Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Schwerstkranke und sterbende Menschen werden in Deutschland in der Regel von ihrer Familie, ihnen Nahestehenden und einem unterstützendem sozialen Umfeld versorgt. Nicht zuletzt durch den Wandel familiärer Strukturen und nachbarschaftlicher Beziehungen stößt dieses Versorgungsprinzip zunehmend an seine Grenzen.“ So wird in der Präambel der Charta die Folge des Verfalls von Familie und Werten beschrieben. Weiter heißt es, dass die Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen im Sinne der Charta auch der notwendigen finanziellen Voraussetzungen bedarf.
Der Pflegeexperte Claus Fussek äußerte erst kürzlich in einem Tagesschau-Interview in ähnlichem Zusammenhang – da ging es um Demenzpflege –: „Wir reden über die Finanzierung von Grund- und Menschenrechten. Wir reden über die Familie als den preisgünstigsten Pflegedienst der Nation, der sich weiter kümmern können soll, ohne zusammenzubrechen.“
Die Verfasser der Charta und wohl auch die GRÜNEN, die diesen Antrag eingebracht haben, gehen aber offenbar davon aus, dass sich dieser preisgünstigste Pflegedienst der Nation künftig noch stärker auflösen wird, als dies bislang schon geschieht. Deshalb der Ruf nach vernetzten Versorgungsstrukturen samt Weiterbildung und Forschung.
Eine Charta ist ja im Grunde nichts weiter als eine Willensbekundung. Den Willen, dass schwerstkranke und sterbende Menschen ihr Leben in Würde beenden können, hat wohl jeder in diesem Hohen Haus. Ich denke, da kann ich für alle sprechen.
Trotzdem ist der vorgelegte Antrag etwas mager. Die Staatsregierung soll einfach nur unterzeichnen, wie es das Bundesministerium und die Sozialministerien einiger anderer Bundesländer bereits getan haben. Wie man der im Netz einsehbaren Unterstützerliste der Chartakampagne entnehmen kann, glänzen die GRÜNEN selbst aber nicht gerade durch Einsatzbereitschaft. Frau Jonas hat bereits davon gesprochen. Ich habe heute früh noch einmal nachgesehen, Frau Jonas. Weder die Fraktion GRÜNE im Sächsischen Landtag noch Vertreter des grünen Landesverbandes sind dort zu finden. Lediglich
die Fraktion GRÜNE aus dem Landkreis Heinsberg in NRW engagiert sich bisher dort mit einer Unterschrift.
Mit dem Antrag, eine Charta zu unterzeichnen, also eine Absichtserklärung zu fassen, ist es aber leider nicht getan. Wenn es Ihnen ernst wäre mit diesem grundsätzlichen und komplexen Thema, hätten Sie doch vielleicht auch die Staatsregierung zu Maßnahmen auffordern können. Wo sind zum Beispiel die Zahlen und Fakten der Anfragen zur Hospizarbeit in Sachsen, die Frau Herrmann im letzten Jahr gestellt hat? Wo wird die jetzige Situation schwerstkranker und sterbender Menschen in Sachsen wiedergegeben? Wo sagen Sie, was bereits heute getan oder eben nicht getan wird? Und wo sind Ihre Hauptkritikpunkte an der Arbeit in Sachsen?
Sie beschreiben in Ihrer Antragsbegründung die Notwendigkeit des Ausbaus der Pflege im Alter. Aber das Bild ist doch etwas differenzierter. Allein der Bundesverband Kinderhospiz spricht von 23 000 Kindern in Deutschland, die mit lebensbegrenzenden Erkrankungen leben müssen. 5 000 Kinder sterben jedes Jahr an unheilbaren Erkrankungen und allein im Bereich der jungen Schwerstkranken sprechen wir von 70 000 Betroffenen und Angehörigen. Diese Zahlen wären auf Sachsen herunterzubrechen samt Unterstützernetzwerke und Standards.
Eine grundsätzliche Auseinandersetzung fehlt in Ihrem Antrag völlig, nämlich der Zwiespalt zwischen der Betreuung im Krankheits- und Sterbefall und dem Recht eines Menschen, über das Ende seines Lebens selbst zu entscheiden. Gerade die GRÜNEN legen doch immer so viel Wert auf die Selbstbestimmung der mündigen Bürger. Warum wollen Sie, dass wir den Menschen ein Stück Selbstbestimmung in der schwierigsten aller Situationen nehmen?
Wir finden, der Punkt 1 ist sicher der strittigste in der Charta. Er wurde bei uns in der Fraktion intensiv diskutiert, und er ist der Grund, warum wir den Antrag ablehnen werden.
Meine Damen und Herren, das war die erste Runde. Gibt es Redebedarf für eine zweite Runde? – Den sehe ich nicht. Ich frage die Staatsregierung: Wird das Wort gewünscht? – Frau Staatsministerin Clauß, selbstverständlich. Bitte, Sie haben das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Kollegin Jonas hat bereits den 6. Sächsischen Hospiz- und Palliativtag angesprochen. Deutlich mehr als 600 ehrenamtliche Hospizhelfer aus ganz Sachsen waren angereist und vermittelten damit ein eindrucksvolles Zeugnis von der Kraft, die die Hospizbewegung in Sachsen inzwischen erlangt hat. Die ehrenamtlichen Hospizhelfer und Hospizhelferinnen sind die gelebte Wirklichkeit der Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen hier in unse
rem Freistaat. Sie sind diejenigen, die die Schwerkranken und Sterbenden besuchen; sie sind diejenigen, die den Angehörigen in ihrer Trauer beistehen.
Sachsen hat inzwischen 53 ambulante Hospizdienste und acht stationäre Hospize mit 1 803 ehrenamtlichen Hospizhelfern, die wir 2013 mit circa 590 000 Euro unterstützen. Gerade der Landesverband für Hospizarbeit und Palliativmedizin leistet hier vorzügliche Arbeit. Jedem und jeder – ob haupt- oder ehrenamtlich – gilt für den Einsatz unsere Anerkennung, unser Respekt und unser Dank. Denn jede und jeder beweist Empathie und auch ethische Verantwortung in Grenzsituationen des Lebens für schwerkranke und sterbende Mitmenschen und deren Familien.
Ich bin auch dem Gesetzgeber außerordentlich dankbar, dass er uns mit der Förderung von über einer halben Million Euro ermöglicht, die Hospizlandschaft in Sachsen weiter auszubauen. Die Krankenkassen tragen ebenfalls bei: im vergangenen Jahr – die Zahl haben wir gehört – 2,4 Millionen Euro in die Förderung der ambulanten Hospizdienste.
Hinweisen möchte ich ebenfalls auf inzwischen zwölf Teams, die die spezialisierte ambulante Palliativversorgung leisten. In der Anhörung zum aktuellen Krankenhausplans spielt die Palliativversorgung ebenfalls eine wichtige Rolle.
Meine Damen und Herren, es ist unstrittig, dass wir den Hospizgedanken, insbesondere auch in Pflegeheimen – ambulante Hospizversorgung ebenso wie die Palliativversorgung – weiter ausbauen müssen, gerade bei uns in Sachsen, was die Demografie anbelangt, aber auch als gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Das tun wir stetig. Sachsen ist schon jetzt das Bundesland, das im bundesweiten Vergleich die höchste Förderung für die hospizsichere Versorgung ausreicht.
Ich begrüße es in diesem Zusammenhang sehr, dass so viele sächsische Institutionen – auch Personen –, die sich konkret der hospizlichen Arbeit widmen, der Charta beigetreten sind. Denn sie wissen, dass sie hier in Sachsen eine gute menschliche, finanzielle und auch politische Unterstützung erfahren und es ihnen damit auch möglich ist, die Charta mit ihren fünf Leitsätzen konkret zu leben.
Erwähnen möchte ich in diesem Zusammenhang, dass die Sächsische Landesärztekammer ärztliche Fortbildungen im Bereich der Palliativmedizin anbietet und an der DIU ein Masterstudiengang zum Thema Palliativ Care angeboten wird, der sehr gut angenommen wird. Damit wird auch hier in Sachsen eine gute Einbindung der Palliativversorgung in den universitären Bereich hinein verfolgt.
Meine Damen und Herren, es ist das gute Zusammenspiel der Akteure in Sachsen, das im Bereich des Hospizdienstes zu einem Miteinander im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger führt. Den Initiatoren der Charta danke ich ausdrücklich für ihr Engagement, das wir in Sachsen mit den beschriebenen Maßnahmen gemeinsam unter
Meine Damen und Herren, wir kommen zum Schlusswort. Für die einreichende Fraktion spricht Frau Herrmann. Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den Eindruck, dass Sie nicht verstanden haben, was das Anliegen unseres Antrags ist: dass sich der Landtag und das Ministerium hinter die Charta stellen. Es geht nicht darum, dass ich die Charta als Elke Herrmann unterzeichne oder dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diese Charta unterzeichnet. Es geht darum, dass wir gemeinsam ein Bekenntnis zu dieser Charta ablegen
und damit zeigen, dass wir die Unsicherheit und diese Ängste in der Bevölkerung bei vielen Menschen im Zusammenhang mit Sterben und Tod ernst nehmen und dass wir bereit sind, diese Rahmenbedingungen zu schaffen und weiterzuentwickeln. Es sind also zum einen die Rahmenbedingungen.
Zum anderen ist es dieses Signal der Ermutigung – sowohl an diejenigen, die in unterschiedlichen Bereichen der Hospiz- und Palliativarbeit tätig sind, als auch an diejenigen, die Angehörige begleiten oder selbst erkrankt sind. Das ist das Anliegen und nicht, wie Sie angenommen haben: Kritik an der Staatsregierung.
Ich habe ganz bewusst vermieden, die Haushaltssituation anzusprechen, aber die Kollegin Jonas ist auf die Anhörung eingegangen – das war im Übrigen eine Anhörung zum Antrag der GRÜNEN „Leben und Sterben in Würde – Konzeption zur Hospiz- und Palliativarbeit im Freistaat Sachsen umsetzen“ –, und da sind durchaus die Knackpunkte genannt worden, an denen wir noch arbeiten könnten, zum Beispiel die Finanzierung.
Es ist zwar richtig, dass Sachsen diesbezüglich mehr als andere Bundesländer finanziert, jedoch ist es genauso richtig, dass die Hospizarbeit eben nicht aus Spenden in dem Maße wie in den alten Bundesländern oder durch andere Mittel unterstützt wird. Es ist ganz deutlich gesagt worden, dass es drei Säulen der Finanzierung der Hospizarbeit gibt. Das eine sind die Krankenkassen, das andere ist die Förderung durch das Land und die dritte Säule ist das Spenden- und Mitgliedsbeitragsaufkommen, und das ist in Sachsen beschränkt, weil manche nur 5 Euro geben können. Mehr haben sie eben nicht. Das sieht in den alten Bundesländern total anders aus. Dort gibt es zum Beispiel eine schon viel längere Geschichte der Hospize.
Zur Konzeption: In Punkt 4, Weiterentwicklung, heißt es: „Implementierung hospizlicher und palliativer Kompetenz in bestehenden Strukturen von ambulanten Pflegediens
ten, Krankenhäusern und Altenpflegeheimen“. Behinderteneinrichtungen tauchen da zum Beispiel gar nicht auf. Genau das ist das Thema: dass wir aktuelle Entwicklungen aufgreifen und ernst nehmen –
– und die Konzeption weiterzuentwickeln. Das war unser Anliegen und nicht, in erster Linie die Staatsregierung zu kritisieren. Aber Sie fühlen sich wahrscheinlich immer von der Opposition kritisiert; in vielen Fällen ist das ja auch richtig.
Meine Damen und Herren, ich stelle nun die Drucksache 5/11587 zur Abstimmung und bitte bei Zustimmung um Ihr Handzeichen. – Vielen Dank. Die Gegenstimmen? – Danke. Und Stimmenthaltungen? – Bei keinen Stimmenthaltungen und zahlreichen Dafür-Stimmen ist mehrheitlich die Drucksache 5/11587 nicht beschlossen. – Frau Giegengack, Sie möchten wahrscheinlich eine Erklärung zum Abstimmungsverhalten geben?
Herr Präsident! Ich habe ganz bewusst dafür gestimmt, dass die Staatsregierung diese Charta unterzeichnet, insbesondere und vor allen Dingen aufgrund des ersten Punktes der Charta, wo es darum geht, dass wir uns dafür einsetzen werden, ein Sterben unter würdigen Bedingungen zu ermöglichen und insbesondere den Bestrebungen nach einer Legalisierung der Tötung auf Verlangen durch eine Perspektive der Fürsorge des menschlichen Miteinanders entgegenzuwirken.
Ich hätte mir gewünscht, dass insbesondere eine CDUgeführte Koalition darüber hinwegsieht, dass der Antrag von der Opposition kommt, und dem „C“ in dem Parteinamen Ehre gegeben und sich ebenfalls dafür eingesetzt hätte.