Protocol of the Session on June 20, 2013

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Der Innenausschuss hat sich regelmäßig mit den Fragen von „Blood & Honour“ beschäftigt. In einer Anhörung im Oktober 2012 wurde der entsprechende Antrag der Fraktion DIE LINKE behandelt und auch die Einstufung von „Blood & Honour“ als eine sehr gefährlich agierende Organisation noch einmal klargestellt.

Das bundesweite Organisationsverbot in Deutschland hatte sicherlich nicht zur Folge, dass die Nachfolgesektion in Sachsen ihre Tätigkeit aufgab, sondern weiter agierte genauso wie die „Hammerskin Nation“. Insoweit ist durchaus zu hinterfragen, welche Möglichkeiten bestanden haben, die Arbeit der Organisation zu erschweren bzw. sie zu verbieten. Das mag man nun hören wollen oder nicht, aber es ist relativ problematisch, die festste

henden Strukturen zu belegen und die entsprechenden Fortsetzungsabsichten zu beweisen. Das eine ist das, was wir glauben, das andere ist das, was juristisch klar zu bewerten ist.

Wir glauben, dass das Landesamt für Verfassungsschutz im Wesentlichen seiner Aufgabe nachgekommen ist. Gleichwohl ist vor allem in den zurückliegenden Jahren bei der Frage der Bewertung der Struktur der Informationsweitergabe bekannt – das ist eine Erfahrung, über die wir ja alle offen reden –, dass es zu dem NSU Informations- und Strukturdefizite gegeben hat. Um diese, meine sehr verehrten Damen und Herren, kümmert sich insbesondere in den letzten Jahren sehr engagiert der Sächsische Staatsminister des Innern, Markus Ulbig. Insoweit möchte ich für die CDU-Fraktion den Vorwurf, der gegen ihn gerichtet wurde, zurückweisen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ja, wir haben in der Vergangenheit bei der Bewertung, bei der Beurteilung und bei der Vernetzung bestimmter Vorgänge, bei der Informations- und Datenverarbeitung, bei der Aktenführung Defizite festzustellen. Gleichwohl haben wir in den letzten Jahren ein engagiertes Handeln des Ministers, der auch aus persönlicher Betroffenheit und schon früher recht deutlich gezeigt hat, dass ihm der Kampf gegen den Rechtsextremismus eine Herzensangelegenheit ist, erkennen können. Dieser Aufgabe hat er sich engagiert und bewusst gestellt.

Wir haben im letzten Jahr die ersten Maßnahmen zur Neuorganisation des Landesamtes für Verfassungsschutz erleben können. Wir haben eine Zunahme des Organisationsgrades. Der Minister ist engagiert dabei. So weit noch einmal: Ihm persönlich diesen Vorwurf zu machen halten wir für falsch.

(Beifall bei der CDU)

Darüber hinaus müssen wir auch noch einmal konstatieren, dass „Blood & Honour“, genauso wie „Hammerskin Nation“ nur ein Teil des Problems sind; die rechtsextreme Szene ist breiter aufgestellt. Wir haben freie Netzwerke und Kameradschaften, für die es immer sehr schwierig ist, die Belege der Zusammenarbeit der Organisation festzustellen. Hier ist das Landesamt für Verfassungsschutz gefragt, und da muss ich einen kleinen Vorwurf auch an Sie zurückgeben, und vielleicht ist der auch gar nicht so klein.

Wer in Haushaltsberatungen die Abschaffung, die Reduzierung des Landesamtes für Verfassungsschutz fordert und gleichzeitig sich hier hinstellt und mehr Aufklärung und mehr Information verlangt, der muss sich doch bitte mal irgendwann festlegen, was er wirklich will. Es kann doch nicht sein, dass Sie die Organisation, die staatliche Institution, die dafür verantwortlich ist, schleifen wollen und gleichzeitig den Staat und die Staatsminister auffordern, mehr Aufklärung zu betreiben.

(Beifall bei der CDU)

Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Herr Hartmann?

Frau Präsidentin, ja, gestatte ich.

Frau Köditz, bitte.

Vielen Dank, Herr Hartmann. Ich habe nicht gefordert, dass das Landesamt für Verfassungsschutz mehr Aufklärung betreiben soll. Ich habe auf öffentlich zugängliche – –

Eine Frage bitte.

Haben Sie gehört, dass ich darauf hingewiesen hatte, sich eben nicht auf diesen Verfassungsschutz zu beziehen, sondern ich habe gefordert, dass öffentlich zugängliche Quellen – – Ich habe ein Buch zitiert, eine öffentlich zugängliche Quelle. Das erwarte ich nicht von einem Geheimdienst. Das erwarte ich von politisch agierenden Menschen.

Bitte nur die Frage stellen.

Haben Sie mich so verstanden?

Frau Köditz, ich habe verstanden, was Sie gesagt haben. Gleichwohl möchte ich festhalten: Sie brauchen eine Stelle, die diese Informationen zusammenfasst, verarbeitet und weiterleitet. Es wird nichts helfen, in der staatlichen Bibliothek alle Werke über Rechtsextremismus zu sammeln. Sie brauchen eine Auswertungsstelle, die diese Informationen trägt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir reden doch über die Frage der Bekämpfung des Rechtsextremismus und darüber, wie wir die Strukturen verbessern können. Da ist zum einen – und dabei bleiben wir – die Notwendigkeit eines Landesamtes für Verfassungsschutz, das wir reformieren und nicht abschaffen wollen. Das unterscheidet uns von Ihnen. Dieses Amt muss besser vernetzt werden in der Zusammensetzung oder in der Zusammenarbeit mit der Polizei, mit den Staatsanwaltschaften. Wir müssen die Vernetzung der Landesämter für Verfassungsschutz untereinander verbessern und die zentrale Verantwortung und Funktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz als koordinierende Stelle deutlich herausarbeiten. Dieser Prozess läuft, wie gesagt, unter diesem Innenminister in dessen Verantwortung im Laufe des letzten Jahres mit durchaus messbarem Erfolg, wie wir beispielsweise im operativen Abwehrzentrum unter Leitung des ehemaligen Landespolizeipräsidenten Bernd Merbitz sehen können.

Abschließend möchte ich feststellen: Die Große Anfrage wurde beantwortet, die Diskussionen um die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus werden wir weiter miteinander führen. Wir sehen es als eine gesamt

gesellschaftliche Aufgabe, der wir uns stellen müssen – nicht nur im Bereich der „Hammerskin Nation“ und der „Blood & Honour“-Strukturen, sondern gesamt gesehen parteipolitisch in den freien Netzwerken. Da können wir gemeinsam auch weiter vorangehen, und ich denke, das tun wir auch.

Insoweit danke ich Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Für die SPD-Fraktion Herr Abg. Homann, bitte.

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die NPD schämt sich, sie ist komplett abgetreten.

(Kerstin Köditz. DIE LINKE: Wir hören nichts!)

Habe ich ein Mikro?

Es ist an. Vielleicht machen Sie es ein Stückchen höher.

Man hat gesagt, ich soll ein bisschen leiser reden, Herr Piwarz, deshalb habe ich das jetzt versucht.

Also noch einmal. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich hatte bemerkt, dass die NPD sich offensichtlich schämt bei diesem Thema – zu Recht, deshalb ist sie auch komplett nicht anwesend. Das wollte ich nur nebenbei mal erwähnen.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Um aus Fehlern zu lernen und diese abzustellen, muss man sie benennen und klar analysieren. Deshalb ist es richtig, zu einer schmerzlichen Feststellung zu kommen, und die heißt: In den Neunzigerjahren wurde das Problem des Rechtsextremismus in Sachsen sträflich unterschätzt. Dokumentiert ist das nicht zuletzt durch das Immunitätsdogma, formuliert von Kurt Biedenkopf.

Anzeichen gab es genug. Dazu musste man nicht beim Verfassungsschutz arbeiten. Der Versuch der Errichtung „national befreiter Zonen“, die Vorläufer von „Sturm 34“, die „Skinheads Sächsische Schweiz“, die Konzentration von NPD-Strukturen in Riesa, das alles ist dokumentiert, und für alles gab es in den Neunzigerjahren schon gut sichtbare Alarmzeichen. Dies muss ohne Frage aufgearbeitet werden. Ein Teil dieses Aufarbeitungsprozesses sind ohne Frage die Aktivitäten des Neonazi-Netzwerkes „Blood & Honour“ und der „Hammerskin Nation“. Teil dieses Aufarbeitungsprozesses ist diese Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE, für die ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanken möchte.

Die Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage lassen allerdings befürchten, dass die sorgfältige Aufarbeitung nicht umfassend geschieht. Zumindest habe auch ich bei der Sichtung der Fragen eine ganze Menge von

Punkten gefunden, zu denen ich jetzt doch einige kritische Anmerkungen machen möchte.

Das Erste ist die generelle Einschätzung des Charakters von „Blood & Honour“. In den Antworten der Staatsregierung auf die Anfrage heißt es, das Engagement von „Blood & Honour“ in Sachsen sei – ich zitiere: „weniger auf politische Arbeit, sondern eher auf die rechtsextremistische Musikszene fokussiert gewesen“, und ich zitiere weiter: „Für die Führungsmitglieder von ‚Blood & Honour‘ Sachsen war die Ideologie zweitrangig, deshalb wurden keine politischen Treffen beabsichtigt bzw. durchgeführt.“ Ich halte das für eine krasse Fehleinschätzung von „Blood & Honour“.

(Beifall bei der SPD, den LINKEN und den GRÜNEN)

Man kann das belegen. Erstens, in der Anhörung der Sachverständigen hier im Innenausschuss waren sich alle darüber einig, dass „Blood & Honour“ Musik als Mittel zur Verwirklichung des Ziels, nationalsozialistische und rassistische Ideologien zu verbreiten, benutzt hat. Das wurde auch von Ihrem damaligen Vertreter des Verfassungsschutzes bestätigt.

Zweitens: Die im Innenausschuss aussagenden Sachverständigen haben auch betont, dass die Abspaltung der sächsischen „Blood & Honour“-Sektion dadurch motiviert war, dass sie eine stärkere Politisierung haben wollten und nicht weniger Politisierung. Das ist doch der Beleg dafür, dass Ihre Einschätzung von „Blood & Honour“ hier in dieser Großen Anfrage falsch ist.

Drittens: Bekannt ist auch, dass über den militanten Arm von „Blood & Honour“, „Combat 18“, der militante Kampf propagiert und Anleitungen dafür verbreitet wurden. Das dort skizzierte Vorgehen finden wir später beim NSU.

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Nun kommt meine zweite kritische Anmerkung: Inwiefern war das Verbot von „Blood & Honour“ eigentlich erfolgreich? Sie betonen ja in Ihren Verfassungsschutzberichten, dass hier durchaus erfolgreich Strukturen zerschlagen worden wären. Selbst Herr Hartmann hat hier gerade eingeräumt im Namen der CDU-Fraktion, dass das dann wohl doch nicht so erfolgreich war. Für diesen durchaus selbstkritischen Satz in der Auseinandersetzung mit dem sächsischen Verfassungsschutz danke ich Ihnen an dieser Stelle. Dem habe ich auch nichts hinzuzufügen.

Deshalb komme ich lieber zu dem dritten Punkt: Das ist die Bedeutung von „Blood & Honour“ für den Fallkomplex NSU. Dass Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe trotz Hinweisen, denen zum Teil ja auch in Chemnitz und Zwickau nachgegangen wurde, unentdeckt bleiben konnten, wirft sehr dringlich die Frage auf, ob die Bedeutung von „Blood & Honour“ in Sachsen nicht doch erheblich unterschätzt wurde. Die Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage können hier genauso wenig beruhigen wie die Tatsache, dass jetzt doch noch mal Akten im Verfassungsschutz gefunden wurden.

Ich möchte noch der Auffassung von Frau Köditz einen Gedanken hinzufügen: Dass Mandy S., die Beate Zschäpe ihre Identität lieh, genau aus diesem „Blood & Honour“Netzwerk stammt, gehört zur Wahrheit dazu. Dass Mandy S. mit Thomas G. über Ralf Wohlleben auch Kontakte bis nach Sachsen bis ins freie Netz gehabt haben muss, –

(Kerstin Köditz, DIE LINKE: Internetportal!)

auch das gehört zur Wahrheit dazu.

Genau zu solchen Querverbindungen, genau zu solchen Strukturen, die so immens wichtig sind, um das Agieren dieser Neonazi-Strukturen in Deutschland aufzuklären, genau dazu finden wir wenig Erhellendes in der Antwort der Staatsregierung. Sie behaupten, die hauptsächlichen Aktivitäten der „Hammerskin Nation“ bestehen aus internen Treffen sowie gelegentlichen Organisationen von Konzerten. Beim „Freien Netz“ handelt es sich nicht um eine eigenständige Organisation bzw. einen eigenständigen Personenzusammenschluss, sondern um ein Vernetzungsmedium, ein Internetportal. Das sind wieder krasse Fehleinschätzungen.

(Beifall bei der SPD und den LINKEN)