Herr Schreiber, ich habe gleich mehrere Fragen an Sie, aber die eine bezieht sich auf das von Ihnen zuletzt Gesagte. Wenn Sie sagen, die Schüler kommen heute teilweise mit sehr seltsamen Vorstellungen
bei den Ausbildungsfirmen an, dann muss ich noch einmal fragen: Was unternimmt denn die Staatsregierung, damit die Schülerinnen und Schüler an den sächsischen Schulen, deren Lehrer beim Freistaat angestellt sind, eben nicht mit solch schrägen Vorstellungen von der Berufs- und Arbeitswelt zum Bewerbungsgespräch gehen, sondern realistische Vorstellungen entwickeln können?
Frau Klepsch, sind wir doch mal etwas realistisch: Wir wissen ganz genau, dass die Politik, die Staatsregierung und auch Handwerkskammern, Industrie- und Handelskammern, Berufsausbildungsverbände und auch die Bundesagentur für Arbeit viel tun, um zum Beispiel Berufsberatung durchzuführen. Wir wissen ganz genau, dass in den Schulen entsprechende Beratungsangebote angenommen werden.
Wenn wir aber nach draußen gehen und sagen, es ist heute gar nicht mehr wichtig, ob du dir in der 9. oder 10. Klasse darüber Gedanken machst, was du vielleicht nach der 10. Klasse machen willst, oder wenn du dir bei der Wahl des Leistungskurses für Klasse 11 noch gar keine Gedanken darüber machst, welche Leistungskurse du vielleicht wählst und in welche Richtung du künftig gehen willst, sondern dass beispielsweise – ich „spinne“ jetzt mal – Biologie abgewählt wird und man irgendwann sagt, eigentlich hätte ich Arzt werden wollen, aber dafür hätte ich einen Biologieleistungskurs gebraucht, dann ist das Problem aus meiner Sicht eine gesellschaftliche Entwicklung dessen, was – auf gut Deutsch – tagsüber und in den Abendstunden draußen los ist. Das sage ich ganz deutlich.
Früher war es noch anders. Zum Beispiel habe ich 1998 das Abitur gemacht – das ist noch gar nicht so lange her –, aber ich wäre nie auf irgendwelche Ideen nach der Schule gekommen. Ich habe Hausaufgaben und solche Dinge gemacht, auf mich wurde noch anders geachtet, und ich hatte auch keine reiche Familie. Das muss ich einmal ganz deutlich sagen.
Ich denke, wir haben einfach ein Problem in der gesellschaftlichen Entwicklung. Dazu zählen vor allem die neuen Medien, wodurch viele, viele Angebote, die nichts mit Lernen und Sich-Gedanken-machen um die Zukunft zu tun haben, mittlerweile vorgehalten werden. SichGedanken-machen über bestimmte Dinge im Leben ist ein Stück weit nach hinten gerutscht. Das zu ändern kann sicherlich nicht politisch geschehen.
Ich möchte in meinen Ausführungen fortfahren. Lassen Sie mich noch auf einige Details aus der Antwort auf die Große Anfrage eingehen. Ich erspare mir, wie ich schon sagte, eine Reflexion der unzähligen Fragen zu statistischen Bevölkerungsdaten, welche Sie von den LINKEN bei den statistischen Bundes- und Landesämtern – ohne entsprechende Befassung der Staatsregierung – hätten erfragen können.
Bei zahlreichen Fragen hätten Sie als Antragstellerin bereits im Vorfeld ebenso wissen können, dass dazu keine Daten vorliegen. Viele dieser Dinge, die jetzt erneut abgefragt worden sind, sind über Jahre hinweg über Kleine Anfragen immer mal wieder thematisiert worden. Auch da gab es immer wieder die Aussage, dass einige Daten nicht erhoben werden. Nun kann man sich darüber streiten, ob es denn mal an der Zeit wäre, die Daten zu erheben. Das kann man sicherlich tun, aber Sie wissen am Ende ebenso, dass das alles Geld kostet.
Vor vielen Jahren gab es hier im Landtag mal eine Diskussion, in der es um die tausend Kleinen Anfragen der Christine Ostrowski, damals PDS, gegangen ist. Unter anderem gab es solche Anfragen wie: Welchen Sinn und Zweck haben die Neujahrsansprachen des Ministerpräsidenten? Dazu muss man sich dann fragen: Ist es das wert, dass man in der Verwaltung Geld dafür verbrät, um diese Fragen zu beantworten, oder sollte dieses Geld nicht sinnvoller eingesetzt werden?
Positiv möchte ich allerdings herausstellen, dass sich der Anteil der Personen ohne Berufsabschluss – Frau Klepsch, dazu haben wir vielleicht eine andere Wahrnehmung – bei den 15- bis unter 36-Jährigen in Sachsen von 2007 bis 2012 um 6,9 % reduziert hat, in manchen Regionen sogar um mehr als 10 %, zum Beispiel in Chemnitz, im Erzgebirgskreis, im Landkreis Görlitz oder in Meißen, und das trotz sinkender Bevölkerung. Auch das muss man mit bedenken. Aber es ist letztendlich etwas Gutes, wenn die Gesamtbevölkerungszahl sinkt und dieser Prozentsatz trotzdem nach unten geht. Das zeigt uns, wie stabil der Ausbildungs- und Arbeitsmarkt im Freistaat Sachsen ist – trotz der aus meiner Sicht immer noch zu vielen Kinder und Jugendlichen, die ihre Chance auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt nicht wahrnehmen.
(Patrick Schreiber, CDU, ordnet sein Redemanuskript. – Heiterkeit der Abg. Dr. Eva-Maria Stange, SPD)
Ja, das passiert manchmal, Frau Stange. So wie Sie manchmal einfach zum falschen Antrag hier vorn sprechen, kann auch einmal ein Blatt Papier verrutschen.
Also immer vorsichtig mit dem Lächeln; ich dachte, wir hätten das letzte Woche geklärt. – Mit der Stärkung der dualen Ausbildung und einer guten Ausbildung im Bereich unserer Oberschulen schaffen wir die Voraussetzungen für gute Perspektiven am sächsischen Arbeitsmarkt und sichern damit Anreize, Ausbildung und Berufsabschlüsse anzustreben.
Dazu noch ein Wort. Frau Klepsch, Sie haben auch die Frage gestellt, was denn der Freistaat tut. Nun kann man sich darüber streiten, ob Oberschule das richtige Wort ist für das, was an den ehemaligen Mittelschulen stattfindet. Fakt ist eines: Wir haben immer gesagt, Oberschule heißt für uns nicht nur, nach oben zu schauen – das heißt, den leistungsstarken Oberschülern Chancen zu geben, ohne weitere Hürden aufs Gymnasium zu wechseln –, sondern Oberschule heißt für uns auch, die Kinder und Jugendlichen mitzunehmen, die sich eher im leistungsschwachen Bereich befinden. Dafür soll es ebenso Angebote geben. Wenn sie noch unzureichend sind, dann ist das auch eine Frage des Ausbaus des Ganzen.
Wir sind uns, denke ich, darüber einig, dass die Oberschulen keine „Restschulen“ sind, wie es einst deklariert worden ist, sondern dass die Oberschulen eine zentrale Säule unseres Bildungssystems darstellen und dass wir alle schwachen Schüler an der Oberschule dahin gehend mitnehmen wollen, dass sie ebensolche Chancen auf dem Ausbildungsmarkt haben.
Lassen Sie mich einen weiteren positiven Aspekt aus der Antwort auf die Große Anfrage aufgreifen, nämlich die Entwicklung der zur Verfügung stehenden Plätze in den sächsischen Kindertageseinrichtungen. Gegenüber 2007 hat sich die Zahl der Plätze um fast 50 000 – und damit um mehr als 16 % – erhöht. Somit konnte besonders in der wichtigen frühkindlichen Phase die Betreuungsqualität erhöht und der Einstieg in die schulische Bildung verbessert werden. Dieses Ergebnis ist auch auf die Bemühungen der kommunalen Ebene zurückzuführen, bei welcher ich mich an dieser Stelle als Schulträger – und damit zuständig für die Kitaplatzversorgung – bedanken möchte. Das Miteinander von Kommunen, Landkreisen und dem Freistaat ermöglicht den gezielten und nachhaltigen Ausbau unserer Bildungsinfrastruktur und die Sicherung des hohen Niveaus der Betreuung und schulischen Bildung.
Ich möchte jedoch – Frau Klepsch hat es ebenfalls getan – ein Problem ansprechen, das mir im Rahmen der Analyse der Antwort auf die Große Anfrage Sorge bereitet und um dessen Prüfung ich Frau Staatsministerin Kurth im Zuge der weiteren Umsetzung unseres Aktions- und Maßnahmenplanes zur Inklusion im sächsischen Bildungssystem bitte.
Gegenüber dem Schuljahr 2002/2003 hat sich die Zahl der Schulanfänger an allgemeinbildenden Förderschulen gemäß Anlage 26 der Großen Anfrage zum Schuljahr 2007/2008 mehr als verdoppelt und ist leider auch zum Schuljahr 2012/2013 nur unwesentlich gesunken. Diesem Trend gilt es entgegenzuwirken, dessen Ursachen zu analysieren und Maßnahmen zur Verbesserung zu ergreifen.
Ich sage es ganz deutlich, und das ist nicht nur eine Floskel, wie wir sie schon sehr oft und immer wieder formuliert haben: Wir sind uns einig, dass immer noch viel zu viele Kinder sofort in eine Förderschule eingeschult werden. Damit werden ihnen leider bestimmte Bildungschancen verwehrt. Sie werden ihnen nicht aktiv verwehrt, sondern dies ist eine Folge aus dem Förderschulbildungsgang. Aus meiner Sicht muss hier nicht nur die Politik, sondern vor allem müssen die Lehrerverbände und Gewerkschaften mitziehen.
Ich denke, dass das eine oder andere Kind auf eine Förderschule geschickt wird, weil – das sage ich sehr deutlich – mittlerweile ein großes Unvermögen unter dem Lehrpersonal an den Schulen um sich greift, mit bestimmten Kindern heute noch fertig zu werden. Nun weiß ich auch, dass sich die Zeit weiterentwickelt hat. Ich sage immer ketzerisch: Der Klassenkasper aus meiner Zeit landet heute auf einer Förderschule. Zu meiner Zeit wäre dieses Kind immer noch an einer Regelschule unterrichtet worden. Es wäre für den Lehrer an der einen oder anderen Stelle wohl etwas schwieriger gewesen. Allerdings – das weiß ich auch – sind die Problemlagen heute wahrscheinlich ganz andere, als sie es früher gewesen sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Grundsätzlich zeichnet die Antwort auf die Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE ein positives Bild der Chancengerechtigkeit des sächsischen Bildungssystems, wie gesagt, immer unter der Maßgabe: Nichts ist gut genug, um es nicht noch besser zu machen.
Dies ist auch und nicht zuletzt – ich denke, das ist ein sehr wichtiger Punkt – auf die Stabilität und Kontinuität in der Struktur unserer Schularten und die Weiterentwicklung unserer Bildungsabschlüsse zurückzuführen. Hier, meine Damen und Herren, sollten wir auch zukünftig, Frau Dr. Stange, keine Experimente auf dem Rücken der Kinder und Jugendlichen in unseren Einrichtungen zulassen.
Sachsen macht grundsätzlich gute Bildung für jeden möglich. Das zeigen die Ergebnisse der Antwort auf die Große Anfrage und die Ergebnisse nationaler und internationaler Studien.
Zum Schluss, Frau Klepsch, noch ein Wort zum Mindestlohn, den Sie angesprochen haben: Ich sage Ihnen einmal ganz deutlich, was die Folge Ihres gesetzlich verordneten flächendeckenden Mindestlohnes ist – da sind Sie noch weiter als die Kollegen von der SPD mit 8,50 Euro, Sie fordern mehr als 10 Euro –: Die Folge ist, dass sich Ihre soziale Spirale immer weiter drehen wird und dass irgendwann, nachdem dieser Mindestlohn eingeführt
worden ist, wieder die Schicht der Hartz-IV-Empfänger kommen wird, und an dieser Stelle müssen wir über Mehrausgaben im Hartz-IV-Bereich reden. Sie machen es den Menschen, die zumeist unverschuldet in Arbeitslosigkeit gekommen sind, doch immer attraktiver, in diesem Zustand zu verweilen. Ob das dazu führt, dass mehr Kinder einen höheren Bildungsabschluss erlangen, wage ich ganz stark zu bezweifeln.
Ein letzter Satz: Nur weil ein Kind einen guten bzw. sehr guten Oberschulabschluss macht und damit ein potenzieller Kandidat für eine Meisterausbildung ist, heißt das noch lange nicht, dass bei ihm zu Hause finanziell irgendetwas schiefgegangen ist.
Erstens: Ich möchte feststellen, dass das Stellen einer Großen Anfrage ein parlamentarisches Recht der Abgeordneten ist, das wir uns nicht abstreiten lassen.
Zweitens, zum Thema Mindestlohn: Ich habe ausgeführt, dass der Mindestlohn für Eltern in Dienstleistungsberufen, die im Moment sehr niedrig entlohnt werden, die Chance wäre, weniger arbeiten zu müssen und mehr Zeit für ihre Kinder zu haben; das ist aber eine andere Debatte. Vielleicht verstehen Sie das nicht.
Drittens, die Oberschule: Dass das ein Etikettenschwindel ist, ist bekannt, das haben wir lange diskutiert. Der eigentliche bildungspolitische Punkt ist, dass man den Anteil derjenigen, die auf dem Hauptschulzweig sind, nicht vermeiden kann, indem man „Oberschule“ dranschreibt. Diejenigen, die im Hauptschulzweig sind und keinen Schulabschluss erhalten, sind trotzdem die Verlierer. Wie wir die Zahl dieser „Verlierer“ abbauen können und wie es gelingen kann, dass jeder Schüler an der Oberschule – auch im Hauptschulzweig – einen Schulabschluss erhält, ist die bildungspolitische Frage, die Sie beantworten müssen.
Ein letzter Punkt: Herr Schreiber, Sie haben einige Male verkündet, dass wir – wer auch immer „wir“ sein soll – jungen Menschen heute einreden, dass es nicht nötig sei, einen Schulabschluss zu erlangen. Ich kenne niemanden, der so etwas behauptet. Ganz im Gegenteil: Es wird an vielen Stellen deutlich signalisiert: Die Chancen auf ein Einkommen und einen gesicherten Arbeitsplatz steigen auf jeden Fall mit einem Schulabschluss und mit einer Berufsausbildung. Deshalb ist es wichtig, dass jeder Jugendliche erst einmal überhaupt einen Schulabschluss macht – auch, wenn er zum Beispiel an eine Förderschule
Frau Klepsch, bezüglich vieler Dinge unterscheiden wir uns in der Auffassung überhaupt nicht. Jedes Kind sollte einen Schulabschluss, einen Berufsabschluss oder einen Hochschulabschluss – oder was auch immer – haben.
Allerdings sage ich Ihnen ganz deutlich: Dass jeder erzählt, wie toll es sei, einen Bildungsabschluss haben, ist eine Theorie von Ihnen. Gehen Sie einmal an eine Oberschule – oder auch an eine Grundschule – und fragen Sie die Kinder, was sie später einmal werden wollen. Dann lautet die Antwort: Hartz IV. Den ganzen Tag nichts machen und trotzdem vom Staat Geld bekommen. Das bekommen Sie als Antwort. Das sind Antworten, die durch diese Gesellschaft gehen.
Wenn Sie nachmittags bzw. abends um 17 Uhr den Fernseher einschalten – ich lasse jetzt einmal die Öffentlich-Rechtlichen heraus, wobei es auch dort Seifenopern und Spaß gibt –, dann wird Ihnen ganz deutlich gespiegelt, wo wir in dieser Gesellschaft angekommen sind. Ich glaube nicht, dass es das zuvörderste Ziel eines jeden Kindes bzw. Jugendlichen sein sollte, einen Bildungsabschluss zu erzielen, der so hoch wie möglich ist. Da sind mittlerweile ganz andere Themen wichtig geworden.
Zum Thema Mindestlohn: Das verstehen Sie vielleicht nicht, weil Sie nur die Einnahmenseite sehen. Sie denken: Mindestlohn bedeutet, dass jeder Mensch, der arbeitet, auf einmal ganz viel Geld in der Tasche hat und sich ganz viel kaufen kann. Aber Mindestlohn, Frau Klepsch, heißt, dass wir im Preisniveau in Deutschland nach oben gehen werden und gerade im Dienstleistungsbereich, von dem Sie gesprochen haben, viele Menschen gar keine Arbeit mehr haben werden, gerade in Ostdeutschland. Ob das für die Mütter und Väter, von denen Sie gerade gesprochen haben, so gut ist, wage ich zu bezweifeln. Denn irgendwer in dieser Gesellschaft, Frau Klepsch, muss nämlich auch bereit sein, dann die hohen Preise für eine Dienstleistung zu bezahlen.
Die 86-jährige Omi, die jetzt alle vier Wochen zum Friseur geht, geht künftig alle sechs Wochen zum Friseur, und wenn der Friseur viele solcher Kunden hat, dann geht er irgendwann zum Arbeitsamt und entlässt einen seiner Mitarbeiter.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Stadt Dresden gibt es im Kindertagesstättenbereich ein Programm mit dem Titel „Aufwachsen in gesellschaftlicher Verantwortung“.
Dieses Programm ist aus einem Projekt in einem sozialen Brennpunktgebiet – Gorbitz – erwachsen. Die Stadt Dresden, der Jugendhilfeausschuss und der Stadtrat waren so klug, das Programm aus dem Projektstatus in den Programmstatus zu heben, um damit zum Beispiel auch dem Stadtteil Prohlis oder anderen Stadtteilen, in denen sich Kindertagesstätten mit Kindern befinden, die in sozial prekären Verhältnissen aufwachsen, die Möglichkeit zu geben, eine gute Startchance im Kitabereich zu erhalten. Ich finde, das ist eine sehr kluge Entscheidung. Überall, wo ich die Gelegenheit habe, kann ich darüber berichten, wie toll dieses Programm funktioniert und wie strukturiert es aufgebaut ist.