Aus unserer Perspektive muss man deshalb die gewählten und neu ausprobierten Formate des Kultusministeriums nicht kritisieren, auch wenn man sachlich bleiben und
sagen muss: Es ist ein Dialog bezüglich eines vorgeschalteten Anhörungsverfahrens mit breiter Beteiligung, das vor dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren stattfindet. Das eigentliche Gesetzgebungsverfahren werden wir nach Vorlage des entsprechenden Gesetzentwurfes nicht vor Mai/Juni hier im Sächsischen Landtag beginnen.
Trotzdem muss man sagen: Es ist richtig und wichtig, dass das Kultusministerium mit diesen Bürgerforen neue Wege in der Beteiligung begonnen hat. Aber – und das möchte ich ausdrücklich an die Kolleginnen und Kollegen der SPD und der CDU richten: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, liebe Sabine Friedel. Deshalb wollen wir als GRÜNE hier im Parlament die Hoffnung äußern, dass künftig Bürgerdialoge, frühzeitige Beteiligungsverfahren – ich denke hier zum Beispiel an Verbände und Ähnliches – auch auf der Agenda sind.
Ich zitiere noch einmal Herrn Gohl, der gesagt hat: „Dialog als Kern der modernen Demokratie ja, aber eben Dialog aus Prinzip und nicht nur dann, wenn es passt.“ Ich glaube, das ist eine Lehre, von der ich hoffe, dass die Regierungskoalition sie aus diesem Lernprozess mitnimmt.
Die Zahlen des Beteiligungsprozesses geben der Kultusministerin recht. Es sind nicht nur die Bürgerforen, es wurde auch online erfolgreich mitdiskutiert. Über 1 000 Interessierte haben an den Veranstaltungen teilgenommen, rund 400 Online-Anträge. Wie ich am Samstag bei der Hauptversammlung des Landeselternrates von der Ministerin hören konnte, gibt es jetzt über 1 000 Seiten Vorschläge und Anregungen, die in den kommenden Wochen in den Gesetzentwurf eingearbeitet werden sollen. Da sind wir natürlich gespannt.
Was war aus unserer Perspektive ein wichtiger Punkt in diesen Bürgerdialogen? Es ist der Kontakt, den die Ministerin mit der ungeschönten Realität hatte. Viele von Ihnen, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, werden sich an den Artikel in der „Sächsischen Zeitung“ erinnern. Darin ging es um den Bürgerdialog in Bautzen. Die Ministerin wurde in der Headline mit der Frage zitiert: „Ist das wirklich so schlimm?“ Ich hatte gehofft, dass sich die Kollegin Wissel heute in dieser Aktuellen Debatte äußert. Sie ist dort sehr kritisch mit der sächsischen Bildungspolitik, insbesondere mit der Frage der Ressourcenausstattung der sächsischen Schulen umgegangen. Der Leidensdruck bei den CDU-Politikern – so war zumindest mein Eindruck – in den ländlichen Räumen muss erheblich sein. Wir hoffen, dass auch das in diesen Beteiligungsverfahren gehört wird.
Was gibt es Kritisches zu sagen? Meine Vorrednerinnen sind schon darauf eingegangen. Natürlich hat Beteiligung erst dann Wert, wenn die, die sich einbringen, auch nachvollziehen können, was mit ihrer Kritik und ihren Vorschlägen passiert. Zum jetzigen Zeitpunkt ist völlig unklar, ob sich überhaupt etwas von dem, was vorgetragen wurde, im überarbeiteten Entwurf der Staatsregierung
wiederfinden wird. Das, was mir bisher in den Debatten zum neuen Schulgesetz als ein ganz zentrales Thema entgegengebracht wurde, –
– ist das Thema gemeinsames Lernen. Über 60 % der Menschen in Sachsen wünschen sich längeres gemeinsames Lernen.
Wir sind am Ende der ersten Runde angelangt. Ich bin ganz sicher, dass wir in eine zweite Runde eintreten. Für die einbringende Fraktion CDU wird diese zweite Rederunde eröffnet von Herrn Kollegen Modschiedler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Thema lautet: Wir wollen die Dialogforen diskutieren – Frau Falken, nicht das Schulgesetz, wir diskutieren die Frage der Dialogforen. Damit möchte ich mich jetzt rechtspolitisch auseinandersetzen.
Warum ein Dialog? Der Kollege Bienst hat das ausgeführt: Es ist ein Austausch von Standpunkten. Das heißt, dass wir miteinander diskutieren wollen, Frau Falken, nicht übereinander reden – das passiert gerade.
Es gibt verschiedene Formen der Beteiligung von Bürgern. Einige sind – das hat Frau Friedel auch angesprochen – in der Verfassung verankert, auch in unserer Sächsischen Verfassung. Das ist zum Beispiel Artikel 72 unserer Sächsischen Verfassung – die Gesetzgebung zu Volksbegehren und Volksentscheid. Die Vergangenheit hat uns aber gelehrt, dass das nicht immer passend war. Es gab dafür verschiedene Gründe: die Quoren sind zu hoch oder zu niedrig oder falsch; die Thematik ist zu differen
ziert, zu speziell; die Politikverdrossenheit, die eine große Rolle spielt. Es ist schwierig, denn der Bürger muss hier tätig, muss proaktiv werden. Er muss sich Mehrheiten für diese Volksentscheide, für diese Volksbegehren suchen. Er muss die komplexe Materie dieser dann vorliegenden Gesetzgebungsvorhaben erfassen und unter Umständen selbst in einen Antrag gießen.
Der Dialog geht genau anders herum. Wir, das heißt die Politik, treten mit Vorschlägen an den Bürger heran. Wir gehen auf den Bürger zu und nicht der Bürger muss aktiv werden.
Der Bürger kann sich hier einbringen. Das gilt auch für komplexere Sachverhalte, vor denen er sonst immer zurückgeschreckt ist. Der Bürger kann direkt mit dem Gesetzgeber, also mit uns, aber auch mit der Staatsregierung konkrete Punkte diskutieren und mittels neuer Medien – SMS, WhatsApp, Mail – mit Vorschlägen auf die Regierung, auf die Politik zugehen. Wir wissen doch aus eigener Erfahrung: Wir würden doch nie von allein tätig werden. Aber wenn es uns angeboten wird, wird die Schwelle kleiner und wir werden eher aktiv. Das soll auch der Sinn sein. Genau das ist aber bei Volksbegehren und Volksentscheiden nicht die Möglichkeit.
Herr Ministerpräsident Kretschmann – wir wissen zurzeit nicht, wie es weitergeht; die Wahlen sind gelaufen – hat Ende Februar 2016 gesagt: Die Bringschuld des Bürgers ist, zivilisiert zu streiten. Er selbst hat gesagt, dass er jetzt nunmehr Dialogforen in Baden-Württemberg einrichten wolle. Das haben wir schon. Wir sind schon einen Schritt weiter.
Tja, Herr Lippmann, erkannt und nicht umgesetzt. Schade eigentlich. Wir haben es gemacht. Wir suchen die Frage. Die Frage ist nur – und das ist die Diskussion, die wir eröffnen sollten –: Wollen wir die Möglichkeit der Dialogforen nicht in irgendeiner Form gesetzgeberisch einbinden? Darüber müssten wir uns unterhalten, das wäre eine interessante Sache. Man muss nicht an irgendwelchen alten Zöpfen rumhantieren und sagen: Da muss etwas geändert werden, und da. Es geht um ganz einfache Methoden.
Wir könnten uns parallel zu der Frage der bestehenden Möglichkeiten der direkten Demokratie auch mit solchen Formen auseinandersetzen. Aber offen ist, wie. Das müssen wir miteinander diskutieren. Anhand des Schulgesetzes hat sich gezeigt, dass das Bürgerforum funktioniert hat. Wir sind auf einem guten Weg, den sollten wir beibehalten.
Modschiedler, CDU-Fraktion, war der Erste. Jetzt Frau Kollegin Friedel, bitte. Sie machen für die einbringende SPD-Fraktion weiter in dieser zweiten Rederunde.
Herzlichen Dank. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte die zweite Runde kurz nutzen, um auf zwei Aspekte aufmerksam zu machen, die ich bei den Dialogforen als besonders wertvoll empfunden habe.
Herr Kollege Modschiedler sagte, ein Dialog sei ein Austausch von Standpunkten. Das stimmt, aber es ist der erste Schritt. Der zweite Schritt ist, ein gemeinsames Problem zu lösen. Ich habe bei den Dialogforen zu großen Teilen empfunden, dass, egal ob es Leute aus dem Kultusministerium, von Schülervertretungen, von Elternvertretungen, von der Lehrerschaft oder den Schulleitungen waren, es nicht so sehr darum ging zu sagen, dass dies und das schlecht gemacht worden oder dass dies und das unsere Idee gewesen sei und nicht eure, sondern dass es sehr oft gelungen ist – sicherlich auch dank der Moderation und dank der Einstellung, mit der die Verwaltung herangegangen ist –, gemeinsam Probleme und Herausforderungen zu beschreiben und zu überlegen, wie sie sich lösen lassen, wie wir es zum Beispiel wirklich schaffen, gute Diagnostikverfahren im Bereich des förderpädagogischen Bedarfs hinzubekommen. Oder, oder, oder.
Dieser Austausch von Standpunkten als erster Schritt und das gemeinsame Problemlösen als zweiter – das sehe ich in diesen Foren angelegt. Es macht mir Mut, dass alle Beteiligten miteinander reden wollen. Ein wichtiger Aspekt ist auch, dass die Dialogforen etwas Bildendes für uns und für die Bürgerinnen und Bürger haben. Man lernt ganz unterschiedliche Perspektiven kennen. Man versteht, dass es auf eine Frage nicht die eine Antwort gibt, sondern dass aus der einen Perspektive die Antwort so lauten muss und aus der anderen Perspektive ganz neue Fragen aufgeworfen werden. Das ist ein wichtiger und guter Punkt in den Dialogforen: Es wird einem klarer, dass man mit seiner Meinung nicht allein in der Welt ist und dass andere Meinungen genauso eine Berechtigung haben. Dieses Klarwerden findet, glaube ich, nicht nur in der Politik statt, sondern auch bei den Bürgerinnen und Bürgern.
Was heißt das für das Schulgesetz, abgesehen von allem Inhalt? Ich glaube, dass wir uns bemühen müssen, aus diesem Schulgesetz ein Ermöglichungsgesetz zu machen, also zum einen zu beschreiben, wie unsere Schullandschaft in Sachsen aussieht, welche Bildungsabschlüsse man erreichen kann, und zum anderen müssen wir aufpassen, dass wir die vielen Perspektiven und Ideen mit gesetzlichen Regelungen nicht verbauen, sondern befördern. Wenn Möglichkeiten gesucht werden, die wir beim Gesetzgebungsverfahren nicht auf dem Schirm hatten,
Das Schulgesetz als Ermöglichungsgesetz für all jene, die sich engagiert im Bildungsbereich bewegen – das sollte abseits allen Inhalts etwas sein, was wir aus den Dialogrunden und aus dem großen Engagement aller am Bildungssystem Beteiligten mitnehmen sollten.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Niemand kritisiert in diesem Haus das Format des Dialogs. Demokratie braucht Dialog. Das ist hier schon mehrfach klar gesagt worden. Am Ende bleibt die Frage: Was bezwecken wir mit diesem Dialog? Das ist kein Selbstzweck. Es geht natürlich bei der Frage des Dialogs und bei der Frage dessen, welche Ergebnisse es am Ende geben soll, auch darum, was die Anlage des Dialogs ist: Es ist kein Selbstzweck, und am Ende muss dieser Prozess irgendetwas wert gewesen sein.