Protocol of the Session on September 1, 2016

Zweiter Punkt. Sie scheinen mir die Gewaltenteilung in unserem Staat nicht recht verstanden zu haben.

(André Barth, AfD: Die haben wir sehr wohl verstanden!)

Sie wollen offensichtlich grundsätzlich im Ausland geschlossene Ehen unter bestimmten Voraussetzungen aufheben. Das macht aber nicht der Gesetzgeber. Wenn es Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer Ehe gibt, dann ist ein Gericht zu fragen. Das Gericht hat zu prüfen, ob die Voraussetzungen vorliegen. Wenn Sie das automatisiert in das Gesetz schreiben wollen, dann übernimmt der Gesetzgeber die Funktion der Gerichte. Ich glaube nicht, dass das mit unserer Staatsordnung in Einklang steht. Sie sollten endlich aufhören, irgendwelchen populistischen Unsinn in die Welt zu setzen, und stattdessen vorher prüfen, ob das, was Sie wollen, überhaupt geht. Das ist doch lächerlich!

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und vereinzelt bei der CDU)

Das war Herr BaumannHasske; er sprach für die SPD-Fraktion. Die Fraktion GRÜNE hat noch 11 Sekunden.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Kein Bedarf, Herr Präsident!)

Die Redezeit soll nicht genutzt werden. Wollen wir eine weitere Rederunde eröffnen?

(Dr. Jana Pinka, DIE LINKE: Nein! – Dr. Frauke Petry, AfD: Ja!)

Jetzt eröffnen wir eine dritte Rederunde. Das Wort ergreift erneut Frau Dr. Petry für die einbringende AfD-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Natürlich wollen wir eine dritte Rederunde; denn es gilt, einiges geradezurücken.

Herr Baumann-Hasske, Sie als Jurist sollten es besser wissen:

(Harald Baumann-Hasske, SPD: Aber Sie als Nicht-Juristin wissen es auch nicht besser!)

Wir sind da, um Gesetze zu ändern. Wenn wir der Meinung sind, dass das internationale Privatrecht an der Stelle geändert werden muss, dann bedarf es der parlamentarischen Debatte, dann bedarf es der Öffentlichkeit, um darüber zu diskutieren.

(Georg-Ludwig von Breitenbuch, CDU: Was Sie alles wissen, ist ja hochinteressant!)

Aber das scheint für Sie das Problem zu sein. Die öffentliche Debatte an sich, in der Sie Farbe bekennen müssen, ist für Sie das Problem. Aber machen Sie nur so weiter; das ist gar nicht schlimm für uns.

(Harald Baumann-Hasske, SPD: Ich habe doch gerade Farbe bekannt!)

Stellen wir fest: LINKE, GRÜNE und auch die SPD halten die Regeln derzeit für ausreichend. Dass davon in Deutschland mehr als tausend Mädchen – es sind im Wesentlichen Mädchen – betroffen sind, scheint sie kalt zu lassen.

(Widerspruch von den LINKEN)

Eine interessante Ansicht von denjenigen, die angeblich immer so menschlich, so humanistisch sind.

Ich darf hinzufügen: Der Anstieg der Fallzahlen wird übrigens schon seit 2008 beklagt; schon damals gab es über 3 400 Beratungsfälle. In 60 % der Fälle wurde wegen drohender Zwangsehe und in 40 % der Fälle wegen vollzogener Zwangsehe in diesen Beratungsstellen Hilfe gesucht. Sie, vor allem Sie von den LINKEN, halten die gestiegene Zahl der Kinderehen nicht für ein Problem des Islams. Dafür muss man schon sehr viel Vogel-StraußVerhalten an den Tag legen. Am besten, wir schütten hier einen Sandhaufen auf, in den Sie abwechselnd Ihre Köpfe hineinstecken. Dann könnten Sie weiterhin die Augen vor der Realität verschließen.

(Beifall bei der AfD – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Es geht Ihnen doch gar nicht um Kinderrechte! Es geht Ihnen um Stimmungsmache!)

In der Scharia sehen die meisten Gelehrten die Zustimmung der Frau zur Ehe noch nicht einmal als Voraussetzung an. Heiratsverträge ohne Mitwirkung der Betroffenen können nach Schariarecht in jedem Alter geschlossen werden. Das ist eine Situation, die wir in Europa nicht haben und – Gott sei Dank! – nie hatten. Die geänderten Gesetze in der Bundesrepublik und im wiedervereinigten Deutschland künden davon.

(Unruhe bei den LINKEN)

Deswegen sollten wir darüber reden, was wir tun können. Auch wenn es Sie noch so sehr aufregt: Es ist gut, dass

die Bürger sehen, wie Sie sich um die Belange der Betroffenen kümmern, nämlich nicht ausreichend.

Wenn ich daran denke, was gestern Schüler aus Schwarzenberg in diesem Hohen Hause gefragt haben, dann erinnere ich mich zum Beispiel an die Frage: Wie kümmern sich die Parteien insbesondere um Frauen- und Mädchenrechte? – Ich erwarte am Schluss dieser Debatte, dass Sie Ihre ideologischen Scheuklappen ablegen. Bei einigen Parlamentariern ist das – Gott sei Dank! – bereits der Fall. Diese Frage geht alle Fraktionen an. Hier muss an einem Strang gezogen werden – in Sachsen, in der Bundesrepublik Deutschland insgesamt. Wenn Sachsen sich um internationale Gesetzgebung kümmert, dann ist das doch wahrhaftig ein Zeichen von Weltoffenheit.

(Beifall bei der AfD)

Frau Dr. Petry hat mit ihrem Redebeitrag die dritte Runde eröffnet. Ich sehe gleich eine Kurzintervention. Diese muss sich auf den Redebeitrag beziehen. Bitte, Herr Kollege.

Ja, Herr Präsident! Ich möchte in aller Ruhe und Gelassenheit auf einen sehr bedeutenden Widerspruch in den Ausführungen von Frau Dr. Petry eingehen. Sie spielt sich hier als Anwältin von jungen Mädchen, von Kindern auf; zumindest erweckt sie diesen Eindruck. Sie verknüpft das mit verschiedenen Beispielen, schwimmt aber juristisch ein bisschen. Der Punkt ist: Sie geriert sich hier als Unterstützerin von Kinderrechten. Im Grundsatzprogramm der AfD fordert sie gleichzeitig, die Strafmündigkeit von Kindern von 14 auf 12 Jahre abzusenken. Sie spricht sich also dafür aus, dass in Zukunft Kinder ins Gefängnis geworfen werden dürfen. Diese Heuchelei sollte man in dieser Debatte nicht unwidersprochen stehen lassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Das war eine Kurzintervention von Herrn Homann. Jetzt reagiert Frau Dr. Petry auf diese Kurzintervention.

(Dirk Panter, SPD: Ich höre es schon: „Das war so nicht gemeint“!)

Auch in aller Gelassenheit, Herr Homann. – Ich empfehle, dass Sie zwischen Rechten und dem Vergehen, also zwischen dem Thema der Strafmündigkeit und den gar nicht möglichen Rechten, die wir aber wahrgenommen sehen wollen, bei den Kindern unterscheiden. Das sollten Sie dem Hohen Haus schon zutrauen. Das können Sie offenbar nicht. Aber ich verstehe, dass dies der Panik der SPD geschuldet ist. Alles in Ordnung!

(Beifall bei der AfD – Dirk Panter, SPD: Ich habe Sie nicht verstanden! Was haben Sie überhaupt gesagt?)

Wir können in der Rednerrunde fortfahren. Möchte die CDU nochmals das Wort ergreifen? – Ich sehe keinen Redebedarf. Die SPD hat noch Redezeit. Kollege Baumann-Hasske, wollen Sie noch einmal das Wort ergreifen? – Das ist nicht der Fall. Gibt es überhaupt noch Redebedarf aus den Fraktionen, so sie denn noch Redezeit haben? – Diesen kann ich nicht erkennen.

Damit kommt jetzt die Staatsregierung zu Wort. Unser Staatsminister Kollege Gemkow wird es gleich ergreifen.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es besteht doch überhaupt kein Zweifel daran, dass Kinderehen nicht mit unserem Verständnis von Ehe in Einklang zu bringen sind und die Eheschließung einer 13-Jährigen überhaupt nicht hinnehmbar ist.

(Beifall bei allen Fraktionen)

Nach unserem Wertesystem gehen Frauen gleichberechtigt, selbstbestimmt die Ehe ein. Kinder gehören tatsächlich zu ihren Eltern und in Bildungseinrichtungen, aber nicht vor den Traualtar.

So richtig diese plakative Erkenntnis ist, so umreißt sie doch die Thematik nur unzureichend. Sie wird ihr letztlich auch nicht gerecht. Damit ist nämlich nicht gesagt, dass insoweit das deutsche Recht per se unzulänglich sei. Wenn ein Kind im Ausland nach dem dort geltenden Recht eine Ehe geschlossen hat, dann bedeutet das nach dem deutschen Recht noch nicht automatisch, dass auch für diese Ehe hier der grundgesetzliche Schutz gilt, wie es bei einer in Deutschland geschlossenen Ehe der Fall ist.

Der deutsche Staat hat es schon heute nicht hinzunehmen, dass diese Ehen in Deutschland einfach fortgesetzt und sogar formal anerkannt werden. Die Schutzmechanismen, die das deutsche Kinder- und Jugendhilferecht und auch das Kindschaftsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches vorsehen, gelten auch für diese Kinder. So hat das Jugendamt ein Kind, auch wenn es verheiratet ist, in Obhut zu nehmen, wenn dringende Gefahren für das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen vorliegen und die Inobhutnahme erforderlich machen.

Selbstverständlich gilt auch die strafrechtliche Regelung und der strafrechtliche Schutz des Rechts der sexuellen Selbstbestimmung des Kindes absolut unverändert. Ausländisches Eherecht ist jetzt schon nur insoweit anwendbar, als es mit den wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts überhaupt vereinbar ist. Wenn das offensichtlich nicht der Fall ist, dann wird diese Ehe durch die zuständigen Behörden – das ist bei uns in Sachsen die Landesdirektion – vor dem Familiengericht angefochten und damit ihre Wirkung auch formal beseitigt.

Auch wenn wir uns in Sachsen einigen problematischen Kinderehen gegenübersehen und das deutsche Recht schon jetzt einen hohen Schutzstandard aufweist, sind gerade die aktuellen Entwicklungen für das Staatsministe

rium der Justiz Anlass zu prüfen, ob es notwendig ist, die Anerkennung von Ehen, die nach ausländischem Recht in Deutschland geschlossen wurden, möglicherweise restriktiver zu behandeln, als es bisher der Fall war. Dazu brauchen wir aber nicht diese Aktuelle Debatte und so werden wir die schon angesprochene Bund-LänderArbeitsgruppe mit begleiten, werden daran teilnehmen und unsere Auffassung einbringen. Das wird ab September der Fall sein, also in diesem Monat. Diese Arbeitsgruppe wird dann prüfen, ob die bisherigen Regelungen ausreichen und welche ergänzenden Regelungen möglicherweise noch notwendig sind. Dabei wird man nicht umhinkommen, die Regelung zur Ehemündigkeit und zur Anerkennung ausländischer Ehen auch mit denen unserer europäischen Nachbarn zu vergleichen, um so unsere Regelungen in einen gesamteuropäischen Kontext zu stellen und letztendlich auch in ein gesamteuropäisches

Wertegefühl einzupassen. An diesem Wertesystem werden wir uns gleich mit ausrichten, das ist selbstverständlich.

Jedenfalls wäre die Anerkennung von Ehen, die offenkundig der Ausbeutung von Mädchen dienen, aus meiner Sicht ein völlig falsches Verständnis von Toleranz. Unser Schutz muss den Kindern gelten, nicht diesen Ehen.

Vielen Dank.

(Beifall bei allen Fraktionen)