Protocol of the Session on October 17, 2013

Was können wir in Sachsen konkret tun? Wir gestalten hier, in den Kommunen, im Land die konkreten Bedingungen für die Unterbringung und Versorgung von geflüchteten Menschen. Aber wir haben immer noch eine Residenzpflicht als eines der letzten Bundesländer, zusammen mit Brandenburg. Wir haben immer noch eine zentrale Unterbringung in Heimen – das ist von der

Kollegin Herrmann auch schon angesprochen worden –, wo die Landeszuständigkeit für die Erstaufnahmeeinrichtung da ist.

Wir dürfen als Land auch die Kommunen nicht alleine lassen. Es wird immer mehr damit begonnen, jetzt doch dezentral in eigenständigen Wohnungen unterzubringen. Wir sehen, dass es von Erfolg gekennzeichnet ist. Es reduziert tatsächlich Kosten bzw. es muss nicht teurer sein als eine Unterbringung in den sogenannten Gemeinschaftsunterkünften, und es führt zu einer größeren Akzeptanz in der Mehrheitsbevölkerung. Es führt dazu, dass Menschen die Möglichkeit haben, aufeinander zuzugehen, sich kennenzulernen.

Wir müssen auf der nationalen Ebene agieren, indem wir die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Wir haben auch immer noch ein Asylbewerberleistungsgesetz, das zur Abschreckung geschaffen worden ist, aber wir müssen anerkennen: Diese Politik der Abschreckung hat nicht funktioniert, die Menschen kommen trotzdem hierher. Wir brauchen endlich Sprachkurse für alle von Anfang an, nicht nur für Menschen mit einem Aufenthaltstitel, der ihnen hier eine Perspektive gewährt, sondern die Realität ist die, dass Menschen sich lange im Asylverfahren hier befinden. Auch sie müssen von Anfang an die Möglichkeit haben, Deutsch zu lernen. Wir brauchen eine Bleibeperspektive für die Menschen. Wir brauchen einen Zugang zum Arbeitsmarkt und wir müssen Möglichkeiten der Teilhabe und Begegnung schaffen.

Vorurteile abbauen, heißt die Devise. Spätestens seit der Heitmeyer-Studie „Deutsche Zustände“ wissen wir, dass selbst Menschen, die Ängste haben oder vielleicht auch fremdenfeindlich eingestellt sind, davon ihren Nachbarn ausschließen; dass sie sagen: Mit einer bestimmten Gruppe von Menschen komme ich nicht so klar, aber meinen Nachbarn – der vielleicht zu dieser Gruppe von Menschen dazugehört – nehme ich davon aus. So werden nämlich Ängste und Vorurteile abgebaut und nur so kann ein Zusammenleben gelingen.

Wir müssen auf der europäischen Ebene diese Abschottung beenden – auch die ist gescheitert. Die Flüchtlinge bekommen kein Visum für eine geregelte Einreise; sie können einen Asylantrag aber nur auf europäischem Boden stellen. Die Menschen müssen sich daher diesen Schleusern aussetzen, die ihnen noch das Geld abknöpfen und die sie diesen gefährlichen Weg über das Mittelmeer fahren lassen, weil es keinen anderen legalen Einreiseweg gibt.

Die Redezeit geht zu Ende.

Danke. – Asyl ist ein Menschenrecht. Dazu müssen wir uns bekennen. Wir müssen Antragstellungen möglich machen. Wir sind dafür, Frontex als militärische Einheit zur Flüchtlingsbekämpfung abzuschaffen, und wir brauchen natürlich eine Solidarität innerhalb von Europa und dürfen Staaten wie Italien oder Griechenland, die überfordert sind, nicht

alleinlassen, sondern müssen uns solidarisch mit ihnen zeigen. – Mehr in der zweiten Runde.

(Beifall bei den LINKEN, den GRÜNEN und des Abg. Henning Homann, SPD)

Das war Frau Klinger für die Fraktion DIE LINKE. Jetzt hat Herr Gansel die Gelegenheit zu einer Kurzintervention.

Sehr geehrter Herr Präsident! Ich möchte in der Tat die Gelegenheit zu einer Kurzintervention nutzen und für die NPD den Zynismus zurückweisen, mit dem Frau Klinger hier die Toten vor Lampedusa für ihre wirren ausländerpolitischen Ziele missbraucht.

Ich möchte aus unserer Sicht noch einmal klarstellen, dass weder die Völker Europas noch die Europaparlamentarier, noch die Innenminister der Europäischen Union und auch nicht Bundesinnenminister Friedrich verantwortlich sind für die Toten vor Lampedusa; sondern wenn es Verantwortliche gibt, sind das erst einmal die Schleuser und die kriminellen Banden, die in Nordafrika den Menschenschmuggel organisieren.

Eine weitere moralische Mitschuld liegt bei den LINKEN in diesem Land, die mit Sirenengesängen und absurden Wohlstandsverheißungen die Afrikaner erst in die Boote der Schlepper und Schleuser locken.

(Zuruf der Abg. Eva Jähnigen, GRÜNE)

Das Weltsozialamt Deutschland lädt alle ein; alle Migrationswilligen dieses Globus sind willkommen! Diese Botschaft kommt in Afrika und in Asien an und deswegen setzen sich die Menschen in Bewegung.

(Andreas Storr, NPD: Die Menschen sind nicht die Verursacher!)

Wenn diese Migrationswilligen dann im Mittelmeer ertrinken, tragen diese ganzen linken Einwanderungsbefürworter mindestens die gleiche Schuld an den Toten wie die Schlepper und Schleuser selbst!

(Beifall bei der NPD – Andreas Storr, NPD: Die Ausländerlobby steht auf der gleichen Stufe wie die Schlepper und Schleuser!)

Möchten Sie auf diese Kurzintervention reagieren? – Das ist nicht der Fall. Daher fahren wir in unserer Rednerreihe fort und Frau Friedel ergreift jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.

Vielen Dank, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Viele von Ihnen – wie auch ich – waren sicher schon einmal am Mittelmeer. Ich habe dort schön gebadet und finde die Vorstellung, dass dort Menschen ertrinken, sehr beklemmend. Die Vorstellung, dass sie ertrinken und dass nichts passiert, dass sich nichts ändert, ist noch viel bedrückender. Das kann nicht sein; deswegen ist es richtig, heute hier diese Aktuelle Debatte zu führen.

Um auf das einzugehen, was Herr Gansel zum Schluss sagte: Ich verstehe den menschlichen Zivilisationsprozess so, dass Menschen einander helfen – egal, wer daran schuld ist, dass es jemandem schlechtgeht.

(Zuruf des Abg. Miro Jennerjahn, GRÜNE)

Ich diskutiere doch nicht darüber, warum die Leute dort ertrinken, und sage nicht, es ist jemand anderes daran schuld und ich lasse sie deshalb ertrinken, statt sie herauszuholen.

(Jürgen Gansel, NPD: Wer lockt sie denn an?!)

Was ist denn das für ein Verständnis von Menschlichkeit und Zivilisation?!

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Weil die Zahlen angesprochen worden sind – Herr Hartmann hat es vorhin gesagt –: Deutschland hat im letzten Jahr 80 000 Flüchtlinge aufgenommen. Wie viele sind wir in Deutschland: 80 Millionen – damit man das einmal in einen Zusammenhang bringt; das ist ein Tausendstel.

(Jürgen Gansel, NPD: 16 Millionen mit Migrationshintergrund!)

Wenn Sie sich einen Litermaßbecher voller Wasser vorstellen und dann mit der Pipette einen Tropfen dazugeben, oder ein Metermaßband und dann einen Millimeter dazu – so viel ist das. Wer da sagt, wir gehen unter, das Boot ist voll oder Ähnliches, der hat einfach keine Vorstellung von Räumlichkeit und von Zahlen; das tut mir leid.

(Antje Hermenau, GRÜNE: Das ist wahr!)

Es ist viel Richtiges gesagt worden. Wir müssen die Fluchtursachen bekämpfen, wir müssen aber auch etwas in unserem eigenen Land ändern, damit vor Europas Grenzen nicht mehr Hunderte sterben müssen und damit wir besser helfen können.

Wovor haben wir denn Angst, wenn Asylbewerber ins Land kommen? Wir haben Angst vor Einwanderung in die Sozialsysteme. Das macht die Politik selbst, indem sie den Menschen verbietet zu arbeiten. Also müssen wir den Zugang zum Arbeitsmarkt öffnen. Das ist – das hat mittlerweile sogar unser Innenminister gesagt – eine vernünftige Position.

Wovor haben wir, zweitens, Angst, wenn sie arbeiten – sage ich jetzt einmal so platt –? Dass sie dann für weniger Geld arbeiten als die Deutschen und hier eine Billiglohnindustrie aufmachen. Das haben wir selbst in der Hand: Einführung gesetzlicher Mindestlohn, und sofort ist dieses Thema erledigt.

Drittens, was bleibt dann noch an Angst? Es bleibt nur die Angst vor dem Fremden, und diese Angst allein ist zu klein und zu irrational, als dass man dafür in Kauf nehmen könnte, dass Menschen sterben. Ich fühle mich unsicher gegenüber Fremden – aber ich kann sie doch nicht sterben lassen. Es wäre wirklich ein Armutszeugnis

für Europa, wenn Europa so handelte; wenn es weiter zuließe, dass diese Tragödien stattfinden; wenn nichts passieren würde. Das ist nicht nur unterlassene Hilfeleistung – das ist Unmenschlichkeit; ich kann es nicht anders ausdrücken.

Es kursiert seit einigen Tagen ein Spruch, der da lautet: Wir leben auf Kosten der Dritten Welt und sind jetzt verwundert, wenn das Elend anklopft. Ich glaube, da ist viel Wahres dran.

(Andreas Storr, NPD: Genau wissen Sie es aber auch nicht!)

Wir können es uns auf Dauer nicht leisten, diesen Wohlstand und Lebensstandard hier zu haben, aber die Augen zuzumachen vor allem, worauf dieser Wohlstand basiert, und nicht teilen zu wollen.

Deswegen ist es auch eine ökonomisch vernünftige, eine rational sehr schnell durch kleine Maßnahmen zu behebende und nicht zuletzt eine menschliche Frage, dass Europa und dass Deutschland diesen Menschen, die in Not geraten sind, hilft.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Auf Frau Friedel, die für die SPD-Fraktion das Wort hatte, folgt Herr Karabinski für die FDP-Fraktion.

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die schrecklichen Flüchtlingsunglücke vor Lampedusa am 3. und am 11. Oktober dieses Jahres haben uns die Dramatik der Situation an den Grenzen Europas wieder deutlich vor Augen geführt. Ich möchte noch einmal ganz kurz aus der „Freien Presse“ vom 14. Oktober zitieren, damit wir verstehen, worum es hier auch geht.

Der Artikel hieß „Lampedusa – Der Albtraum geht weiter“: „Am Freitag kenterte erneut ein Flüchtlingsboot zwischen der italienischen Insel Lampedusa und Malta. Die Passagiere mussten hilflos mit ansehen, wie Bekannte, Freunde oder sogar die eigenen Kinder jämmerlich ertranken. Ein Ehepaar aus Syrien konnte seine wenige Monate alte Tochter retten, sein Sohn aber sei ertrunken, berichtete der Vater unter Tränen den Rettern: ‚Als das Boot kenterte, schnappte ich mir das kleine Mädchen und drückte es an meine Brust. Meine Frau war in der Nähe, mein Sohn aber war verschwunden. Wir sahen ihn später tot im Wasser treiben.‘ Ein anderes Ehepaar aus Syrien weiß nicht, was aus seinen drei Kindern geworden ist. Es hofft, dass sie von der italienischen Marine gerettet wurden. Sieben der nach Lampedusa gebrachten Leichen seien Kinder – wurde der Arzt Pietro Bartolo zitiert –, alle sehr jung, im Alter von sechs Monaten bis zu einem Jahr; ein unendliches Leid. Ähnlich tragisch ist die Geschichte der schwangeren Syrierin, die während der Überfahrt ihr Kind gebar und dann mit dem Neugeborenen ertrank.“

Meine Damen und Herren, diese Szenen spielen sich derzeit im Mittelmeer ab und es ist bedauerlich, was dort geschieht. Ich glaube, unser aller Mitgefühl gilt denen, die dieses Leid ertragen müssen.

Aber, meine Damen und Herren – auch das muss man deutlich sagen –: Wir können die Probleme Afrikas nicht in Sachsen lösen.

(Beifall des Abg. Torsten Herbst, FDP, und bei der NPD)

Die Probleme Afrikas, die dazu führen, dass diese Menschen über das Mittelmeer nach Europa zu kommen versuchen, müssen in Afrika gelöst werden. Sie müssen dort gelöst werden, es muss die dortige Wirtschaft gestärkt werden, es muss dort Freihandel mit den Nationen zugelassen werden, es muss die Korruption in den afrikanischen Staaten bekämpft werden.

Schauen wir beispielsweise nach Südostasien, wo die Menschen vor 20, 30 Jahren noch gehungert haben. Dort ist mittlerweile die Wirtschaft angekurbelt worden; dort funktioniert es. In Afrika, müssen wir sehen, tut sich noch nichts. Wir müssen unsere Bemühungen stärken, den afrikanischen Ländern auf die Beine zu helfen, und den Menschen dort eine Chance geben, auch dort zu leben, und dürfen sie eben nicht dazu treiben, über das Mittelmeer nach Europa zu kommen. Wir müssen den Menschen Perspektiven in ihren Heimatländern aufzeigen.

(Beifall bei der FDP und vereinzelt bei der CDU)