Derzeit funktioniert es in unserem Schulsystem noch gut, weil das Engagement und die Leidenschaft vieler Lehrerinnen und Lehrer Probleme ausgleichen helfen. Eine Chance wird aus alldem aber nur dann erwachsen, wenn das gemeinsame Problemlösen im Vordergrund steht und alle miteinander an einem Ziel arbeiten – um den Slogan des Landesschülerrates aufzugreifen: ernsthaft und konstruktiv.
Deswegen müssen wir genau überlegen und aufpassen, welche Wirkung manche unserer Vorschläge, die hier im Raum stehen, entfalten. Ein Beispiel: Die einheitliche Eingruppierung aller Lehrkräfte, selbst wenn man sie aus finanziellen Gründen nur schrittweise vornehmen kann, ist gerecht und wirkt motivierend für die Lehrerinnen und Lehrer. Unterschiedliche Bezahlung für die gleiche Arbeit, die geleistet wird, schafft allerdings nicht Gerechtigkeit, sondern Ungerechtigkeit und demotiviert. Das
darf uns nicht passieren; denn es sind das große Engagement und die Leidenschaft der Kolleginnen und Kollegen, die dafür sorgen, dass an unseren Schulen trotz aller Probleme derzeit guter Unterricht passiert.
Unsere Aufgabe gerade in einer Situation wie der jetzigen ist es, diese Leidenschaft und dieses Engagement zu befördern, wertzuschätzen und dafür zu sorgen, dass es so bleibt und sich weiter entfalten kann. Dafür braucht es kluge Entscheidungen. Ich hoffe, dass wir es schaffen, diese in den nächsten Wochen gemeinsam zu treffen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen! Die Personalsituation an unseren sächsischen Schulen beschäftigt uns seit Monaten intensiv. Ich kann mich noch gut an die Debatte im September letzten Jahres erinnern, als es um das Märchen vom „reibungslosen Schulstart“ ging. Seitdem, glaube ich, vergingen nur wenige Plenar- oder auch Ausschusssitzungen, in denen wir uns mit dieser Thematik nicht befasst haben.
Wir hörten es vorhin schon: Wir haben uns mit den Anträgen zur Personal- und Unterrichtssituation an sächsischen Schulen befasst, auch mit dem Antrag zur Verbesserung der Einstellungspraxis. Es wurde ein Antrag zur Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung an sächsischen Schulen behandelt. Und erst im März führten wir die Debatte zu den Bürgerforen zum Schulgesetz.
Unsere Fraktion hat damals den Antrag zum „FSJ Pädagogik“ eingebracht. Im April ging es um die Evaluierung der Lehramtsausbildung. Auch an den jetzigen beiden Plenartagen wird uns dieses Thema nicht verlassen. Wir führen jetzt diese Debatte, und morgen wird unsere Fraktion einen Antrag bezüglich Sofortmaßnahmen zur Lehrergewinnung einbringen.
Aber spätestens die Debatte zu den Bürgerforen hat uns gezeigt, dass uns Reden allein nicht weiterbringt. Die Bürgerforen waren, wie von uns befürchtet, leider doch eine Schaufensteraktion. Ich erwarte, und das ist meine ganz persönliche Meinung, dass es nicht zu weiteren inhaltlichen Änderungen kommen wird. Ganz im Gegenteil, im Moment hat es eher den Anschein, als wenn das Schulgesetz möglichst schnell durch das parlamentarische Verfahren gepeitscht werden soll.
Davon abgesehen sind wir der Meinung, dass wir uns derzeit an einem Punkt befinden, wo wir Forderungen und Anträge brauchen, wo wir verhandeln und streiten müssen. Deswegen auch – wie eben gesagt – unser morgiger Antrag. Gleichwohl wollen wir uns der Debatte nicht
verschließen. Sie ist und bleibt natürlich weiter wichtig. Die Frage, ob allerdings Unterrichtsausfall und Lehrkräftemangel tatsächlich Schulen in Gefahr bringen, werden wir heute sicher nicht beantworten können, es ist aber interessant, wie sich die Diskussion um Schulschließungen gedreht hat. Bisher hatten wir dieses Thema, wenn es um Mitwirkungsentzüge ging oder wenn es um Klassenzusammenlegungen ging.
Jetzt diskutieren wir – in der Intention dieser Debatte –, dass Schulstandorte bedroht sein könnten, weil es nicht ausreichend Lehrer gibt, die unterrichten können. Tatsächlich ist die Gefahr nicht ganz von der Hand zu weisen, wie einige aktuelle Zahlen belegen werden. In den nächsten Jahren – so haben verschiedene Hochrechnungen ergeben – bräuchten wir in Sachsen 1 500 Lehrer jährlich aufgrund von Altersabgängen oder steigenden Schülerzahlen. Der Freistaat stellt aber, zumindest für dieses Schuljahr, nur 1 200 Stellen zur Verfügung. Das ist ein erstes Problem.
Zwei Drittel aller Bewerber mit Lehramtsausbildung wollen ans Gymnasium. Nur jeder Siebente hat eine naturwissenschaftliche Ausbildung. Allein im Lehramtsbereich Dresden sind von 120 Referendaren nur neun im Fach Biologie, zwölf im Fach Chemie und sieben im Fach Physik ausgebildet. Die meisten sind Sprachler oder Gesellschaftswissenschaftler. Das ist ein zweites Problem.
An den Grundschulen – das ist uns allen bekannt – ist das Durchschnittsalter über 50, und an den Berufsschulen fehlen die Fachlehrer der beruflichen Sparten. Auch das sind weitere Probleme.
Aber die Gefahr, meine Damen und Herren, kommt für unsere Schulen nicht nur von diesen eben genannten Punkten, sondern auch aus dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf für die Schulen. Bei einer geforderten Mindestschülerzahl von künftig 750 an Berufsschulzentren ist die derzeitige Situation so, dass 27 Berufsschulen von einer Schließung bedroht wären. Auch dass Mittelzentren künftig nicht mehr in die Kategorie des ländlichen Raumes gezählt werden sollen, gefährdet Grund- und Oberschulen.
Meine Damen und Herren! Die genannten Aspekte sind künstlich geschaffen. Sie sind hausgemacht von diesem Hohen Hause bzw. von der Regierung. Wir können das ändern.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! „Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall – Schulen in Gefahr“, dieser Titel der Aktuellen Debatte trifft es; denn zu keiner Zeit, und das ist unsere feste Überzeugung, war das sächsische Bildungssystem so in Gefahr wie aktuell in Sachsen im Jahr 2016.
Insbesondere ist die Qualität der Grund-, Förder- und Oberschulen gefährdet und – das sagen Praktikerinnen und Praktiker, mit denen ich seit vielen Wochen landauf, landab im Gespräch bin – in absehbarer Zeit wird dieser Zustand nicht zu beheben sein. Sie erinnern sich vielleicht an meine Anfrage zum Stundenausfall. Hier wurde vonseiten des Kultusministeriums geantwortet, dass an 15 % der sächsischen Schulen der Grundbereich nicht mehr vollständig abgedeckt werden kann. Den Ergänzungsbereich gibt es an 22 % der Schulen überhaupt nicht mehr.
Die Ursachen für dieses Problem, verehrte Kolleginnen und Kollegen, sind bekannt. Ich möchte heute ausdrücklich politisch formulieren. Lieber Herr Kollege Bienst, es braucht eben kein Gedankenexperiment, wo man sich in die Situation eines Interessenten für den Lehrerberuf hineinbegibt, sondern es reicht schon, wenn man sich in die Realität begibt und mit denen redet, die heute und schon viele Jahre im System sind. Was höre ich da? Es ist ganz klar: Wir haben eine von der CDU zu verantwortende Bildungspolitik, die über die Jahre hinweg zwar immer wieder neue Anforderungen an Schule formulierte, jedoch nicht gewillt war, diese mit den erforderlichen finanziellen, sächlichen und personellen Ressourcen zu untersetzen. Das führte letztlich dazu, dass wir immerhin zwei Rücktritte aufseiten der sächsischen CDU-Fraktion hatten. Ein Minister trat zurück, und ein schulpolitischer Sprecher trat genau aus diesen Gründen zurück.
Darüber hinaus haben wir, und das spielt auch eine Rolle in den Gesprächen, eine Bildungspolitik, die in den letzten 25 Jahren von einem tiefen Misstrauen gegenüber sächsischen Lehrerinnen und Lehrern geprägt war. Dieses Misstrauen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, spüren die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen bis heute. Dazu kommt, und das muss man auch klar sagen, ein nicht geringes Maß an Planungsunfähigkeit und ein völlig realitätsfremdes Bild von schulischer Wirklichkeit. Ich habe heute schon das MDR-Interview angesprochen.
Herr Kollege Bienst, wenn Sie dem MDR erklären, man müsse jetzt rationalisieren und offenlassen, was Sie damit meinen, dann werde ich fatal an DDR-Sprech erinnert, denn das Wort, wir müssen jetzt rationalisieren, brachte man immer dann, wenn die „Kacke so richtig am Dampfen“ war – und das ist sie, wenn wir auf die sächsische Bildungspolitik schauen.
Nicht ein einziges Wort für Analyse, nicht ein Wort der kritischen Reflexion. Das ist Ignoranz und Arroganz auf höchstem Niveau.
Womit haben wir es zu tun? Ich versuche das mal auf den Punkt zu bringen. Es ist der mangelnde Wille zur Veränderung, der – und das schlägt dem Fass den Boden aus –
auch noch als Kontinuität und Qualitätsgarant fehletikettiert wird. Während das System aufgrund des Lehrermangels – das muss man wirklich so sagen – anfängt zu kollabieren, entscheiden weiter schullebensfremde Ministerialbürokraten und der Finanzminister über Sachsens Bildungszukunft.
Was sind aus der Perspektive unserer Fraktion die grundsätzlich zu lösenden Fragen? Was muss passieren? Einiges hat Kollegin Friedel schon angesprochen. Ich möchte noch Folgendes ergänzen:
Erstens.Wir müssen die Lehramtsausbildung modernisieren, denn mit dem höheren Lehramt reproduzieren wir immer wieder die ungewollte Lenkungswirkung hin zum Gymnasium und weg von der Grund- und Oberschule.
Zweitens ist es dringend geboten, die Hierarchie in der Vergütung zu beseitigen. Da gibt es erste Bewegung, allerdings nur für Gymnasiallehrer, die bereit sind, an eine Oberschule zu gehen. Das heißt, hier wird die Hierarchie weiter künstlich ausgehalten. Es ist nämlich viel wichtiger als eine Verbeamtung. Die jungen Lehrerinnen und Lehrer sagen, dass es einen guten Tarifvertrag und eine vergleichbare Entlohnung mit anderen Bundesländern gibt, dass die Schulen gut ausgestattet und die Arbeitsbedingungen gut sind und es familienfreundliche Rahmenbedingungen gibt.
Abschließend – meine Zeit ist gleich zu Ende – geht es mir noch um die Wertschätzung für den Lehrerberuf, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen. Ich möchte zitieren, was mir gestern ein Schulleiter gesagt hat. „Gerade in einer Firma, in der man mit dem Kopf arbeitet, muss man die Köpfe hegen und pflegen. In Sachsen gilt das nicht. Hier ist der schäbige Umgang mit den Lehrerinnen und Lehrern Führungsinstrument.“
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Bienst, da kann ich Sie beim Wort nehmen, weil die Eltern aus Deutzen mir gerade eine Nachricht geschickt haben. Sie ergreifen den letzten Strohhalm, der sich ihnen bietet, den jahrgangsübergreifenden Unterricht, den Sie gerade angesprochen haben. Vielleicht kann die Ministerin uns morgen erklären, dass es geklappt hat. Es hat am Montag im Gemeinderat einen Beschluss gegeben, vorher einen Beschluss in der Lehrerkonferenz. Der Antrag auf jahrgangsübergreifenden Unterricht ist bereits an die Bildungsagentur gegangen. Den letzten Strohhalm, den Sie ihnen geben, haben sie ergriffen.
Der Strohhalm wäre gar nicht notwendig gewesen. Ich sehe Ihre Begeisterung und es wäre sehr schön, Frau
Staatsministerin – heute ist es sicher nicht möglich –, wenn Sie uns morgen mitteilen könnten, dass diese erste Klasse im jahrgangsübergreifenden Unterricht eingerichtet werden kann. Dann haben wir unser Ziel doch schon erreicht und ich kann mein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten auf morgen Nachmittag verlegen, weil wir schon einmal eine gute Lösung haben.