Protocol of the Session on February 29, 2016

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Dass wir Grundrechte haben in diesem Land, die unveräußerlich sind!)

Ich frage nun die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, ob noch das Wort gewünscht wird. – Jawohl. Herr Abg. Lippmann, bitte.

Natürlich! Wir haben ja noch Redezeit!

Ja. Es ist aber trotzdem Ihre Entscheidung, ob Sie wollen oder nicht. Sie haben das Wort. Bitte.

Es ist aber nicht meine Redezeit, die hier herunterläuft.

(Valentin Lippmann, GRÜNE, weist auf die Anzeige der Redezeit am Rednerpult.)

Darf ich meine Kollegen Schriftführer bitten. Herr Kollege Wendt, es kann hier nicht weitergehen. Die Zeit. – Herr Lippmann, bitte.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Als Bundeskanzlerin Angela Merkel den Satz „Wir schaffen das!“ sagte, muss sie wohl kurzzeitig vergessen haben, dass Sachsen zur Bundesrepublik gehört,

(Oh! bei der CDU)

dass es für das Gelingen, für funktionierende rechtsstaatliche Strukturen und für die Durchsetzung eines staatlichen Gewaltmonopols Voraussetzungen braucht, die wir in Sachsen nicht mehr in ausreichendem Maße gewährleisten können. Das vorvergangene Wochenende mit Clausnitz und Bautzen hat dies in erschreckender Art und Weise noch einmal vor Augen geführt.

Sachsen und der funktionierende Rechtsstaat, ein Trauerspiel in vielen Akten. Viele fragen sich zu Recht, ob der Freistaat überhaupt noch in der Lage ist, die Errungenschaften des Rechtsstaats und seine Werte ausreichend zu schützen. Permanente Angriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte, Hilflosigkeit gegen den grölenden und teils gewalttätigen Mob und erhebliche Schwierigkeiten, die Versammlungsfreiheit im Freistaat zu gewährleisten, ließen den Rechtsstaat in den vergangenen Jahren eher zu einer Attrappe verkommen.

Überdies ist die Androhung der Härte des Rechtsstaates nach jedem Vorfall zu einem Mantra der Hilflosigkeit verkommen, welches an der schlichten Realität scheitert. Werte Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Ausprägung unserer rechtsstaatlichen Strukturen schaffen wir es tatsächlich nicht.

Herr Ministerpräsident, Sie postulieren jetzt den starken Staat, Herr Kupfer sogar den präventiven starken Staat.

(Frank Kupfer, CDU: Wann denn?)

Ich sage Ihnen ganz deutlich: Es ist jetzt nicht die Zeit für die konservative Obsession des starken Staates. Es ist die Zeit für die Durchsetzung eines funktionierenden Rechtsstaates, werte Kolleginnen und Kollegen:

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

ein Rechtsstaat, der Menschen ausreichend schützt, ein Rechtsstaat, der das staatliche Gewaltmonopol sichert und durchsetzt, und ein Rechtsstaat mit einer Polizei, die in der Lage ist, Bürgerrechte zu schützen,

(Uwe Wurlitzer, AfD, steht am Mikrofon.)

und bereit ist, Fehler einzugestehen. Davon sind wir derzeit weit entfernt.

Herr Lippmann, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Herr Wurlitzer, bitte.

Können Sie mir erklären, was der Unterschied zwischen einem starken Rechtsstaat und einem starken Staat ist?

Ja, das kann ich Ihnen erzählen: Der Unterschied zwischen einem starken Staat und einem starken Rechtsstaat ist, dass ein Rechtsstaat auf der Einhaltung von Grundrechten, der Durchsetzung von Bürgerrechten und darauf fußt, dass diese im Wesentlichen erfüllt und durch den Staat jederzeit gewährleistet werden.

(Uwe Wurlitzer, AfD, steht erneut am Mikrofon.)

Ein starker Staat ohne starken Rechtsstaat ist erst einmal ein etatistischer Staat, der eine gewisse Obrigkeitskomponente hat und in dem von oben erzählt wird, was unten rauskommt.

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Herr Lippmann, gestatten Sie eine Nachfrage?

Ja, ich gestatte eine Nachfrage.

Herr Wurlitzer.

Ich habe noch eine Nachfrage: Unterstellen Sie jetzt, dass die Staatsregierung mit dem starken Rechtsstaat, den sie haben möchte, unterstellt, dass es nicht mehr rechtsstaatlich zugeht und dass sie sich nicht mehr an die freiheitlich-demokratische Grundordnung halten?

(Sebastian Scheel, DIE LINKE: Wir sind kein Bildungsinstitut!)

Hören Sie mir zu, Herr Wurlitzer, wenn ich rede. Das habe ich nicht gesagt. Das habe ich nicht gesagt, und ich fahre jetzt in meinem Redebeitrag fort.

(Zuruf des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE – Uwe Wurlitzer, AfD: Und Sie halten sich besser raus!)

Bitte sehr.

Herr Ministerpräsident, zur Ehrlichkeit gehört: Wir brauchen einen Maßnahmenplan zur Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit unserer originären rechtsstaatlichen Struktur. Für einen funktionierenden Staat braucht es eine bessere personelle Ausstattung bei der Polizei, der Justiz und der Verwaltung. Darin sind wir uns einig.

Doch die Zahlen, die Sie genannt haben, sind nicht das, was notwendig ist. Auch Sie haben jetzt den Stopp des Stellenabbaus bei der Polizei angekündigt. Vielleicht

schaffen Sie – im Gegensatz zum Innenminister – es einmal, diesen dann auch zu vollziehen.

In Clausnitz konnten innerhalb von zwei Stunden gerade einmal 23 Polizisten zusammengezogen werden, und bei der sächsischen Polizei läuft der Stellenabbau munter weiter. Das ist leider kein Witz, sondern sächsische Realität. Es muss Schluss sein mit bloßen Ankündigungen, es braucht Taten.

(Beifall bei den GRÜNEN und vereinzelt bei den LINKEN)

In einem funktionierenden Rechtsstaat braucht es nicht nur mehr Polizei, sondern eine Polizei, der möglichst viele Bürgerinnen und Bürger vertrauen. Dafür bedarf es eines Innenministers, der eine Führungskultur bei der Polizei durchsetzt, in der, erstens, Fehlerkultur kein Fremdwort ist, zweitens, interkulturelle Kompetenz und menschenrechtsorientierte Polizeiarbeit in allen Strukturen etabliert und tatsächlich gelebt wird und, drittens, gegen schwarze Schafe sichtbar vorgegangen wird, wenn sie das Außenbild der Polizei in Misskredit bringen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

In einem funktionierenden Staat braucht es eine politische Führung, die eine gesellschaftlich klare Haltung zeigt. Es muss Schluss sein mit Wegducken, Ausweichen und Aussitzen. Klare Worte und klare Taten werden mehr bringen als Anbiederungen und Relativierungen, wie wir sie in den letzten Monaten viel zu häufig erlebt haben.

Wir stehen vor der großen Herausforderung, Menschen, die seit 25 Jahren Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Teilen nicht verinnerlicht haben, republikanische Werte zu vermitteln. Ein funktionierender Staat in einer starken Republik fußt auf einer starken Zivilgesellschaft. Diese starke Zivilgesellschaft hat – das gehört zur Wahrheit dazu – die Staatsregierung und die sie tragende CDU 25 Jahre lang nicht gewollt.

Wer jetzt wie Sie, Herr Ministerpräsident, in Zeiten der Not nach der geschmähten, diffamierten und teilweise kriminalisierten Zivilgesellschaft ruft, dem muss klar sein, dass dies mit einem Weiter-so Ihrer Politik nicht funktionieren wird. Obrigkeitsorientiertes und etatistisches Staatsdenken sind genau der falsche Weg. Zivilgesellschaft gibt es nicht zum Nulltarif und auch nicht als Feigenblatt. Eine starke Zivilgesellschaft tut den Herrschenden weh. Sie stört, sie kritisiert, sie streitet, aber sie trägt damit die Grundfeste unserer republikanischen Staatsordnung.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)

Eine starke Zivilgesellschaft ist eine notwendige Zumutung für bloßes Verwalten unserer Demokratie, aber sie ist ein Segen für eine stabile und lebendige Republik.

Vielen Dank.

(Beifall bei den GRÜNEN und des Abg. Sebastian Scheel, DIE LINKE)