und Herren, ist es gerade Sache der Bürger einer Gemeinde, darüber zu befinden, ob sie einen Bürgermeister im Amt sehen wollen, der bereits Bürgermeister einer anderen Gemeinde ist. Wenn sie ihm trotz dieses Umstandes ihr Vertrauen schenken wollen, so ist dies eine freie, demokratische Entscheidung.

Hingegen brauchen die Bürger der Gemeinde, deren Bürgermeister in einer weiteren Gemeinde zum Bürgermeister gewählt wurde, diesen bei der nächsten Bürgermeisterwahl nicht wiederzuwählen, falls sie ihn wegen dieses Umstandes ihr Vertrauen entziehen müssen.

Meine Damen und Herren! Wie Sie der Beschlussempfehlung des Innenausschusses entnehmen können, brachte der Vertreter der linken Mitte dieses Hauses, also der Vertreter der CDU-Fraktion,

(Lachen des Abg. Sebastian Fischer, CDU)

bei der Beratung im Innenausschuss vor allem Erwägungen der Inkompatibilität vor: Die Unvereinbarkeit der gleichzeitigen Wahrnehmung zweier öffentlicher Ämter solle vorliegen. Es gebe immer die Möglichkeit von Interessenskollisionen.

(Valentin Lippmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Überlassen wir es doch den Bürgern der betreffenden Gemeinde, die Entscheidung zu finden, ob sie diese Besorgnis haben, und wenn ja, wie wichtig ihnen diese Besorgnis bei der Wahl des Bürgermeisters ist.

Die drei linken Fraktionen dieses Hohen Hauses wiesen vor allem auf eine Gegensätzlichkeit bzw. Widersprüchlichkeit zu unserem Gesetzentwurf zur Änderung der Landkreisordnung hin.

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Barth?

Nein. – Ich will an dieser Stelle darauf eingehen, dass diese Kamelle vermutlich in späteren Reden gleich wieder vorgebracht werden wird.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Weil es die Wahrheit ist, Herr Barth!)