Ein abschließendes Wort: Es ist nicht auszuschließen, dass es, wenn wir uns die notwendige Zeit genommen hätten, diese im Raum stehenden Differenzen bei einem verfassungsändernden Gesetz in Ruhe auszudebattieren, gelungen wäre, auch einen noch größeren Teil unserer Fraktion dafür zu gewinnen, diesem Gesetz zuzustimmen. So bleiben Zweifel, und aufgrund dieser Zweifel wird sich ein Teil meiner Fraktion und werde auch ich mich persönlich bei der Abstimmung heute enthalten.
Das war Herr Bartl für die Fraktion DIE LINKE. – Ich sehe an Mikrofon 4 den Wunsch nach einer Kurzintervention. Bitte, Herr Kollege Biesok.
Herr Kollege Bartl, ich glaube, das kann man so, wie Sie das hier vorgetragen haben, nicht stehen lassen. Wir haben in der Arbeitsgruppe, die den Text erarbeitet hat, ausdrücklich darüber diskutiert, ob wir in den Regelungsgehalt des Artikels 85 aufnehmen, dass der Mehrbelastungsausgleich in seinen Auswirkungen dauerhaft aufrechterhalten bleibt. Das haben wir am 12. Oktober 2012 diskutiert.
Wir haben in dieser Arbeitsgruppe diese Textformulierung ausdrücklich aus dem Normtext herausgenommen. Damit war sie nicht mehr Gegenstand des Normtextes, den Sie mit Ihren Kollegen verhandelt haben und den Ihr Fraktionsvorsitzender unterschrieben hat.
Wir haben also weder getäuscht, noch haben wir eine abweichende Begründung in unseren Normtext aufgenommen. Das zu behaupten ist schlicht und einfach falsch. Das war Gegenstand der Verhandlungen, und wir haben es bewusst im Rahmen des von Ihnen beschriebenen Kompromissverfahrens anders entschieden.
Lassen Sie mich auch ganz deutlich sagen: Ihre Fraktion hat sich auf Weisung Ihrer Parteiführung in Berlin nicht an der Erarbeitung der Begründung beteiligt.
Sie haben versucht, über den Rechtsausschuss in die Begründung etwas anderes hineinzuinterpretieren, als im Normtext und in der Begründung steht. Sie haben versucht, durch die Zitierung von Minderheitsmeinungen in der verfassungsrechtlichen Literatur und durch nicht einschlägige Urteile anderer Landesverfassungsgerichte einen Regelungsinhalt zu interpretieren, der von uns als einbringenden Fraktionen nicht gemeint ist. Das finde ich unredlich.
Herr Kollege Bartl, lassen Sie mich noch eine Sache zur Verschuldung sagen. Als bekennender Neoliberaler – für mich ist das kein Schimpfwort – möchte ich Ihnen den Unterschied zwischen Schuldenaufnahme eines Unternehmens und Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand deutlich machen. Die Schuldenaufnahme der öffentlichen Hand ist nichts anderes als ein Vorgriff auf zukünftige Steuereinnahmen des Staates. Die Schuldenaufnahme eines Unternehmens erfolgt immer dann, wenn der Unternehmer der Meinung ist, durch die Aufnahme der Schulden zukünftig eine höhere Rendite zu erwirtschaften, die es ihm ermöglicht, die Schulden zu tilgen und die anfallenden Zinsen abzudecken. Nur dann ist eine Schuldentragfähigkeit gegeben. Dadurch, dass der Staat aber eine solche Überrendite durch die Aufnahme von Schulden nicht erreichen kann, –
Das war eine Kurzintervention von Herrn Kollegen Biesok. – Die Reaktion erfolgt jetzt durch Herrn Kollegen Bartl.
Erstens, Kollege Biesok, ich glaube, dass sich der Grundgesetzgeber seinerzeit sehr wohl überlegt hat, weshalb er die Möglichkeit der Nettokreditaufnahme in das Grundgesetz aufgenommen hat. Mithin hat er seinerzeit mitnichten daran gedacht, dass es Teufelszeug ist, dass der Staat eine Nettokreditaufnahme vornehmen kann, natürlich nicht, wie es dann meistens passiert ist, um daraus vor allem konsumtive Investitionen zu tätigen, sondern um vor allem Investitionen zu tätigen, die der Innovation, der Wirtschaftsentwicklung, der wirtschaftlichen Stabilität und damit letztlich auch der Gewinnschöpfung durch den Staat respektive für den Steuerzahler dienen und ihn entlasten. Es war keiner Landesregierung und auch nicht der Bundesregierung aufgegeben, einen solchen Schuldenberg anzuhäufen. Dass dieser Schuldenberg abgebaut werden muss, steht doch außer Streit.
Zweitens. Die Frage nach dem „dauerhaften“ Herausnehmen oder Nichtherausnehmen haben wir letztlich insofern unterschiedlich interpretiert, als wir gesagt haben: Eigentlich ist Artikel 85 Abs. 2 Satz 1 eindeutig, wenn dort steht, dass der Freistaat Sachsen bei allen überwiesenen Aufgaben – Satz 2 fügt hinzu, dass das für die freiwilligen und für die Pflichtaufgaben und für neue Standards gilt – die Mehrbelastung ausgleichen muss. Es ist vom Text her eigentlich klar, dass er eine Vollfinanzierung schuldet und eben keine Prognosefinanzierung.
Wenn sich dann aber der Vertreter des Staatsministeriums der Finanzen am vergangenen Mittwoch im Verfassungs- und Rechtsausschuss hinstellt und sagt, man mache die
Prognose und bei der Prognose bleibe es, ist das eine Abweichung von dem, was in der Arbeitsgruppe im Verständigungsprozess ausgelegt worden ist. Genau diese Problematik, dass es dabei auch in der Auslegung zwischen Kollegen Schiemann und Ihnen – –
Ich muss ab und an darauf hinweisen, dass sowohl für Kurzinterventionen als auch für Reaktionen die Redezeiten endlich sind. – Eine weitere Kurzintervention. Bitte, Herr Kollege Modschiedler.
Ich möchte als Vorsitzender des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses noch einmal auf den 5. Juni eingehen. Das, was Sie gesagt haben, Herr Bartl, ist nicht richtig. Wir haben uns als Obleute eine Dreiviertelstunde Zeit genommen, darüber zu diskutieren, ob wir die Sitzung stattfinden lassen und wie wir sie stattfinden lassen. Ich als Ausschussvorsitzender habe das alleinige Recht zu bestimmen, ob die Sitzung stattfindet. Ich habe es in Rücksprache mit allen demokratischen Fraktionen getan. Sie haben dem auch zugestimmt. In dieser Obleute-Besprechung und auch in der Sitzung ist kein entsprechender Antrag gestellt worden. Das ist das Erste.
Das Zweite ist, dass eine Sachverständige erklärt hat, dass sie an dieser Sitzung wegen Hochwassers nicht teilnehmen könne. Am darauffolgenden Tag hat sie eine Gewerkschaftsveranstaltung durchgeführt. Ich kann dafür nichts, es hatte aber ein komisches Geschmäckle. Wir haben das zur Kenntnis genommen. Das ist halt so.
Die anderen Sachverständigen sind gegen 14 Uhr losgefahren, weil sie alle noch etwas zu Hause zu tun hatten, denn sie kamen nicht von hier und mussten alle mit dem Zug heim. Sie hatten angenommen, dass die Sitzung um 14 Uhr zu Ende ist. Was das mit Hochwasser zu tun hat, weiß ich nicht. Ich möchte nur klarstellen, dass wir hier komplett im Konsens gearbeitet haben.
Jetzt kommt die Reaktion auf die Kurzintervention des Kollegen Modschiedler. Bitte schön, Herr Kollege Bartl.
Das ist für mich ein Nebenkriegsschauplatz und nicht maßgeblich für den Entscheid über die ganze Sache, aber es war trotzdem etwas anders. Tatsache ist, dass es diese Obleute-Beratung gab und dass wir unter dem Aspekt des Respekts vor den angereisten Sachverständigen, die teilweise trotz des Hochwassers schon am Tag davor ins
Hotel gekommen waren, entschieden haben, sie nicht wieder nach Hause zu schicken, sondern die Anhörung durchzuführen. Das war der Grund.
Das hat aber die Bauchschmerzen nicht beseitigt, die wir damit hatten, dass zum Beispiel der stellvertretende Vorsitzende des Verfassungs-, Rechts- und Europaausschusses eben nicht an der Anhörung teilnehmen konnte, weil er von der vom Elbehochwasser in der Sächsischen Schweiz betroffenen Seite nicht weg konnte, und dass eine Sachverständige definitiv erklärt hat, dass sowohl ihr Haus als auch die Geschäftsstelle im Leipziger Hochwassergebiet stehen.
Letztlich – das sage ich jetzt überhaupt nicht überhöht – habe ich es so verstanden, dass ein Teil der Sachverständigen auch wegen der besonderen Situation, beispielsweise der Abflugzeit des Flugzeugs, die Sitzung vorzeitig verlassen hat. Das ist aber nicht die Frage. Mein Problem habe ich vorhin noch einmal betont.
Wir hatten die Möglichkeit, Fragen an die Sachverständigen zu stellen, die frühzeitig abgereist sind oder abreisen mussten. Die Fragen sind beantwortet worden. Aber die Fragen sind so beantwortet worden, dass sie neue Probleme aufgeworfen haben, dass sie einen neuen Diskussionsgegenstand aufgemacht haben und dass darüber die Diskussion nicht geführt worden ist, dass dafür nicht die Zeit war, und zwar deshalb, weil heute hier die abschließende Entscheidung sein muss und – ich sage es einmal so: im Schweinsgalopp – dieses Eiltempo angelegt worden ist. Das beschwert uns. Das halten wir für unangemessen im Verhältnis zu dem Gegenstand, der heute hier zu erörtern ist.
Wir eröffnen jetzt die zweite Rednerrunde. Das Wort ergreift Herr Schimmer, der für die NPD-Fraktion spricht.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Als der Bundestag am 29. Mai 2009 die Aufnahme einer Schuldenbremse in das Grundgesetz beschloss, erschien dieser Schritt vielen Beobachtern zunächst wie ein Meilenstein in der Geschichte der deutschen Haushaltspolitik. Die damalige Euphorie hat sich allerdings rasch und gründlich wieder gelegt – dies auch aus gutem Grund.
Sowohl die Schuldenbremse im Grundgesetz als auch die Schuldenbremse, die jetzt in die sächsische Landesverfassung eingefügt werden soll, halten nicht das, was sie versprechen. Ähnlich wie die Schuldenbremse im Grundgesetz begrenzt auch die Schuldenbremse in der Landesverfassung, die jetzt eingefügt werden soll, zwar die Kreditaufnahme des Freistaates – was grundsätzlich zu begrüßen ist –, jedoch hat sie keine begrenzende Wirkung auf eine möglicherweise drohende Neuverschuldung aus Zahlungsverpflichtungen, die der Freistaat außerhalb seines Etats eingeht oder eingegangen ist.
Um konkret zu werden: Auch die hier vorliegende Regelung umfasst zwar rechtlich unselbstständige Sondervermögen, sie umfasst aber keine Beteiligung des Freistaates an privatwirtschaftlich organisierten Unternehmungen. Das Sachsen-LB-Debakel, die derzeit mit Abstand größte Belastung für den sächsischen Landeshaushalt, wäre also mit dieser Schuldenbremse nicht verhindert worden.
Noch ernüchternder, meine Damen und Herren, ist ein Blick auf die Erfahrungen des Bundes mit der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse. Ausgerechnet im Jahr 2010, im ersten Jahr nach der Einführung der Schuldenbremse, erlebte die Bundesrepublik den größten Verschuldungsschub ihrer Geschichte. Die Gesamtverschuldung der öffentlichen Haushalte explodierte um unfassbare 18 % auf fast 2 Billionen Euro. Allein die Übertragung von Risikopapieren der Hypo Real Estate in die FSM Wertmanagement sowie die Stutzungsmaßnahmen für die WestLB erhöhten den Schuldenstand zum Jahresende 2010 um den astronomischen Betrag von 232,2 Milliarden Euro.
Merke: Schuldenbremsen schützen nicht vor sogenannten Bankenrettungen, die den Steuerzahler im Zweifelsfall wesentlich mehr kosten als jeder keynesianisch inspirierte Ausgabenexzess der öffentlichen Hand, so wie schon jetzt – wenn man den Blick auf Sachsen richtet – der SachsenLB-Bankrott mehr kostet als die Ausgabenexplosion beim Leipziger City-Tunnel.
Auch in den Folgejahren wurde erneut deutlich, dass die Schuldenbremse ganz schnell zum Gaspedal umfunktioniert werden kann, wenn dies der politischen Klasse in Deutschland opportun erscheint. Auch vor offensichtlichen Rechtsbeugungen und Verstößen gegen das Grundgesetz schreckt man dabei nicht zurück.
Die nach Aussagen von CSU-Chef Horst Seehofer erfolgreichste Regierung der Nachkriegszeit hat nicht nur den schon erwähnten größten Verschuldungsschub in der bundesdeutschen Geschichte im Jahr 2010 zu verantworten, sondern sie hat es darüber hinaus geschafft, den permanenten Euro-Rettungsfonds ESM als ein für die gewählten deutschen Parlamente völlig unkontrollierbares Einfallstor für eine höhere Neuverschuldung zu installieren, wobei noch diverse bilaterale Rettungskredite für Griechenland, der deutsche Haftungsanteil an den Schrottpapieren der EZB sowie abzuschreibende
TARGET2-Salden in einen nach realistischen Kriterien berechneten Schuldenstand einbezogen werden müssten.
Mit all diesen Maßnahmen, meine Damen und Herren, wurde die Finanzordnung des Grundgesetzes, die auf der Annahme einer bundesstaatlichen Solidargemeinschaft zur gemeinsamen Daseinsvorsorge beruht, schlicht und einfach in Schutt und Asche gelegt – trotz des formalen Bestehens einer sogenannten Schuldenbremse im Grundgesetz. Diese Finanzordnung des Grundgesetzes wird immer dann durchbrochen, wenn der Bund zwischenstaatliche Verträge eingeht, die ihn in bestimmten Fällen in bundesstaatsähnlicher Weise zwingen, weit über seine Leistungsfähigkeit hinaus Zahlungen an Institutionen wie
den ESM zu leisten, die im bundesstaatlichen Finanzverbund der Bundesrepublik Deutschland nicht vorgesehen und mit diesem auch verfassungsrechtlich aus der Sicht der NPD nicht vereinbar sind.
Die NPD-Fraktion ist davon überzeugt, dass das Ausmaß der von Deutschland übernommenen finanziellen Verpflichtungen im Zusammenhang mit der sogenannten Eurorettung zu einem akuten Finanznotstand das Bundes führen wird, der später mit voller Härte auf alle Bundesländer, also auch auf den Freistaat Sachsen, durchschlagen wird. Schon der Umstand, dass es Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble möglich war, die deutschen Einzahlungen in das Grundkapital des permanenten Rettungsfonds ESM über eine Neuverschuldung zu finanzieren, die bei der Berechnung der nationalen Schuldenbremse dann aber einfach ausgeklammert wurde, zeigt, dass es in Deutschland eine funktionierende Schuldenbremse bislang gar nicht gibt – jedenfalls keine, die diesen Namen auch wirklich verdient hätte.