Das Maßgebliche ist für uns, dass das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungsgründen nochmals eindeutig klargezogen hat, dass bei Abwägung vermeintlicher Sicherheitsinteressen zum einen und der Reichweite der Grund- und Freiheitsrechte zum anderen im Zweifelsfall immer die Freiheitsrechte den Vorrang haben. Die nochmalige Botschaft dieser Entscheidung, die wir nun endlich ins Stammbuch aller Entscheidungsträger im Umgang mit dem Versammlungsrecht im Freistaat Sachsen geschrieben wissen wollen, ist: Das Versammlungs- und Demonstrationsrecht muss im Sinne der allgemeinen Freiheitsvermutung, die nach dem Grundgesetz und der Sächsischen Verfassung herrscht, interpretiert werden. Das muss das Herangehen bei der Entscheidung sein.
Nochmals mit den Worten aus der Einleitung des früheren Kommentars zum Versammlungsrecht, erschienen 1968: „Versammlungen und Demonstrationen zum Zeichen einer demokratischen Gesellschaft sind ein dynamisches Element. Nicht Ruhe und Ordnung sind der Maßstab, an dem sie zu werten sind, sondern ihr Einfluss auf das Neudurchdenken von Problemen. Eine Gesellschaft, die Probleme offen diskutiert, bleibt imstande, sie zu lösen.“ – Zitat aus einem Versammlungsgesetzkommentar vom September 1968. Seinerzeit in der Situation zugespitzter gesellschaftlicher Konflikte und Probleme wurden gerade die Wahrung und die Unantastbarkeit der Grund- und Freiheitsrechte angemahnt und letzten Endes durchgesetzt.
Es darf heute bei der Lösung der immensen Problemlagen, unter denen die Bundesrepublik Deutschland und der Freistaat Sachsen jetzt stehen, keine andere Richtung und Grundsatzentscheidung geben. Deswegen muss dieses Hohe Haus heute ein Zeichen setzen, und deshalb erbitten wir die Zustimmung zu unserem Antrag.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Bartl, das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung völlig zu Recht das grundsätzlich in Artikel 8 Abs. 1 und in der Sächsischen Verfassung in Artikel 23 verbriefte Recht, eine Versammlung unter freiem Himmel ohne Waffen durchzuführen und daran teilzunehmen, verteidigt. Es ist ganz sachlich in diesem Hohen Hause festzuhalten – und das ist mir persönlich als rechtspolitischer Sprecher der CDUFraktion besonders wichtig –, dass das Grundgesetz hier in Sachsen seit fast 25 Jahren verlässliche Gewähr der
Grundrechte bietet, die staatlichen Behörden ihr Handeln daran ausrichten und die unabhängige Justiz die Gewährung dieser Rechte ohne Wenn und Aber verantwortungsvoll schützt.
Die Entscheidung zum Erlass des umfassenden Demonstrationsverbotes in Heidenau hat die Bedeutung und die Weite des Grundrechtes der Versammlungsfreiheit nicht ausreichend beachtet, und deshalb hat das Bundesverfassungsgericht das Versammlungsverbot auch aufgehoben.
Allerdings sind wir es im Rahmen einer hier auf Antrag der Fraktion DIE LINKE und von Herrn Bartl begründet zu führenden Debatte den Bürgerinnen und Bürgern schuldig, die rechtlichen und auch die verfassungsrechtlichen Hintergründe so darzustellen, dass nicht der Eindruck entsteht, als würden wir in Sachsen in einem Staat leben, in welchem Grundrechte, insbesondere das Recht auf Versammlungsfreiheit, sozusagen willkürlich eingeschränkt würden. Dem ist nicht so.
Haben die Gerichte entschieden? Haben wir unabhängige Gerichte? – Sie haben entschieden, und deswegen ist hier keine Willkür im Gange.
Meine Damen und Herren, eine Versammlung unter freiem Himmel ohne Waffen durchzuführen und an dieser teilzunehmen ist im Grundgesetz und in der Sächsischen Verfassung verbrieftes Recht. Jedoch ist dieses Recht nicht grenzenlos; es unterliegt klaren Schranken. Es ist notwendig, weil es andere Rechte der Bürgerinnen und Bürger gibt, welche ebenfalls Geltung erlangen müssen und welche sozusagen mit dem Recht, sich zu versammeln, konkurrieren. Deshalb ist in Artikel 8 Grundgesetz und in Artikel 23 der Sächsischen Verfassung festgeschrieben – davon hören wir jetzt häufiger –, dass für Versammlungen unter freiem Himmel dieses Recht durchgesetzt und aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden kann.
In Sachsen finden sich im Sächsischen Versammlungsgesetz die Gründe, bei deren Vorliegen die zuständige Behörde Versammlungen verbieten kann und sogar muss. In jedem Fall aber hat die zuständige Versammlungsbehörde vor einem Verbot zu entscheiden, ob solche Umstände vorliegen. Ein polizeilicher Notstand kann tatsächlich ein solcher Umstand sein; das dürfen wir nicht vergessen. Aus Sicht der Versammlungsbehörde – der Betrachtungsbehörde der Versammlungsbehörde vor Ort – lag ein dies begründender polizeilicher Notstand vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Einschätzung hielt vor dem Bundesverfassungsgericht nicht stand. Diese Einschätzung war jedoch nicht aus der Luft gegriffen, wie immer behauptet wird, sondern es lagen Ereignisse vor, welche die Versammlungsbehörde zu dieser Einschätzung kommen ließ. Es war gerade nicht so, dass die Versammlungsbehörde mutwillig und ohne Abwägung der Rechts
Sie hat eine Abwägung getroffen und diese Allgemeinverfügung nach dieser Abwägung erlassen. Keine der Gerichtsentscheidungen beinhaltet nämlich den Vorwurf, dass die Versammlungsbehörde ohne Abwägung entschieden hätte.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes stellt vielmehr deutlich dar – das muss man auch lesen, Herr Bartl –, dass die Abwägung stärker erfolgen muss und Eingriffe in das Versammlungsrecht tiefer zu begründen sind, wenn ein polizeilicher Notstand vorliegen sollte.
Vielen Dank, Herr Präsident. Vielen Dank, Herr Kollege Modschiedler. Geben Sie mir recht, dass das zunächst erste Versammlungsverbot der Landeshauptstadt Dresden per Allgemeinverfügung für 24 Stunden bundesweit deshalb so arg debattiert worden ist, weil es in der BRD noch nie vorgekommen war, dass per polizeilicher Allgemeinverfügung so lange über so eine Fläche ein allgemeines Versammlungsverbot verhängt worden ist? Geben Sie mir darin recht?
Nein, darin gebe ich Ihnen nicht recht, weil das Problem, weshalb es dazu geführt hat, die Frage war, wer dies entschieden haben soll, und dass die Zuständigkeiten durchbrochen worden sind. Am Rande wurde übrigens – da haben Sie recht – die Frage diskutiert, ob der Zeitraum der Allgemeinverfügung zu groß sei. Aber selbst das habe ich gesagt; man kann dazulernen. Die Behörden, die es zu entscheiden haben, die die Allgemeinverfügung zu treffen haben, werden später ex post – wie sagte man in der Anhörung? – am Tisch bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen erörtern, wie man es hätte anders machen können.
Hier war die Frage – am 19. Januar gab es ein spezielles Problem –, wie zu entscheiden sei, was von Freitag bis Sonntag, also an einem Wochenende, zu geschehen habe. Auf dieser Grundlage wurde diese Allgemeinverfügung erlassen. Ob sie ermessensrichtig war oder nicht, hat das Gericht später entschieden. Insoweit würde ich Ihnen dann recht geben.
Danke, Herr Kollege. – Ist es dann für Sie tatsächlich nicht der Diskussion im Parlament wert, wenn wir drei Monate später das noch einmal toppen, indem wir gleich für 64 Stunden und für eine ganze Stadt per Allgemeinverfügung das Verbot verhängen?
Nochmals: Wir haben Gerichte, die unabhängig sind. Solche Entscheidungen, wenn sie auf einem Ermessen beruhen, das eine Versammlungsbehörde vor Ort ausübt – wir reden davon, dass in Heidenau eine Behörde und nicht ein Gericht entschieden hat –, können überprüft werden. Dass wir darüber reden, halte ich für völlig richtig. Aber ich habe schon gesagt, dass ich dazu noch ausführen werde.
Sie fordern in Ihrem Antrag, das Versammlungsrecht „nicht weiter auszuhöhlen“. Dieses Recht wurde von uns nie ausgehöhlt und wird von uns nie ausgehöhlt werden. Dazu werde ich auch noch einmal Stellung nehmen.
Herzlichen Dank für den Hinweis, dass wir es nicht aushöhlen können. Denn es gibt unabhängige Gerichte. Diese werden später, falls von der Behörde willkürlich eine Entscheidung getroffen wurde – ich sage nicht, dass es bei uns so war –, eingreifen und sagen: Das gibt es nicht!
Im Gegensatz zu der antragstellenden Fraktion sehe ich das Versammlungsrecht auch nicht als gefährdet an. Ich sehe mich vielmehr in meiner Einschätzung bestätigt, dass auf der einen Seite die Behörden im Freistaat Sachsen bei ihren Entscheidungen die Rechtsgüter im Lichte der Verfassung abwägen. Dazu habe ich in der Antwort auf die Zwischenfrage schon ausgeführt.
Zum anderen sehe ich ich mich darin bestätigt, dass es gut und wichtig ist, ebendiese funktionierende Justiz als unabhängige Kontrollinstanz zu haben. Die Behördenentscheidungen werden nämlich hinterfragt und gegebenenfalls korrigiert. Also können wir das Versammlungsrecht nicht wirklich aushöhlen.
Weil dem so ist, leben wir hier in Sachsen – für mich selbstverständlich – in einem Rechtsstaat. Ich sehe hier nicht die Gefahr einer – wie auch immer gearteten – Aushöhlung des Versammlungsrechts. Wer etwas anderes behauptet, der vermittelt damit bewusst ein falsches Bild
von unserem Rechtsstaat hier in Sachsen, da er dessen Institutionen, die Institutionen der Justiz öffentlich in ein falsches Licht rückt. Das verbitte ich mir wiederum.
(Beifall bei der CDU und der SPD – Sebastian Scheel, DIE LINKE: Warum immer wieder Sachsen? Beantworten Sie doch einmal die Frage!)
Ich antworte gerade. – Eine Konsequenz aus der Annahme Ihres Antrags wäre möglicherweise noch mehr Politikverdrossenheit. Den Extremisten – sowohl denen von links als auch denen von rechts; insoweit brauchen wir keinen Unterschied zu machen – würde dies in die Hände spielen: „Das bringt doch eh nichts!“, „Die machen doch, was sie wollen!“ Sie kennen die Sprüche. Sie sind auch deshalb zu hören, weil behauptet wird, wir höhlten dieses Grundrecht weiter aus Fakt ist: Wir haben es nicht getan.
Gerade hier in Sachsen ist es 25 Jahre nach der Wiedervereinigung Deutschlands wichtig, dass wir uns dies einmal vor Augen führen. Seit 25 Jahren haben wir das Glück, dass auch hier in Sachsen ein demokratischer Rechtsstaat funktioniert, dass es auch hier in Sachsen Grundrechte gibt und unabhängige Gerichte Recht sprechen. Das war vor 1990 eben nicht der Fall.
An dieser Stelle möchte ich aus meiner Sicht das Thema dieses Antrags wirklich kritisieren: Es werden in Sachsen keine Grundrechte ausgehöhlt, und das bleibt auch so! Insoweit wiederhole ich mich.
Das Versammlungsrecht und das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung stehen für uns alle – darin sind wir uns einig – nicht zur Disposition. Sie bestehen in Sachsen für alle Bürgerinnen und Bürger. Die Rechte werden durch die Staatsregierung, die Behörden und die unabhängigen Gerichte geschützt und eben auch durchgesetzt.
Meine Damen und Herren! Natürlich müssen sich unsere sächsischen Behörden nach dem Urteil – ich komme wieder zu Ihnen, Herr Bartl – fragen lassen, wie sie sich in die Lage versetzen, das verfassungsrechtlich verbriefte Recht, Versammlungen durchzuführen, zu gewährleisten. Auch in dieser Frage kann man lernfähig sein, also dazulernen.
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts macht nämlich uneingeschränkt deutlich – darauf lege ich großen Wert –, welch hohen Stellenwert das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit hat. Es ist als Lehre für die Zukunft wichtig, sachgerechte polizeiliche Einsatzstrategien unter Beteiligung von Einsatzkräften der Länder und des Bundes zu entwickeln. Diese Einsatzstrategien sollen sicherstellen, dass genau dieses Recht von den Bürgerinnen und Bürgern in Anspruch genommen werden kann.