Protocol of the Session on October 17, 2013

Natürlich muss man jetzt die syrischen Flüchtlinge auch anders behandeln als Menschen, die aus anderen Gründen über das Mittelmeer versuchen nach Europa zu kommen. Aus diesem Grunde hat sich ja auch die Bundesrepublik Deutschland dazu entschlossen, dieses Sonderkontingent von 5 000 Flüchtlingen aufzunehmen. Ob das ausreichend

ist, ob Deutschland mehr verträgt oder ob es zu viele sind, darüber kann man an anderer Stelle diskutieren. Nach meiner Meinung sind die 5 000 lächerlich gering. Keine Frage. Aber jetzt alles nur an den syrischen Flüchtlingen herabzudiskutieren und so zu tun, als täte die Bundesrepublik Deutschland nicht genug, als hätten wir eine verfehlte Asyl- und Flüchtlingspolitik, das kann man sich, liebe Frau Hermenau, nicht so leicht machen.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Die Reaktion auf die Kurzintervention?

Ja, sehen Sie, ich bin mit solchen Problemen bereits seit über 20 Jahren politisch befasst.

Ein Land wie der Jemen, das zu den zehn ärmsten Ländern der Welt gehört, nimmt pro Jahr mehr als 50 000 Menschen aus Somalia auf. Und der Jemen hat selbst nichts zu beißen, wenn man das so freundlich sagen darf. Wir nehmen 5 000 Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien auf und klopfen uns dafür auf die Schulter, ein 80-MillionenVolk. Das steht in keinem Verhältnis zueinander.

Der Punkt, auf den ich hinaus will, ist folgender:

Wir haben in den letzten Jahrzehnten – da rechne ich jetzt einmal gesamtdeutsch – sicherlich mehr Laisser-faire als wirkliche Toleranz betrieben, was die Frage von Integration betraf. Ich habe früher immer kritisiert, dass ich die Integrationspolitik der Neunzigerjahre als verfehlt betrachtet habe – aus dieser Angst heraus, dass es vielleicht zu Zuständen kommen könnte, die einige westdeutsche Großstädte echt haben und die sie jetzt mit viel Kraft, Geld und Einsatz lösen müssen. Aus dieser Angst heraus hat sich hier in unserem Bundesland eine geistige Haltung verfestigt, die ich auch bei Ihnen herausgehört habe, von der ich glaube, dass sie uns auf Dauer schaden wird, dass sie unsere Zukunft behindert. Es ist eine Mär, dass nur Leute Flüchtlinge sind, die hier in die Sozialsysteme einwandern und die nicht in der Lage sind, Beiträge in der Gesellschaft zu leisten. Auch wenn es nur die Kinder der Flüchtlinge sind, Sie hätten diesen einen Satz nicht bringen dürfen. Es war ein Zitat, ich habe es extra mitgeschrieben.

(Beifall bei den GRÜNEN, den LINKEN und der SPD)

Wir gehen in der zweiten Rednerrunde voran. Das Wort ergreift jetzt für die CDU-Fraktion Herr Kollege Hartmann.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich glaube, es ist ja auch das Schöne, dass man in Aktuellen Debatten auf den Vorredner eingehen kann – um an das anzuknüpfen, was Frau Hermenau jetzt gesagt hat.

Es ist natürlich richtig, dass das, was wir heute unter Deutschland verstehen, seine Strukturen 200 bis 500 n.

Chr. im Ergebnis einer Völkerwanderung und der damit verbundenen Kriege erlebt hat. Das ist in der Tat so. Dann hat sich eine Stammesstruktur entwickelt und 936 kam es durch kriegerische Auseinandersetzung zur Bildung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation mit unterschiedlichen Strukturen – Böhmen gehörte damals dazu –, und über viele Jahrhunderte entwickelten sich souveräne Fürstentümer, Königreiche bis hin zur tatsächlichen Reichsgründung im Jahre 1871. Diese Zeit ist natürlich geprägt auch durch Zuwanderung aus den einzelnen Staaten. Wo wäre heute Sachsen ohne italienische Künstler oder Zuwanderung aus Ungarn und Polen, wo wäre Preußen in seiner Entwicklung ohne die Hugenotten, ohne Zuwanderung aus dem slawischen Raum? Insoweit gehören auch immer zur Betrachtung deutscher Stämme, deutscher Völker, deutscher Staaten eine Zuwanderung und eine Integration.

Eine leichte Korrektur erlaube ich mir dann doch noch. Das Beispiel Amerika ist da nur bedingt geeignet. Wir reden zu dem Zeitpunkt über Kolonien der Briten, wo in der Tat – die Gründe sind richtig – Menschen hingegangen sind, die ihrerseits dann Völker vertrieben haben, was dann den Höhepunkt auch in den Sechzigerjahren des 19. Jahrhunderts in Amerika gefunden hat. Die Amerikaner sind heute weiß Gott nicht gerade ein Beispiel für Zuwanderungspolitik. Insoweit möchte ich eine leichte Korrektur anbringen.

Richtig bleibt aber auch, es gibt keine sächsische Lösung in der Frage einer gesamteuropäischen Verantwortung. Darüber müssen wir reden. Wir reden über gesamteuropäische Verantwortung von 28 Mitgliedsstaaten und nicht, wie ich vorhin ausgeführt habe, dass fünf Mitgliedsstaaten 70 % dieser Verantwortung tragen. Wir müssen eine gesamteuropäische Lösung der Flüchtlings- und Asylpolitik finden und über eine gesamteuropäische Lösung mit den entsprechenden Rahmenbedingungen reden.

Es ist eben auch nicht richtig zu sagen – davon habe ich auch nicht gesprochen –, das Boot ist voll, und auch nicht davon zu sprechen – das haben andere hier gesagt –, dass 80 000 eine relative Größe sind.

Wir müssen die gesamten Rahmenbedingungen unserer Gesellschaft, die Gesamtverantwortung und die Folgebeziehung betrachten. Das heißt noch einmal, die Diskussion ist nicht schwarz oder weiß. Wir brauchen eine vernünftige Asyl- und Zuwanderungspolitik für die Menschen, die aus humanitären Gründen aus den Flüchtlingsregionen zu uns kommen. Das muss man akzeptieren und die Rahmenbedingungen dafür schaffen.

Auf der anderen Seite steht insbesondere die Frage: Was kann ich an Zuwanderung in unserem Sozialsystem verantworten und wie bekomme ich das hin, ohne dass sich bei mir die Struktur verändert?

Da ist auch der erste Blick nach außen gerichtet: Was kann ich tun, um genau in diesen Ländern, unter diesen Rahmenbedingungen zu arbeiten? Und auch das ist keine deutsche oder sächsische Aufgabe, sondern eine gesamteuropäische. Kurzum, und das ist der Duktus oder das

Thema dieser Aktuellen Stunde, er stellt sich die Frage: Welche Verantwortung kann Sachsen mit einer neuen Flüchtlings- und Asylpolitik übernehmen? Ich sage noch einmal deutlich: Wir in Sachsen – auch die Sächsische Staatsregierung – halten uns an den Kontext der derzeitigen europäischen und deutschen Asylzuwanderungs- und Flüchtlingspolitik und nehmen unsere Verantwortung wahr. Über Stellschrauben diskutieren wir, und die Veränderungsprozesse der letzten drei bis vier Jahre kann keiner wegdiskutieren. Hier hat es Veränderungen in einem fairen Dialog und ein verantwortungsvolles Handeln der Staatsregierung gegeben.

Insoweit werden wir diesen Prozess auch weiter begleiten und uns die Fragen stellen: Wie gehen wir mit Erstaufnahmeeinrichtungen um, wie ist der Ablauf von Asylverfahren und wie können wir sie in den kreisfreien Städten oder Landkreisen vernünftig unterbringen unter Berücksichtigung beider Aspekte? Es geht um die Menschen, die hier leben, um die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und die Menschen, die hier Zuflucht und vielleicht auch Heimat suchen. Das muss man klar trennen und beantworten.

Ich bin dem Sächsischen Staatsminister des Innern sehr dankbar für seine Impulse. Wer hierher kommt und die Möglichkeit hat, sich am deutschen Arbeitsleben zu beteiligen, soll auch die Möglichkeiten dazu haben. Wir reden nicht umsonst über Fachkräftemangel. Wir sollten aber nicht alles in einen Topf werfen, umrühren und sagen: Ihr seid gut oder böse, nehmt oder lasst es sein, je nachdem ordne ich euch ein.

Ich bitte also um eine sachliche, faire und differenzierte Debatte. Im Ziel – denke ich – sind sich die demokratischen Fraktionen dieses Hauses durchaus einig.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU – Zurufe von der NPD)

Eine Kurzintervention am Mikrofon 2? – Bitte.

Ja. Vielen Dank. Der Vorredner hat die Frage der Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme thematisiert. Ich nehme darauf gern Bezug.

Es gibt interessante Studien zum Land Israel, welches in den letzten 20 Jahren innerhalb von zwei Dekaden einen sehr hohen Bevölkerungsanteil neu integriert hat, und zwar die Russen. Diese Integration aus Russland hat viele Gefühle ausgelöst. Noch vor vier oder fünf Jahren war es in der israelischen Bevölkerung bei ungefähr der Hälfte der Alteingesessenen, die vor 1989 da waren, unumstritten, dass die neuen Israelis ihnen in den Sozialsystemen Konkurrenz machen und ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. Fünf Jahre später, nach gelungener Integration – das waren größere Massen als wir uns das hier in Sachsen vorstellen können –, ist es so weit, dass nur noch ein Viertel der Bevölkerung dieser Auffassung ist.

Das heißt: Gelungene Integration senkt Ängste. Jetzt zitiere ich einmal aus den Studien: „Die Einwanderung

hat das soziale Gefüge der Städte in Israel auch gerettet, hat ihren Niedergang aufgehalten und sie zu gesuchten Wohngegenden gemacht.“ Das heißt: Da, wo der Niedergang aus eigener Kraft gar nicht mehr aufzuhalten war – ich rede jetzt einmal von sich entleerenden Dörfern und Landschaften in Sachsen –, gab es eine Möglichkeit, einen Neuanfang zu finden. Wer der Meinung ist, das müsse alles sofort passieren, der irrt sich. Die Kinder und Nachfahren von Flüchtlingen, aus denen dann Einwanderer und Verfassungspatrioten wurden, können Großes leisten.

Damit komme ich jetzt auf die USA zurück. Herbert Hoover, Präsident der Vereinigten Staaten und Nachfolger von Präsident Franklin Roosevelt, hatte deutsche Vorfahren. Dwight Eisenhower, ebenfalls Präsident der USA, hatte Vorfahren aus dem Saarland, und Henry Kissinger, Außenminister in den Sechziger- und Siebzigerjahren in den USA, war gebürtiger Deutscher.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Möchte der Vorredner, Kollege Hartmann, reagieren? – Keine Reaktion auf die Kurzintervention. Wir schreiten also weiter fort in unserer Rednerreihe. Das Wort ergreift jetzt für die Fraktion DIE LINKE erneut Frau Kollegin Klinger.

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! In meinem ersten Redebeitrag hatte ich ausgeführt, auf welchen Ebenen wir welchen Handlungsbedarf sehen. Für alle Ebenen, aber ganz besonders für den Raum, den wir in Sachsen gestalten, gilt, dass wir ganz entschieden dem Rassismus entgegentreten müssen, dass wir rassistische Taten, die leider an der Tagesordnung sind, benennen und bekämpfen müssen und sie nicht verharmlosen oder gar verschleiern dürfen. Wir brauchen auch keine rhetorische Wiederholung oder insgesamt eine Wiederholung der Zustände von vor 20 Jahren, wir brauchen keine zynische Argumentation, dass nur eine Verschlechterung der Lebensbedingungen der hier ankommenden Flüchtlinge weitere Flüchtlinge abschreckt, dass auch die Verschlechterung der Lebensbedingungen, wie das Anfang der Neunzigerjahre vorgenommen worden ist, die rassistische Stimmungsmache innerhalb der Bevölkerung, die damals sogar zu Pogromen geführt hat, dann ein Ende setzt.

Um dem Rassismus konsequent entgegenzutreten, ist es wichtig, dass wir als Land Sachsen die Arbeit der Opferberatungsstelle des RAA und auch der mobilen Beratungsteams sicherstellen.

(Zurufe von der NPD)

Das ist eine Debatte, die zwischen den Ministerien hin- und hergeschoben wird. Die Finanzierung im nächsten Jahr ist unklar. Auch das gehört für uns mit dazu.

(Beifall bei den LINKEN)

Es wurde auch schon wieder von Willkommenskultur geredet. Das ist auch ein Lieblingsschlagwort des Innen

ministers. Ja, wir brauchen diese Willkommenskultur, das ist gar keine Frage, aber wir brauchen sie nicht nur für Menschen mit mehr als 40 000 oder 60 000 Euro im Jahr, sondern wir brauchen sie für alle, die hier leben. Wer willkommen ist, muss nicht in Lager gesperrt werden, der muss nicht entmündigt werden.

(Andreas Storr, NPD: Die Linkspartei kann ja ihre Büros öffnen!)

Wir brauchen diesen „Nützlichkeitsrassismus“, wie er leider auch immer wieder von der Staatsregierung vorgetragen wird, nicht, wir brauchen keine Einteilung in gute und schlechte Menschen, wir brauchen keine Einteilung in nützliche und unnütze Menschen. Darin liegt eine große Verantwortung bei der Staatsregierung, beim Innenminister, aber auch bei uns allen.

Wie reden wir über Menschen, die zu uns kommen? Wird zum Beispiel wieder von Wirtschaftsflüchtlingen gesprochen, wie das Herr Hartmann soeben in der Debatte getan hat? Ich kann nur sagen: Es liegen inzwischen mindestens zwei Studien vor. Eine ist von der EU-Kommission, Sozialkommissar Andor, in Auftrag gegeben worden, der eine Zuwanderung in das deutsche Wirtschaftssystem nicht belegt. Darüber können Sie sich gern noch einmal kundig machen. Diese Argumentation ist Gift für die Gesellschaft, ist Wasser auf die Mühlen von Rassisten und sorgt für eine weitere Entsolidarisierung innerhalb der EU. Das können wir nicht zulassen. Deshalb sagen wir ganz klar: Solidarität statt Rassismus ist unsere Devise auch in der Flüchtlingspolitik.

(Beifall bei den LINKEN)

Frau Klinger sprach für die Fraktion DIE LINKE. Als Nächstes könnte die SPDFraktion das Wort ergreifen, denn ein bisschen Redezeit ist noch vorhanden. – Es besteht kein Redebedarf. FDP? – Das kann ich auch nicht erkennen. Damit hat die NPDFraktion das Wort. Bitte, Herr Schimmer.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich erlaube mir noch einmal, in dieser Debatte das Wort zu ergreifen, da wir noch relativ viel Redezeit haben.

Ich möchte an die Ausführungen der Kollegin Friedel anknüpfen, die gesagt hat, man darf gar nicht nach den Gründen der Zuwanderung fragen, nach den Gründen für die zunehmende Zahl von Asylbewerbern. Man dürfe also gar nicht analysieren, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Genau das möchte ich aber jetzt einmal machen, nämlich die Situation analysieren.

Warum haben wir zum ersten Mal seit 1995 wahrscheinlich wieder mehr als 100 000 Asylbewerber? Das liegt doch ganz einfach am gesamten Zusammenbruch des Asylkompromisses des Jahres 1992 und des Vertrages von Dublin. Dieser Vertrag von Dublin hat vorgesehen: Wo ein Asylant zuerst den Boden betritt, dort muss er seinen Asylantrag stellen und dort muss er dann vorerst auch bleiben, bis über diesen Antrag entschieden ist. Damals

wurde auch entschieden, dass jeder Asylant, der über ein sicheres Drittland einreist, genau in diesem Drittland auch seinen Asylantrag stellen muss. Genau das passiert ja mittlerweile überhaupt nicht mehr.

Wenn wir gerade von europäischer Solidarität sprechen, dann wird diese europäische Solidarität zulasten Deutschlands massiv verletzt. Sehen wir uns doch die gesamte explosive Zunahme von tschetschenischen Armutszuwanderern an. Diese kommen alle über Polen und werden dann einfach in Deutschland aufgenommen und können hier bleiben, weil man sagt, es sei unzumutbar, ganze Familien wieder zurückzuschicken. Wenn man die Leute dann eigentlich nach Polen zurückschicken will, fehlt immer irgendein Familienmitglied. Deshalb haben wir jetzt das Problem.

Wir haben auch das Problem, das die ethnischen und religiösen Konflikte der ganzen Welt mittlerweile auf unserem Boden ausgetragen werden und wir uns dagegen gar nicht mehr wehren können. Beispielsweise haben deutsche Sicherheitsbehörden festgestellt, dass die Terrorgruppe „Kaukasisches Emirat“ mittlerweile über tschetschenische Asylbewerber massiv nach Deutschland eingesickert ist, hier Strukturen schafft, schon Geld sammelt und möglicherweise bald schwere Terroranschläge begeht. Es gibt tschetschenische Intensivtäter, die einreisen. Wann wollen wir diesen Wahnsinn stoppen?