Protocol of the Session on July 9, 2015

Dann ist der Landtag gefragt zu überprüfen, ob wir dieses Abkommen wollen oder nicht. Bisher gibt es dazu nur eine ungefähre Meinungsbildung. Ich weise darauf hin, dass es am 17. Juni in Paris im Parlament ein interparlamentarisches Treffen gegeben hat. Dort sind die zuständigen Politiker aus den europäischen Parlamenten zusammengekommen und haben sich darüber ausgetauscht, was sie von TTIP und den bisher bekannt gewordenen Inhalten halten. Dabei stellte sich heraus, dass Belgien, Frankreich, Luxemburg und Österreich TTIP sehr skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen. Sie haben vor allem große Bedenken hinsichtlich der Wettbewerbsfähigkeit von kleinen und mittleren Unternehmen. Zypern hat große Bedenken, was das angeht. Es bestehen Bedenken hinsichtlich des Investitionsschutzes, der Gefahr sozialen Dumpings, der Umweltstandards, der geschützten Ursprungsbezeichnungen, des Datenschutzes, der Verbraucherstandards. Das wird bei denen auch gesehen.

Wir sind also nicht allein mit unseren Bedenken. Ich finde es wichtig, dass Druck entsteht und dass die Verhandlungen in eine Richtung gehen, in der diese Gefahren vermieden werden. Ich bin nicht der Auffassung, dass wir fordern sollten: Hört auf zu verhandeln, wir wollen das alles nicht. Wir sollten den Versuch unternehmen, in diesem Zusammenhang ein Stück weit Globalisierung zu gestalten. Allerdings meine ich auch, dass dabei zu berücksichtigen sein wird, welche Drittwirkung ein solches Abkommen haben wird.

Das muss passieren. Wir können nicht hingehen und sagen: Wir gestalten nicht. Wir haben im Moment auch eine Rechtslage, die international nicht so richtig gerecht ist. Die Rechtslage kann sich auch dadurch, dass man die Marktkräfte wirken lässt, verschlechtern. Insofern finde ich auch: Wenn man dort Regeln trifft, ist es im Zweifel besser, wenn sie bewusst durchdacht werden und den Marktkräften nicht einfach das Spiel überlassen wird.

Meine Damen und Herren! Abschließend möchte ich noch auf einen Punkt eingehen, und das ist das, was bleibt, wenn man die Abläufe im Zusammenhang mit TTIP im Augenblick betrachtet: Das ist das vorhin schon angesprochene Thema eines demokratischen Defizits. Wir müssen uns darüber klar sein, dass es natürlich misslich ist, wenn dort Verträge von denen ausgehandelt werden, die auf Regierungsebene üblicherweise damit befasst sind, internationale Verträge auszuhandeln, und hinterher nur das Europäische Parlament – hoffentlich auch die Parlamente der Mitgliedstaaten – berechtigt sind, darüber mit Ja oder Nein zu befinden. Das ist zu wenig. Da ist zu wenig Diskussion. Da muss viel mehr stattfinden.

Das sollten wir wirklich mitnehmen: Wir müssen in absehbarer Zeit die europäischen Institutionen und ihr Zusammenwirken noch einmal überarbeiten. Wir sehen an TTIP, dass es so nicht geht. Man kann über so viele komplexe Nebensachverhalte nicht mit Ja oder Nein entscheiden, sondern man muss darüber diskutieren können und Einzelpunkte bevorzugen bzw. ablehnen können. Ich glaube, diese Lektion müssen wir mitnehmen, und die müssen wir alle in das Europäische Parlament und an die europäischen Institutionen herantragen.

(Beifall bei der SPD, der CDU und der Staatsregierung)

Meine Damen und Herren! Nun folgt die Fraktion DIE LINKE. Herr Wendt, was möchten Sie?

Herr Präsident, ich hätte eine Kurzintervention.

Sie hätten eine.

Ja, wenn ich dürfte.

Dann zeigen Sie sie.

Vielen Dank.

(Lachen im Plenum)

Herr Baumann-Hasske und liebe Regierungskoalition, wir sollten uns bei dem Thema TTIP nicht die Taschen vollhauen lassen. Nicht ohne Grund werden diese Verhandlungen hinter verschlossenen Türen abgehalten.

(Christian Piwarz, CDU: Das macht man bei Verhandlungen meistens so!)

Dass man das bei Verhandlungen meistens so macht, das glaube ich nicht. Wenn sie nicht angreifbar wären, dann bräuchte man sie nicht hinter verschlossenen Türen abzuhalten. Außerdem wird nur bestimmten Personen Zutritt zu diesen Räumlichkeiten gewährt. Dies ist zu beachten.

Meine Damen und Herren! Wenn die Bevölkerung dieses TTIP-Abkommen ablehnt, sollten wir dies ebenfalls tun.

Vielen Dank.

(Beifall bei der AfD)

Meine Damen und Herren! Das war die Kurzintervention auf den Redebeitrag von Herrn Baumann-Hasske. Möchten Sie erwidern?

Ja, ich möchte kurz erwidern. Wenn die Bevölkerung TTIP ablehnt, sollten wir dies auch tun. Dazu sollten wir jedoch wissen, was im TTIP steht. Wir sollten zuhören, was die Bevölkerung dazu sagt – meinetwegen.

Wir reden aber über ungelegte Eier. Wir reden im Vorfeld darüber. Es ist völlig klar, dass wir darüber reden müssen. Wir sind aber überhaupt nicht in der Situation, in der die Bevölkerung in der Lage wäre einzuschätzen, was sie bevorzugen oder ablehnen soll. Entschuldigen Sie, das ist insofern ein wenig populistisch, was Sie da machen.

(Staatsminister Martin Dulig: Nicht ein wenig, voll!)

Meine Damen und Herren! Wir setzen in der Aussprache fort. Für die Fraktion DIE LINKE spricht nun Herr Abg. Brünler. Sie haben das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und SPD! Wenn man sich Ihren Antrag einmal durchliest, klingt dieser zunächst nicht schlecht. Sie haben durchaus Grundprobleme, die mit TTIP verbunden sind, erkannt und greifen diese auf. Sie unterliegen aber einem Grundirrtum. Sie folgen den Nebelkerzen von EU-Parlamentspräsident Schulz und Bundeswirtschaftsminister Gabriel. Sie gehen davon aus, auf das Verhandlungsergebnis tatsächlich Einfluss nehmen zu können. Meine Damen und Herren, das ist weltfremd und wird nicht funktionieren.

(Harald Baumann-Hasske, SPD: Läuft doch schon!)

Lassen Sie mich Ihnen zwei wesentliche Punkte in Ihr Gedächtnis rufen. Die Verhandlungen werden, wie wir schon mehrfach gehört haben, im Geheimen geführt. Daran hat auch der gestrige Tag im Europäischen Parlament nichts geändert. So wie der gesamte Prozess angelegt ist, ist es nicht vorgesehen, dass irgendein Parlament ernsthaft Einfluss nimmt und gegebenenfalls Punkte herausgreift oder gar abändert. Gewählte Parlamentarier werden über konkret zu verhandelnde Inhalte und den Prozessverlauf konsequent im Dunkeln gelassen. Das ist kein schnell zu korrigierender Schönheitsfehler, sondern zentraler Bestandteil des Prozesses. Das Parlament verkommt dabei zu einer reinen Abnickmaschinerie, die nur noch den nicht veränderbaren Endtext vorgelegt bekommt.

Ich komme auf den zweiten Punkt zu sprechen, meine Damen und Herren! TTIP ist eben kein Freihandelsab

kommen, wie der Name vorgaukelt. TTIP ist in allererster Linie ein Investoren- und Profitschutzabkommen. Es geht bei der Harmonisierung eben nicht nur um technische Standards und Zollabbau, wogegen kein vernünftiger Mensch etwas haben könnte. Nein, es geht um den Schutz von Investoren vor hohen Sozial- und Umweltstandards und demokratischen Entscheidungen. Es ist nichts, wo man noch etwas nachsteuern kann. Das ist der Kern des Ganzen. Diese Punkte aus den TTIP-Verhandlungen zu streichen wäre mit dem Ende von TTIP gleichzusetzen. Schon deswegen wird Ihr Antrag ins Leere laufen.

Nehmen wir die in Ihrem Antrag erwähnten ILO-Normen. Die USA haben mit voller Absicht nur zwei der acht Kernarbeitsnormen anerkannt. Dabei wird es bleiben. Nun möchte ich die Rolle dieses Hohen Hauses nicht kleinreden. In welche Richtung aber die Harmonisierung vonstatten gehen wird, werden Sie mit diesem Antrag mit Sicherheit nicht bestimmen.

(Staatsminister Martin Dulig: Haben Sie mit den amerikanischen Gewerkschaften geredet?)

Diese werden sich in diesem Zusammenhang leider auch nicht durchsetzen können.

Für das Problem der Schiedsgerichte hilft es auch, sich den gestrigen Tag vor Augen zu führen. In einer für die Verhandlungsparteien nicht bindenden Resolution – man beachte den Einfluss demokratisch gewählter EU-Parlamentarier: sie dürfen nicht bindende EU-Resolutionen verfassen – wurde beschlossen, die vorher vorgesehenen Schiedsgerichte durch ein neues System zu ersetzen. Was bedeutet das aber praktisch? Ich sage es Ihnen: nichts. Wir haben nach wir vor eine Sondergerichtsbarkeit, die aus der normalen Rechtsprechung herausgenommen ist, die einen neuen Namen bekommen hat, aber weiterhin einseitig Kapitalinteressen vor den Entscheidungen demokratisch gewählter Parlamente schützt. Mir ist dazu ein Werbespruch von Anfang der Neunzigerjahre eingefallen, der wie folgt lautet: Aus RAIDER wird jetzt TWIX, sonst ändert sich nix. Oder, um es etwas weniger flapsig mit den Worten des Bündnisses „TTIP unfair handelbar“ zu sagen: Mit ihrer Resolution haben die Parlamentarier die Gelegenheit verpasst, der Aushöhlung unserer Demokratie durch Freihandelsabkommen und Konzernklagerecht einen Riegel davorzuschieben.

Lassen Sie mich am Ende noch kurz auf die Bedeutung des Vertrages für die sächsische und sehr kleinteilige Wirtschaft eingehen. Die Tufts University hat auf Grundlage des von den Vereinten Nationen für globale makroökonomische Analyse verwendeten United Nations Global Policy Model eine ausführliche Studie zur Auswirkung von TTIP durchgeführt. Vorausgesagt werden Wachstumsimpulse für kapitalstarke Großunternehmen zulasten kleinerer und mittlerer Betriebe, in der Folge für Deutschland ein Nettoarbeitsplatzverlust vor allem in Industrie und Handwerk, eine deutliche Verschiebung von Arbeits- zu Kapitaleinkommen und ein Rückgang der Steuereinnahmen vorhersagen. Ökonomisch profitieren werden in dieser Studie einzig die USA, da die Grundaus

richtung von TTIP optimal auf deren Wirtschaft ausgerichtet ist. Jetzt überlasse ich es Ihnen, in der Sommerpause darüber zu reflektieren, an welcher Stelle bitte schön die in Ihrem Antrag beschriebenen Vorteile für die sächsische Wirtschaft liegen könnten.

(Christian Piwarz, CDU: Dann wieder hinsetzen!)

Meine Damen und Herren! In der Endkonsequenz bleibt Folgendes festzustellen: Freier und gedeihlicher Handel ist sinnvoll und sollte gefördert werden, ein einseitiges Investoren- und Profitschutzabkommen jedoch nicht. Einem Schaufensterantrag, der zwar die Bedenken und Stimmungen der Öffentlichkeit aufgreift, aber von vornherein wirkungslos ist, werden wir nicht zustimmen. TTIP gehört nicht kritisch begleitet, sondern TTIP, Kollege Nowak, gehört gestoppt.

(Beifall bei den LINKEN und der AfD)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Das war Herr Kollege Brünler von der Fraktion DIE LINKE. Nun hätte die AfD das Wort. Möchten Sie dieses ergreifen? – Sie hat keinen Redebedarf. Möchte die Fraktion GRÜNE das Wort ergreifen? – Sie hat ebenfalls keinen Redebedarf. Gibt es weiteren Redebedarf aus den Fraktionen? – Das kann ich nicht feststellen. Dann hätte die Staatsregierung das Wort. Bitte, Herr Staatsminister Dulig.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollege! Die Globalisierung ist keine Erfindung des Neoliberalismus der letzten 50 Jahre, sondern hat eine mehrere Jahrhunderte lange Tradition. Schon damals wurde über Grenzen hinweg Handel und Austausch von Warengütern betrieben: Wenn in einer Region Schafe notwendig waren, um aus Wolle Kleidung herzustellen und Lebensmittel zu haben, wurde gegen andere Lebensmittel und Güter getauscht. Globalisierung ist nicht neu. Der Unterschied ist nur, dass die Globalisierung in den letzten Jahren Formen angenommen hat, bei denen es nicht mehr um das Wohl ganzer Gesellschaften ging, sondern Profitinteressen kleinerer Gruppen im Mittelpunkt standen. Globalisierung war auf einmal nicht mehr ein gesellschaftlicher und politischer Aushandlungsprozess, sondern Globalisierung hatte sich von gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen entkoppelt. Die Globalisierung hat sich enthemmt.

Das, was wir – die Vorredner sind darauf eingegangen – gerade in den letzten Jahren auf den Finanzmärkten erlebt haben, war der Höhepunkt dieser perversen Entwicklung der Entkopplung von der politischen Handlungsfähigkeit. Es muss unsere Aufgabe sein, Globalisierung wieder in die Hände zu bekommen, sodass das politische Handlungsmandat wieder vorhanden ist. Das muss unser Auftrag sein, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Wenn es darum geht, gegen die Globalisierung zu wettern, dann sind die LINKEN besonders vorn dabei. Wenn

es aber darum geht, sich ein Primat der Politik zurückzuerobern, indem man über Verträge Dinge regelt, dann bekommen Sie kalte Füße und sagen, dass Sie nicht mitmachen. So funktioniert das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen!

(Beifall bei der SPD und der CDU)

Was mich im negativen Sinn fasziniert hat, war der seltsame Schulterschluss zwischen den LINKEN und der AfD in dieser Debatte.

(Beifall des Abg. Andreas Nowak, CDU – Rico Gebhardt, DIE LINKE: Das ist jetzt billig!)

Das war nicht billig. Vergleichen Sie bitte einmal Ihre Argumente.

(Zuruf des Abg. Rico Gebhardt, DIE LINKE – Zurufe von der AfD)

Ihr eigener Entschließungsantrag hat es auf den Punkt gebracht. Er ist in sich absolut widersprüchlich.