Protocol of the Session on December 16, 2015

An dieser Stelle sei eine Prognose für das Jahr 2015 erlaubt: Der weitere Personalrückgang wird in erster Linie auf Altersabgänge zurückzuführen sein. Die Aufgabenerledigung im Arbeitsschutz wird mit immer weniger Personal stetig schwieriger und in naher Zukunft unmöglich.

Diese Art des Umgangs mit der Arbeitsschutzthematik auf Landesebene ist nicht nachvollziehbar. Unternehmen werden im Bereich des Arbeitsschutzes bis ins kleinste Detail mit Gesetzen und Verordnungen reguliert. Die Arbeitsschutzverwaltung hat mittlerweile aber nicht einmal mehr eine Vorstellung, wie sie ihre ureigenen Kernaufgaben gewährleisten kann, obwohl die personellen Probleme gemeinsam mit konzeptionellen Problemen bereits seit mehr als einem Jahrzehnt benannt werden. Was nützt die beste Problemanalyse, wenn die Politik tatenlos bleibt?

Würden Unternehmen so konzeptlos handeln, wie es die Staatsregierung im Bereich der Arbeitsschutzverwaltung praktiziert, dann würde sich die Frage des Arbeitsschutzes mangels vorhandener Arbeitgeber von selbst erledigen.

Nun zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.

Auch ich bin generell gegen ein Aussterben der Arbeitsschutzverwaltung. Nach den vorherigen Ausführungen zu deren Befund drängt sich die Forderung nach mehr Personal auf den ersten Blick geradezu auf. Aber genau hier ist zu differenzieren. Grundsätzlich muss die rechts

konforme Aufgabenerledigung gewährleistet sein. Ein weiterer Personalabbau, wie er sich bis 2020 abzeichnet, ist nicht vertretbar. Dem muss die Staatsregierung entgegenwirken. Aufgrund der Altersstruktur sind Neueinstellungen für den Personalerhalt notwendig.

Entgegen der thematischen Überschrift lässt der Inhalt des Antrages der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jedoch darauf schließen, dass es nicht nur um einen Stopp des Stellenabbaus, sondern um die Schaffung neuer Stellen, also um einen Personalaufbau, geht.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Na und?)

Gerade das Konzept der Gemeinsamen deutschen Arbeitsschutzstrategie GDA sieht vor, Fachressourcen von Bund, Ländern und Unfallversicherungsträgern zu bündeln. Bedingt durch die inhaltliche Abgleichung der Arbeitsschutzziele, ist auch eine effektive Nutzung des Personals durch eine gemeinsame Aufgabenteilung angestrebt. Ein Personalaufbau auf Landesebene widerspricht dem Grundsatz der Effektivität. Daher unterstützt unsere Fraktion die Forderung nach mehr Personal, wie sie im Antrag zum Ausdruck kommt, nicht. Vielmehr sollte der aktuelle Personalbestand gehalten und, wie gerade dargestellt, effizient genutzt werden.

Mithin ist die Begründung der Personalaufstockung auf Landesebene, wie sie im Antrag beschrieben wird, nicht schlüssig. Mit der Schaffung von Einstellungskorridoren soll hier primär die Kontrolle der Arbeitgeber verstärkt werden.

(Zuruf von den GRÜNEN: Ja!)

Diese haben jedoch ein substanzielles Eigeninteresse an der Einhaltung und Verbesserung des Arbeitsschutzes. Schließlich bedeutet jeder Arbeitsunfall nicht nur erhöhte Kosten, sondern vor allem auch den Verlust einer dringend benötigten Arbeitskraft.

Ein Zusammenhang zwischen dem Personalbestand in der Arbeitsschutzverwaltung und erhöhten Unfallrisiken spiegelt sich in der Unfallstatistik nicht wider. Des Weiteren darf bezweifelt werden, dass die geforderte Einstellung von Psychologen den Arbeitsschutz wesentlich verbessern kann, wenn diese gar nicht in die konkreten betrieblichen Prozesse eingebunden sind.

Hinsichtlich der Arbeitnehmerzufriedenheit hat sich die Zusammenarbeit zwischen Unternehmern und Mitarbeitern bereits weitgehend bewährt.

Dringend notwendig und in Übereinstimmung mit der GDA ist nach meiner Auffassung die bedarfsgerechte Beratung, eine fachliche Sensibilisierung hinsichtlich arbeitsschutzrechtlicher Gefahren und die damit verbundene Konzepterstellung für einen guten Arbeitsschutz. Hierfür kann mitunter auf die freiwillige Einführung von Arbeitsschutzmanagementsystemen, zum Beispiel das in Bayern entwickelte und international anerkannte System OHRIS, zurückgegriffen werden. Diese Aufgaben können jedoch nach den Maßgaben der Arbeitsschutzstrategie verteilt und gegebenenfalls von einem Unfallversiche

rungsträger übernommen werden. Die personelle Abbildung der Schwerpunkte der GDA sollte daher keinesfalls zu einer Erhöhung des Personalbestandes führen.

Zu den erwähnten Punkten bleibt festzuhalten: den Personalbestand auf staatlicher Ebene effizienter nutzen, die Selbstregulierung stärken, mehr beraten, weniger prüfen.

Aus allen genannten Gründen lehnt die AfD-Fraktion den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ab.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Das war die erste Runde. Gibt es aus den Reihen der Fraktionen Redebedarf für eine weitere Runde? – Das kann ich nicht erkennen. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Herr Staatsminister Dulig, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben jetzt innerhalb von 16 Minuten eine Arbeitsschutzdebatte geführt und weder die Uhrzeit noch die Dauer der Debatte wird dem Thema wirklich gerecht. Es kann weder das Thema noch die Antragstellerin etwas dafür.

(Beifall bei der SPD, den GRÜNEN und der Staatsministerin Barbara Klepsch)

Egal, was man tut, es wird dem Thema nicht gerecht.

Wenn ich jetzt meine Rede zu Protokoll gebe, habe ich natürlich einen großen Vorteil. Der Vorteil ist, dass dann nicht auffällt, dass ich Ihren Antrag nämlich richtig gut finde. Er beschreibt inhaltlich durchaus die Punkte, die uns beim Thema Arbeitsschutz wichtig sind. Deshalb wurde die Prioritätensetzung in unserem Haus dementsprechend verändert. Wir haben die Aufgabenerledigung in unserer Abteilung Arbeitsschutz nach Risikobereichen neu priorisiert und auch eine leitende Arbeitspsychologin für das Schwerpunktprogramm Psyche der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie eingestellt. Wir haben in diesem Bereich schon etwas getan.

Das Problem ist also nicht ein inhaltliches, was zwischen uns liegt, sondern schlichtweg ein strukturelles. Dieses strukturelle Problem wird nicht mit Ihrem Antrag geklärt, sondern in Verhandlungen gemeinsam mit dem Innenministerium bei den nächsten Haushaltsverhandlungen, um die personellen Ressourcen tatsächlich für diesen so wichtigen Bereich zu bekommen, der der Bedeutung dieses Themas auch gerecht wird.

Sie können sich aber sicher sein, dass Kollege Ulbig und ich an dieser Stelle sehr wohl gemeinsam darauf achten werden, dass die Strukturen bei diesem wichtigen Thema passen und funktionieren. Von daher gibt es keinen inhaltlichen Widerspruch zu Ihrem Antrag, sondern eher die Frage des Weges, und den müssen wir bei den Haushaltsbehandlungen klären.

(Valentin Lippmann, GRÜNE: Das ist dann aber Prüfauftrag!)

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Meine Damen und Herren! Wir kommen zum Schlusswort. Das hat die Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und es hält Herr Abg. Dr. Lippold.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Inhaltlich ist eigentlich alles gesagt und es scheint auch keinen Dissens zu geben. Insofern kann ich mir ein inhaltliches Schlusswort sparen.

Auch wenn Sie von der Koalition entschieden haben, eine Kommission zu schaffen – es gibt ja das Sprichwort „Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeits

kreis. Kennst du das Ergebnis schon, gründe eine Kommission“ –, wäre es trotzdem unserer Meinung nach ein sehr gutes Signal hier aus dem Sächsischen Landtag, gemeinsam zu demonstrieren, dass wir das Problem erkannt haben und das wichtige Thema Arbeitsschutz wirklich sehr, sehr ernst nehmen.

Deshalb bitte ich Sie, unserem Antrag zuzustimmen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Meine Damen und Herren! Wir kommen zur Abstimmung über die Drucksache 6/3476. Wer seine Zustimmung geben möchte, den bitte ich um das Handzeichen. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Stimmen dafür hat der Antrag dennoch nicht die erforderliche Mehrheit gefunden. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Erklärungen zu Protokoll

Arbeitsschutz ist in der Tat eine zentrale gesellschaftliche und damit politische Aufgabe, darüber dürften wir uns alle einig sein; sowohl aus humanistischer Sicht – jeder Mensch hat das Recht auf den Schutz seiner körperlichen Unversehrtheit –, als auch aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht. Jeder Unfall verursacht nicht nur persönliche und familiäre Schäden, sondern auch betriebliche und gesellschaftliche Kosten und entzieht dem Arbeitsmarkt zeitweise, in schlimmen Fällen ganz, dringend benötigte Fachkräfte.

Die Kosten eines Arbeitsunfalles in Deutschland werden pro Betrieb auf 3 300 Euro geschätzt, die Gesamtsumme für alle Unternehmen in Deutschland auf 4 Milliarden Euro pro Jahr. Die Schätzung der volkswirtschaftlichen Kosten beläuft sich gar auf jährlich circa 14 Milliarden Euro. Die körperlichen, aber auch immateriellen, psychischen Schäden der Betroffenen lassen sich in Kostenstatistiken nicht erfassen.

In Deutschland haben wir uns dieser Herausforderung mit einem komplexen System an Arbeitsschutzgesetzen und -vorschriften und der Etablierung einer funktionierenden dualen Arbeitsschutzverwaltung gestellt, auf welche ich an späterer Stelle zurückkommen werde. Gleiches gilt selbstverständlich für den Freistaat Sachsen.

Es ist zweifellos richtig, dass unsere sächsische Arbeitsschutzverwaltung unserer Aufmerksamkeit bedarf. Das liegt zum einen an der tatsächlich komplizierten Personalsituation, die sich durch vorhersehbare Altersabgänge in den kommenden Jahren weiter verschärfen würde, sofern wir nicht gegensteuern, zum anderen an den sich ständig wandelnden Arbeitsprozessen, die einer permanenten Anpassung der Strategien und der Organisation des Arbeitsschutzes bedürfen.

Dass wir dieses Problem erkannt haben, lässt sich in der Koalitionsvereinbarung nachlesen, in der es dazu wörtlich heißt: „Die Koalition wird sich für eine Stärkung des

Arbeitsschutzes in Sachsen einsetzen. Wir erkennen die große Bedeutung des Arbeitsschutzes für die Sicherheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Produktivität der Unternehmen an. Die Koalition bekennt sich zur Einführung einer sächsischen Arbeitsschutzallianz. Die bestehende Arbeitsschutzkonferenz wird zu diesem Zwecke erweitert und mit neuer Intensität weiterentwickelt Unser Augenmerk werden wir stärker auf die betriebliche Gesundheitsförderung richten, um zum Beispiel neuen Herausforderungen wie psychischer Belastung am Arbeitsplatz zu begegnen."

Was nun Ihren Antrag konkret betrifft, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN-Fraktion, bin ich erfreut darüber, dass er sich einmal mit einem tatsächlichen und gesellschaftlichen relevanten Thema befasst. Andererseits fürchte ich, dass Sie auch in diesem Falle Ihren üblichen Reflexen folgen und die Lösung aller Probleme im Ruf nach mehr Geld und mehr Personal, letztendlich in einer weiteren Aufblähung des Staatsapparates suchen, ohne Alternativen dazu sorgfältig abgewogen zu haben.

Richtig ist ohne Zweifel, dass die deutliche Erhöhung der Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle in diesem und im letzten Jahr ein ernst zu nehmendes Signal zur Sorge darstellt und wir leider auch einen leichten Aufwuchs schwerer Arbeitsunfälle in den letzten drei Jahren zu konstatieren haben.

Die Ursachen dafür jedoch lediglich im Personalstand der Arbeitsschutzverwaltung und der Anzahl der Betriebskontrollen zu suchen ist zu einfach. Daraus lässt sich zum Beispiel nicht erklären, warum wir im Jahr 2005 eine annähernd gleiche Anzahl schwerer und schwerster Arbeitsunfälle, bei damals deutlich geringerem Beschäftigungsstand übrigens, aber bei einem deutlich höheren Personalstand der Arbeitsschutzverwaltung und bei mehr

als doppelt so vielen Betriebskontrollen zu verzeichnen hatten.

Die Ursachen scheinen durchaus komplexer zu sein. Um die richtigen Schritte zur Bekämpfung der Unfallursachen ergreifen zu können, ist deshalb die genaue Auswertung und Analyse jedes einzelnen Unfalle nötig. Und bei allen Anstrengungen wird es uns leider nie gelingen, alle Ursachen zuverlässig auszuschließen. Oft führt gerade die Verknüpfung unkalkulierbarer Umstände zu katastrophalen Unfällen, wie im Falle des umgestürzten Kranes in der Leipziger Innenstadt, dessen konkrete Ursache bisher wohl immer noch nicht ermittelt werden konnte.

Betrachtet man die Unfallstatistik näher, so wird schnell klar, dass unterschiedliche Wirtschaftsbereiche auch unterschiedlich viele Arbeitsunfälle aufweisen. Am stärksten betroffen sind, wie nicht anders zu erwarten, die Bereiche Bau, verarbeitendes Gewerbe, Bergbau, Dienstleistungen, speziell Transport und Verkehr, Land- und Forstwirtschaft. Die vom SMWA verfolgte „Konzentration der Aufsichts- und Beratungstätigkeit der Arbeitsschutzbehörde auf Gefährdungen mit hoher Relevanz für die betriebliche Arbeitsschutzsituation" ist deshalb genau die richtige Methode, um auf unterschiedliche Erfordernisse mit geeigneten Maßnahmen rehagieren zu können. Staatliches Handeln ist genau dort gefragt, wo die Gefahren bestehen. Ein undifferenziertes Kontrollsystem nach dem Regenschirmprinzip verbessert den Unfallschutz eben nicht.

Die Statistik zeigt zum Beispiel auch, dass Altersgruppen signifikant unterschiedlich betroffen sind. Deutlich über dem Bundesdurchschnitt werden Beschäftigte in der Altersgruppe der 15- bis 17-Jährigen, also der Azubis, und die Gruppe der Beschäftigten über 65 Jahre Opfer von Arbeitsunfällen. Eine Untersuchung der Landesdirektion Sachsen ergab zudem; dass etwa drei Viertel der Unfälle auf Fehlverhalten der Beschäftigten, also auf individuelle Verstöße gegen geltende Arbeitsschutzbestimmungen, zurückgehen. Beiden Sachverhalten ist nur wenig durch staatliche Kontrollen zu begegnen. Hier muss die individuelle, an die konkrete Person und auf den konkreten Arbeitsprozess gerichtete Beratung der Beschäftigten, aber auch die Arbeitsschutzkompetenz der Arbeitgeber gestärkt werden.