Ich komme noch einmal zu den zustimmenden Handzeichen. Wer für den Antrag der Linksfraktion ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Damit rufe ich die Neinstimmen auf. – Meine Damen und Herren! Ich bedanke mich bei den Mitgliedern der Zählkommission für das schnelle und korrekte Auszählen der Stimmen. Für den Antrag der Fraktion DIE LINKE haben 47 gestimmt. Mit Nein haben 36 gestimmt. Damit ist der Antrag angenommen.
Meine Damen und Herren! Ich kann feststellen, dass der Ministerpräsident den Raum betreten hat. Damit hat sich ein Teil des Antrages erledigt. – Herr Tischendorf.
Herr Präsident! Ich bitte noch einmal ins Protokoll zu schauen, was wir beantragt haben, nämlich, dass beide, Herr Ministerpräsi
dent und Herr Finanzminister, herbeigerufen werden. Ich habe das inhaltlich begründet. Ich bitte, solange der Finanzminister nicht im Raum ist, die Sitzung zu unterbrechen.
Meine Damen und Herren! Ich stelle fest, dass sich der Ministerpräsident und der Finanzminister im Plenum befinden. Damit ist der Antrag der Linksfraktion umgesetzt.
Ich bitte den zweiten Antragsteller zum Antrag der Fraktionen DIE LINKE und SPD „Keine Haushaltskonsolidierung auf Kosten von Kindern und Jugendlichen oder anderen sozialen Bereichen“ zu sprechen. Ich bitte den Vertreter der SPD-Fraktion, Herrn Homann, nach vorn.
Sehr geehrter Herr Vizepräsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das, was wir gerade erlebt haben, war ein schönes Schauspiel. Es war sinnbildlich dafür, dass ein Sächsischer Landtag in der vielleicht wichtigsten Debatte des Tages den Ministerpräsidenten und den Finanzminister herbeizitieren musste. Das ist wirklich ein Armutszeugnis für diese Regierung. Das müssen wir erst einmal feststellen.
Es ist auch sinnbildlich, dass ein solcher Antrag der Opposition durchkommt, denn so etwas kann nur durchkommen, wenn von den Regierungsfraktionen nicht genug Abgeordnete anwesend sind. Das zeigt auch, dass die einfachen Abgeordneten der Fraktionen der CDU und der FDP den Saal verlassen hatten und damit diesen Antrag möglich machten. Auch das ist ein klares Zeichen.
Die sächsische Regierungskoalition legt die Axt an das Soziale in Sachsen. In einem beispiellosen Akt erleben wir, wie in Sachsen im laufenden Haushalt, ohne Diskussion im Landtag, ohne Dialog mit den Betroffenen und gegen den ausdrücklichen Rat der Fachgremien, wie dem Landesjugendhilfeausschuss, die Grundlagen einer sozialen Gesellschaft massiv angegriffen werden.
Die Liste der Grausamkeiten ist so lang wie fatal, Kürzungen in der Drogenberatung, der Gleichstellungspolitik, bei den Wohlfahrtsverbänden, der Seniorenarbeit, der Behindertenhilfe – um nur einige Punkte zu nennen. Insgesamt hat das Sozialministerium Einsparungen in Höhe von 25 Millionen Euro im laufenden Haushalt hinzunehmen.
Die Koalition sagt in der Öffentlichkeit, sie will intelligent sparen. Die Realität aber heißt Rasenmäher, ohne zu
schauen, welche Folgen genau aus diesen Kürzungen in den jeweiligen Fachbereichen hervorgehen und welche Folgekosten diese langfristig haben könnten. Das nenne ich nicht intelligent, das nenne ich dumm, weil darauf verzichtet wird, wichtige Prioritäten für die Zukunft zu setzen.
In keinem anderen Bereich wird die fatale Kürzungspolitik so offenbar wie in der Kinder- und Jugendarbeit in Sachsen. Sie kürzen die Jugendpauschale und damit die Jugendarbeit vor Ort in den Landkreisen von 14,30 Euro auf 10,40 Euro pro Jugendlichen. Sie kürzen in der überörtlichen Jugendarbeit über 600 000 Euro und streichen über die Hälfte der Stellen bei den freiwilligen Diensten SSJ und FSJ. Hierbei handelt es sich um einen Gesamtbetrag von 5,5 Millionen Euro. Die Folgen sind fatal und vielfältig. Die schwerwiegendsten sind die folgenden drei:
Erstens. Es entstehen weiße Flecken in Sachsen, in denen keine professionell begleitete Jugendarbeit mehr geleistet wird. Allein durch die Einsparungen der Jugendpauschale droht der Wegfall von über 130 Jugend- und Sozialarbeitern in der Fläche. Jugendhäusern, mobiler Jugendsozialarbeit, Schulsozialarbeit, Jugendgerichtshilfe und Jugendberufshilfeprojekten, verbandlicher Jugendarbeit und ehrenamtlich geführten Projekten wird die finanzielle Grundlage entzogen. So sparen Sie die Jugendarbeit in Sachsen kaputt.
Zweitens. Die Jugendarbeit in Sachsen wird in den Niedriglohnsektor verlagert. Die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht aller, aber vieler freier Träger arbeiten schon jetzt fernab tariflicher Bestimmungen. Sie werden weitere Einschränkungen hinnehmen müssen. Ein-Euro-Jobber werden als Ersatz für ausgebildete Sozialpädagogen die Kinder- und Jugendeinrichtungen begleiten. So geht man weder mit Kindern und Jugendlichen noch mit engagierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern um.
Drittens. Ehrenamtliche Strukturen werden geschwächt. Die drastischen Kürzungen bei den FSJ-Stellen zum 01.09.2010 nimmt nicht nur jungen Menschen die Chance, in einer prägenden Lebensphase wichtige Erfahrungen zu sammeln, sich auszuprobieren und auf das Berufsleben vorzubereiten – FSJ-lerinnen und FSJ-ler in ganz Sachsen leisten eine engagierte Arbeit in den Krankenhäusern, im Sozialdienst, in Altenpflege- und Kinderheimen, in Einrichtungen mit Menschen mit Behinderung sowie kulturellen Projekten und Umweltorganisationen. Auf ihre sinnvolle und notwendige Arbeit kann vielerorts kaum verzichtet werden. Sie denken, man kann es schon.
Dabei handelt es sich bei den aktuellen Haushaltseinsparungen um Kürzungen durch die Hintertür. Die ehrenamtlichen Vorstände sowie die Mitarbeiterinnen und Mitar
beiter haben die Kürzungspläne durch die Zeitung erfahren. Feiner Stil! Eine Einbeziehung der Träger, wie in der europäischen Jugendstrategie festgelegt und jüngst wieder durch die sächsischen Kinder- und Jugendverbände in der „Naunhofer Erklärung“ eingefordert, findet nicht statt. Das sächsische Sozialministerium schafft fortgesetzte Intransparenz und eine Politik der vollendeten Tatsachen, die Existenzängste bei den Mitarbeitern erzeugt und die ehrenamtliche Vorstände vor massive Planungsunsicherheiten und Finanzlücken stellt. So geht man auch nicht mit dem Ehrenamt um.
In der Jugendhilfe wird ohne Weitblick eingespart. Die Staatsregierung hält die Einsparungen vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltssituation für vernünftig. Doch die langfristigen Kosten werden die kurzfristigen Einsparungen bei Weitem übertreffen.
Offene Angebote der freien Jugendhilfe haben immer auch eine präventive Funktion. Den Euro, den Sie heute in der Prävention sparen, werden Sie morgen doppelt und dreifach bei der Familientherapie, für Gerichtsverfahren, Gefängnisaufenthalte, Drogenentzüge und die Bekämpfung neonazistischer Gewalt drauflegen müssen. Das ist keine nachhaltige Haushaltspolitik, sondern gesellschafts- und finanzpolitischer Blindflug, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Das Kostenargument ist noch aus einer ganz anderen Perspektive interessant. Sie verweisen auf die schwierige Haushaltslage in Sachsen. Die Frage ist doch: Wie kommt es dazu? Sie verweisen auf die Wirtschaftskrise und verschweigen Ihre eigene Verantwortung. Die schwarzgelbe Koalition in Berlin senkt im Rahmen des sogenannten Wachstumsbeschleunigungsgesetzes die Steuern für große Unternehmen und Wohlhabende und reduziert unter anderem den Mehrwertsteuersatz für Hotelübernachtungen und sorgt damit für Steuerausfälle auch in Sachsen von 114 Millionen Euro. Jetzt fordert eine Koalition aus Rent-a-Tillich und der Mövenpick-Partei Einsparungen von 25 Millionen Euro im Sozialbereich. Das ist eine Frechheit! Sie opfern die Zukunftschancen
junger Menschen und die soziale Balance einer Klientelpolitik zugunsten derjenigen, die sich Gesprächstermine bei Ihnen leisten können. Das darf nicht durchgehen.
(Staatsminister Dr. Jürgen Martens: Blödsinn, was Sie erzählen! – Zuruf von der Linksfraktion: Das ist kein Blödsinn!)
Sie haben es darauf angelegt, damit konfrontiert zu werden. Das ist Ihre Politik, die Sie im Spiegel sehen.
Ich frage mich: Wie wollen Sie die jungen Menschen und ihre Familien in diesem Land von der Verbindlichkeit der Politik überzeugen, wenn Wahlversprechen und der Koalitionsvertrag nicht mehr gelten, bevor die Tinte getrocknet ist? Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag der schwarz-gelben Koalition in Sachsen: „Wir werden die Kommunen auch weiterhin durch eine Jugendpauschale unterstützen. Wir wollen Niveau und Qualität gerade auch im ländlichen Raum verbessern.“
Liebe Kolleginnen und Kollegen von FDP- und CDUFraktion! Dies war offensichtlich eine Lüge gegenüber Kinder und Jugendlichen in diesem Land! Was sind Sie eigentlich für Vorbilder? Sie reden von Werten und Tugenden und leben das Gegenteil vor. Das ist absolut fahrlässig.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Kabinettstisch fehlt offensichtlich der soziale Garant. Ich kann hier und jetzt sagen, mit uns Sozialdemokraten wäre das nicht passiert. Wir waren fünf Jahre lang die Stimme der sozialen Vernunft in der Regierung. Unter unserer maßgeblichen Beteiligung wurde 2006 das erste Mal ein ausgeglichener Haushalt vorgelegt und trotzdem sowohl in Wirtschaft als auch in das Soziale investiert. Wir haben die Jugendpauschale erhöht, den Kommunal-Kombi eingeführt, Studiengebühren verhindert und damit die soziale Gerechtigkeit gestärkt. Wir haben bewiesen, dass es geht, wenn der politische Wille da ist.
Die Doktrin der schwarz-gelben Koalition hat Staatssekretärin Andrea Fischer in der „Sächsischen Zeitung“ am 6. März zum Ausdruck gebracht. Sie sagte: „Auch bei der Familienbildung muss es Einschnitte geben. Man kann gewisse bildungsferne Schichten einfach nicht mehr erreichen.“
Das bedeutet, Schwarz-Gelb kapituliert vor der gesellschaftlichen Realität. Das Ziel der Chancengleichheit für alle Kinder ist offiziell aufgegeben. Die Sozialpolitik ist zum Luxus degradiert worden, den sich CDU und FDP nicht mehr leisten wollen. Sie drehen das Rad sozialdemokratischer Reformpolitik bis in die Steinzeit zurück.
Hinter verschlossenen Türen können Sie sich allerdings des Applauses einer Fraktion sicher sein. Nicht nur die Erfahrungen in der Sächsischen Schweiz zeigen, dass dort, wo Jugendarbeit nicht flächendeckend und professionellen Ansprüchen genügend geleistet wird, aus weißen Flecken ganz schnell braune werden. Auch das nehmen Sie in Kauf. Das ist eine Missachtung des gesamtgesellschaftlichen Kraftakts, den wir gemeinsam im Kampf gegen Rechts in den letzten Jahren geleistet haben. Die 3 500 jungen Menschen, die heute vor dem Landtag
standen, die über 10 000 Unterzeichner der Unterschriftenaktion des Kinder- und Jugendrings Sachsen werden 2014 wählen gehen und sie haben Geschwister, Eltern, Großeltern, Arbeitskollegen, Freunde und Bekannte. Sie werden sicher nicht NPD wählen, aber sie werden auch nicht diesen sozialpolitischen Kahlschlag vergessen.
Ich sage dies, weil Liebesentzug die einzige Sprache ist, die die Landesregierung hoffentlich noch versteht. Sachlichen Argumenten scheint sie sich jedenfalls verschlossen zu haben.
Wir als Abgeordnete des Sächsischen Landtages haben deshalb heute die Pflicht, unserer Kontrollfunktion gegenüber der Regierung nachzukommen. Diese Sozialkürzungen sind falsch! Stimmen Sie deshalb unserem gemeinsamen Antrag von SPD und DIE LINKE zu.