Herr Kollege Hartmann! Sie haben vom Angriff auf den demokratischen Wertekanon gesprochen. Ist dieser Angriff Ihrer Auffassung nach sozusagen erst dann relevant und zu beachten, wenn er mittels Gewalt erfolgt?
Nein. In dem Augenblick sind das Äußerungen, Postings, die wir im Internet erleben; es kommen Aussagen zu Gewalttaten, zu Ausgrenzungen vor, die nicht der Verfassungsnorm entsprechen. Dann ist dem konsequent zu begegnen, und zwar mit aller entschiedenen Härte des Staates. Aber nicht jede Fragestellung, die wir derzeit subsumieren, kann ich pauschal unter dem Begriff des Rassismus zusammenfassen.
Herr Kollege Hartmann, ist Ihnen bekannt, dass man in LINKEN-Kreisen den Begriff Rassismus sehr weit auslegt und sämtliche Arten sogenannter gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit darunter subsumiert? Könnte es sein, dass der Begriff Rassismus in dieser Debatte hier von linker Seite vielleicht anders verwendet wird, als Sie es gerade vorgetragen haben?
Es ist nicht zulässig, aber eigentlich müsste ich mit der Gegenfrage antworten: „Welche linke Gruppe meinen Sie jetzt?“, wenn wir uns nicht in Pauschalisierungen ergehen wollen, wie ja gerade der Anspruch Ihres Redebeitrags war.
Wir sind genau bei dem Thema „differenzierte Diskussion“. Um die Frage abschließend zu beantworten: Ja, es gibt auch Gruppierungen, die Begriffe sehr pauschal fassen und darunter sehr viel subsumieren, am linken wie am rechten Rand. Der Anspruch, den wir haben, ist eben, zu differenzieren.
Damit bin ich beim Thema „Auseinandersetzung mit Extremismus“. Eine deutliche Ansage: Jeglichen Bestrebungen rechtsextremistischer Couleur ist konsequent entgegenzutreten. Aber in der aktuellen Entwicklung, meine sehr geehrten Damen und Herren, dürfen wir eben auch nicht die Augen davor verschließen, was linksextremistische Entwicklungen in unserem Land betrifft. Es geht nicht um einen Sonntag in Heidenau, sondern ich will es Ihnen deutlich sagen: 2012 haben wir 396 linksextremistische Straftaten in Sachsen gehabt, davon 116 in Leipzig. 2014 waren es 821 Straftaten, davon 227 in Leipzig – darunter allein 91 Gewalttaten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, 91 linksextremistische Gewalttaten allein in Leipzig – bei 85 rechtsextremistischen Gewalttaten. Das heißt, wir müssen den Fokus gleichberechtigt auch auf diese Entwicklung legen. Frau Nagel hat es ja auch treffend erkannt, wie man im „Focus“ nachlesen kann: „Wir erleben eine neue Genera
tion von Linksautonomen, die sich von den alten Aktionsformen verabschieden“, war von ihr zu vernehmen. In der Tat, da steht die Herausforderung. Das ist im Übrigen auch zur aktuellen Entwicklung zu sagen.
Wir verzeichnen in den letzten zwei Jahren einen Anstieg der linksextremistischen Gewalttaten um 41 %, respektive 42 %. Wenn wir in diesem Land über Gewalt und deren Bekämpfung reden, dann ganzheitlich, konkret und gemeinsam.
Das war Herr Kollege Hartmann für die CDU-Fraktion. Jetzt gibt es erneut eine Kurzintervention an Mikrofon 3. Bitte.
Sehr geehrter Herr Kollege Hartmann! Ich bin ein bisschen irritiert über die Bigotterie, die die Koalition bei der Diskussion über Rechtsextremismus und Linksextremismus in diesem Hohen Hause an den Tag legt. Wir hatten vor der Sommerpause eine Debatte zum Thema Linksextremismus. Da waren wir uns in den Einschätzungen auch einig. Vonseiten der Koalition ist jeder Seitenhieb auf das Thema Rechtsextremismus als unzulässige Relativierung hart gegeißelt worden.
Heute gibt es in diesem Hohen Hause eine Debatte über Rechtsextremismus, und die Hälfte der Zeit muss ich mir etwas zum Thema Linksextremismus anhören. Da fehlt irgendwie der Maßstab – oder man ist nicht bereit, den eigenen Maßstab einzuhalten.
Die Kurzintervention kam gerade von Herrn Kollegen Lippmann, Fraktion GRÜNE. Jetzt erleben wir die Reaktion des Kollegen Hartmann.
Die Fraktion GRÜNE hat das Hohe Haus eingeladen zu einer Debatte: „Heidenau ist nur die Spitze des Eisbergs: Rassismus und Rechtsextremismus in Sachsen …“.
Die CDU-Fraktion lässt sich gerne zu einer Diskussion einladen, verschließt sich – erstens – aber einer Pauschalisierung auf Heidenau. Zweitens: Die Herausforderung, vor der wir stehen, insbesondere die gesellschaftliche Diskussion in unserem Land, bedingt, wenn wir sie ernsthaft führen, dass wir dieses Thema nicht einseitig,
sondern mit allen Facetten betrachten. Dazu gehört neben der Zunahme der Gewalt, auch gegen Polizeibeamte, die Tatsache, dass neben rechtsextremistischen inakzeptablen Gewalttaten auch ein zunehmender Gegendruck durch Linksextremisten geschieht. Dem müssen wir geschlossen und konsequent entgegentreten.
Wir können jetzt in der Rednerliste fortfahren. Als Nächstes kommt die Fraktion DIE LINKE zu Wort. Bitte, Frau Köditz.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Kritik am Titel der Aktuellen Debatte ist wahrscheinlich nachvollziehbar, aber wir sollten uns dem Thema stellen. Für mich war es immer wieder überraschend, dass Themen erst in den Schlagzeilen stehen müssen, damit wir uns hier im Landtag mit ihnen beschäftigen.
Wir brauchen bei der Auseinandersetzung mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aber eine Gesamtkonzeption. Zum Beispiel hat Brandenburg seit vielen Jahren das Handlungskonzept „Tolerantes Brandenburg“. Wir freuen uns immer über unser Fördermittelprogramm „Weltoffenes Sachsen“. Wir brauchen ein Handlungskonzept aus allen Bereichen der Politik, aus den einzelnen Ministerien bis hin zur kommunalen Ebene.
Bei diesem Handlungskonzept – da sind sich eigentlich viele einig – ist der erste Schritt, zu erfahren, wie es denn mit den Einstellungen der Menschen im Land aussieht. Schon vor vielen Jahren haben wir als Fraktion DIE LINKE die Einführung eines Sachsen-Monitors gefordert. Wir haben uns dann gefreut, dass das 2014 im Koalitionsvertrag stand. Dann sind wir wieder erschrocken, dass es im ersten Haushaltsentwurf weggerutscht ist. Bis jetzt ist noch immer nichts passiert. Wir brauchen langfristige Ergebnisse und können nicht einfach die Umfrageergebnisse von Infratest dimap nehmen und uns aktuell wieder einmal aufregen. Wir brauchen hier eine langfristige Geschichte.
Als zweiten Schritt habe ich mir aufgeschrieben – dazu passt diese Debatte jetzt hervorragend: Als Nächstes sollten wir uns endlich von der Extremismusdoktrin verabschieden. Allein das Wort Rechtsextremismus in der Überschrift führt natürlich wieder zu dem Reflex: Dann müssen wir auch über Linksextremismus diskutieren.
Wir haben in Sachsen ein Problem mit Rassismus. Auch verharmlosende Begriffe wie „asylkritisch“ halte ich für brandgefährlich.
Aber noch einmal zurück zu der Gleichsetzung. Herr Hartmann, da können Sie die Statistiken von Straftaten und Gewalttaten gerne nebeneinanderstellen. Es ist immer eine Definitionsfrage. Seit vielen Jahren frage ich Aktivi
täten der extremen Rechten ab. Was antwortet mir das Innenministerium? Sie zählen nur Demonstrationen, Flugblattaktionen und ähnliches auf, von Strukturen, die klar rechtsextremistisch einsortiert werden. Die AfD fragt jetzt nach linksextremistischen Aktivitäten, und da wird jede Demonstration, bei der zwei Linksextremisten gesichtet worden sind, mitgezählt. In der Statistik zum Rechtsextremismus werden Legida und ähnliche Demonstrationen überhaupt nicht aufgeführt, aber wir wissen alle, dass dort organisierte Nazis dabei sind. Diese Ungleichbehandlung ist doch die Unverschämtheit.
Genauso möchte ich dann mit Ihnen gemeinsam, Herr Hartmann, einmal schauen, wie denn Straftaten einsortiert werden. Ich glaube, wie haben hier ein Definitionssystem bekommen, das es uns immer schön leicht macht zu vergleichen, ohne dass wir dahinterschauen, was die Definitionen sind, die zu diesem Vergleich führen. Insofern kann ich nur hoffen, dass wir uns endlich von dieser Extremismusdoktrin verabschieden und die Problemlagen einzeln diskutieren. Denn nur im Konkreten werden wir Lösungsansätze finden, und nicht, indem wir reflexartig immer alles in einen Topf werfen und dann schauen, was ein Gesamtlösungsansatz für Ihre Ränder der Gesellschaft ist. Es sind Teile der Gesellschaft. Wir müssen uns endlich mit dem Konkreten beschäftigen.
Meine Damen und Herren! Es gibt zwei Wortmeldungen. Am Mikrofon 7 war zuerst Herr Abg. Wurlitzer. Sie wünschen?
Sehr geehrte Frau Köditz! Wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich Ihnen eine Frage gestellt, dann hätte ich gefragt, ob Sie denken, dass es für den Bürger oder den Polizisten ein Unterschied ist, ob er von einem Linksextremisten oder von einem Rechtsextremisten eine Flasche an den Kopf geworfen bekommt.