Protocol of the Session on October 8, 2015

Die Bemerkung von Kollegen Modschiedler, die er heute früh gemacht und soeben wiederholt hat, ist wichtig: In Sachsen gibt es neben dem parlamentarischen Entscheid auch den – gleichwertigen! – Entscheid durch die Bevölkerung. Allein, es kommt fast nie dazu. Auch damit muss man sich auseinandersetzen. In unserem Freistaat kommt es selbst auf kommunaler Ebene fast nie dazu, auf Landesebene noch seltener, und von der Bundesebene brauchen wir gar nicht zu sprechen. Das liegt nicht daran, dass es die Menschen nicht wollen, sondern daran, dass die Hürden so hoch sind, dass Volksentscheide kaum möglich sind.

Deshalb ist es zwar gut, wenn in der Stellungnahme der Staatsregierung zu dem Antrag der GRÜNEN unter Punkt I.1 viele Beteiligungsmöglichkeiten, die es schon gibt, aufgelistet werden. Aber am Ende ist es eine Liste von Versäumnissen und Ausdruck von Unlust an Demokratie. Anders kann man es auch nicht erklären, wenn man diese Auflistung liest. Da steht gerade unter Punkt 1.1. bei Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung nur so ein Anstrich: „Bürgerbüro Staatskanzlei“. Ich finde das, ehrlich gesagt, ein bisschen wenig, wenn man Leute für Politik und politische Prozesse begeistern will, und vor allem, wenn man sie beteiligen will.

Das Gefühl, das die Menschen und auch wir haben, ist, man will sie nicht beteiligen. Das ist aus diesem Stichpunkt herauszulesen. Man will die Leute abfertigen und

so kommt es auch an. Alle Möglichkeiten der Teilhabe auf kommunaler Ebene, die mancherorts schon üblich sind, zum Beispiel Beteiligungsformen für bestimmte Bevölkerungsgruppen, also Jugend- und Schülerparlamente, Senioren- oder Migrantenbeiräte, all das spielt überhaupt keine Rolle in den Aufzählungen, weil es nicht gewollt ist. Dasselbe gilt für direktdemokratische Elemente auf kommunaler Ebene oder auf Landesebene.

Bei all diesen Dingen, die ich gerade genannt habe, können Menschen den Wert von Demokratie erst einmal erlernen, indem sie ihn erleben und schätzen lernen können. Deswegen ist es auch so wichtig, dass man sich für diese Sache etwas mehr Zeit nimmt. Dabei entsteht das Gefühl, dass all diese Maßnahmen, diese Möglichkeiten von Teilhabe von Ihnen als Angriff auf den universellen Machtanspruch verstanden werden. Das ist wirklich ein Problem in Sachsen.

Deshalb bleibt es dabei: Wer für die demokratische Kultur in Sachsen steht, der muss den Menschen etwas zutrauen und der muss mit Argumenten, mit Ideen und mit Konzepten überzeugen und nicht nur mit Mehrheiten. Wer allerdings will, dass die politische Kultur in Sachsen weiter den „Bachmann“ runtergeht, der kann natürlich so weitermachen. Wenn man am Montag die Zeitung aufschlägt, liest man, dass Herr Minister Unland in Pirna das neue Finanzamt eingeweiht hat und es diesen Namensstreit gibt. Zumindest ist der Presse zu entnehmen, dass er sich wünscht, dass relativ umgehend der Straßenname geändert wird und dass die Stadt schnell handeln müsse, damit eine solche Entscheidung beizeiten herbeigeführt wird, denn es stehe ja an, dass Visitenkarten gedruckt werden müssen.

Das ist natürlich eine absolute Missachtung von gewählten Stadträten, die eine solche Entscheidung zu treffen haben. Das ist eine Missachtung der schwierigen Situation in den Kommunen, die es auch durch die Arbeit des Finanzministers gibt, und es ist auch eine Missachtung der Menschen, die in der Clara-Zetkin-Straße schon lange eine Firma und Visitenkarten haben und die genau wegen solcher Umbenennungssonderwünsche finanziell belastet würden. Deswegen gibt es in Pirna gerade einen ziemlichen Aufschrei, und das zu Recht. Wie abgehoben muss man eigentlich sein, um so aufzutreten. Das fragen sich viele Menschen und ich mich auch. Mit diesem Stil von Politik sind Sie mitverantwortlich für den Zustand der sächsischen Demokratie.

Deswegen empfehle ich Ihnen, den Antrag der GRÜNEN noch einmal genau zu lesen, weil viele Sachen darin sind, die Ihnen den Weg weisen, wie Sie handeln könnten. Das Papier gibt gute Hinweise, und deswegen wird es von den LINKEN unterstützt.

(Beifall bei den LINKEN)

Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Baumann-Hasske. Herr Baumann-Hasske, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Richter, ich will gleich mal von meinem Konzept abweichen. Ich denke, ganz so schlecht, wie Sie es malen, ist es nicht. Es ist bekannt, dass ich ein großer Verfechter von mehr Bürgerbeteiligung bin. Das ist überhaupt keine Frage. Nur die Analyse, dass wir in Sachsen zu wenig Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung auf Landes- oder gar Kommunalebene hätten, kann ich nun wirklich nicht teilen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und des Staatsministers Prof. Dr. Georg Unland)

Wir müssen uns darüber klar werden, dass in Sachsen zu wenig Interesse vorhanden ist, sich einzubringen. Die Möglichkeiten sind erheblich. Zum Teil werden sie auf kommunaler Ebene ganz gut genutzt. Ich finde es allerdings ein wenig frustrierend, dass das nicht viel mehr der Fall ist. Die Rahmenbedingungen in Sachsen sind schon ziemlich gut. Eine Lücke besteht meines Erachtens auf Bundesebene. Das ist aber nicht so einfach. Meine Partei fordert seit Langem die Einführung direktdemokratischer Elemente auf Bundesebene über das Grundgesetz. Das war auch in unserer Partei nicht so leicht, aber wir haben das beschlossen. Es gibt sogar Entwürfe im Bundestag mit einer Drucksachennummer, die das beinhalten. Da könnte Handlungsbedarf entstehen, aber das können wir nicht hier verhandeln.

In Sachsen kann man die Sache beobachten, aber im Moment sehe ich unsere Aufgabe weniger darin, gesetzgeberisch tätig zu werden, sondern mehr darin, dass wir alle die Bürger ermutigen, sich zu beteiligen, die Instrumente zu erkennen und sie rechtzeitig zu nutzen. Es gibt unzählige Verfahren, gerade im Bauplanungsrecht, wo regelmäßig der Bürgerprotest dann losbricht, wenn die Bagger rollen, weil sehr viele Menschen nicht gemerkt haben, dass sie sich früher hätten einbringen und manches verhindern können. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass die Leute das wissen. Der Erfolg der Einmischung und des Mitmachens muss nachvollziehbar sein. Das motiviert am meisten. Ich fordere uns alle dazu auf, den Menschen den Weg zu weisen und gelegentlich dazu beizutragen, dass sich solche Erfolge einstellen, damit sie den Mut und die Kraft finden, sich einzubringen.

Was an Bericht auf diesen Antrag bereits durch die Staatsregierung vorgelegt worden ist, stellt sehr vieles dar. Ich denke, dass wir eine ganze Menge moderner Instrumente, wie Beteiligung im Internet, haben. Im Einzelnen gäbe es sicher noch Verbesserungsmöglichkeiten, denn das ist ein Prozess, der sich ständig verändert. Aber im Moment konkret ein neues Leitbild zu schaffen ist nicht nötig. Wir müssen die Instrumente, die wir haben, vernünftig umsetzen, damit die Leute nicht den Eindruck bekommen, das bringe alles gar nichts.

Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der SPD und des Staatsministers Prof. Dr. Georg Unland – Sebastian Scheel, DIE LINKE, steht am Mikrofon.)

Herr Scheel, Sie wünschen, bitte?

Herr Präsident, eine Kurzintervention.

Bitte sehr.

Vielen Dank. – Herr Baumann-Hasske, ich schätze Ihre profunde Kenntnis der Thematik und muss trotzdem feststellen, dass es nicht das Problem ist, dass die Bürger das nicht wollen, sondern dass die Instrumente so ausgestaltet sind, dass die Erfolgsaussichten wirklich gering sind. Wir haben es sehr oft mit kritisierender Beteiligung zu tun und wenig mit partizipativen Verfahren, was ein ernsthaftes Problem ist. Der Bürger wird eben nicht von vornherein in Planungsverfahren einbezogen, sondern erst im Nachhinein wird im Amtsblatt angekündigt, dass man für zwei Wochen Einsicht nehmen kann. Wir brauchen ganz dringend einen Umdenkprozess, dass wir den Bürger sehr frühzeitig in bestimmte Prozesse einbeziehen, damit wir diesen Missstand abstellen und das Interesse und die Lust des Bürgers an der Partizipation zunimmt.

Vielen Dank.

Herr Baumann-Hasske, möchten Sie erwidern?

Ja, nur ganz kurz. Ich gebe Ihnen recht, nur ist das keine Aufgabe des Gesetzgebers. Denken müssen die Ausführenden. Das heißt, die Verwaltung muss anders denken und die Leute früher einbeziehen. Völlig klar.

Meine Damen und Herren! Wir setzen die Aussprache fort. Für die AfDFraktion Frau Abg. Dr. Muster. Frau Dr. Muster, Sie haben das Wort.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Mehr Bürgerbeteiligung ist auch für die AfD-Fraktion sehr wichtig. Wir müssen allerdings feststellen, dass es hier nur um ein ganz kleines Segment geht, nämlich um die Bürgerbeteiligung auf einem Onlineportal.

Wir haben auch mit diesem Bürgerbeteiligungsportal Schwierigkeiten. Wir stellen uns folgende Fragen: Wer ist Beteiligter: der Bürger, der Einwohner, jedermann, auch derjenige, der räumlich und zeitlich nicht betroffen ist, jeder Deutsche, EU-Bürger oder Nicht-EU-Bürger?

Bei der Registrierung auf dem Beteiligungsportal wird nicht nach dem Namen und dem Wohnort gefragt. Der Benutzername und der Name der angemeldeten Person müssen nicht übereinstimmen. Man kann sich mit unterschiedlichen Benutzernamen und unterschiedlichen E-Mail-Adressen mehrfach anmelden. Wir haben daher

die Befürchtung, dass wichtige Entscheidungsprozesse einseitig beeinflusst werden könnten.

Zweitens. Die Qualität des vorhandenen Beteiligungsformats ist stark optimierungsfähig. Im Moment ist die Benutzung sehr überschaubar. Als ich es anklickte, gab es gerade einmal drei Vorgänge mit wenigen Kommentaren und Zusatzinformationen.

Wenn ich einer Anmerkung von Herrn Staatssekretär Dr. Wilhelm im „Wochenkurier“ entnehmen darf, dass es sich beim E-Government-Basiskomponenten-Projekt um ein politisches Schwerpunktthema von Sachsen und unserer sächsischen Regierung handelt, dann, denke ich, wird noch eine ganze Menge passieren müssen.

Auch die Auswertung des Beteiligungsportals würde mich interessieren.

Es bleiben noch viele weitere Fragen offen: Wer ist für die Plattform zuständig? Wer aktualisiert was? Gibt es eine Veröffentlichungspflicht für künftige Vorhaben? Wie bringt man die Kommunen und Landkreise dazu, Informationen in die Plattform einzupflegen? Fraglich ist auch, ob für die Aktualisierung und für den Ausbau der Beteiligungsplattform überhaupt ausreichende personelle und zeitliche Ressourcen vorhanden sind. – So viel über dieses Beteiligungsportal.

Jetzt konkret zum Antrag der Fraktion der GRÜNEN.

Liebe GRÜNE!

(Steve Ittershagen, CDU: Liebe GRÜNE!)

Sie haben diesen Antrag in den Verfassungs- und Rechtsausschuss eingebracht. Er wurde aber nicht behandelt – um die Spannung gleich herauszunehmen. Er wurde mehrfach auf die Tagesordnung gesetzt, aber in keiner Weise im Ausschuss behandelt. Darüber wurde kein Wort gesprochen. Jetzt ist er wieder im Plenum. Ich muss mir überlegen, ob das handwerklich wirklich gelungen ist. Ich weiß allerdings als Jurist, dass es nach der Geschäftsordnung zulässig und möglich ist.

(Valentin Lippmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Frau Dr. Muster, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Nein, leider nicht.

(Heiterkeit bei der AfD)

Jetzt komme ich zu den inhaltlichen Punkten. Die GRÜNEN möchten durch die Sächsische Staatsregierung ein Leitbild für die Bürgerbeteiligung erarbeiten lassen. Dafür sehen wir derzeit keinen Bedarf. Wir möchten daran erinnern, dass wir eine ganz konkrete Richtschnur haben: Wir haben förmliche und nicht förmliche Bürgerbeteiligungen. Die förmlichen Bürgerbeteiligungen finden grundsätzlich nicht über Onlineportale statt, sondern normalerweise laden die Bürgermeister zu Bürgerversammlungen vor Ort ein. Aus diesem Grund werden wir Ihren Antrag mit einer Enthaltung bedenken.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD – Valentin Lippmann, GRÜNE, steht am Mikrofon.)

Herr Lippmann, Sie wünschen, bitte?

Ich würde gern eine Kurzintervention machen.

Bitte.

Sehr geehrte Frau Dr. Muster, zur Frage des von Ihnen aufgeworfenen Problems des Verfassungs- und Rechtsausschusses: Vielleicht ist Ihnen bekannt, dass es bislang zur Eigenheit des dortigen Ausschusses gehörte, dass alle anhängigen Anträge, die an den Ausschuss überwiesen wurden, automatisch in die Tagesordnung aufgenommen wurden, sofern die Fraktion nicht explizit widersprochen hat, und dass es dann logischerweise so funktioniert hat, indem man den Antrag zu Beginn der Sitzung wieder von der Tagesordnung heruntergenommen hat. Das ist ein vollkommen übliches Verfahren in diesem Haus. Das macht auch die Koalition recht gern. Von daher bin ich jetzt verwundert, dass Sie uns das als handwerkliche Schwäche auslegen. Das ist normal in einem solchen parlamentarischen System.

Würde ich einmal die AfD sein und reflektierte einmal auf das, was Sie bei dem vorherigen Antrag gemacht haben, bei Ihrem eigenen Antrag, dann würde ich Ihnen jetzt vorwerfen: AfD gegen Bürgerbeteiligung. Ich weiß nicht, ob das Ihren Wählerinnen und Wählern so schmeckt.

(Dr. Kirsten Muster, AfD, steht am Mikrofon.)