Protocol of the Session on October 8, 2015

Meine Damen und Herren! Das Schlusswort soll nicht gehalten werden, es bleibt dabei? – Damit kommen wir zur Abstimmung über die Drucksache 6/2800. Wer zustimmen möchte, der hebt jetzt bitte die Hand. – Danke. Wer ist dagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Vielen Dank. Bei keinen Stimmenthaltungen und Stimmen dafür hat der Antrag nicht die erforderliche Mehrheit gefunden und ist nicht beschlossen. Dieser Tagesordnungspunkt ist beendet.

Meine Damen und Herren, ich rufe auf den

Tagesordnungspunkt 7

Bürgerbeteiligung in Sachsen erleichtern

Drucksache 6/1758, Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,

mit Stellungnahme der Staatsregierung

Die Reihenfolge in der Aussprache: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, CDU, DIE LINKE, SPD, AfD und die Staatsregierung, sofern das Wort gewünscht wird. Für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN beginnt Frau Abg. Meier; bitte sehr, Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn ich Sie jetzt fragen würde, wer von Ihnen das Bürgerbeteiligungsportal www.bürgerbeteiligung.sachsen.de kennt, dann, bin ich mir sicher, würden nur sehr wenige Arme nach oben gehen; einen habe ich gesehen. Leider ist es doch eher ein Beispiel dafür, wie Bürgerbeteiligung momentan nicht funktioniert.

Vielleicht sollten Sie einmal über den sächsischen Tellerrand schauen, denn in anderen Bundesländern gibt es wirklich gute Beispiele, wie solche Bürgerbeteiligungsportale genutzt werden können – allen voran, wen wundert’s?, Baden-Württemberg. Dort finden Sie diverse aktuelle Gesetzentwürfe oder Vorlagen der Landesregierung, die die Bürgerinnen und Bürger mit ihren Kommentierungen und Verbesserungsvorschlägen versehen können. Es gibt dort auch ein Beteiligungsverfahren aus den Kommunen, über das die Menschen sehen können, wo gerade etwas los ist.

Denn Bürgerbeteiligung ist ein immerwährender Dialog, eine immerwährende Streitkultur. Sie beginnt deutlich früher als die eigentliche Normgebung im Parlament, wie Sie es uns in der Stellungnahme weismachen wollten. Sie

ist Gesetzesinitiativen vorgelagert oder ergänzen sie. Wenn Sie sich im Land umschauen – die CDUWahlkreisabgeordneten sprechen ja tatsächlich jeden Tag mit ihren Bürgerinnen und Bürgern, wie Sie uns hier immer erzählen –, dann wissen Sie, dass die Menschen sehr wohl an Politik interessiert sind. Aber aller fünf Jahre zur Wahl zu gehen reicht ihnen eben nicht, sondern sie wollen direkten Einfluss und früher und besser in die Entscheidungen eingebunden werden.

Oft ist es ja so, dass die Bürgerinnen und Bürger tatsächlich großes Fachwissen haben – sei es in der Umweltpolitik, im Naturschutz, in Energie und Verkehr oder im Sozialbereich –; woran es aber oft fehlt, das ist das politische Verständnis, und genau das macht es schwierig. Oft gibt es nicht nur die eine Lösung, sondern auch widersprüchliche Interessen, die betrachtet werden müssen. Die Aufgabe des Staates, der Politik ist es, diese abzuwägen und nicht dem recht zu geben, der am lautesten schreit. Akzeptiert die Bevölkerung immer weniger Entscheidungen der Regierung, verliert die Demokratie an Macht. Vertrauensverlust und Unzufriedenheit machen es dann antidemokratischen Kräften leicht, politischen Einfluss zu gewinnen. Dass das eine große Gefahr ist, muss ich Ihnen nicht sagen; das sehen Sie jeden Montag und leider nicht mehr nur dann auf den sächsischen Straßen.

Doch in Sachsen herrscht – und das wundert auch nicht – ein staatlicher Paternalismus. Erst am Samstag bei den Festreden im Landtag habe ich es wieder gehört: Politik muss sich kümmern, hieß es da.

Ich will aber nicht vom Staat umsorgt werden, sondern vielmehr soll er einen Rahmen geben, in dem sich Menschen befähigen, ihre eigenen Stärken zu definieren und zum Wohle der Gesellschaft gewinnbringend einzusetzen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich habe aber den Eindruck, dass genau das von Ihnen nicht gewünscht ist, sondern die Bürgerinnen und Bürger mit vermeintlichen Dialogangeboten beruhigt werden sollen, anstatt ernsthaft mit den Bürgern in einen Dialog zu treten und sie zu beteiligen.

Dass das Verhalten der seit 25 Jahren regierenden CDU in eine sichtbare Sackgasse führt, müssen wir leider feststellen. Es reicht nicht, aller fünf Jahre zur Wahl zu gehen, sondern die Bürger wollen gefragt werden und mitmachen. Dafür ist es notwendig, dass die Entscheidungen transparent sind und wichtige Gesetzesinitiativen und Planungen veröffentlicht und allgemein verständlich erklärt werden.

Mit Ihrer Bürgerbeteiligungsplattform haben Sie wirklich eine gute Grundlage geschaffen; das muss man an dieser Stelle sagen. Die Nutzeroberfläche bietet zahlreiche Möglichkeiten für Debatten und ist weitgehend bedienerfreundlich gestaltet.

Das große Aber muss ich gleich hinterherschicken, denn so ein Bürgerbeteiligungsportal lebt natürlich nur davon, wenn dort auch ein Dialog stattfindet, und davon fehlt

momentan leider jede Spur. Ich habe auch den Eindruck, Sie wollen überhaupt nicht mit den Menschen über Ihre politischen Planungen und Gesetze diskutieren, und haben, weil man das heute so macht – State of the Art – teures Geld in eine Plattform gesteckt. Im Volksmund nennt man so etwas ein Feigenblatt – frei nach dem Motto: Na ja, wir haben ja hier etwas angeboten; wir machen ja etwas. Wir können ja auch nichts dafür, wenn die Bürger sich nicht beteiligen.

Dazu sage ich Ihnen ganz klar: Nein, natürlich können Sie etwas dafür, denn keine Sächsin und kein Sachse oder kaum einer kennt tatsächlich dieses Portal, weil es nämlich keine Werbung dafür gibt. Deswegen fordere ich Sie auf: Machen Sie ernst, zeigen Sie den Willen zur politischen Partizipation, machen Sie eine Informationskampagne zu den Möglichkeiten des Portals. Aber dann müssen Sie auch Themen und Gesetzentwürfe zum Diskutieren einstellen. Daran hapert es momentan.

Richtig ist, dass Ministerin Klepsch vor zwei Tagen die Onlineplattform zur Diskussion über den Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention geöffnet hat. Das ist sicherlich kein Zufall; vielleicht hat unser Antrag das bewirkt.

Allerdings ist es wirklich paradox, dass diese Seite nicht barrierefrei ist. Es geht, wie gesagt, um die UNBehindertenrechtskonvention. Wir haben eine blinde Frau gebeten, diese Seite für uns zu testen. Das Ergebnis: Die Seite ist nicht barrierefrei. Es fehlen zum Teil die einfachsten Navigationspunkte wie Überschriften. Die Links sind zum Teil nicht mit Alternativtexten versehen. Auch gibt es keine Erklärungen in leichter Sprache. Ich finde, damit führt man den Beteiligungsgedanken ad absurdum. Ich bitte Sie inständig, dort noch einmal nachzuschauen und nachzuarbeiten.

Die Staatsregierung hat uns in ihrer Stellungnahme auch erklärt, dass es Aufgabe der einzelnen Ministerien sei, Gesetze usw. in das Portal zur Diskussion einzustellen. Aber ich habe den Eindruck, Ihnen fehlen der Wille und die Haltung in diesem Punkt: Schätze ich es, wenn ich Hinweise von außen bekomme? Bin ich bereit, mich auf Diskussionen einzulassen?

Wahrscheinlich – ich bin mir sogar sicher – werden sich auch Leute beteiligen, deren Meinungen oder Forderungen über das Ziel hinausschießen oder die überhaupt keine Fakten und keine anderen Meinungen hören wollen. Aber niemand hat behauptet, dass Diskussion und Bürgerbeteiligung einfach seien. Wir haben es heute schon von Herrn Baumann-Hasske gehört: Demokratie ist zeitraubend und anstrengend.

Aber ist es nicht allemal besser – das frage ich Sie –, wenn Bürgerinnen und Bürger sich in die Gesellschaft einbringen und mitgestalten wollen, anstatt sich frustriert abzuwenden?

Damit bin ich bei einer weiteren Frage: Ist es nicht an der Zeit, gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern zu überlegen, wie ein Leitbild entwickelt werden kann und

wie auch Bevölkerungsgruppen erreicht werden, die bisher wenig vertraut mit verwaltungspolitischen Prozessen sind? Ich bin davon überzeugt, dass es sich lohnt, in so einen Prozess einzutreten, weil repräsentative Demokratie dadurch nicht geschwächt, sondern gestärkt würde. Springen Sie also über Ihren Schatten und stimmen Sie unserem Antrag zu!

Bürgerbeteiligung fördert die Akzeptanz von politischen Entscheidungen. Menschen sind eher bereit, Ergebnisse zu akzeptieren, wenn sie vorher angehört wurden. Echte Bürgerbeteiligung ist mehr wert als irgendein Pseudodialog.

Stimmen Sie unserem Antrag zu!

(Beifall bei den GRÜNEN und den LINKEN)

Meine Damen und Herren! Für die CDU-Fraktion spricht Herr Abg. Modschiedler. Bitte sehr, Herr Modschiedler.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir können den Antrag jetzt nur so behandeln, wie er uns vorliegt. Er war zwar in den Ausschüssen, ist dort aber nie behandelt worden. Ich habe dazu noch einmal Rücksprache gehalten; denn das, was Sie gerade gesagt haben, Frau Meier, war etwas verwunderlich.

Ich gehe auf den Antrag ein. Am 17. Februar 2015 ging das schon genannte neue Bürgerbeteiligungsportal für Bürgerinnen und Bürger des Freistaates Sachsen an das internationale Datennetz – Internet. Das webbasierte Angebot kann zur Diskussion und zum Einholen von Stellungnahmen genutzt werden. Durch dieses Portal wird die Distanz zwischen den politischen Akteuren und Entscheidern und der Verwaltung auf der einen Seite und den Bürgern und Institutionen auf der anderen Seite wesentlich verringert. Es trägt dem wachsenden Anteil der Bevölkerung Rechnung, der im Alltag multimediale Angebote in allen Lebensbereichen nutzt, um bilateral, multilateral oder öffentlich zu kommunizieren und zu arbeiten.

Dieses Portal ist unserer Ansicht nach eine tolle, moderne Möglichkeit der Bürgerbeteiligung und erleichtert einer Vielzahl der Bürgerinnen und Bürger die Teilnahme an Entscheidungsprozessen und Diskussionen. Der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN befasst sich mit der Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung in Sachsen insbesondere mittels neuer Medien und dem Bürgerportal.

Die Staatsregierung wurde Ende Mai 2015 aufgefordert zu berichten, wie sich Bürger mittels dieses Internetportals an der politischen Entwicklung beteiligen können. Eine sehr umfassende und aus der Sicht der Koalition abschließende Antwort der Staatsregierung ist bereits am 19. Juni 2015 vorgelegt worden. Die Staatsregierung hat umfassend die Möglichkeiten, die Ausgestaltung und auch den fortschreitenden Entwicklungsfluss des Beteiligungsportals erläutert und darüber hinaus auf eine Vielzahl bestehender Beteiligungsmöglichkeiten hingewiesen,

angefangen bei den Dialogforen, dem Bürgerkompass und Gesprächsrunden über die formellen Beteiligungsverfahren im Planungs- und auch im Genehmigungsrecht bis hin zu den verschiedenen Formen der direkten Bürgerbeteiligung auf kommunaler und auf Landesebene; dort sind es Bürgerbegehren und Volksentscheide.

Die Staatsregierung hat sehr gut dargestellt, dass das Portal ständig weiterentwickelt und flexibel mit neuen Möglichkeiten der Beteiligung ausgestattet wird bzw. noch ausgestattet werden kann.

All dies geschieht also bereits, ohne dass es jetzt einer Aufforderung seitens der GRÜNEN bedurft hätte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, insoweit hat sich der Antrag der Fraktion GRÜNE für die Koalition erübrigt. Er hat aber unserem Haus lobenswerterweise die Möglichkeit gegeben, denjenigen, welche das Portal weiterentwickeln, betreiben und aktiv nutzen, zu danken. Wir können nur sagen: Prima Sache!

Anzusprechen ist noch der Gedanke, ein neues Leitbild der Bürgerbeteiligung zu entwickeln. Der Gedanke ist aus meiner Sicht nicht im Zusammenhang mit dem Bürgerportal zu sehen, aber dennoch abzulehnen, da er glauben macht, dass dafür ein Bedarf bestehe. Das ist unserer Ansicht nach nicht der Fall.

Auch der Umstand, dass heute eine Bürgerbeteiligung mittels elektronischer Medien möglich ist, machte es eben nicht erforderlich, hier ein neues Leitbild zu entwickeln. Insgesamt ist festzustellen, dass es eine Vielzahl von Beteiligungsprozessen gibt, welche einen weiten Handlungsspielraum auf der bestehenden gesetzlichen Basis eröffnen. Insoweit ist entsprechend der Stellungnahme der Staatsregierung klarzustellen, dass es keines Leitbildes der Bürgerbeteiligung bedarf und ein solches nicht in der vorgeschlagenen Form entwickelt werden kann. Ein Rahmen besteht bereits. Dieser Rahmen wird durch die Bürgerinnen und Bürger genutzt und – das ist wichtig – durch die Staatsregierung auch ausgefüllt. Deswegen erübrigt sich der Antrag. Er ist abzulehnen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der SPD)

Meine Damen und Herren! Die Fraktion DIE LINKE ist aufgerufen. Herr Abg. Richter, bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir gerade gehört haben, war der Zweiklang aus „Haben wir schon“ und „Brauchen wir nicht“. Das ist eigentlich immer der Vortrag, den wir hören. Ich finde, dass das, was die GRÜNEN hier vorgelegt haben, richtig gut ist; denn dadurch werden insbesondere Sie von der CDU immer wieder dazu aufgefordert, sich mit den Fragen von Teilhabe, Transparenz und Bürgerbeteiligung auseinanderzusetzen.

Heute früh haben wir in der Debatte zu dem Thema „In Freiheit und Selbstbestimmung – 25 Jahre Parlamentarismus in Sachsen“ erlebt, dass es einen regen Austausch über den Zustand der Demokratie in Sachsen 25 Jahre nach Wiedererrichtung des Sächsischen Landtags gegeben hat.

Mein Fraktionsvorsitzender hat vorhin vorgetragen – und das völlig zu Recht –, dass viele Ideen, Wünsche und Projekte aus der Wendezeit auf der Strecke geblieben sind. Viele Hoffnungen in Bezug auf demokratische Prozesse bzw. darauf, wie sie ablaufen könnten, sind an sturen Mehrheitsentscheidungen erstickt oder an der Arroganz der Macht, die hier herrscht, zugrunde gegangen.

Um nicht falsch verstanden zu werden – wir haben das immer wieder gesagt –: Wir stehen natürlich zu Mehrheitsentscheidungen und akzeptieren diese auch. Aber Demokratie, besonders Demokratie in der Kommune, ist mehr als nur das Durchstimmen von Verwaltungsvorlagen. Demokratie ist etwas total Spannendes, wenn man es nur will. Es geht darum, einen Meinungsbildungsprozess in Gang zu setzen. Es geht darum, sich über Konzepte und Ideen auszutauschen. Es geht darum, den Streit über das beste Argument zu führen. Das ist es, was wir hier vermissen.

Am Ende eines solchen Prozesses kann ein Mehrheitsentscheid stehen. Am Ende kann natürlich auch ein sehr guter Kompromiss stehen. Es gehört nämlich zum Wesen der Demokratie, einen Kompromiss zu finden, der für einen Ausgleich sorgt.